Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder drei CDs, die aus der Masse herausragen:
Deutschland | ROGER MATURA | Abandoned |
England | WATERSON : CARTHY | Broken Ground |
Abandoned
(Hotcon Records hot 9945)
21 Tracks, 75:48; mit Texten und Besetzungsinfos
(Hotcon Records hot 9946)
15 Tracks, 77:43
Es kommt selten vor, daß es für mich einen Grund geben könnte, auf den Musikexpress zu verweisen. Doch in diesem Fall gibt es einen. Der dort mit fünf Sternen versehenen Besprechung von Roger Maturas Album "Abandoned" kann ich nur zustimmen: "Warum steht dieser Mann nicht an der Spitze der Charts, hortet Goldene Schallplatten und läßt sich mit einer Stretchlimo zu seinen ausverkauften Konzerten karren? Vermutlich, weil erstens mal wieder kein Mensch hingehört hat, und weil er zweitens dann nicht mehr Roger Matura wäre, der begnadete Folk-Rock-Blues-Poet aus dem Ruhrpott, der komponiert und singt, daß es einem den Atem verschlägt." Soweit der Kollege pf in der Oktober-Ausgabe des Musikexpress. Dem ist wenig hinzuzufügen, denn es ist eine passende Beschreibung für die musikalische Qualität, die Roger Matura mit seinem zehnten Album (drei davon erschienen zwischen 1979 und 1982 beim legendären Folkwayslabel von Moe Asch) präsentiert. Klischees hin, Klischees her. Maturas Reibeisenstimme erinnert nun einmal an Tom Waits. Und die Poesie in den von ihm erzählten Geschichten lassen manche Kritiker den Vergleich mit Bob Dylan anstellen. Mir gefallen die Songs, sparsam begleitet von Gitarre, Klavier, Geige, Baß und Perkussion, auch ohne irgendwelche Vergleiche heranziehen zu müssen. Mit sechs Bonus-Tracks greift Roger Matura auf "Abandoned" zudem in sein Archiv und präsentiert neben seinem allerersten eigenen Folksong ("Farewell", 1976 geschrieben) auch den Dylan-Klassiker "It´s All Over Now, Baby Blue" und den Bobby Freeman-Hit "Do You Wanna Dance auf seine Weise versteht sich.
Ich habe nur ein Problem mit dem Essener Barden: warum um Himmels willen, singt er nicht auf Deutsch?! Er kann es doch. Und die deutsche Szene hätte einen Liedermacher seines Kalibers verdient. Er sollte sich ein Beispiel an Werner Lämmerhirt nehmen, der mittlerweile schon sein zweites (erfolgreiches) Album mit deutschsprachigen Liedern veröffentlicht hat. Ich lege da jedem nur Roger Maturas Doppel-CD "Industriestadt tot Gnadenlos sentimental" ans Herz. Das sind perfekte Geschichten zwischen "Wut und Sentimentalität" aus dem Ruhrpott, "erzählt" aus eigener Erfahrung als langjähriger Sozialarbeiter und Sohn eines Bergarbeiters aus Essen. Einige Songs dieses "Ruhrpottzyklus" von Roger Matura finden sich auch auf "Live In Thessaloniki" (mit ansonsten englischsprachigen Titeln). Diese Bonus-Tracks entstanden vor einem Jahr bei der Konzert-Präsentation der PROFOLK-CD "Test The Best" in Plauen. Mit dabei bei diesen live noch eindrucksvolleren Versionen seiner deutschen Lieder ist u.a. Jochen Kagermann an der Geige. Unbedingt hörenswert. Und die Tatsache, daß der Titel "Gnadenlos sentimental" von dieser CD es in die Top Ten der SWR-Liederbestenliste geschafft hat, sollte für Roger Matura ein Anreiz sein, weitere Texte in deutscher Sprache zu schreiben.
Wie meinte der Kollege pf im Musikexpress: "Sage keiner, er hätte es nicht gewußt." Recht hat er!
Michael Kleff
Broken Ground
(Topic Records TSCD509)
11 Tracks, 60:09; mit engl. Infos
Meiner Frau Mary John sind die Töne aus allen Ecken der Welt, die ewig durch unser Haus wehen, oft ausgesprochen suspekt. Wenn sie allerdings den Kopf ins Büro steckt und fragt, wer denn DAS sei, dann muß es schon eine außergewöhnlich gute CD sein, denn Mary John hat Geschmack.
Es ist die dritte CD der englischen "First Family of Folk". Neben Martin Carthy, Norma Waterson und deren Tochter Eliza Carthy ist die Gruppe zum ständigen Quartett angewachsen. Der junge, überaus begabte Melodeonspieler Saul Rose sorgt für einen volleren und abwechslungsreicheren Klang und übernimmt bei den drei Instrumentalblöcken auch mal den Leadpart. Dazu kommt Martin Carthys bekannt percussives Gitarrenspiel und Elizas virtuose Fiddle sowie drei markante Stimmen (mit Saul als angenehmer Ergänzung beim Chorus).
Die meist traditionellen Stücke offenbaren ein dichtes Zusammenspiel, speziell beim letzten Stück "The bald headed End of the Broom", wo die 6-köpfige Blaskapelle The Pheonix New Orleans Parade Band dafür sorgt, daß zum Schluß die Post noch mal so richtig losswingt. All das klingt frisch und wenig antiquiert (obwohl es für ausschließliche MTV-Kunden doch etwas seltsam klingen dürfte, aber wer schaut schon ausschließlich MTV).
Bemerkenswert ist wiederum die bewußte, aber unprätentiöse Englischlastigkeit des Albums (halt, da gibt es aber einen Reel eines gewissen Brian McNeill). Es ist daher vielleicht nicht verwunderlich, daß "Broken Ground" für mich das wichtigste englische Album des Jahres ist. Wenn die in der Vergangenheit häufig gestellte Frage auftaucht "Was ist eigentlich englische Folkmusik?", dann antwortet einfach "Waterson:Carthy z.B.".
Mike Kamp