Noten ohne Quoten
Eine Stimme für das deutschsprachige Lied
von Karl-Heinz Schmieding
Wer seine Konzerte kennt, weiß, dass sie mit den Zugaben häufig erst
richtig anfangen. Entsprechend heißt die Tournee anlässlich seines 60.
Geburtstags und seines 40-jährigen Bühnenjubiläums samt dazugehörigem
„Best-of“-Live-Album: KONSTANTIN WECKER UND BAND, Zugaben - Live
(Sturm & Klang S&K 001/Alive Vertrieb und Marketing,
www.alive-ag.de, 21 Tracks, 75:51, mit Infos). Gemeinsam mit Jo Barnikel
(Klavier), Hakim Ludin (Percussion) und Lenz Retzer (Bass) präsentiert
Wecker Klassiker wie „Genug ist nicht genug“ und „Frieden im Land“ in
überraschenden neuen Arrangements und mit großer Freude an der
Improvisation. Zusätzlich liest er, glänzend aufgelegt, Textpassagen aus
seiner Biografie Die Kunst des Scheiterns“ und fordert eine
„Seniorenrevolte“. Schließlich gehöre er ja inzwischen auch dazu. - Neues
vom Berliner Sänger, Songschreiber und Gitarristen Lutz Ulbrich alias
LÜÜL: Spielmann (Grundsound GS0021/La-La-Land/INDIGO,
www.indigo.de, 13 Tracks, 51:45, mit dt. Texten u. Infos) möchte Lüül am
liebsten sein, wenn er auf seinen Soloalben auf die bewährten Formen
akustischer Musik setzt. Der Variationsbreite seiner häufig kuriosen
Liedthemen entspricht ihre stilistische Vielfalt: Rockballade, karibische
Sounds, Blasmusik mit New-Orleans-Touch, Klezmer, Polka und Cajun, souverän
gespielt von der Stammbegleitformation zusammen mit einer ganzen Reihe von
Gastmusikern. Gab es jemals ein schöneres „Klagelied“ über ein menschliches
Gebrechen als das von Lüüls „Tinnitus“? Und wer hätte gedacht, dass ein
„Bergfrühschoppen“ in der Oberlausitz textlich wie musikalisch so komisch
sein kann? - Das Label Conträr Musik, Garant für sorgfältige Neueditionen
wichtiger Aufnahmen der Vergangenheit, hat eine legendäre Produktion aus dem
Jahre 1982 wieder zugänglich gemacht: RENÉ BARDET - POESIE & MUSIK,
Vielleicht, weil ich ein Wilder bin (Conträr Musik 1CD72113-2/Indigo,
www.indigo.de, mit Texten u. Info). Die berühmten Worte des indianischen
Häuptlings Seattle an den amerikanischen Präsidenten aus dem Jahre 1855 mit
dem Kernsatz „Wir sind ein Teil der Erde“ bekamen in den Achtzigerjahren mit
der Umweltbewegung neue Aktualität. Der eindringliche Appell, die Natur zu
respektieren, ist heute aktueller denn je. Die unvergessene Stimme René
Bardets, der vor zwei Jahren verstorbenen ist, und das facettenreiche
Klangbild, das Bardet und seine Kollegen Büdi Siebert und Joe Koinzer
zaubern, machen das historische Dokument zu einem literarisch-musikalischen
Kunstwerk. - Nicht gerade freundlich, aber treffend, ist der „Gruß an Gröni“
von JÖRG-MARTIN WILLNAUER, Carmina Banana - Krumme Lieder
(Extraplatte EX 788-2/Sunny Moon Distribution, www.sunny-moon.com, 15
Tracks, 44:51, mit Texten). Der Kabarettist wendet die blauäugige
Grönemeyer-Botschaft „Kinder an die Macht“ ins Schwarzhumorige. Gut
gemachtes Klavierkabarett in der Bronner- und Kreisler-Tradition. „Die Mama
wird’s scho ess’n!“, eine Parodieversion des legendären
Bronner/Qualtinger-Chansons „Der Papa wird’s scho richten“, beschreibt eine
derbe Proll-Familien-„Idylle“ des großen Fressvergnügens. Die entpuppt sich
als erschreckend trostlos, bedrohlich und böse. Willnauers Krumme
Lieder, bitterböse Genrebilder und heiter-sarkastische Parodien, sind
direkt und geradlinig. - Ein Newcomer, der aufhorchen lässt: Emanuel Dreher,
25, Künstlername EMU, Sandstrand (Emuscrossing,
www.emuscrossing.de, 12 Tracks, 55:02). Der Student der Popakademie
Mannheim präsentiert sich auf seinem zweiten Album als höchst kreative
Ein-Mann-Band. Er zeichnet nicht nur für Texte, Musik und Gesang
verantwortlich, sondern auch für alle Instrumente. Einige seiner melodischen
Gitarrenrocksongs mit realitätsnahen, zum Teil sehr witzigen Texten, haben
Ohrwurmqualitäten - zum Beispiel das ironische Titellied mit der
Refrainzeile „Hinter dem Wandschrank beginnt der Sandstrand“. - Deutsche
Liebeslyrik aus drei Jahrhunderten von Goethe bis Ulla Hahn in moderner
Vertonung - das ist das neue Album von MELLOW MELANGE, An Luna
(Starfish Music LC 02722, www.starfish-music.de, 17 Tracks, 51:18, mit
Texten u. Infos). In den von der Gesangssolistin und Musikerin Sonja
Firker mit großem Einfühlungsvermögen interpretierten Liedern (Komposition:
Ingo Höricht) überwiegen der Lyrikthematik entsprechend getragene und
melancholische kammermusikalische Klänge. In reizvollem Kontrast dazu stehen
vor allem die vorwiegend rhythmisch betonten Lieder nach Brecht-Texten.
„Nannas Lied“ mit Bluesfeeling ist ein Highlight! - Herr Palmersheim &
Herr Schmitz veröffentlichen ihr neues Album als PS-GITARRENDUO: Ein
Album namens Peter (Eigenverlag, www.ps-gitarrenduo.de, 19 Tracks,
62:00, mit Texten u. Infos). Die beiden gestandenen Rockmusiker mit Sinn
für Selbstironie haben sich zum Singer/Songwriter-Duo zusammengetan und
spielen ihre Gitarren vorwiegend unplugged, gelegentlich unterstützt durch
eine kleine Rhythmusgruppe. Die „Akustik-Rock“-Lieder des PS-Gitarrenduos
handeln einerseits mit großem Ernst und leisen Tönen von existenziellen
Befindlichkeiten, vor allem von der Liebe und von Trennungsschmerz.
Heftiger, aber nicht ohne Ironie, geht es andererseits zur Sache, wenn sich
das „starke Geschlecht“ zu seiner Pornoleidenschaft bekennt. - Seine Lieder
sind von melodischer und harmonischer Klarheit: ERIK BEISSWENGER, Weit
weg (Eigenverlag, www.erikbeisswenger.de, 12 Tracks, 50:22, mit
Infos). Zu ruhig fließenden Folkgitarrenklängen erzählt Beisswenger - in
drei so genannten „Radiosongs“ zusätzlich auch in englischer Sprache -
Geschichten von Liebesfreud und -leid. Dazu Lieder zu politischen und
sozialkritischen Themen und auch komische Stücke, wie das vom seltsamen
„Gelehrten“, der die erste Nacht mit seiner Geliebten in eine Art
„Marx-und-Engels,-Kafka-und-Kant“-Vorlesung umfunktioniert. - Und Matthias
Nürnberger - ist er nun ein Rockmusiker oder ein Liedermacher? Einigen wir
uns auf Singer/Songwriter, der seine Botschaft mit schnörkelloser
melodischer Rockmusik transportiert. SENORE MATZE ROSSI, ... Und wie
geht es deinen Dämonen? (Dancing In The Dark 4723/Broken Silence,
www.brokensilence.de, 13 Tracks, 50:34, mit Texten). Matzes Lieder über
Sehnsüchte und das Lebensgefühl seiner Generation wollen Mut machen. Sie
sind ein leidenschaftlicher Appell an das in den Songs immer wieder
angesprochene Du, seinen Weg trotz aller Schwierigkeiten unbeirrt zu gehen.
Matze setzt auf die Kraft der Träumer und „Spinner“. Sein trotziges Credo:
„Ich bin nicht maßlos, ich bin nur nicht beliebig.“
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