NOTEN OHNE QUOTEN –
Eine Stimme für das deutschsprachige Lied
von Martin Steiner
Das deutschsprachige Lied scheint eine Männerdomäne zu sein. Löbliche Ausnahme:
IRMGARD KNEF,
Himmlisch! Ewigkeit kennt kein Pardon
(Con anima CA 26576/NRW Vertrieb, www.mv-nrw.de, 28 Tracks, 76:37)
. Die Zwillingsschwester von Hildegard Knef verließ kurz das Himmelszelt und
erzählte am 23. September 2008 im Düsseldorfer Kom(m)ödchen über ihr Dasein als
Engel. Das hat Tiefgang, Niveau, macht unheimlich Spaß und ist trotz himmlischer
Botschaft wohltuend geerdet. Die musikalischen Beiträge glänzen mit einer locker
swingenden Jazzband. Das kann nur eine alte Dame! Sie ist 1965 geboren, heißt
mit richtigem Namen Ulrich Michael Heissig und hat mit Irmgard Knef eine
kongeniale Kunstfigur geschaffen. Ein anderer Berliner Kabarettist ist
LOTHAR VON VERSEN
. Auch er versteht es auf
Walzer für Unreife
(Borodino Records 111206, www.borodino-concerts.com, 23 Tracks, 46:51)
, Wort und Text musikalisch schwungvoll umzusetzen. Das ist immerhin gut
gemachte Unterhaltung. Wenn in der deutschsprachigen Liedszene offenbar kaum
Frauen aktiv sind, lassen wir wenigstens die Jugend zu Sprache kommen. Das
Lachen ist dem Hip-Hop-Duo
DIE BANDBREITE
bereits abhanden gekommen. In „Habt ihr dat vielleicht selbst gemacht? Den
Terror selber in die Welt gebracht?“ fragt die Bandbreite sich auf
Hexenjagd
(Lärmquelle Records 011, www.laermquelle-records.de, 19 Tracks, 63:42)
, ob die Opfer und die Täter die gleichen seien, da Terroropfer die beste
Legitimation sind, Kriege anzuzetteln. Hip-Hop mag nicht das Kerngeschäft der
Folker!
-Leserinnen und -Leser sein. Doch Titel wie „Kein Sex mit Nazis“ verdienen
offene Ohren. Texte, die ein genaueres Hinhören verdienen, bietet auch
HAASE
. Der mit Gundermann-Programmen bekannt gewordene Leipziger macht auf
Nimmersatt
(D. K. Büro, www.haase-band.de, 17 Tracks, 51:49)
fast alles selbst, die Songs sind kurz und im Akustikrockgewand gehalten. Mit
STELLMÄCKE & BAND,
Augenlieder
(Eigenverlag, www.stellmaecke.de, 12 Tracks, 47:55, mit Texten)
kommen wir zu den Liedermachern mittleren Alters, die wie immer den Großsteil
der Albumproduktionen ausmachen. Stellmäcke schreibt wunderschöne Lieder mit
poetischen und hintersinnigen Texten, die seine Band fein und geschmackvoll
arrangiert. Wer Wenzel mag, wird auch Stellmäcke lieben. Viel Gefühl für leicht
verdauliche Arrangements zu luftigen, schönen Melodien zeigt auch
BEO
auf
Wiedergeburt
(Eigenverlag, www.beomusik.de <http://www.beomusik.de>, 13 Tracks,
74:07).
Die Texte des musikalischen Kopfs der Musikkomödianten Ganz schön feist sind
manchmal nur schwer verdaulich - anders als die vertonten Gedichte auf
Lieder der Poesie 2
von
AMBY SCHILLO, NINO DEDA, MICHAEL MARX (BEE Records, BEE 2008-77,
www.liederderpoesie.de, 12 Tracks, 47:41).
Sie stammen von Hermann Hesse, Joseph von Eichendorff oder Rainer Maria Rilke
und sind natürlich über alle Zweifel erhaben. Die drei Musiker beweisen ihre
Virtuosität an Gitarre, Akkordeon, Bass und weiteren Instrumenten und verpacken
die Klassiker in schöne Melodien. Ob der etwas glatte Gesang zu den Texten
passt, bleibt dahingestellt. Ebenfalls ein Gefühl für schöne Melodien
entwickelt
THOMAS BUSSE
auf
Liebe ist der Weg
(Traumleben-Verlag CD 10.5, www.traumleben.de, 12 Tracks, 49:02, mit Texten).
Lauscht man seinen Worten, fühlt man sich in ein Esoterikseminar versetzt, das
Ihre tragen die Engelschöre und Geigensätze bei. Auch
OLIVER ZIEGLER
singt
auf
Neue Sterne
(Eigenverlag, www.oliver-ziegler.de, 10 Tracks, 37:41)
Lieder mit einem positiven Grundton. Doch seine Texte besitzen eine lyrische
Qualität, mit welcher der Pianist und Sänger den Zuhörer auf eine Reise der
Gefühle mitnimmt. Kein Blatt vor den Mund nehmen wie so oft die Bayern, so auch
WEIHERER
auf
Scheiße schrein!
(Conträr 58/Indigo, www.indigo.de, 12 Tracks, 49:48).
„I konn ned oiwei ols verstehe“ singt der junge Musiker, und auch wenn
Nicht-Bayern aufgrund der fehlenden Texte im Booklet Weiherer ebenfalls „ned
oiwei“ so einfach verstehen, wird sofort klar: Der Mann hat eine Botschaft und
verdient es, gehört zu werden. „Eine Art süddeutscher Bob Dylan“ schrieb jemand
auf Weiherers Website, ein Dylan der frühen Sechzigerjahre möchte man anfügen,
als er noch mit der akustischen Klampfe unter dem Arm gegen die
Ungerechtigkeiten dieser Welt ansang. Mit durchwegs kurzen, musikalisch
abwechslungsreicheren Liedern ist
Scheiße schrein!
das bislang reifste Album des Bayern. Zum Schluss noch ein Zitat eines weiteren
Bayern, Tiger Willi: „Mechts du Grenzen überwinden, muest du ä Dönerstandl
finden“. Die Bands auf
HART + ZART III, neue Volksmusik aus Bayern
(Mundart/BSC Music 307.0053.2/Rough Trade, www.roughtrade.de, 22 Tracks,
74:16)
überschreiten allesamt musikalische Grenzen. Nein, Volksmusik im herkömmlichen
Sinn machen sie nicht, dafür haben sie den Blues, Reggae, Bossa und Soul im
Blut. Das rockt manchmal wunderbar ab. Und politisch korrekt sind die Bayern
erst recht nicht ...
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