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Estampie unterwegs:
10.05.02 Halberstadt, Halberstädter Dom |
Ende Februar ist mit Fin Amor das inzwischen siebente Album der Münchner Mittelalterformation Estampie erschienen. Und obwohl das Mittelalter musikalisch und literarisch in den letzten Jahren einen regelrechten Hype erfahren hat, und Bands wie Subway to Sally oder In Extremo sogar in die oberen Ränge der Deutschen Charts katapultierte, ist Estampie unter den Fans alter Klänge keineswegs eine etablierte Größe. Aber unter dem Label Mittelalter verbirgt sich bekanntlich eine Menge.
Von Claudia Frenzel
Bereits seit 17 Jahren befassen sich Estampie mit der musikalischen Tradition des Mittelalters. Entgegen populäreren Herangehensweisen, die in den letzten Jahren auch zum Einstieg von Mittelaltermusik in die deutschen Charts geführt haben, nähern sich die Münchner diesem Thema auf sehr authentischen Spuren. Für sie zählen weniger Verkaufszahlen als eine eingehende theoretische und musikwissenschaftliche Beschäftigung mit der alten Musik, den alten Instrumenten und Texten. Die studierten Musiker haben bewusst auf die alleinige Transformation des Mittelalters ins Hier und Jetzt mit krachendem Schlagwerk, rockigen Gitarren und kreischenden Dudelsäcken verzichtet, wenngleich sie, wie Bandbegründer und Ensembleleiter Michael Popp betont, Respekt vor der Mittelalterfolk- und -rockszene haben. Wir gehen halt einen anderen Weg und hoffen, dass wir vielleicht irgendwann mal genauso erfolgreich sind wie die anderen. Bisher hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt. Zwar gehören Estampie zu den wenigen Gruppen, die dank Auftragsarbeiten für Theaterproduktionen oder Fördermitteln der Stadt München aufwendige Projekte umsetzen konnten und von ihrem künstlerischen Wirken leben können, doch kommen sie in den Aufzählungen populärer Mittelaltermusik oft nicht vor. Zu Unrecht, denn den von ihnen verfolgten Ansatz einer authentischen, aber trotzdem modernen Mittelaltermusik vermisst man meist in der allgemeinen Mittelalterwelle, die weniger von tiefgründiger Beschäftigung mit dieser Zeit und ihrer Kultur gekennzeichnet ist als von einer rein oberflächlichen Bearbeitung der alten Musik mit Rockelementen. Für die zumeist jungen Fans dieses Genres scheinen Estampie jedoch offensichtlich zu antiquiert, denn wer mit der Vorstellung von wildem Pogo zu einem ihrer Konzerte kommt, der wird enttäuscht sein.
Anteil an einer solchen Erwartungshaltung haben sicher Bands der neuen und härteren Mittelalterklänge, die in den letzten Jahren diese Musikrichtung wesentlich geprägt haben. Aber von solchen Etiketten hält Michael Popp ohnehin nicht viel: Das ist zwar ein Label, das über dem ganzen drüber steht, aber es gibt ja auch Formationen, die aus Nonnen bestehen oder sich aus akademisch-esoterischen Mitgliedern zusammensetzen. Die machen auch Mittelaltermusik, haben aber überhaupt nichts mit Rockmusik zu tun. Die Bedürfnishaltung des Publikums ist der eigentliche Ausgangspunkt und deshalb sucht man sich ein Label, mit dem das erfüllt werden kann. Sich aber deshalb für den kommerziellen Erfolg verbiegen, kommt für ihn nicht in Frage, denn Estampie ist mehr als nur ein Bandprojekt. Das ist nichts, was man einfach mal so macht und dann vergeht das wieder und man macht halt wieder was anderes. Man muss da auch ehrlich bleiben. Ansonsten würde ich im Grunde mein ganzes künstlerisches Dasein verraten.
ESTAMPIE
Fin Amor
(Warner Brothers 0927-43824-2)
13 Tracks; 50:43; mit Texten
Dieses Album der Münchner Band knüpft unmittelbar an seinen Vorgänger Ondas an, mit dem Estampie eine neue Richtung eingeschlagen haben. Die Musik zwischen Liebe, Sehnsucht, Leidenschaft und dem rauhen Nordwind, wie sie treffend beschrieben wurde, ist verträumt, wehmütig, aber auch leidenschaftlich und kraftvoll ganz so wie man sich die feine, scheue Liebe des Mittelalters vorstellt. Die literarischen Vorlagen für Fin Amor stammen überwiegend aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Neben keltischen Liebesdichtungen findet man auch bretonische Tänze und kraftvolle Instrumentalstücke auf dem Album. Sängerin Syrah entführt die Zuhörer zurück in eine längst vergangene Welt, die märchenhaft anmutet. Sie gibt vor, ob uns die musikalische Reise wie bei Summerwunne in die Wärme, zu Leidenschaft und Liebe oder Sehnsucht (Bluomenrot) führt. Obwohl man in der Regel die lateinischen, mittelhochdeutschen und altfranzösischen Texte nicht versteht, bekommt man über die musikalischen und gesanglichen Assoziationen einen Zugang, ist gebannt und immer wieder mit dem Finger auf der Repeat-Taste. Dass man für kraftvolle Mittelaltermusik nicht immer E-Gitarren, Samples und Verstärker benötigt, beweisen Titel wie Hanter dro und Estampie VI. Letzterer ist zugleich mein Anspieltipp und heimlicher Titelsong.
cf
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