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Die Gatter-Kolumne

...zum aktuellen Jubelirium 150 x 48 in großer Zahl Faltblätter, Resolutionen und Prospekte über meinen Schreibtisch. Erkaltete Zorneslohe & gewesene Empörung verlocken zu bierfeuchtem Beisammensein, was zu verschärftem Sangesschaffen anregt. Wie Sergio Vesely auf seiner wunderschönen, fast bitteren CD von Heine zitiert: »Der Knecht singt gern ein Freiheitslied / des Abends in der Schänke / das fördert die Verdauungskraft / und würzet die Getränke.« Guinness-Wettstreit liegt da keineswegs fern, und die superlativste Gedenkshow mit revolutionärem Weinwanderweg, aufmüpfigen Turnfesten, Schülerpreisausschreiben, Denkmalsbegehungen und vielhundertblättrigem Vortragsprogramm bot Baden-Württemberg. Deren Gipfel- und Schwerpunkt war die kulturstiftig-innenministerial geförderte Landesgartenschau im Karlsruher Schloß, die sich heimelig & detailverliebt um Friedrich Hecker, Friedrich Hecker und Friedrich Hecker drehte. Doch gab es Sehenswerteres am Rande: z.B. die mit raren Zensurakten und Flugschriften bestückte Expo zum vormärzlichen Presse- und Zensurwesen im Museum für Literatur am Oberrhein und die Revue Emma H. oder vom Traum der deutschen Republik von Michail Krausnick im Badischen Staatstheater. Empfehlenswert auch Krausnicks »biographische Skizze« – in Wahrheit eine sehr gediegene Forschungsarbeit – zur vielgeschmähten Witwe des Dichters Georg Herwegh. Das Dichtermuseum und Herwegh-Archiv im schweizerischen Liestal (Baselbiet) ließ 1848 in »Wirtshaus, Hinterzimmer und Salon« aufleben. Der Stifter des Archivs und Sohn der jüdischen Bankierstochter und Geigenvirtuose Marcel Herwegh widmete sein letztes Buch übrigens Mussolini, wer hätte das gedacht!

Eine jiddische Herwegh-Adaption (das Arbeitervereins-Bundeslied, ursprünglich von Hans von Bülow vertont) hat der unermüdliche Sammler und Interpret Daniel Kempin entdeckt.

Auch Rheinland-Pfalz ließ sich nicht lumpen, etwa mit einer neuen Schloßausstellung in Hambach (bis 7.1.), einem Disput ebendort (10.10.) und der Trierer Ausstellung mit dem feinsinnigen Titel Der schlimmste Punkt in der Provinz (bis April 1999). Wie Lothar Gall die Paulskirchen-Ausstellung Aufbruch zur Freiheit in der Schirn zu Frankfurt/Main den Völkerfrühling schwarzrotgold einnebeln und in eine Euro-Huldigung münden ließ, hat Walter Boehlich in der Frankfurter Rundschau beklagt.

Offiziöse Revolutions-Andenkenpflege ließ die Bundeszentrale für politische Bildung durch Wolfgang J. Mommsen besorgen, der – man höre und staune – Freiligrath dem Junges Deutschland zuschlägt. Im Rheinland ließ der DGB auf Melaten die verfallene Grabstätte Andreas Gottschalks restaurieren, seines Zeichens Armenarzt und Vorsitzender des Kölner Arbeiter-Vereins (gest. 1849). Bei diversen Festakten spielte hier Rolly Brings u. a. sein multimedia-gestütztes 32strophiges Vörmäz-Lied, nichtendenwollend wie die Knechtschaft selbst, immerhin auch ein militant knappes, eingekölscht vertontes Marx-Flugblatt.

Soviel zur Provinz – und wo bleibt die Hauptstadt? Die Räwjoluhschn-Love-Parade und den Platz des 18. März, keine Brandenburger Torheit, sondern fixe Idee eines Hamburger Zujereisten namens Volker Schröder, wird es nicht geben, dafür brachte seine Bürgerinitiative manch’ wendeweggehangene Barrikaden-Gedenktafel wieder an. Zur Feier der jüdischen Märzgefallenen (die nicht im christlichen Friedrichshain begraben wurden) spielte am März das Duo Grenzgänger preisgekrönte Auswandererlieder.

Überhaupt tragen nur die allerwenigsten Songs den Jahrgangsstempel 1848 zu Recht, die meisten Texte (zu oft unbekannter oder »trad.«-Melodie) stammen aus Vor- oder Nachmärz. Die um zwei unbekannte Biermanns (Trotz alledem, 48er-Version des Bürgerlieds) bereicherte Anthologie des um historische Genauigkeit bemühten Deutsche Volksliedarchivs bietet ein gutkommentiertes Beiheft, während sich die (humorvollere) Leipzig-Session auch als heiteres Musikantenrätsel auffassen läßt: Wann singt denn nun, »oh des Glücks«, Überraschungsgast J.-P. Wollenberg?

Weitere Querschnitte – gegen Überlappungen keine Gewähr – bieten markerschütternd-trutzig D’Grölfiäßler sowie Wacholder, die ihre Namensgeber-Früchtchen zum 20. Bühnenweihfest im Plastiksteg eingeschweißt mitliefern (»harntreibender Nacktsamer« gehört auf die igittibäh-Liste).

Was fehlt noch im CD-Angebot: die bei Thorofon angekündigten, digital remasterten Freiheits-Classicals von Peter Rohland, das Forty-eight-crash-Programm von Stefan Körbel, und das einzige mir bekannt gewordene neue, 1848 thematisierende Laß doch die Toten ruh’n des Hallenser Liedermachers Paul Bartsch. Eignete sich das denn nicht schon für die in der Festung Rastatt (Ausstellung 13. 5. bis 12. 9. 1999!) und anderswo geplanten Reaktions-Einkehrtage...?

Nikolaus Gatter


Mehr Gatter im nächsten Folker!