NOTEN OHNE QUOTEN –
Eine Stimme für das deutschsprachige Lied
von Martin Steiner
Die für den
Folker!
musikalisch relevantesten Alben stammen diesmal unter anderem aus der
Peripherie des deutschen Sprachgebiets.
Georg Breinschmid & Friends,
Wien bleibt Krk
(Zappelmusic ZM 0009/Extraplatte, www.extraplatte.at, 15 Tracks, 76:20, mit
Texten und Infos)
beinhaltet nur drei gesungene Lieder. Die Texte sind witzig, wurden dem
Rezensenten aber nur dank der englischen Übersetzung verständlich. Breinschmid
war lange Jahre Kontrabassist der Wiener Philharmoniker und des Vienna Art
Orchestra. Mit diesem Album möchte er seine „ganz persönliche Melange aus
Wienerliedern, Walzern, ungeraden balkanischen Rhythmen und Vielem mehr“
vorstellen. Und was für eine Melange ist daraus geworden! Im Zusammenspiel mit
Geige und/oder Akkordeon entstand eine hochinspirierte Musik, die immer
spannend und voller Gefühle bleibt. Für Bassisten eine Lektion, was man alles
mit diesem Instrument machen kann, ohne vordergründig effekthascherisch zu
sein, hätte das Album auch den Titel „Die Besondere“ verdient. Englisch und
Deutsch singt
Bettina Schelker
auf
The Honeymoon Is Over
(Foundagirl Records FAG 004, www.foundagirl.com, 14 Tracks, 44:54).
Aufgenommen mit Unterstützung der britischen Band Chumbawamba tönt das Album
denn auch nach geschmackvollem Brit-Folk-Pop. Die eingängigen Lieder mit
schönen Hooklines widmet die Baslerin allen Opfern homophober
Diskriminierungen. Ein sehr persönliches Plädoyer für die Rechte von Lesben und
Homosexuellen. Von einer heileren Welt berichten der Konstanzer
Norbert Heizmann und Notty’s Jug Serenaders
auf
Besser als wie gar nint – Eingeborenenmusik vom westlichen Bodensee
(Ladwig Jazz Records LJR 2007-5, www.ladwig-jazz-records.de,
18 Tracks, 73:53).
Die Jug Serenaders sind langjährige Botschafter der Jugbandmusik. Beschaulich,
doch munter und selten ganz ernst pluckern sie auf ihren Waschbrettern, Kazoos
und Banjos. Eine sympathische Liebeserklärung an die schöne Bodenseeregion und
die dort lebenden Menschen. Manchmal, wenn die Trompete einsetzt, vergisst man
Konstanz und fühlt sich fast ein wenig nach Mexiko versetzt. Von dort stammen
die Melodien von
Tini Trampler & die Dreckige Combo,
Der Vogel
(Extraplatte EX 732-2, www.extraplatte.com, 12 Tracks, 61:39, mit Texten).
Wie die Mexikaner singt auch die Wienerin Tini Trampler von Herz und Schmerz.
Die dreckige Combo steuert das Schiff mit Gitarren, Akkordeon, Cello, Bass und
Drums um die halbe Welt und lädt eine volle Fracht von Musette, Tango, Ska und
Balkanbeats an Bord. Gesitteter geht es zu bei
Welteroth,
Nah dran
(Luxaries Records LUXMM11, www.luxaries.de, 14 Tracks, 56:59, mit Texten).
Auch Petra Welteroth singt von Liebe und den daraus entstehenden Konsequenzen
aus der Sicht der Frau, Chansonjazz nennt sie ihre zu Saxofon, Kontrabass,
Schlagzeug, Gitarre und Klavier vorgetragenen Lieder. Ganz dem Mainstream und
dem kommerziellen Erfolg verpflichtet fühlt sich
Evelyn Fischer,
Vorwiegend heiter
(Koch Universal UNI762651, www.kochuniversal.com, 12 Tracks, 43:30, mit Texten).
Auch hier wird die Liebe aus einer weiblichen Perspektive beleuchtet. Die
perfekt, aber glatt produzierte Mischung aus Pop und anspruchsvollerem Schlager
passt ideal ins gehobene Kaufhaus. Eher für die Kleiderboutique eignen sich die
Songs von Wolfgang
Michels,
Zuhause
(Ferryhouse FHP 420092, www.ferryhouse.net, 14 Tracks, 58:20, mit Texten).
Michels’ Band spielt gefälligen, gitarrenlastigen Liedermacherpop ohne
Überraschungen. Ebenfalls ohne große Überraschungen bleiben seine Texte über
die Liebe und die große Einsamkeit – die Gedanken der oben erwähnten
Frauen waren da feinfühliger und trieften weniger von Selbstmitleid. Einen
Zacken zulegen tun
Donnerztag,
Redegewandt
(Eigenverlag, www.donnerztag.de, 19 Tracks,
41:30, mit Texten).
Auch sie könnte man unter gitarrenlastigem Liedermacherpop einreihen, auch sie
singen über die Liebe, die sich bei ihnen vielschichtig präsentiert. Dabei
lieben sie es, wie etwa im Titelstück, Gedankenblitze aneinanderzureihen: „Um
Träume zu erleben, muss man wach sein“, heißt es da etwa, oder „Wer für alles
offen ist, kann nicht ganz dicht sein“. Nicht aufs Maul gefallen ist auch
Götz Widmann,
der auf
Böäöäöäöäöä
(Ahuga/Alive AG ALI403016, www.alive-ag.de, 18 Tracks, 61:52, mit Texten)
kein Blatt vor den Mund nimmt. Nur manchmal, wenn es ihm zu viel wird, von
allen und für alles gemaßregelt zu werden, bleibt ihm nur ein Rezept, cool zu
bleiben: „Böäöäöäöäöä.“
Wem explizit gesungene Männerträume wie „Sie mag’s, mir einen zu blasen, hört
mich halt gern stöhnen. Sie ist nicht Simone de Beauvoir ...“ weniger liegen, der
höre sich mal die Gedanken des Bonner Liedermachers zur Genmanipulation im Lied
„Die dritte Hand“ an. Widmanns apokalyptisch skurrile Worte lassen einen
erschauern. Wie er aber in einem textlichen und musikalischen Break die
Kehrtwende schafft, sich seine dritte Hand anlacht, und was er mit ihr alles so
zu Wege bringt – so viel schräge, aberwitzige Fantasie machen ihm
Branchenkollegen nicht so schnell nach. Die Liveaufnahme zeigt einen Sänger, der
mit geballter Energie, sonorer Stimme und Akustikgitarre vergessen lässt, dass
er allein auf der Bühne steht. Ein klares
Böäöäöäöäöä
auch für die Booklet-Gestaltung von
Zœllner,
vormals Zöllner, für
7 Sünden
(Dunefish 0164876DU/Edel Distribution, www.edel.de, 14 Tracks, 49:36, mit Texten)
:
Die stilisierte Rune der Zahl Sieben auf braunem Untergrund ist nicht die Sache
dieses Rezensenten, und bei Texten wie „Frechheit, du kleine Sau, wie du den
Arsch durch die Gegend trägst ... Heute wirst du um Gnade betteln. Allerhöchste
Zeit, dass ich dich bestrafen kann, meine Geduld ist zu Ende. Heute biste dran
...“ kann er auch nur noch
böäöäöäöäöä
sagen. „Die Zöllner und Prostituierten werden eher ins Reich Gottes kommen als
ihr“, sagt die Bibel. Mag sein, doch die Herren kochen eine ungenießbare Suppe
– auch wenn sie musikalisch zuweilen ganz schön funky daherkommt.
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