zurückFremdenfeindlichkeit in Rudolstadt?


Glosse zu den Vorfällen von Luigi Lauer

(geschrieben vor Bürgermeister Reichls Rede vor dem Rudolstädter Stadtrat unter dem unmittelbaren Eindruck des Artikels in der Frankfurter Rundschau)

IM OSTEN NICHTS NEUES

So würde heute Erich Maria Remarque wohl ein Buch betiteln, wenn er über Rassismus in Ostdeutschland schriebe. Ob es, wie Im Westen nichts Neues, auch der Bücherverbrennung zum Opfer fiele? Nein, heute geht man subtiler vor. Wie zum Beispiel bei der evangelischen Kirchenzeitung Glaube und Heimat. Die hat dem Pfarrer Reiner Andreas Neuschäfer, Rudolstadt, nahe gelegt (Frankfurter Rundschau vom 2. April), doch in ihrem Blatt nicht mehr so schreckliche Dinge zu schreiben. Neuschäfer war im Jahr 2000 mit seiner Familie aus Erkelenz in Westdeutschland nach Rudolstadt übergesiedelt, weil man ihm dort eine Stelle als Schulpfarrer und Schulbeauftragter für Südthüringen angeboten hatte. Neuschäfer – mit diesem Namen kann man dafür nicht besser gerüstet sein. Doch nachdem eines seiner Kinder in der Schule zusammengeschlagen worden war, hatte Neuschäfer über den jahrelangen und unverhohlenen Rassismus gegen seine halbindische Frau und die gemeinsamen Kinder in Glaube und Heimat geschrieben (go! www.guh-cms.de/guw/blickpunkt/35-2007.html) und klargestellt, dass auch in Schulen und Kirchen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vorkommen. Daraufhin deckelte ihn die Leitung des Blattes, das vom Landeskirchenrat der Evangelisch-lutherischen Kirche Thüringen herausgegeben wird. Vermutlich in Ausübung christlicher Nächstenliebe.

Das erinnert an das Kind, das die Augen zumacht und glaubt, dass nicht passiert, was es nicht sieht. Und mit Glauben kennt man sich ja aus bei der Kirche: „Lass uns leben, so wollen wir deinen Namen anrufen“ (Psalm 80, 19), steht da als Tageslosung in Glaube und Heimat für den 2. April. In Rudolstadt ruft man besser die Polizei an, wenn man am Leben bleiben will. Oder besser doch nicht ...? Dabei sah es im November 2006 ganz gut aus: In der örtlichen Schiller-Schule wurde eine Ausstellung gegen Rassismus eröffnet, es ging vor allem um Auschwitz. „Bin ich meines Bruders Hüter?“, sagt Kain auf die Frage, wo Abel sei (Gen 4, 9). Den hatte er gerade erschlagen. Die Ausstellung hatte das fällige „Ja!“ geliefert, das in der Bibel ausbleibt, „Ich bin meines Bruders Hüter“ war sie betitelt. Leider waren nicht mehr genug Amerikaner da, um die Bevölkerung Rudolstadts zur Besichtigung zu zwingen. Aber die Rudolstädter haben ja einen Ablass: ihr jährliches Tanz- und Folkfest (TFF). Alles so schön bunt hier, teilt es der Welt mit, die sich zu Gast bei Freunden wähnt. Oder unter Brüdern. Wie Abel.

Das TFF ist der Buß- und Bettag für ein Jahr des Wegschauens, des Hinnehmens oder gar des Mitmachens. Da sollte gerade die Kirche nicht mitmachen, erst recht nicht durch Zensur ihres eigenen Parteiorgans. Ausgerechnet die evangelische [!] Oberkirchenrätin der Thüringischen Landeskirche, Marita Krüger, findet offiziell die Zustände „gelinde gesagt katastrophal“. Und wenn sie es nicht „gelinde“ sagt? Wie steigert man katastrophal? Mit Glaube und Heimat? Maulkorberlass? Haben sich die US-Truppen etwas dabei gedacht, als sie am 10. April 1945 auch die Kirche in Rudolstadt bombardierten? Hatte Ratzinger Recht, als er im Jahre 2000 des Herrn und kürzlich wieder in ökumenischer Brüderlichkeit den Evangeliken nächstenlieb verkündete, sie seien, weil reformtauglich, gar keine Kirche im eigentlichen Sinne? Natürlich hatte er Recht! Unfehlbarkeit! Irren kann ein Papst sich nicht. Irren ist nämlich menschlich, der Papst aber ist katholisch. Und dass die Katholiken glühende Verfechter von Toleranz seien, hat ihnen zu Recht noch nie jemand vorgeworfen, nicht vor und nicht nach Pius Nr. 12. Außer vielleicht damals, exakt 2000 Jahre bevor Neuschäfer nach Rudolstadt kam.

Die Kirchen in Rudolstadt werden es also nicht richten. Die Politik dann? Die Landesregierung besteht komplett aus CDU-Leuten, Christen also, und auch im Stadtrat haben sie, dem rot-grünen Erscheinungsbild des Rathauses zum Trotz, die Mehrheit. Das mit den Christen haben wir bereits verworfen, und die Politik hat es auch damals schon nicht gerichtet: Der jüdische Friedhof in Rudolstadt wurde bereits 1935 mangels Nachschub eingeebnet, letzterer war da schon komplett deportiert. Tradition verpflichtet: Der unter anderem parteilose Bürgermeister Jörg Reichl sagte zu den Vorfällen um die Familie Neuschäfer nur: „Hier herrscht keine Ausländerfeindlichkeit.“ Schon klar. Und niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.

Was wirklich herrscht, ist vorsätzliche Ignoranz, um es gelinde zu sagen. Ohne „gelinde“: Der Mann lügt. Fragt sich: Was passiert eigentlich in Rudolstadt, wenn da wirklich mal Ausländer hinziehen? Es gibt nämlich nur gut 500 in der 25.000-Seelenlosen-Gemeinde, bei 2,1 Prozent liegt der Anteil. Heißt: Nur jeder fünfzigste Rudolstädter trägt Kippa, Kora oder Koran. Die Stadt hat also kein Ausländerproblem, sie ist ein Ausländerproblem. Die Bevölkerungszahl geht, nach amtlicher Statistik, seit 1994 kontinuierlich zurück – wundert’s wen? In dieser Statistik versteckt ist auch ein Pfarrer mit einer halbindischen Frau und fünf Kindern. Die wohnen jetzt alle wieder in Erkelenz, haben sich in den Westen gerettet, bevor Schlimmeres passiert als Beleidigungen, Erniedrigungen, Prügel. Auch eine Art Kirchenasyl.

Ob Neuschäfer das TFF noch besucht? Vielleicht könnten die Verantwortlichen des größten deutschen Festivals für Folk, Roots und Weltmusik die Zustände ja, wenn schon nicht richten, so doch ändern? Immerhin taucht die Festivalseite, wenn man „Rudolstadt“ per Suchmaschine anklickt, gleich hinter der offiziellen Homepage der Stadt auf. Der Buß- und Bettag, eine evangelische Erfindung, ist als gesetzlicher Feiertag bereits abgeschafft. Was für eine tolle Presse gäbe es (Sie lesen gerade einen Vorgeschmack) weltweit, wenn aus Protest zumindest angedroht würde, auch das TFF ausfallen zu lassen, wenn die Stadt sich nicht endlich hinter die paar hundert Bürger stellt, die alleine mit dem Wort „Migrationshintergrund“ genug gestraft sind? Wenn sie im wahren Wortsinne „Farbe bekennt“? Tibet tauchte auch nie öfter in den Medien auf als seit der Vergabe der olympischen Spiele an China. Und China ist überall, auch hier. Immerhin ist das TFF mit fünf öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern liiert, von den zahl- und einflussreichen Sponsoren ganz abgesehen. Und was öffentlich ist, darf auch recht sein. Nicht rechts. Bürgermeister Reichl und Gesellen wären mit ein wenig Druck schneller auf den Knien als in der Kirche. Los also!

Natürlich sind nicht alle Rudolstädter Rassisten. Und natürlich sind nicht alle von der gleichen christlichen Vergebungstheorie geprägt wie die Verwaltung der Stadt Rexburg in Idaho, der Partnerstadt von Rudolstadt. Die Gemeinde hat fast genauso viele Einwohner und fast genauso wenig Ausländer wie Rudolstadt. Aber anders als in Rudolstadt ist in Rexburg genau zu erfahren, wie viele verurteilte Sexualstraftäter die Stadt hat, 14 sind es aktuell, über einen Link auf der Homepage sind Haar-, Haut- und Augenfarbe, Gewicht, Größe und Adresse bis zur Hausnummer zu erfahren. Mit Fotos. Zum leichteren Auffinden der Delinquenten genügt ein Klick auf den verlinkten Stadtplan. Es sind zwar gerade keine Ausländer dabei, aber man weiß ja nie. Ein Pranger kann nicht schaden, und auch Prügel haben noch niemandem geschadet. Willkommen im 13. Jahrhundert, der aktuellen Zeit in Irak wie in Amerika. Man trifft sich.

Und Rudolstadt? Alle Rudolstädter tragen Verantwortung dafür, dass Rassismus in ihrer Stadt keine Chance hat. Jeder Rudolstädter ist seines Bruders Hüter, und nie war nur von weißen Brüdern, christlichen Brüdern, deutschen oder alteingesessenen Brüdern die Rede. Schließen wir in diesem Sinne mit dem Herrn. In der Ausgabe Glaube und Heimat Nr. 13 vom 30. März ist das „Wort der Woche“ überschrieben: „Neue Menschen braucht das Land.“ Das glauben wir gerne. Aber wenn sie kommen, lasst das mit den Kreuzen und den Nägeln bitte diesmal sein. Der Herr sei mit euch. Amen.

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