Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder drei CDs, die aus der Masse herausragen:
Bretagne | DENEZ PRIGENT |
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Skandinavien |
GUNNFJAUNS KAPELL & VISBY ALLMÄNNA SÅNGEN |
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Indien | DIVERSE |
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Celtic | DIVERSE |
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Me zalch ennon ur fulenn aour
(Rosebud/Barclay/Polygram 539254-2)
12 Tracks, 75:20; Texte breton./franz.
Diese CD wird sicher nicht nur Puristen das
Fürchten lehren! Nachdem der anerkannte Gwerzsänger Denez Prigent
(Gewinn des »Kan ar Bobl« 1987) bereits in den letzten Jahren seinen
Kollegen als unkonventionell auffiel, dürfte er bei selbigen mit dieser
CD Ende 1997 sicher einen regelrechten Kopfsprung in den berühmten Fettnapf
gemacht haben. Dennoch wird diese seine zweite CD in der Bretagne bereits
als Meilenstein der bretonischen Musik gehandelt.
Nach dem akustischen Erstkontakt mit dieser CD stellte sich mir die Frage:
Darf der das? Gwerzgesang, normalerweise a capella vorgetragen, ist hier
großenteils unterlegt mit Techno- u.ä. Klängen, mittenmang
dann auch Drehleier (Valentin Clastrier), Harfe (Kristen Noguès),
Pipes, Bombarde... Die Stimmung ist überwiegend recht düster, was
bei mir vom Klangbild her streckenweise Assoziationen an die deutsche Gruppe
Qnta« weckt, und dem Charakter von Gwerzliedern durchaus entspricht.
11 der 12 bretonischen Texte hat Denez selbst verfaßt zu aktuellen
Problemen bzw. über Krisengebiete meist irgendwo in der Welt,
weniger in der Bretagne. Bei dem Zweiteiler »Copsa Mica« wirken
drei rumänische Gastsängerinnen mit. Die Musik, nicht nur Gwerzlieder,
auch Tänze, ist zur Hälfte traditionell, zur Hälfte von Denez
in traditionellem Stil komponiert. Die Technoklänge dienen nicht einfach
der Untermalung, sondern sind fester Bestandteil der Stücke, Gesang
und Musik sind durchweg äußerst raffiniert zusammengefügt.
Doch, ich denke, er darf das, denn die Tradition bleibt grundsätzlich
gewahrt, insbesondere die Uilleann-Pipes vertragen sich mit den modernen
Klängen überraschend gut. Wenngleich Denez Prigent auch nicht ganz
an seine Sängerkollegen Kemener und Marchand heranreicht, ist dieser
Silberling für mich nach »Île-Exil« (Kemener & Squiban)
der bemerkenswerteste dieses Jahrzehnts.
Brigitte Henselleck
GUNNFJAUNS KAPELL & VISBY ALLMÄNNA SÅNGEN
Volun
(Sjelvar SJECD 12)
11 Tracks, 40:49; mit Texten und Infos schwed./engl.
Eine alte Geschichte wird hier erzählt,
die von Wieland dem Schmied, in den nordischen Sprachen eben Volun. Ein Stein
auf Gotland zeigt Szenen aus der Wielandssage, und Gunnfjaunskapell hat die
gesamte Geschichte deshalb auf diese Insel verlegt. Die wunderbare Gruppe
Gunnfjaunskapell hat schon lange einen Hang zur Mythologie, und für
diese CD haben sie sich mit allerlei Hilfskräften und dem Gotländer
Gesangverein Visby Allmänna Sången zusammengetan. Reine
Instrumentalstücke wechseln ab mit Liedern, das Ganze beginnt wie ein
Orchesterwerk, so eine Art Wagner goes Folk. Wir erleben, wie
Wieland sein sagenumwobenes Schwert schmiedet (das später auf allerlei
Umwegen an Siegfried den Drachentöter gerät), wie er von einem
bösen König in Gefangenschaft gehalten wird und wie er aus Rache
die Söhne dieses Königs erschlägt und aus ihren Zähnen
Schmuckstücke macht (anders als in den mittelhochdeutschen Varianten
der Sage übrigens, wo Wieland ihre Schädel als Trinkgefäße
kredenzt). Am Ende siegt die Gerechtigkeit, er entflieht, erfolgreicher als
der antike Ikarus, mit
selbstgebauten Flügeln und erlebt dann auch noch das Ende der Welt.
Das alles wird besungen, auch ein im Jahre 1646 aufgezeichnetes Tanzlied
ist dabei, viele Stücke sind aber Eigenkompositionen. Neben der, wie
wir es von Gunnfjaunskapell gewohnt sind, erstklassigen Instrumentierung
(Akkordeon, Geigen, Gitarren) dominieren beim Chor die klassisch ausgebildeten
Stimmen, wie bereits gesagt, Folk goes Wagner. Fotos im Beiheft
zeigen Szenen aus der Wielandsage, damit wir uns das alles noch viel besser
vorstellen können.
Gabriele Haefs
VARIOUS ARTISTS
»Mein Liebling spielt die Flöte« Indische Ureinwohner singen
(Fidula-CD 7717)
15 Tracks, 51:12; Infos in dt. / Textübers.: Martin
Kämpchen
Der Untertitel mag viele Musikfreunde irritieren: Wie bitte? Ureinwohner in Indien? Sie werden Adivasi genannt, erfahre ich aus dem Booklet, sind in viele kleine und größere Stämme unterteilt, und ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung Indiens beträgt immerhin 8% (= ca. 70 Millionen Menschen). Viele dieser Stämme leben in kultureller und religiöser Eigenständigkeit, siedeln in Bergen und Wäldern und bevorzugen in spirituellen Dingen einen gepflegten Pantheismus samt regelmäßiger Opfergaben. Zu den größten Ureinwohner-Stämme gehören die Santal, die überwiegend in West-Bengalen ansässig sind. Einige dieser Santal-Dorfgemeinschaften werden seit Jahren vom »Freundeskreis Ghosaldanga« unterstützt, einer Privatinitiative, die sich im wesentlichen um die Schulbildung der jungen Dorfbewohner kümmert und u.a. in den westbengalischen Dörfern Ghosaldanga und Bishnubati eine Schule unterhält.
Die fünfzehn Lieder, die wir auf der CD hören, erklingen zu den heiteren Festivitäten des Dorflebens wie Ernte, Liebe, Heirat und Geburt, eine, zugegeben, etwas eindimensionale Auswahl, doch diese CD war ursprünglich eben auch als kleines »Dankeschön« an den »Freundeskreis Ghosaldanga« gedacht, und da setzt man seinen Gönnern eben nicht gerade Totenklagen und Grabgesänge vor. Interpretiert werden die Lieder von Gokul Hansda, Boro Baski und Sona Murmu, drei jungen Sängern aus Ghosaldanga und Bishnubati. Begleitet werden sie von SängerInnen und kleineren Instrumental- bzw. Perkussionsensembles, die ebenfalls aus den beiden Dörfern stammen. Die Gesamt-Konzeption lag dabei in den Händen des deutschen Schriftstellers Martin Kämpchen, der seit 25 Jahren in Indien ansässig ist und sich seit vielen Jahren für den »Freundeskreis« engagiert und dessen Unterstützung vor Ort koordiniert. Zusammen mit Kämpchen waren die drei Sänger im Herbst letzten Jahres auf einer kleinen Deutschlandtournee und wer ihre faszinierenden Auftritte damals verpaßt hat, muß sich jetzt mit der CD trösten.
Walter Bast
Fire in The Kitchen
(Wicklow/BMG Ariola CD 09026 63133 2)
11 Tracks, 51:23; mit Infos
Diese CD ist ganz den immer spannenden Launen des Paddy Moloney, seines Zeichen Häuptling der irischen Chieftains, entsprungen. Dieses Mal hat er sich einige der besten bzw. zum Teil auch bekanntesten keltischen Musiker Kanadas zusammengesucht, um ein Album zusammenzustellen, das die Atmosphäre einer Kitchen Party, wie sie in Nova Scotia noch immer üblich ist, einfangen sollte.
Herausgekommen ist schon etwas ganz Besonderes. 11 Stücke, bei denen überall auch die Chieftains mitspielen, bei denen aber doch die Gäste im Vordergrund stehen. Einige davon sind absolut genial; bei diesen Stücken ergänzen sich die Fähigkeiten der kanadischen Musiker hervorragend mit denen der Chieftains. Bestes Beispiel ist das Stück mit La Bottine Souriante, jener französisch-kanadischen Band mit u.a. Akkordeon, Fußperkussion und Bläsersektion. Gleiches gilt auch für die Kollaboration mit diversen kanadischen Fiddlern (Natalie MacMaster, Ashley MacIsaac). Ebenfalls wunderschön geraten sind die Lieder mit der gälischen Sängerin Mary Jane Lamond oder den Rankins. Es gibt allerdings auch schwache Stücke. Mußte Paddy sich beispielsweise gerade die Party-Band Great Big Sea ins Studio holen? Auch wenn sie in Kanada Stars sind, ihre rauhe Art aufgesetzter Fröhlichkeit paßt einfach nicht zu den filigranen Klängen der Chieftains. Etwas aus dem Album heraus fällt auch das gutbekannte "My Bonnie" von Laura Smith. Insgesamt ist dies eine äußerst spannende CD, die sicherlich helfen wird, in aller Welt bekannt zu geben, welch hervorragende Musiker es im keltischen Kanada zu entdecken gibt. Für Chieftains-Fans ist die Platte natürlich auch interessant, obwohl die Chieftains nur begleiten. Trotz allem ist es kein durchgängig stimmiges Meisterwerk geworden. Das Album erschien übrigens auf dem Wicklow Label, einem neuen World Music Sub-Label von BMG, das unter der Federführung von Paddy steht und nicht auf keltische Musik beschränkt sein wird. Paddy erklärte uns dazu im Interview: Ich möchte dem Label nicht das Gefühl von World Music geben, es sollen spezielle Projekte aus aller Welt sein. Das ist es, was ich vor habe. Vor allem jüngere Talente aus verschiedenen Regionen entdecken, sie können RocknRoll singen oder auch aus Japan kommen, es macht für mich keinen Unterschied."
Michael Moll
Mehr CD-Rezensionen im Folker! 2/99