Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder drei CDs, die aus der Masse herausragen:
England | SHIRLEY COLLINS | Sweet England |
Klezmer | DIVERSE | Von der Khupe zum Klezkamp |
Sweet England
(Topic Records TSCD 815)
18 Tracks, 45:20 mit Infos
»Sweet England« ist ein großartiges Dokument. Das erstmalig 1959 erschienene Album präsentiert die ersten Aufnahmen von Shirley Collins, einer der einflußreichsten Sängerinnen des britischen Folk-Revivals der späten 50er und 60er Jahre. Was macht diese alten Aufnahmen für mich so einzigartig? Shirley Collins Interpretationen traditioneller Songs unterscheiden sich grundlegend von denen der in dieser Ära wesentlich berühmteren Folk-Pop-Diven wie etwa Joan Baez. Shirleys Stimme klingt gleichzeitig fragil und kraftvoll, ihr Ausdruck ist eigenständig, unprätentiös und vor allem: authentisch. Respekt vor und Liebe zu diesen traditionellen Liedern sind in jedem Ton spürbar. Der amerikanische Musikethnologe Alan Lomax schrieb damals, Shirley Collins sei eine der wenigen, die es schaffen, den Zauber und die Zartheit alter Balladen auch glaubhaft auf Schallplatte zu konservieren. Die Gründe hierfür liegen sicherlich teilweise darin, daß Shirley aufgewachsen im ländlichen Sussex viele traditionelle Lieder schon als Kind in ihrer Familie kennen und lieben lernte. Noch einmal Lomax: »Sie hat diese Lieder mit der Magie des Folksingers berührt und lebendig gemacht. Sie variiert die Melodien von Strophe zu Strophe, um sie dem Text anzupassen, genau wie es traditionelle Sänger tun, und sie improvisiert innerhalb der Begrenzungen ihres regionalen Stils.« Die auf »Sweet England« dokumentierten Folksongs sind überwiegend englischen Ursprungs, man findet aber auch Irisches, Amerikanisches sowie ein Waulking Song von den Hebriden. Deutlich wird Shirleys Vorliebe für tragische Liebeslieder (»Barbara Allen«), daneben sorgt aber auch viel Leichtherziges, Beschwingtes oder Witziges (wie das Kinderlied »The Lady and the Swine«) für Abwechslung. Nicht traditionell und zum Ärger einiger Puristen begleitet sich Shirley Collins auf dem Banjo im Stil der südlichen Appalachen. In diesen vorsichtigen amerikanischen Einflüssen zeigt sich auch zum ersten Mal ihre Vorliebe für Experimente und Innovation, die dann zu einem späteren Zeitpunkt zur Zusammenarbeit mit Ashley Hutchings (Albion Country Band) oder dem Gitarristen Davy Graham (»Folk Roots, New Routes«) führte. »Sweet England« zeigt Shirley Collings am Anfang dieser Entwicklung. Das Album klingt auch nach 40 Jahren keineswegs verstaubt, sondern lebendig, überzeugend, bewegend schlicht: ein Klassiker!
Anne D. Marcordes
Von der Khupe zum Klezkamp
(Piranha BCD-PIR 1362)
21 Tracks; 72:36, mit umfangreichen Buch von Susan Bauer
Das Besondere an dieser CD ist in jedem Fall
das »Begleitinfo«. Nur ist dieses mit 240 Seiten im CD-Format so
umfangreich, daß man eigentlich von einer »Begleit-CD« zu
einem Buch sprechen müßte... Das soll nun aber keineswegs die
CD abwerten, die ganz im Gegenteil einen ausgezeichneten und
durchaus repräsentativen historischen Überblick über die US-Szene
der Klezmer-Musik gibt. Der beginnt mit Aufnahmen aus dem Jahr 1908 (mit
dem Kantor Gershon Sirota) über eine »jüdische« Version
des legendären »Sixteen Tons« bis zu den auch in Deutschland
längst bekannten Interpreten der 90er wie Frank London, der Kapelye,
den Klezmatics, Brave Old World u.a. Mit anderen Worten: Alleine die CD ist
ihr Geld wert!
In ihrem Buch untersucht Susan Bauer die Geschichte des Klezmer in New York
als Hauptthema ihres Studiums der Musikethnologie an der FU Berlin. So wird
geschildert, wie der in jüdischen Musikerkreisen über Jahrzehnte
hinaus als minderwertig geltende Begriff »Klezmer« erst um 1940
als »säkulare, instrumentale Unterhaltungsmusik der aschkenasischen
amerikanischen Juden« salonfähig wurde. Das Klezmer-Revival
erklärt Bauer als Nebenprodukt der afro-amerikanischen Sehnsucht des
»Back-to-the-Roots« der 60-er Jahre, das sukzessive u.a. auch das
amerikanische Judentum erfaßte. Als klezmer-typische Instrumente
erwähnt sie neben der Geige und der Klarinette auch die Zimbl, ein
trapezförmiges Hackbrett. Selbst Musiktheoretisches wie Tonskalen und
Ornamentierung des Klezmer werden eingehend besprochen.
Kurz: Das Buch gibt einen umfassenden Überblick der amerikanischen,
insbesondere jedoch der New Yorker Klezmer-Szene, ergänzt im Anhang
durch Porträts wichtiger zeitgenössischer US-Klezmer-Musiker (wie
z.B. Michael Albert, Walter Z. Feldman oder David Krakauer), einer umfangreichen
Diskographie sowie einer ebenso umfangreichen Bibliographie für all
diejenigen, die sich mit weiterer Literatur eindecken wollen. Vermißt
wird lediglich ein Namensregister, durch das das Buch ggf. auch als
Nachschlagewerk brauchbar gewesen wäre. Da der Untertitel des Buches
»Klezmer-Musik in New York« heißt, sind damit Umfang und
Anhang des Buches deutlich abgegrenzt. Der interessierte Leser, durch die
Lektüre von Bauers Arbeit wissensdurstig geworden, vermißt eindeutig
ein ähnliches Werk zur deutschen Klezmer-Szene, was natürlich die
Qualität des vorliegenden Buches auf keinen Fall einschränkt.
Matti Goldschmidt