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Kein Mensch muss müssen. Karsli muss den Israelis keine Nazi-Methoden unterstellen. Nagib Mahfuz muss die Selbstmordattentäter nicht als Freiheitshelden rühmen. Schirmfaller Möllemann muss keinen Besatzer im eigenen Land angreifen. Joschka Fischer muss der FDP kein Antisemitismus-Etikett anhängen. (Und der Liedermacher Stoppok muss, das aber wirklich nur nebenbei, im Waschzettel zu seiner neuen Platte seinen Schlagzeuger nicht als perkussionistische "Endlösung" bejubeln.) Man muss Yamal Karsli nicht kennen. Aber dass der syrische Chemiker und Raumplaner schon Anno 93 bei den Grünen eintrat und seit sieben verwunschenen Jahren für sie im nordrhein-westfälischen Landtag sitzt, und dass er nun umstandslos rausgekegelt wurde, weil die grüne Partei keine kontroversen Standpunkte in der Diskussion über den Nahostkrieg erträgt, darüber sollte man wenigstens nachdenken. Natürlich müssen Arafats Mannen auch keine sprengstoffbepackten Märtyrer in israelische Straßencafés schicken, und Ariel Scharon muss nicht den euro-gepäppelten Palästinenserstaat mit Panzern plattwalzen lassen. Und den kilometerlangen Grenzzaun, der Israelis künftig vor ihren arabischen Landsleuten schützen soll, den musste Scharon nicht erfinden, den fordern die in der Peace Coalition verbündeten israelischen Friedensgruppen schon lange - es ist ihr kleinster gemeinsamer Nenner, wie Henryk Broder im SPIEGEL schrieb.

In Deutschland ist der Grenzzaun nun seit längerem eingeebnet, und Martin Walser hat's gewusst: war nichts geringeres als "der glücklichste Moment in der deutschen Geschichte", das Ende einer nationalen "Läuterungsstrecke", denn "Karl May und Nietzsche durften nicht im Ausland geboren sein". (Apropos, warum eigentlich nicht? Nietzsche prahlte zeitlebens damit, von polnischen Edelleuten namens Nietzky abzustammen, und Karl May träumte sich gleich zwei Wunschbiographien, im Nahen Osten und im Wilden Westen...) Aber: Musste der Bundeskanzler seine staatstragende Rede zum 8. Mai ausgerechnet an Paulskirchen-Walser delegieren, an den Moralkeulen-Erfinder und Auschwitzbilder-Weggucker, der vorgestern Springer boykottierte und gestern die CSU in Wildbad Kreuth besuchte? Und musste der wiederum Schröder und uns unter behaglichem Schwelgen im "Geschichtsgefühl" seinen altnationalen Nippes auftischen? Weisheiten wie die, Deutschland sei "lange vor unserer Staatlichkeit" eine Nation gewesen und, "bitte, nicht nur eine Kulturnation, sondern ein eine politisch tendierende Schicksalsgenossenschaft"? Oder die, dass "Geschichte wie Natur ein Prozess ist, der der Zeit unterworfen ist"? Oder: "Wer als Intellektueller glaubt, er könne oder müsse gar über Nation gefühlsfrei denken, den darf man wohl, mit allem Respekt, einfältig nennen." Oder dies: "Von den Karolingern zu den Saliern, zu den Ottonen, zu den Staufern, zu den Habsburgern, zu den Hohenzollern - das sind nicht nur heraldische Daten, sondern historische Ströme, die ich erleben kann wie die Donau, den Rhein, die Elbe, die Nordsee oder die Alpen." Ich weiß zwar nicht, wie es Walser gelingt, die Alpen als historische Ströme zu erleben, aber in Köln müsste er sich am wohlsten fühlen. Hier staut sich täglich zweimal der Berufsverkehr vom Karolinger- in den Salierring und vom Habsburger- in den Hohenzollernring. Und überhaupt: Wenn's bei den Deutschen feucht im nationalen Hosenschlitz wird, fällt ihnen immer der Kölner Dom ein, der nach Walser "durch dieses neunzehnte Jahrhundert hindurch" vor allem "komplettiert wurde, damit man sich auf eine große Tradition beziehen könne". Aber "das wichtigste Glied in der historischen Kette bleibt", jedenfalls nach Tante Walsers Geschichtsgefühl, "ohne Versailles kein Hitler". Da habt ihr's. Ätschbätsch. Selber schuld am Hitler, ihr Franzosen: "Dass Frankreich, das durch die deutschen Truppen verwüstete, den Versailler Vertrag durchsetzte, muss man verstehen." Muss man? "Dass der Vertrag eine wirtschaftliche Katastrophe produzieren musste, darf man auch verstehen." Darf man zurückfragen, wieso Deutschland in einer wirtschaftlichen Katastrophe Hitler wählte und, nur mal als Beispiel, die Amerikaner Roosevelt? Aber die Geschichte geht ja noch weiter, eine einzige Läuterungsstrecke, wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.

Als erfolgreicher Vorfühler der Wiedervereinigung hat sich Martin Walser natürlich auch diesmal in Erinnerung gebracht: Er habe, als er 1977 in einer Rede die BRD nicht anerkennen wollte, ebensowenig wie die DDR, "leichtfertig dazugesagt, 'im Jahre 1999 oder 2099'. Und dann ist es schon 1989 passiert..." Wer die Sehergabe des Dichters anerkennen mag, kann sich jetzt entspannt zurücklehnen: Auschwitz wird sich, so Walser, nimmermehr wiederholen, denn: "Auschwitz ist entstanden aus historischen Bedingungen: diese Bedingungen können sich niemals wiederholen", auch eine zweite, erheblich vermehrte und verbesserte Auflage des Zweiten Weltkrieg steht nicht zu befürchten, und wenn doch, dann jedenfalls nicht von Deutschland ausgehend, denn "dieser Krieg war der allerletzte Krieg, den diese Nation angezettelt hat." Na bitte. Der normalverbrauchende Steuerzahler fragt sich angesichts dieses Befundes allerdings, wozu wir dann noch eine Bundeswehr brauchen und vor allem diese teuren Kampfflugdinger, die Scharping neulich bei den Franzosen bestellt und noch nicht abbezahlt hat. Walser aber fragt sich: "Wenn aber sicher ist - und sicherer als das nicht nichts - , dass wir in europäischer Aufgehobenheit vor gar allem, was uns je passieren konnte, bewahrt sind, dann ist nicht einzusehen, warum wir keine Nation mehr sein sollen." Vielleicht, weil in bester, geradezu europäisch-aufgehobener Stimmung höchstens noch die Generation Walser eine braucht?

Besonders unnötig wird die Nation dann noch im kommenden Jahr, wenn erfreulicherweise der Weltfrieden ausbricht. Vorhergesagt diesmal nicht (nur) von Walser, sondern auch von Reinhard Mey. Der kriegt dann wieder Besuch von seinem Globusvertreter, dem er noch 1966 schnöde die Tür gewiesen hat mit den Worten: "Wozu brauch ich die Grenzen und wozu die Kolonien? Wenn die Mächtigen der Welt die Grenzen wöchentlich neu ziehn! Ebenso ist's mit den Städten, weil mir niemand garantiert, dass nicht morgen ein Verrückter ganze Städte ausradiert... Andererseits bin ich kein rabenschwarzer Pessimist. Eines Tages kommt der Frieden, eines Tags siegt der Verstand, doch bis an den Tag gehn sicher viele Jahre noch durch's Land. Schreiben Sie in Ihr Notizbuch, für das Jahr 2003: Nicht vergessen zu besuchen: Wegen Globus zu Herrn Mey!"

Nikolaus Gatter
go! www.lesefrucht.de


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