Wer regelmäßig den Folker! liest, weiß es eigentlich: Liedermachen ist keine Sache der Vergangenheit, ist weder verschlafen noch tot, sondern blüht wie schon lange nicht mehr. Auch die Mitglieder der Liederbestenjury können ein Lied davon singen: Es gibt so viele junge Liedermacher in Deutschland, dass sie oft mit der Materialsichtung (oder heißt es in diesem Falle „-hörung“?) nicht mehr nachkommen. Dies zu beweisen, die Älteren und die Jüngeren der Szene zu einem Seminar, zu einem Gedankenaustausch zusammenzuführen, wäre im Prinzip ein schöner Gedanke gewesen. Im Prinzip, ja.
Aufbruchstimmung für Liedermacher Es kommt nicht oft vor, dass so viele Künstlerinnen und Künstler an einem Ort zusammenkommen - und schon gar nicht in einer Seminarsituation über drei Tage lang. Auch wenn in Tutzing mit Erinnerungen an die „goldenen Zeiten“ der Waldeckfestivals ein Stück Nostalgie im Raume lag, so stand im Mittelpunkt doch auch eine aktuelle Bestandsaufnahme zur aktuellen Lage der deutschen Liedermacher. Dabei ging es um Begriffe wie „Liedermacher“, „Singer/Songwriter“ und Chansonnier“, um deren künstlerisches und berufliches Selbstverständnis sowie um das Verhältnis von politischem und scheinbar unpolitischem Lied. Dabei zeigte sich, dass der um diese Frage noch vor wenigen Jahren heftig geführte Disput, heute kaum noch Konfliktstoff in sich birgt. Auch wenn die unterschiedlichen Ansätze zu Funktion und Inhalt eines Lieds in Tutzing noch einmal auf der einen Seite von Diether Dehm - früher als Musiker unter dem Namen „Lerryn“ bekannt und seit September 2005 für die Linkspartei als Abgeordneter im Bundestag - und von Liedermacher und Schriftsteller Christof Stählin auf der anderen Seite ausführlich dargelegt wurden. Vor allem in den Gesprächen am Rande der Tagung ging es immer wieder um die kulturpolitische Rolle, die das Lied in Medien und Gesellschaft heute spielt. Dabei wurde unabhängig von musikalischen Genres übereinstimmend beklagt, dass die Gesellschaft offensichtlich ihre kulturellen Ideen so gering schätzt, dass sie Qualität ausschließlich an ökonomischen Quantitäten misst. Obwohl es an qualitativ hochwertigen Angeboten nicht mangelt. Eine Einschätzung, die in einer am Ende der Tagung von den Musikerinnen und Musikern verabschiedeten Erklärung zum Ausdruck gebracht wird. mik |
Und mit weit über hundert Teilnehmern - darunter gut zwei Dutzend Künstler - wurden in Tutzing ja auch Versuche gemacht: Das Konzert am Samstagabend mit einem bunten Panoptikum von Liedermachern und Liedermacherinnen vieler Stilarten, vieler Altersgruppen, war ein wunderbarer Beweis dafür, auf wie vielen Ebenen man anspruchsvoll und gehaltvoll singen kann. Warum aber verlief der Rest des Seminars trotz einiger Gegensteuerungsversuche im Prinzip so, als spielte sich die Veranstaltung vor 30 Jahren ab? Bei allem Respekt für Sänger wie Wolf Biermann, Franz Josef Degenhardt oder Hannes Wader: Sie haben ihren Weg gemacht, haben Wege gewiesen, auf diesen Wegen gehen und singen wir heute und bauen diese Wege zeitgemäß aus. Sängerinnen, Sänger und Gruppen wie Mathilda, Anna Depenbusch, das Schwabinggrad Ballett. Bernadette La Hengst oder die auf dem Seminar anwesenden Strom & Wasser sowie Dota Kehr zeugen davon.
Warum aber wurde Liedermachen wieder gleichgesetzt mit fast ausschließlich den drei „magischen Ws“ Waldeck, Wecker, Wader? Die Diskussionen „Wie politisch muss Liedermachen sein?“ haben wir vor 30 Jahren geführt, den Streit, ob man sich als Liedermacher im Elfenbeinturm aufhalten darf oder auf der Straße agieren muss, auch.
Was mich interessiert hätte: Welche neue Mechanismen, welche musikalischen Mittel wenden die an, die von den Veranstaltern nur am Rande wahrgenommen wurden? An lediglich einer Stelle wurde Martin Sommer als Schüler von Christof Stählin befragt, sozusagen als Alibi-Youngster. Von Quote konnte nicht die Rede sein, betrachtet man die Liste der Referenten sowie die Liste der Roundtableteilnehmer. Apropos Quote - da fielen die Organisatoren des Seminars einem biologischen Irrtum zum Opfer: Nach neuesten Erkenntnissen sollen auch Frauen mit Mund, Stimmbändern, ja - auch wenn’s unglaublich klingt -, sogar einigen Gehirnzellen ausgestattet sein. Das hätte vielleicht die Medizinstudentin Dota Kehr bestätigen können, wenn man sie aufs Podium gelassen hätte. Als eine der vielversprechendsten Liedermacherinnen der U30-Liga hatte sie - außerhalb des Programms nur kurzfristig zur Diskussion des Themas „Liebeslieder“ hinzugebeten - nicht viel Gelegenheit, darüber zu berichten, wie Liedermachen „41 post Waldeckum“ funktioniert, wie man sich fühlt in einer Szene, die ständig totgesagt wird, wie man auch Publikum diesseits von Midlifecrisis oder Menopause in die Säle zieht.
Ulrike Zöller
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