NOTEN OHNE QUOTEN –
Eine Stimme für das deutschsprachige Lied
von Martin Steiner
Das deutschsprachige Lied machte sich in den letzten zwei Monaten mit einer
bunten Palette aus Gutmenschen, Schwarzsehern, Satirikern, Mystikern, Poeten und
Liebestollen bemerkbar. Nur an Frauen scheint es der Szene zu mangeln.
ANNETT KUHR
ist trotzdem keine Alibifrau. Die Liedermacherin singt auf
Von der Liebe zum Detail, Chansons zwischen Schalk und Melancholie
(Eigenverlag, www.annettkuhr.de, 18 Tracks, 58:27, mit Texten)
mit angenehmer, klarer Stimme über kleine Begebenheiten. Ihre genauen
Beobachtungen lässt sie in schöne, nicht alltägliche Melodien fließen. Ein
Album, das zeigt, dass im Detail oft mehr verborgen liegt als in der Totalen.
TORSTEN RIEMANN
verstrickt sich auf
Das Glück bist Du
(Genesius/Gabriel Künstler GmbH, www.gabriel-künstler.de, 11 Tracks, 43:15, mit
Texten)
dagegen nicht zu sehr in Details. Sein Credo: Ich, du, wir alle sollen, ja,
können glücklich sein - sofort. „Songpoet“ steht gut lesbar auf dem Cover unter
seinem Namen. Danke für diese Info, Torsten Riemann! Hätte ja sein können,
jemand hätte es nicht bemerkt. Beim prallen Bilderregen, den
JAN BÖTTCHER
(ex Herr Nilsson) auf
Vom anderen Ende des Flures
(KOOK/Broken Silence 11703, www.brokensilence.biz, 13 Tracks, 45:28, mit
Texten)
mit seinen Worten niedergehen lässt, braucht die Werbung nichts von Poesie zu
schreiben. Schon allein im Lied „Die frühen Verluste“ stecken Gedankenblitze
und Wortspiele für ein ganzes Poesiealbum. Böttcher trägt seine Lieder fast
lakonisch zur sparsamen Gitarrenbegleitung vor. Ab und an sorgt ein leichter
Grunge-Anflug für Abwechslung. Auf fremde Poesie verlässt sich dieses Mal
wieder
WENZEL
auf
Strassenballade - Wenzel singt Henriette Haill
(Matrosenblau/Indigo, CD 914092, www.indigo.de, 17 Tracks, 42:00, mit Infos und
einer Textauslese)
. Die Texte der Österreicherin (1904-1996) über Vagabunden und das karge Leben
der damaligen Zeit erinnern etwas an diejenigen von Theodor Kramer. Dank der
musikalischen und gesanglichen Zurückhaltung verleiht Wenzel der Intensität der
Worte Nachdruck.
DER BLACK
war die eine Hälfte des Duos Schobert & Black.
Meschugge
(Conträr 91127-2/Indigo, www.indigo.de, 14 Tracks, 52:14, mit Texten und
Infos)
ist sein erstes Album seit der Duopartner 1992 unerwartet an Herzversagen
starb. Einen wesentlichen Teil zu diesem Comeback trug Pit Klein bei, der fast
alle Texte des Albums schrieb. Und diese Texte haben es in sich: satirisch,
anklagend, voll Ironie, Humor und Tiefgang, beweisen sie einmal mehr, dass die
alte Garde noch zu manchem Geniestreich fähig ist - ein Hörvergnügen vom ersten
bis zum letzten Stück. Ein Satiriker etwas dunklerer Art ist der Grazer Andreas
Julius Fasching. Auf
FASCHINGS KUCHLRADIO,
Renitent Evil
(Rauschfrei Records RRR 666, www.rauschfreirecords.at, 12 Tracks, 67:30, mit
Texten)
weiß der Sänger eine wunderbare Band hinter sich, die übergangslos das
texanische Hinterland mit der österreichischen Provinz verbindet. Obwohl das
Album auch Spaß macht, wenn man nicht alles versteht, wäre eine Übersetzung der
österreichischen Texte ins Deutsche wünschenswert. Ohne Slidegitarre und
Akkordeonläufe kommen
SCHNEEWITTCHEN
auf
Perlen vor die Säue
(Konstantinrecords/Danse Macabre/Alive 6402591, www.alive-ag.de, 13 Tracks + 3
Videos, 55:31)
aus. Die optische Ästhetik des Duos, das aus Marianne Iser (Gesang) und Thomas
Duda (Tasten und Programmierung) besteht, suggeriert Musik zwischen Queen und
Marilyn Manson. Die tönen allerdings beide spannender. Schade um die tolle
Stimme von Marianne Iser. Nach Blutdurst und Glamour zu einer Reihe von
Österreichern mit völlig anderem Lebensgefühl:
WILLI LANDL
denkt auf
Dein Haar ist eine Wohnung
(Extraplatte EX 699-2, www.extraplatte.com, 12 Tracks, 45:49, mit Texten)
übermütig über die Liebe nach. Auch wenn er deutsch singt, der Mann klingt nach
New York, nach Jazz - und er kann auch mal über sich selbst lachen. Diese
Qualität haben auch die Wiener
CHRISTOPH & LOLLO
. Die PR vermarktet sie als Rockkabarett, tatsächlich singen sie auf
Hitler, Huhn und Hölle
(Hoanzl/Acute Music 0000141ACM/Broken Silence, www.brokensilence.biz, 38:45,
mit Texten)
meist zur Folkklampfe Lieder mit manchmal skurrilen Texten. Wirklich zum Lachen
sind sie selten, aber vielleicht muss das so sein. Ernste, bildreiche Lieder
auf dem Weg zum Glück schrieb ein weiterer Wiener,
THOMAS RAAB
, für
Bekenntnis
(GAB/H’Art Musik-Vertrieb, www.hart.de, 62:25, mit Texten)
. Mit rauer Stimme und Mainstreamrock der gehobenen Klasse spricht er ein großes
Publikum an. Hoffentlich weiß dieses Textpassagen wie „Wieviel Glück lässt sich
ertragen, bis der Kopf alles versenkt“ zu schätzen.
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