NOTEN OHNE QUOTEN –
Eine Stimme für das deutschsprachige Lied
von Martin Steiner
Der Preis für den besten Bandnamen ist längst vergeben – er gebührt der
BOLSCHEWISTISCHEN KURKAPELLE SCHWARZ-ROT
mit
Kämpfe
(David Volksmund Produktion DVP 01/Buschfunk, www.buschfunk.com, 15 Tracks,
59:23)
. Wurde wohl auch Zeit, dass man in Deutschland zu Blasmusik Lieder von
Brecht/Eisler, Rio Reisers „Junimond“ und das Repertoire der Band Ton Steine
Scherben absingt. Der Anfang ist gemacht. Das nächste Mal darf es sogar noch
schräger sein, Jungs. Den Preis für den schönsten Albumtitel holten
DZIUKS KÜCHE
mit
Freche Tattoos auf blutjungen Bankiers
(Buschfunk BF 05302, www.buschfunk.com, 14 Tracks, 59:28, mit Texten)
. Das Handwerk von Danny Dziuk und seiner Crew, kongenial unterstützt von
– neben anderen – Musikern der 17 Hippies sowie auf einem Stück Dota
Kehr, der Liederbestenliste-Förderpreisträgerin des Jahres 2008, basiert auf
amerikanischem Songwriting der Oberklasse. Textlich kann er sich ohnehin mit
jedem US-Songwriter messen, nur kennt er keine Scheuklappen. So hintersinnig
liebevoll wie Dziuk hat wohl noch selten einer seine Heimatstadt „Berlin“
besungen. Dziuk nimmt klar Stellung, aber mit viel Ironie und ohne erhobenen
Zeigefinger. Und alles tönt wunderbar locker. Klar Stellung bezieht seit jeher
auch
BETTINA WEGNER
. Noch einmal singt sie auf
Die Abschiedstournee
(Conträr Musik 56, www.contraermusik.de, Do-CD, 36 Tracks, 97:43, teilweise mit
Texten)
„Sind so kleine Hände“ oder die Buffy-Sainte-Marie-Adaption „Soldaten“ so
ergreifend wie zu Beginn ihrer Karriere. Wegners Lieder basieren auf dem
Protestlied der Sechzigerjahre und haben – leider – nichts von
ihrer Aktualität eingebüsst. Ein eindrückliches Hörerlebnis. Ebenfalls kein
Blatt vor den Mund nimmt
KONSTANTIN WECKER
. Auf
Gut’n Morgen Herr Fischer
(Sturm & Klang S&K 002/Al!ive, www.alive-ag.de, 18 Tracks, 57:14, mit
Texten)
vermischt er bayerische Gstanzln mit Rock und Lied. Während er davon singt, wie
sich seine Kollegen über ihre Gattinnen beklagen, schwärmt er von seiner
eigenen lebenslangen Liebschaft mit der „Anna R. Chie“. Das tönt manchmal
wunderbar kräftig und ausgelassen, nur ist das Ganze doch etwas zu glatt
produziert. Wie
Freie Sicht
von
MICHAEL VON DER HEIDE (Edel Records 0192562ERE, www.edel.de, 14 Tracks, 58:45,
mit Texten)
. Die Gefühlswelten des Schweizers mit der klaren Tenorstimme verlangen nach
einer raueren, kargen Begleitung. Mehr Profil zeigt
SEBASTIAN LOHSE
auf
In Medias Res
(Metropol 426014110081/Brokensilence, www.brokensilence.biz, 20 Tracks plus
Bonustrack, 66:25, mit Texten)
. Das Liedspektrum reicht von modernem Minnesang zum eigenwillig arrangierten
Lied mit Anspruch auf E-Musik. Die Dramatik, die Lohse in die Lieder bringt,
wirkt allerdings etwas angestrengt. Um einen Quantensprung lockerer gibt sich
der Bayer
HORST BIEWALD
auf
Boarisch Groove
(Mundart Ageh/BSC Music/Rough Trade, www.roughtrade.de, 12 Tracks, 49:50, mit
Texten)
. Zusammen mit Thomas Blieth (Bass, Git) und Markus Strasser (Git, Perk) zupft
er sich durch Blues, Reggae, Ragtime und andere Stile. Das kommt tatsächlich so
locker daher, dass man nicht vermisst, dass der textliche Tiefgang fehlt. Damit
ein Wort zu den Eigenproduktionen: Die oft selbst gemachten Aufnahmen zeigen,
dass das deutschsprachige Lied lebt, auch wenn manchmal Overdubs und informative
Beihefte den Kosten zum Opfer fallen. Professionell im Tonstudio hat
MAIK GÖPEL
seine
Lieder wie du und ich
(Eigenverlag, www.liedermaik.de, 13 Tracks, 51:51)
aufgenommen. Zusammen mit seiner Frau am Akkordeon und Freunden ist ein Album
entstanden, dass vieles hinterfragt und musikalisch abwechslungsreich ist.
Etwas mehr Rauheit würde
Balance
(Eigenverlag, www.cuppatea.de, 14 Tracks, 52:42, mit Texten)
des Duos
CUPPATEA
gut tun. Eigene, deutsch gesungene Lieder wechseln ab mit Liedern von Laura
Nyro, Jackson Browne oder des Argentiniers León Gieco. Doch die deutsch
gesungene Adaptation von „Solo Le Pido A Dios“ bringt den Unterschied auf den
Punkt: Giecos Urfassung glänzt durch eine von Wut und Trauer getragene
Interpretation – bei der Cuppatea-Fassung wirkt die Hoffnung auf eine
bessere Welt dagegen schal.
RALF WERNER BECK
singt auf
Heinrich Heine – vertonte Gedichte
(Eigenverlag, www.beck-music.de, 18 Tracks, 58:28)
mit klarer Stimme Heine-Gedichte, die sich allesamt für die eingängigen
Melodien eignen. Beck begleitet sich auf der Gitarre, druckt das CD-Faltblatt
mit dem Tintenstrahldrucker und brennt auch die CD gleich selbst – Hut
ab. Ebenfalls selbst gebrannt ist die CD der Gruppe
WINDSTILL,
Nachtfahrt
(Eigenverlag, info@christian-geissendoerfer.de, 53:54)
, der wohl eigenwilligsten und ambitioniertesten Eigenproduktion dieser Auswahl.
Auf dem ruhigen, stimmigen Album mit viel Raum für instrumentale Passagen,
gespielt auf Gitarren, Flöten, Gesang, Klavier und Percussion, nimmt sich das
Quartett der Poesie des irischen Nobelpreisträgers Seamus Heaney an. Die ins
Deutsche übertragenen Gedichte verlangen der Gruppe manchmal eine eigenwillige
Melodieführung ab. Ein schönes Projekt mit einer CD, die in einer Papiertüte
steckt, wie sie die Welt noch nie gesehen hat. Der Reinerlös des Albums kommt
dem ehemaligen Querflötisten der Gruppe Gerhard Rauscher zugute. Der Musiker
verletzte sich bei einem Fahrradunfall schwer und leidet seitdem an einer
kompletten Rückenmarkslähmung.
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