backFerner liefen...

Den Selbstmordattentäter von nebenan – ich hab einen in der Nachbarschaft – hat's leider nicht erwischt in der Neujahrsnacht. Der Pulverdampf seiner Mörsergranaten ist verraucht, die Terracotta-Armee seiner Leuchtnikoläuse auf dem Fensterbrett demobilisiert – der Gehenkte in Santa-Claus-Uniform baumelt aber immer noch von der Dachtraufe. Der Rebell ist tot, noch töter als die Revolution. Sinnspruch des Großen Vorsitzenden, aus dem Parteichinesischen ins Sozialdemokratische übersetzt: Wie der Börsenhai im Cash flow, schwimmt aufgesperrten Mauls der Revoluzzer im Volke umher. Lasst dem Staat die Gräten, aller Fisch den Räten!

Ich bin zwar schon 47stes Semester, aber ein Opfer der Bildungsreform zieht es immer in den schalltoten Folterkeller zurück. Neulich, als ich wieder ins Uni-Sekretariat musste, meinen Semester-Freifahrschein und die Bibliotheksausweise verlängern, fiel die Toll-Collect-Schranke: Seniorenstudium? Bitteschön, aber nur gegen gebündelte Bares. Und im Prinzip ist auch nichts dagegen einzuwenden. Wenn schon Praxisgebühr, warum sollten Absolventen bundesdeutscher Eliteuniversitäten keine Theoriegebühr zahlen? Schade nur, dass man erworbenes Denkvermögen nicht im shrink-to-fit-Verfahren den neuen Machtverhältnissen gemäß eindampfen kann: vom Groß- zum Kleinhirn sozusagen.

Und hier kommt der Beratervertrag ins Spiel. Berater heranziehen heißt: Denkleistung delegieren, Hirnschmalz auslagern, Hände in den Schoß ich will keine mehr auf Schreibtischen oder am Schalthebel sehen! Wenn's sein muss, überschüssigen Arbeitseifer mit Harken von Steckrübenbeeten abtöten und das bisschen Entscheidungsspielraum den ganz großen Tieren überlassen. Schon wird die therapeutische Wirkung millionenfach bei der Experimentalbevölkerung dieser Republik, den Stützenbeziehern und Beschäftigungslosen, getestet. Unter dem Motto: Ruhige Kugel schieben, durchatmen, einfach mal loslassen! Einsatzfreude, die über Mini-Jobs hinausgeht, wird kriminalisiert, Zuwiderhandeln unter Strafe gestellt. Es kann verdienstlich sein, endlich mal die leeren Flaschen zurückzubringen, nicht aber für'n Fünfer oder 'ne Schachtel Mon Chérie den Müll von der Oma nach unten – das wär' nämlich Schwarzarbeit.

Nur darum hatte Gerster in einem tieferen Sinne recht, seinen Laden "Bundesagentur" zu nennen. Früher dachte ich, die Agentur des Bundes sei die Regierung. Aber da glaubte ich auch, das Arbeitsamt solle mich beraten, nicht sich selber (während das Wort "Kunden" nicht neu ist – Kunden sind, siehe Peter Rohlands Rotwelsch-Lieder, fahrende Gesellen und arbeitsscheue Tippelbrüder, allerorts die Hand aufhaltend). In Wahrheit gilt: Beratung ist die letzte Wachstumsbranche, die Regierung der letzte denkbare Auftraggeber. Sie zahlt Millionenmilliarden an Berater, die ihrerseits Prozente an ihren "Agenten" abführen müssen. So kommt wieder was rein in den Cash flow, auch wenn der sich spiralförmig nach unten schraubt und irgendwann verläppert. Bis dahin sind wir dran gewöhnt, ohne Beratung keinen Schritt mehr vor die Tür zu tun. Wir könnten von Schilys Überwachungssystemen gefilmt, von Tollkollektoren ausgenommen (Toll Collector, klingt doch gut, irgendwie nach "Regulatoren vom Arkansas") oder von Hundehäufchen zu Fall gebracht werden – wenn's bis dahin keine Satellitensteuerung für Fußgänger gibt, wo uns eine weibliche Stimme schlangenlienig drumherum bugsiert.

Apropos Satellitensystem: Wer regt sich eigentlich darüber auf, wenn George W. Bush den Weltraum-Missionar gibt? Glaubt man denn im Ernst, der kriegstreiberischste aller Yankee-Tyrannen würde die Venus erobern oder sich gar dem Bacchus ergeben? Nur Mars bringt verbrauchte (Regierungs-)Energie sofort zurück. Insofern war Peter Strucks Armeebefehl No. 1 im neuen Jahr ("mögliches Einsatzgebiet die ganze Welt") noch genügsam. Soll mir doch keiner erzählen, unser vor Beagle zum Mars expediertes Euro-Marsmobil wäre im Kanal abgesoffen. Das haben sich die grünen Männchen gekrallt und in den nächstbesten Krater geschafft, wetten? Um den US-Gouverneur standesgemäß vom Marsbahnhof abzuholen. Mal wieder typisch: die Amis kriegen ihren Platz an der Sonne (jedenfalls viel näher dran), während unsere Jungs am Hindukusch schwerreiche Drogenbarone schützen, damit die heimische Pharma-Industrie ihre Preise nicht auf Krankenkassenniveau senken muss.

So spricht Pastor Fiducius, der gute Hirte, in seiner Strafpredigt: "Sind einige unter euch, welche die lästerliche Behauptung wagen, dass das Gemeinwesen nicht zum besten berathen sei. Diese Beschwerde ist grundlos. Schauet nur um euch und zählt, wenn ihr könnt, die Anzahl der Räte, womit das Vaterland gesegnet ist. Gehet das Alphabet durch und ihr werdet inne werden, dass von A bis Z nur wenig unberatene, aber mehrere drei- bis zehnfach beratene Buchstaben vorhanden sind. Da gibt es Accise- und Amtsräte, Bei- und Bauräte, Criminal- und Consistorialräte, Domänenräte, Erziehungs-, Forst- und Finanzräte, Geheimräte, Hof-, Land- und Legationsräte, Medizinalräte, Oberregierungs- und Oberappellationsräte, Rechnungs-, Pupillen- und Polizeiräte, Staats- und Steuerräte, Universitäts-, Volks-, Waisen- und Zollräte. Es fehlen nur noch die Nehm- und Quälräte, um das Buchstabenmaß voll zu machen..."

Nikolaus Gatter
go! www.lesefrucht.de


zurück


Home


vor


!!!

Folker! - ...und jetzt wieder: über 40% sparen beim Folker!-Schnupperabo
und ein Geschenk dazu!

Also auf zur von-uns-für-euch-Schnupper-Abo-Test-Bestellung!

Die regelmäßige Kolumne im Folker!