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Noten ohne Quoten

Eine Stimme für das deutschsprachige Lied

von Karl-Heinz Schmieding

Ein Ermutigungslied für die, die sich treu bleiben, die Aufrechten und Unangepassten, die den ehrlichen, „Den anderen Weg“ einschlagen, steht am Anfang des neuen Albums von STOPPOK, Sensationsstrom (Grundsound GS0022, INDIGO 906852,go! www.indigo.de, 14 Tracks, 55:34, mit Texten). Der folkige Rocksong ist ein richtiger Ohrwurm. Stefan Stoppok hat zusammen mit seinen Kollegen Reggie Worthy (Bass), Benny Greb (Schlagzeug) und Danny Dziuk (Keyboard und Mittexter) alle Songs live eingespielt – witzige, satirische und nachdenkliche Geschichten. Besonders anrührend: das wunderschöne Liebeslied mit dem konjunktivisch gemeinten Titel „Ich wartete“. – Den Text dieses Liedes hat neben anderen auf dem Album ein Kollege Stoppoks geschrieben, von dem es ebenfalls ein neues Soloalbum gibt: Folk-Urgestein BERNIE CONRADS, Irgendwo dahinten (Conträr Musik , INDIGO 906462,go! www.indigo.de, 11 Tracks, 46:28, mit Texten). Der seit Jahrzehnten erfolgreiche Singer/Songwriter und Ex-Chef der legendären Formation Bernies Autobahn Band ist ein einfühlsamer Geschichtenerzähler mit Sinn fürs Komische, zugleich aber auch ein politischer Sänger mit leidenschaftlichen Songs gegen Alt- und Neonazi-Umtriebe. Auch hier sind Stoppok und Dziuk als Musiker wieder dabei. Und Stoppok fungiert obendrein als Produzent des Albums, das die Dylan-Tradition nicht leugnet. – Zwei andere „Veteranen“ der deutschen Folk-Rockszene, die bereits mit der Gruppe Ape, Beck & Brinkmann gemeinsam Erfolge feierten, präsentieren eine neues Duoalbum mit aktuellen sympathisch-nostalgisch klingenden Songs: FRED APE UND RUDI MIKA, Zeit (Verlag Pläne pläne 88954/Rough Trade,go! www.roughtrade.de, 16 Tracks, 60:35, mit Texten u. Infos). Ape und sein Koautor, Begleitmusiker und Produzent Mika lassen unsere Zeit und ihre Erscheinungen in „Kurzgeschichten, aber als Lieder“ Revue passieren – mit anklagenden Songs, wie dem Antikriegslied „Afghanistan 2007“, lyrischen Liedern und komisch-satirischen. Ein Glanzpunkt: das leider wohl Utopie bleibende Lied von einem, der als „Beauftragter für Ruhe“ die Macht hat, überall da rigoros einzugreifen, wo unsere Welt von unnötigem Lärm überflutet wird. – Zufällig hat das neue Album einer Berliner Band den gleichen Titel wie das von Ape und Mika: DIE PASSANTEN, Zeit (Monstermusik MM-003,go! www.monstermusik.de, 11 Tracks, 49:48, mit Texten u. Infos). Die entsprechenden Titelsongs könnten aber unterschiedlicher nicht sein – bei aller Übereinstimmung in der Grundidee: dort so etwas wie eine „romantische“ Harmonie in Text und Musik, hier eine melancholisch-illusionslose Sicht in Molltönen. Das Passanten-Trio selbst hält seine ernsten Lieder für die wichtigeren. Dass die Band aber auch über ein starkes komisches Potenzial verfügt, zeigen Songs wie „Komm, wir geh’n aufs Land“, die Udo-Lindenberg-„Hommage“ und der „Brasilien“-Calypso nach Ernst Jandl. – Die latinjazzorientierte und wunderbar leicht anmutende Musik der Berliner „Kleingeldprinzessin“ Dota Kehr und ihrer fulminanten Band geht nicht nur ins Ohr. Sie geht vor allem auch in die Beine: DOTA UND DIE STADTPIRATEN, In anderen Räumen (Live-CD, Kleingeldprinzessin Records/BuschFunk 06322,go! www.buschfunkonline.de go! www.kleingeldprinzessin.de/, 15 Tracks, 64:43, mit Texten). Poetische, witzige und zeitkritische Texte zwischen skurriler Traumwelt und bedrohlicher Realität („In der überwachten Welt“, „Vergiftet“), zwischen Melancholie und Fröhlichkeit, vorwiegend getragen von Samba-, Reggae- und Bossa-Nova-Rhythmen – das macht den ganz besonderen Reiz der Songs dieser Sängerin mit dem brasilianischen Flair aus. Dota ist nicht einfach nur eine Liedermacherin, sie ist vor allem auch eine faszinierende Komponistin und Musikerin. Lieder wie „Der kleine Beobachter“ und „Zwei Töne“ sind brillante musikalische Kleinkunststücke! – Wechsel in eine ganz andere Welt – zum klassischen Chanson frankophoner Prägung mit großer Streicher- und Bläser-Besetzung: KLAUS HOFFMANN, Spirit (Stille Music, Indigo CD 907162,go! www.indigo.de, 16 Tracks, 57:48, mit Texten). Der renommierte Chansonnier, der in seiner mehr als dreißigjährigen Karriere ungezählte Lieder veröffentlicht hat, kehrt mit diesem Album nach Berlin zurück und damit zu seinen Ursprüngen. Im nostalgischen Titelsong wird die übliche Berlin-Seligkeit aber im selben Atemzug ironisiert. Das ist die Geschichte von einem, den das Fernweh packt und der doch immer wieder in seinen Kiez zurückkehrt. Es ist sicher kein Zufall, dass Hoffmanns Rückblende speziell im Lied „Verpackt in kleinen Säcken“ musikalisch auf „My Way“ anspielt. Gefühlsbetonte Lieder mit großen Melodien, perfekt arrangiert und produziert. – Wir bleiben in Berlin und gehen zurück in die Zwanzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Chanson- und Couplet-Evergreens von Friedrich Hollaender, Brecht/Weill, Tucholsky, Klabund, Otto Reutter und anderen gibt es auf dem neuen Album einer singenden Schauspielerin, die auf den führenden Theaterbühnen zu Hause ist: KATHERINA LANGE, Es hat jeschnappt – Berliner Gossenhauer und Kiezlieder (duo-phon records 06273/Pool Music & Media,go! www.pool-musik.com, 21 Tracks, 54:54, mit Texten und Infos). Für Zusammenstellung und Regie des Albums zeichnet der bekannte Autor, Regisseur und Kabarettexperte Volker Kühn verantwortlich. Den Schwerpunkt bilden einige der „Lieder eines armen Mädchens“, die Hollaender einst für Blandine Ebinger schrieb. Es ist beeindruckend, wie Katherina Lange gerade diese Lieder mit Bravour und großer Sensibilität interpretiert und wie sie die legendäre „Figur aus dem Wedding“ (Hollaender) und deren Rolle zwischen Komik und Tragik souverän mit Leben erfüllt. – Auch diese überraschend authentischen Songs von heute bedienen sich des Berliner Dialekts: TONI MAHONI, Allet is eins (ROOF Music RD 2833335/INDIGO,go! www.indigo.de, 16 Tracks, 47:29, mit Texten). Der Mann mit den eingängigen lakonischen Songs und der Reibeisenstimme ist eine echte Entdeckung. Unterstützt von einer hervorragenden Band philosophiert der bodenständige Sänger mit verblüffend einfachen, aber treffenden Worten mal komisch und mal nachdenklich über Alltagsdinge und über den Sinn des Lebens. Mahoni ist ein bekannter Videoblogger. Mir scheint, als seien seine gesungenen Lebensweisheiten in ihrer pointierten Direktheit und in ihrer textlichen wie melodischen Alltagstauglichkeit so etwas wie die musikalische Version dieser Webkommunikationsform. – Als Rockmusiker mit besonderer Vorliebe für die Formen der Ballade und des Chansons, aber auch fürs Komische und Parodistische – so präsentiert sich SASCHA GUTZEIT Sascha Gutzeit (WUNSCHKIND/Al!ive,go! www.alive-ag.de, CD, 14 Tracks, 58:01, mit Texten, plus DVD, 13 Titel, 52:20). Auf der dem neuen Album beigefügten so genannten „Bootleg-DVD“ mit der Aufzeichnung eines Livekonzerts gibt es neben Gutzeit-„Hits“ auch einige Titel der neuen CD. Während der Sänger dort bei einigen Songs jeweils wechselnde Instrumentalsolisten an seiner Seite hat, bestreitet er das Livekonzert mit Ausschnitten aus seinem aktuellen Programm Langweilig solo mit eigener Begleitung am Flügel oder auf der Gitarre. Er beweist dabei einmal mehr, dass er nicht nur ein exzellenter Singer/Songwriter ist, sondern zugleich auch ein souveräner Entertainer. Ein parodistisches Highlight: das „Lied für die Menschen vonne Welt“. Und wer würde vermuten, dass ein Song mit dem Titel „Arsch auf Eimer“ ein ernst gemeintes Liebeslied ist?

 

STOPPOK - Sensationsstrom

BERNIE CONRADS - Irgendwo dahinten

FRED APE UND RUDI MIKA - Zeit

DIE PASSANTEN - Zeit

DOTA UND DIE STADTPIRATEN - In anderen Räumen

KLAUS HOFFMANN - Spirit

KATHERINA LANGE - Es hat jeschnappt – Berliner Gossenhauer und Kiezlieder

TONI MAHONI - Allet is eins

SASCHA GUTZEIT - Sascha Gutzeit


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Deutschsprachiges Lied
im Folker! 3/2008