NOTEN OHNE QUOTEN –
Eine Stimme für das deutschsprachige Lied
von Martin Steiner
Nein, so einfach katalogisieren lässt sich das deutschsprachige Lied nicht. Auch
dieses Mal zeichnen sich die Neuerscheinungen durch eine große stilistische und
textliche Bandbreite aus. Bissig, doch locker und (aber-)witzig kommt
1968
mit
RAINALD GREBE & DIE KAPELLE DER VERSÖHNUNG
daher
(Versöhnungsrecords/Broken Silence, www.brokensilence.de, 13 Tracks, 61:50, mit
Texten)
. Die Musik rockt mit einem tollen Groove. Das Titelstück müsste aus jedem Radio
plärren. Wird es aber leider nicht – Rainald Grebe ist zum Glück politisch
ganz und gar unkorrekt. Auch
WORTFRONT,
Von vorn mit Anlauf
(TextTon Records LC13316/Broken Silence, www.brokensilence.de, 14 Tracks,
54:44, mit Texten)
nehmen unsere Gesellschaft und sich selbst genau unter die Lupe. Das geht
manchmal tief unter die Haut („Sonja“), und wenn vom Kernphysiker die Rede ist,
der nach dem neunten Bier einem Freund preisgibt, dass er im stillen Kämmerlein
Volksmusik hört, fühlt sich der Rezensent ertappt, auch wenn dieser die
Putzfrauenmusik Kolumbiens derjenigen aus Deutschland vorzieht. Dass wir uns
auch ohne Alkoholpegel als Volksmusikhörer outen können, dafür sorgt
ACHIM REICHEL,
Michels Gold
(Deluxe Edition; Tangram 915922/Indigo, www.indigo.de, Do-CD, 26 Tracks, 110:30,
teilweise mit Texten)
. CD eins enthält zwölf neue, im Studio eingespielte Lieder mit alten Texten zu
Musik von Achim Reichel oder alten Volksweisen. Auf
Live Goldtour
, exklusive CD zwei der „Deluxe Edition“
,
kleidet der Mann mit der tiefen Stimme Titel wie „Kein schöner Land“ oder „Der
Mond ist aufgegangen“ in ein Folkrockgewand, an dem die Generation der Vierzig-
bis Fünfundsechzigjährigen ihren Spaß hat. An dieselbe Altersklasse richtet sich
auch das Album
Fifty – Fifty
der Wacholder-Sängerin
SCARLETT O' & JÜRGEN EHLE
, Gitarrist der Rockband Pankow
(Electrocadero elt 002, www.electrocadero.de, 17 Titel, 63:22, mit Texten)
. Besungen wird die Liebe in allen Facetten. Man spürt den reichen
Erfahrungsschatz der Protagonisten, sowohl was die Texte als auch was die
vielfältigen Gitarrenbegleitungen und Liedformen betrifft. Ein hörenswertes
Album. Die Liebe wird natürlich auch von jüngeren Musikern besungen.
JULI KAPELLE,
Alchemie
(Eigenverlag, www.julikapelle.de, Vorabmix, 5 Tracks, 18:59)
bringt das Gefühl der Gefühle in die Nähe tiefer Abgründe. Die vier jungen
Musiker verstehen es, mit lauten und leisen Tönen die dunkle Stimmung
transparent zu machen. Man darf sich auf den endgültigen Tonträger freuen.
Einen ähnlichen Ansatz haben
MIKSCH UND DIE KODA KOMISCH KOMBO,
König der Kröten
(Phonotop Records, www.weltenbaum.at/kodakomischkombo, 10 Tracks, 48:51, mit
Texten),
doch tönen sie völlig anders. Alex Miksch, der Sänger und Gitarrist der Band
gräbt sogar Tom Waits in Sachen rauer Stimme locker das Wasser ab. Neben seinem
stimmlichen Vorbild huldigt der Österreicher Bob Dylan und Jimi Hendrix –
das hört man. Hätte
CLEMENS BITTLINGER,
HabSeligkeiten
(Sanna Sound/Kreuz 978.3-7831-3155-0, www.kreuzverlag.de, 13 Tracks, 52:10, mit Texten)
ein wenig mehr auf solche Vorbilder gesetzt, würde sein Album mehr Spaß machen.
So aber ersticken seine Lieder in einem Klangwall, der auch die besten
Absichten ins Belanglose schlittern lässt. Wer beim Anhören des Albums langsam
einnickt, den wecken womöglich die
Schlaflieder zum Wachbleiben
des Kabarettisten
SEBASTIAN KRÄMER (Tacheles!/Roof Music 2833359/Indigo, www.indigo.de, 19 Tracks,
75:24)
. Er beweist, dass eine Stimme und ein Klavier völlig zur lockeren Unterhaltung
ausreichen.
UNSERE LIEBLINGE
begleiten danach diejenigen in die
Nacht
(GLM Music FM133-2, www.glm.de, 14 Tracks, 58:08)
, denen der Schlaf nun definitiv abhanden gekommen ist. Titel wie „Strangers In
The Night“ oder „Radar Love“ stehen zwar nicht für „das deutschsprachige Lied“.
Lieder wie „Es wird Nacht, Señorita“, das die Offenheit deutschsprachiger Männer
fremdländischen Frauen gegenüber thematisiert, aber sehr wohl.
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