Von Christof Stählin
Als die junge Kunst des Liedermachens in den Sechziger Jahren anfing, sich mit Nachfrage, Publikum und Krititkern, in den Medien und Agenturen, mit Vorbildern und Nachwuchs zu etablieren, da tauchte bei manchem Protagonisten der neuen Richtung die frage auf, ob man das nicht zu seinem Beruf machen könnte.
Denn wer selber dichtete und komponierte, sang und sich begleitete, der glaubte, es ginge jetzt alles so weiter und das Liedermachen sei dabei, als Kunst unter die anderen Künste eingereiht zu werden und sich zu behaupten. Wenn es immer bergauf geht, hat man eine gute Aussicht, die sogar immer besser wird. Man ahnt zwar, daß der Weg nicht ewig aufsteigen kann, aber man rechnet auch nicht damit, daß er drüben wieder hinunter führt, sondern man glaubt, auf einer Art Hochebene anzukommen und darauf munter fortschreiten zu können. Wer von einer Welle begünstigt wird, erkennt sie nicht als solche.
1977: »Athomare Lieder« (LP TF 100) 1978: »Bis jeder vom andern die Heiterkeit kennt« (LP TF 200) 1979: »Lang braucht zom komma« (LP TF 300) 1981: »Lieder aus Träumen, Haß und Liebe« (LP TF 400) 1983: »Land vol Läaba« (80-seitiges Liederbuch zu TF 300 und 400) 1984: »Nie wieder Frieden kriegen« (LP TF 500) 1986: »Ein Lääberkääs im Fahrstuhl... (live)« (2 LPs/MC TF 600/700) 1991: »Sinnflut« (CD/MC TF 800) 1995: »Versperplatte (live)« (CD TF 911) 1995: »Lang braucht zom komma« (2 LPs TF 200 und 300 auf CD) (CD TF 300/400) 1998: »Bewegnung« (CD TF 1000)
Alle Titel erhältlich über: (Achtung: Thomas Felder ist bis Mitte Februar auf einer Indien-Tournee und kann Zuschriften erst nach seiner Rückkehr beantworten) |
Genau besehen, haben die Liedbewegungen immer um die 20 bis 25 Jahre herum geblüht und dann aktuelleren Vorlieben Platz gemacht, bis sie in anderer Form irgendwann wiedergekommen sind. Die Blütezeit war jeweils die HauptLebensarbeitszeit der wichtigsten Vertreter, sei es in der Romantik, sei es in der Jugendbewegung oder schon zu Zeiten John Dowlands in England, wo vor 400 Jahren die Nachfrage nach neuen muttersprachlichen Sololiedern italienischen Vorbilds einen Boom von Notendruck auslöste, der gegen 1620 wieder verebbte. Aber ganz aufgehört hat es jeweils nie. Es war immer jemand da, der die Kunst weitergetragen hat, bis sie von einer neuen Mode in gewandelter Form wieder begünstigt wurde.
Einer, für den es nicht darauf ankommt, ob es angesagt ist oder nicht, wenn es um Lieder geht, sondern ob man es macht oder nicht, ist Thomas Felder aus Gönningen. Er singt, spielt und produziert, übt an Klavier, Sitar, Gitarre, Drehleier und Monochord, telefoniert, verpackt, stimmt und macht sich Gedanken, nunmehr seit dreißig Jahren.
Sprache und Komposition, Instrumentalspiel, Körper- und Gedankenarbeit sind die Bestandteile, die von der Kunst des Liedermachens übrigblieben, nachdem die Welle ihren Höhepunkt überschritten hatte, und so legte jeder seine Gewichte wieder anders, wenn er von der Kunst weiterleben wollte und nicht zu den ganz wenigen Hochprominenten gehörte, als Rezitator, Kabarettist, Schriftsteller, Komponist oder Studiomusiker.
Thomas ist ein ausgezeichneter Musikant, das ist das eine, was es ihm ermöglicht, sich zu halten. Das andere ist der gute Name, den er sich in drei Jahrzehnten hier in Schwaben gemacht hat, eine Beliebtheit, die sich schon in der zweiten Generation bewahrt und ihm sein Auskommen sichert. Er singt einen großen Teil seiner Lieder im Dialekt und ist damit dicht an Herz und Verständnis der Leute.
»Kendr, mo sendr, mo gangetr na, haet isch dochs Wetter no schee! Spielet, so lang mer no spiele kaa...« (Kinder, wo seid ihr, wo geht ihr hin? Heute ist das Wetter doch noch schön! Spielt, so lange man noch spielen kann...). Das ist ein seltener, leiser Ton, der nichts besser weiß als seine Zuhörer und Sympathie verbreitet wie der Herr Ribbeck von Ribbeck im Havelland. Aber er kann auch anders.
1983 stand er wegen Nötigung bei der Blockade des Raketenlagers in Engstingen vor Gericht und trug statt einer Stellungnahme die Anklageschrift gesungen vor, was Richter und Staatsanwalt zum wütenden Verlassen des Saales anregte. »Die Gerichtssprache ist deutsch und nicht gesungen!«, so die türenschlagende Erklärung eines Rechtshüters, der gar nicht wußte, was er damit alles sagte.
Aber selbst dann, wenn er sich engagiert, und das hat er in der Friedens- und Umweltbewegung immer wieder getan, bleibt er Künstler. Vor zwei Jahren, als er sich um das Bürgermeisteramt in Münsingen bewarb, hat er bei der Vorstellung der Kandidaten nicht geredet wie seine Mitbewerber, sondern eben gesungen. Nicht, daß er nichts zu sagen hätte, aber es ist die Musik, die ihn noch mehr als die Kunstfertigkeit des Textes oder die Botschaft einer Überzeugung interessiert. »Moher komma mir, mo na ganga mir?« (»Woher kommen wir, wohin gehen wir?«), diese monoton beschwörende Frage kann ihm in ständiger Wiederholung zum dunkel perlenden Klang eines Monochords schon genügen.
Als der fahrende Sänger in früheren Jahren unter einer seiner Rostlauben lag, um sie für der TÜV noch einmal zurechtzuschweißen, da lief ihm, wie er erzählt, immer das Wasser im Mund zusammen, wenn die zwei Stücke Blech mit dem Schweißdraht richtig verschmolzen. So ist es auch mit Zukunft und Vergangenheit in jenem Liedtext, so ist es bis heute mit den zwei Elementen Text und Musik, die zusammen etwas Drittes ergeben oder eben durch dieses Dritte ineinander aufgehen, und so ist es auch mit ihm und seinem Publikum. Es muß verschmelzen, dafür gibt er sich ganz, und wenn die richtige Temperatur erreicht ist, so kann es zu Höhepunkten führen.
So gut dieser Mann seine Instrumente spielt die Drehleier war es, die ihn nach Klavier und Gitarre am meisten behext hat und die er in Kursen bei dem französischen Meister Valentin Clastrier beherrschen lernte , so wenig interessiert ihn die Virtuosität an sich. Die Aura um Sänger und Lied, so sagt er, das sei es. Da ist etwas Zerbrechliches gemeint, was jederzeit mit Absturz droht, wenn ihm nicht volle Energie und Präsenz gewidmet wird. Er hat etwas von einem Schamanen, wenn er singt, einem Schamanen allerdings, der mit einem Pietisten zu einer Allianz aus Heide und Christ verschmolzen ist. Ohne religiös-spirituell Quellen im Hintergrund wäre die magische Wucht in seinen Liedern, die extatische Hingabe an noch die unscheinbarsten Aspekte des Alltagslebens im Lande, gar nicht zu verstehen. »Schwäbische Vesper« heißt ein abendfüllendes Hauptwerk der letzten Jahre, in dem die Kleinform des Liedes durch Sammlung nach dem umspannenden Zusammenhang der großen Idee gegriffen hat, in der doppelten Bedeutung des Wortes »Vesper« zwischen Brotzeit und Gottesdienst, schwäbisch auf überirdisch.
Thomas Felder ist der Sohn eines württembergischen Pfarrers, der den kleinen Thomas im Klavierspiel unterwies, indem er seine Hände mit Zeitungspapier abdeckte und ihn die strengen Sätze der lutherischen Choräle ertasten ließ, ohne woanders hin als auf die Noten zu gucken. Als Schüler begeisterte er sich für Folkmusik, wie man sich eben als Halbwüchsiger durch etwas vergleichsweise fremd-Rebellisches abnabelt, und schon als Sechzehnjähriger hatte er ein Konzertrepertoire beieinander. Was wäre die Laufbahn von ihm und vielen anderen ohne das Primärpublikum auf Schulfesten und die Anregungen aufgeschlossener Musiklehrer! Bei Thomas lud so ein Lehrer Albert Mangelsdorf und Manfred Schoof in die Aula des lnternats ein, und so wurde der Jazz in den musikalischen Kosmos des Schülers eingespeist. Ein Schlüsselerlebnis war der Auftritt eines berühmten englischen Songwriters, dem er bei einem Schulkonzert auf die Finger sah und bemerkte: Der spielt ja das gleiche G-Dur wie ich! Ein Spötter hätte es leicht, festzustellen, daß die großen Folkloristen und Liedermacher die Freundlichkeit besaßen, den Nachwuchs ihrer Kunst durch musikalische Simplizität zu ermutigen, wenn da nicht noch etwas anderes dazukäme, was eben nicht so einfach ist.
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