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28. Festival Interceltique in Lorient

300 000 Zuschauer aus aller Welt, 4.500 Künstler – und wieviel Tanz ?

Jede Kultur zeichnet sich durch Sprache, Musik, Tänze, (Innen)Architektur und Kleidung (Tracht) aus – auf dem Festival Interceltique (FI) war in jeder Beziehung etwas von der aktuellen und gelebten Kultur der (sogenannten) keltischen Länder Schottland, Wales, Cornwall, Irland, Isle of Man, Bretagne, Asturien und Galizien zu erleben: In einigen dieser Regionen (über)leben Teile der Kultur intensiv (Musik und Sprache in Irland) in anderen sind sie noch lediglich ein Bestandteil einer Subkultur (Tanz in Galizien). Corinna Oosterveen hat die Entwicklung der Tanzkultur der letzten 15 Jahre in einzelnen europäischen Regionen und Ländern beim 28. Festival Interceltique in Lorient für den Folker! genauer unter die Lupe genommen.

Bretagne

Auffällig ist, wie gerade in den letzten fünf Jahren die Bühnenchoreographien der einfachen, aber intensiven Reihentänze (An Dro, Gavotten ...) durch die immer härter werdende Konkurrenz und Anforderungen der Jury in den Wettbewerben der Cercles Celtiques (Tanzgruppen), das Tanzgeschehen der Fest-Noz (»Nachtfest«=Tanzball) beeinflussen. Durch das Repertoire der Cercles (und es sind enorm viele Bretonen Mitglied in den Cercles, absolut keine Minderheit und nicht mit dem Trachtengruppenwesen in Deutschland vergleichbar) werden immer mehr komplizierte Figurentänze, wie z.B. der Jabadao, oder fast vergessene, wie die Laridée-Gavotte aufgenommen. Hier könnte sich eine ähnliche Entwicklung zeigen, wie sie Matti Goldschmitt (--> Folker! 4/98) für Israel aufgezeigt hat; Bühnenchoreographien beeinflussen die Volkstanzpraxis. Im Falle der komplizierten Tänze zeigt man, was man kann. Dies ist durchaus überall und zu allen Zeiten ein wichtiger Motor für gelebte Tanzkutur gewesen. Im Falle der fast vergessenen Tänze ergibt sich eine Erweiterung des Repertoires. Ich habe immer wieder beobachten können, daß diese Tänze nach zwei bis drei Jahren auf den Tanz-Bällen in Deutschland angekommen sind, denn auch hier wollen die Tänzer zeigen, was sie können (auch wenn sie es ganz oft doch nicht so können wie vor Ort...). Es wächst eine junge Generation tanz- und musikbegeisteter Jugendlicher heran, die zum großen Teil ihr Wissen aus den Cercles bezieht und weniger aus den Festoú-Noz. Dort wurde eher Appetit gemacht. Man kann feststellen, daß sich das Erleben der bretonischen Tänze verändert: Nicht Gruppe, Rhythmus, »Meditation« und Kommunikation sind Zentrum des Tanzerlebens, sondern Show, Können und Abwechslung. Eine Entwicklung, die sich auch seit längerem in der bretonischen Musik hören läßt.

Wales und Isle of Man

Hier kennt man keine lebendige Tanztradition der Tanzbälle. Die walisischen (und zentralenglischen) Morris Dances sind seit der Renaissance rituelle Showtänze. Ansonsten werden Scottish Country Dances gepflegt.

Cornwall

In dieser Region bemüht man sich um eine Renaissance. Anglaisen (3-Paar-Tänze) und Quadrillien (4-Paar-Tänze), also Repertoire des letzten Jahrhunderts, wurde noch von der Großelterngeneration getanzt und hat sich dort wie in Irland und Schottland unabhängig von einer Trachtenkultur entwickelt. Diese Gesellschaftstänze, die ihre Wurzeln in den Choreographien der europäischen Tanzmeisterlehre des 19. Jahrhunderts haben, wurden lokal verändert. Die Bolingey Troyl Dancers versuchen mit noch fünf anderen Gruppen aus Cornwall die Troyls (Cornish für Tanzfest) wiederzubeleben und das sehr dünne Band der Tradition zu verstärken. Da einige dieser Gruppentänze sehr witzig und einfach sind (neben den 3- und 4-Paar-Tänzen – diese erinnern an englische Country Dances), werden wir sicher in den nächsten Jahren auch von diesen Tänzen etwas in Deutschland mitbekommen. Musikalisch ist das Material der Tunes wenig attraktiv, vergleichbar mit Scottish Country Dance oder Ceilidh Music der alten Schule.

Irland

In den Cornish-Tänzen lassen sich vereinzelt noch Jigs- und Solosteps finden, aber in Irlands Tanzrepertoire sind sie Basis. Der irische Tanz, ob Solo, Step, Ceilih- oder Set-Dance war und ist lebendig. Als Irisch-Tanzdozentin weiß ich, daß die wunderschönen, aber durch das Schrittmaterial komplizierten Tänze zwar Interessenten, Anhänger, ja sogar Fans finden, aber doch weniger als die bretonischen oder die sehr einfachen Gruppentänze der Scottish Country Familie. Was wir bei Riverdance und The Lord of the Dance sehen können, ist höchste Perfektion, aber in Irland sind diese Tanzformen auch wirklich zu Hause und aktuell. Durch den großen Erfolg und die auch in Deutschland zu beobachtende Tatsache, daß immer mehr gute und sehr gute Tänzer beweisen möchten, was und daß sie tanzen können, bietet der irische Tanz höchste Ansprüche. Das Repertoire ist nicht einfach, ein Bedarf entwickelt sich – wir werden im Laufe der Jahre sicher noch mehr aus Irland tanzen. Die Musik, die sich bei deutschen Gruppen vom Tanz wegbewegt hat (Reel, Jig, Hornpipe und Polka sind nun einmal Tänze), wird sich wieder annähern müssen. Wenn es generell für Tanzmusik gelten mag, hier ganz besonders: Zum Tanz aufspielen kann nur, wer selber tanzen kann. Frei dem keltischen Motto »Geb niemals einem Mann, der nicht tanzen kann, ein Schwert«.


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im Folker! 1/99