backFerner liefen...

Ich selbst hab ja kein Pantoffelkino. Fernsehen kann ich nur bei andern. Aber manches verpasst man doch. So die Neuerungen, die sich eher beiläufig in Talkshows ergeben.

Zufällig war ich auf ein Glas Ayran beim Nachbarn, als dem teutschen Thesaurus televisionär ein neues Tu-Wort angetan wurde (angetan gleich zugefügt). Gast auf Friedmans Plaudercouch war der heimische Lustiges-Weib-von-Windsor-Verschnitt, die einst punkig, jetzt eher grell vermarktete Fürstin von Thurn und Taxis nebst Terriermischling. Der Schnabel wächst der Dame wie von ungefähr in Richtung Problemzonen: von Dritter Welt ist die Rede, von AIDS. „In Afrika“, lässt sich Durchlaucht vernehmen, „sterben die Leute an AIDS, weil sie zuviel schnackseln. Der Schwarze schnackselt gerne.“ Ich denk' jetzt mal, ich hör' nicht recht: schnackseln? Friedman, verwirrt – Weiße täten ja nun doch auch manchmal ganz gern schnackseln, irgendwie. Gloria hält dagegen: „Da wo es wärmer ist, schnackselt man noch lieber.“ Mag ja alles sein – aber was, zum Teufel, heißt das: „schnackseln“? Vorschläge an die Redaktion erbeten. Einsender der falschen Lösung erhalten die richtige, Einsender der richtigen voraussichtlich nichts.

Meinen Nachbar konnte ich schlecht fragen, der kommt aus Izmir. Vor seiner Tür stapeln sich die Pantoffeln. Bei einer Gelegenheit hat er mir mal ganz im Vertrauen gestanden, er verstehe die Deutschen nicht – immer soviel Knoblauch ans Essen, das wär doch nix. „Ganse-bisschen“, gut und schön. Aber immer gleich drei Zehen?

Die gloriose Schnackselei trifft – oder ist das „Skandalstrategie“ und von langer Hand geplant? – gerade ins richtige Umfeld. An der Kölner Uni eröffnet soeben das Institut für Afrikanistik die Ausstellung Afrika in der populären Kultur des 20. Jahrhunderts. Zu bestaunen sind dort, den einen zur Gaudi, den anderen zum Grusel bzw. zur politisch-korrekten (freilich auch wieder an den Volkswartbund der fünfziger Jahre gemahnenden) Ereiferung: Nickneger und stumme Diener, Comics und Karnevalskostüme, Negerküsse, Sarottimohren, Roberto Blanco und Uncle Ben. Von Spike Lee läuft brandaktuell der Film It's Showtime (Bamboozled), für den immerhin eine Judy Garland schwarz geschminkt wurde (dass auch noch Bugs Bunny eingenegert wurde, haben Warner Bros. in letzter Sekunde noch verhindern können). Der Film beschwört eine Milleniums-Version frühcineastischer „minstrel shows“ herauf, in denen einst – Jazzkenner werden sich an Al Jolson erinnern – Afroamerikaner von bemalten Weißen dargestellt und schenkelklopfend begrölt wurden. Bei Spike Lee wird daraus ein modernisiertes, hochsatirisches, quotensprengendes TV-Ereignis – sehenswert und politisch ganz außergewöhnlich radikal. – Während aber hierzulande Art Spiegelmans Maus-Comic längst in bibliophiler Kult-Edition vorliegt, fehlt noch immer eine deutsche Ausgabe von Stuck Rubber Baby des genialen Zeichners Howard Curse: Ein Comic-Roman, der während der Kennedy-Ära in den Südstaaten der USA spielt und die Schwierigkeiten im Verhältnis von schwarz und weiß prägnant, nüchtern und realistisch-kühl auf den Punkt bringt.

Vor drei Wochen, um Ostern, hatte ich meine eigenen schwarzen Zehen samt Beinen noch in die heißen Quellen von Ischia gesteckt, in Lacco Ameno, unterhalb des Dorfes Fango, wo die gleichnamigen Packungen mit der mineralischen Brühe angerührt werden. Herrlich war das. Fünf vor Flug, 14 Tage voller last minutes, Halbpension, Gepäcktransfer, alles inklusive für ein Spottgeld. Zwischendurch ein chill out im Normal-Pool, und bald sind die Sjögren-Syndrom-Symptome wie weggeblasen. Danach Bergwandern, Weißwein am Hafen oder Inselrundfahrt mit dem Rentner-Shuttle. Ich muss anmerken, dass der Erholungswert auf Ischia durch den nahezu exklusiv deutschsprachigen Tourismus der Siechen und Lahmen, die hier Linderung erhoffen, nicht unbedingt gemindert wird. Wenn sich im vollgestopften Überlandbus die Panik der Aussteigewilligen und nervös Landkartenzerknüllenden in wütendem Gezeter Luft macht, ersetzt das eine ganze Loriot-Sondersendung.

Eine halbe Stunde vor Abreise saß ich mit meiner Frau und wartete aufs Abgeholtwerden im Fernsehraum (nie vorher betreten), mustere sinnend die Buchrücken im Regal, blättre in einem Bildband über den afrikanischen Stamm der Nuba, mit handschriftlicher Widmung der Fotografin an unsern Hauswirt. So erfuhr ich, dass Anno 1986 auch Leni Riefenstahl in unserm Whirlpool die Wege zu Kraft und Schönheit gesucht hatte. Nicht dass es mir den Urlaub vergällt hätte; mir blieb ja nicht die Zeit, dem Hotelpersonal mehrstündige Antifa-Schulungen angedeihen zu lassen. Aber wenn ich mir neuere Selbstporträts der Leni Riefenstahl anschaue – und die Ischia-Quellen sind, heißt es, radioaktiv – , will ich nicht hoffen, dass ich später mal auch so dreinschaue. Daß sie zuviel geschnackselt hätte, ist eher unwahrscheinlich, am 22. August wird sie hundert! (Obwohl ich eingefleischter Glövenix in Leni Riefenstahls Antlitz doch gern das Walten der göttlichen Vorsehung anerkennen möchte. Wahrscheinlich, dachte ich, lässt sie der liebe Gott noch ein bisschen knuspriger ausbacken, damit Hitler in der Hölle sie küssen muss, voraussichtlich in Ewigkeit amen.)

Wolf Biermann meinte in jüngeren Jahren einmal, ab einem bestimmten Alter sei jeder für sein Gesicht verantwortlich. Bevor es nun gnadenlos auf ihn zurückfällt, bin ich lieber anderer Meinung – im Prinzip kann kein Mensch für die Fresse, die ihm morgens aus dem Spiegel entgegenglotzt. Anders ist es allerdings, wenn er dieselbe in jeden Kameraschwenk hält bzw, mit seinem Konterfei tagaus, tagein auf Leinwand und Bildschirm etc. Unbeteiligte anpöbelt. An dieser Stelle möchte ich ein gutes Wort für das Genie der Unauffälligkeit, den scheidenden FDP-Vorsitzenden Wolfgang Gerhard einlegen – der sah stets aus wie das Beste aus Reader's Digest, das heißt nach gar nichts; die fleischgewordene Kreissparkassenfiliale. Bestimmt hat er ganz im Stillen gut verdient; die Kohl-Ära wird ihm merkwürdigerweise fast gar nicht mehr angelastet, während der er freilich um ein Vielfaches weniger genervt hat als die Westerwelle, sein blatternarbig-strampelnder Nachfolger, der mir wie die Personifikation des Fremdworts brain drain erscheinen will. FDP-Möllemann hingegen hatte schon zum NRW-Landtagswahlkampf das größte Vorbild aller Zeiten plakatieren lassen – den Mann mit dem kürzeren Schnurrbart, der 1930 mit 18 Prozent in den Reichstag kam, und von dem noch die Rede sein wird. Rein optisch hat die derzeit amtierende Regierung nichts gebracht außer den Zwangskrawatten, Zweireihern und Dreiteilern grüner Minister, die immer noch aussehen wie verkleidete Milchbubis. Kanzler Schröder indessen, wenn der mich mit seiner Bierkutscherphysiognomie von links unten nach rechts oben anschielt, hör ich schon wieder den angestrengt suppigen Bass tönen, der in Talkshows jede zweiten Antwort mit „ich denk' mal“ einleitet. Den mal schwarz anmalen – sähe gleich besser aus und vor allem politisch bedeutend „korrekter“.

Lacco Ameno hieß übrigens früher Pithekoussai, als dort die ersten Griechen siedelten, die alle Fremden, ob schwarz oder weiß, zu Barbaren erklärten und ihres nationalen Ethikrats für unwürdig hielten (gemeint ist die nikomachische Ethik, nicht die Schrödersche). Jahrhunderte später eintreffende Lateiner tauften es „locus amoenus“, worunter man sich in der Antike eine Idylle aus plätscherndem Bächlein, grünen Wiesen mit Schafzucht, blauem Firmament und säuselndem Zephyr vorstellte. Als wir Germanen eintrudelten, war's eher windig und wetterwendisch, der Schirocco brachte kurze „ergiebige“ Regenfälle über den Golf von Neapel.

Bei der Heimkehr empfing uns dann erst der Frühling mit knospenden Bäumen, zwitschernden Vögeln und Adolf Hitler. Der grüßt wieder seit neuestem von allen Plakat- und Anzeigeflächen und muss für den SPIEGEL werben (beim „Stern“, dem Hitlertagebuchnachdrucker, geht's heuer um Wellness, da sind Nuditäten an der Reihe). „Die Geschichte wirft lange Schatten“, heißt es im Annoncen-Beitext, er reicht bis in die Chefredaktion, wo hohe Altnazis eine Alters-Zubrot fanden – und davon sollen wohl auch die Verkaufszahlen schwärzer werden. Die letzte Kampagne dieser Art hat's wohl nicht gebracht: Im November 1998 hieß es „sehen Sie der Geschichte ins Gesicht“. SPIEGEL-Leser wissen mehr. Das Führer-Propagandafoto in der Frankfurter Rundschau hatte Posterformat, ganz praktisch für Neunazis zum Anpinnen im Wehrsporthallen-Umkleidespind. Damals feierte Augsteins sein fünfundsiebziger Jubelfest. Ob der auch schon auf Ischia war und die Hundert anstrebt? Oder muss er schon früher a tergo im Hades mit Hitler „schnackseln“? Denn wenn's dem einen gutgeht, feiert stets der andere mit. In diesen Tagen, rechtzeitig zur neuerlichen Reklame-Hitlerei, erhielt Augstein in Frankfurt/Main den mit 40 000 DM dotierten, nach einem ins Exil vertriebenen Juden benannten Ludwig-Börne-Preis. FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher gratuliert; auch seine Anzeigenabteilung freut sich über den SPIEGEL-Hitler als Brauntönerfoto, herzlich lachend und siegesgewiss im Kreise seiner Wirtschaftskapitäne. Herzlichen Glückwunsch.

Nikolaus Gatter
go! www.lesefrucht.de


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