back Marie Boine

Modernismen aus der Kraft der Tradition

Spricht man über Minderheiten, so fallen einem die Saami oder Lappen meist ganz zum Schluß ein. Sie sind beinahe eine vergessen Volksgruppe im ach so aufgeklärten Europa. Außerdem kämpfen sie weder mit Bomben um ihre politische und kulturelle Selbstbestimmung, noch versuchen sie, gegen die jeweiligen Regierungen zu putschen und Folterungen von Regimegegnern sind uns aus dem hohen Norden auch nicht bekannt. Aber was ist uns denn überhaupt von den Saami bekannt? Den meisten nur die Musik einer Sängerin: Marie Boine. Gerade wurde ihr neues Album »Room of worship« veröffentlicht.

Thorsten Bednarz traf die Sängerin zum Interview.

Marie BoineMarie Boine: Saamiland kennen die meisten in Europa wohl eher als Lappland und das ist in vier Teile geteilt, die zu vier Ländern gehören: Finnland, Schweden, Norwegen und Rußland. Vor ungefähr 20 Jahren begann ich, Musik zu spielen. Anfangs sang ich noch Balladen, Rock- und Popsongs, aber schon damals waren die Texte sehr wichtig. Ich sang sehr politische Lieder, denn ich wollte über die Situation meines Volkes schreiben. Ich wollte über seine Geschichte schreiben, wie es unterdrückt wird, welche Konsequenzen das für mein Volk hat.

Wie sieht es mit der kulturellen Identität aus, mit der traditionellen Lebensweise?

Marie Boine: Ich glaube, wir leben immer stärker als Skandinavier, leben immer mehr »westlicher«. Diejenigen, die noch immer traditionell leben, haben es immer schwerer. Das Land ist geteilt und da müssen Gesetze von vier verschiedenen Ländern befolgt werden. Die Rentierzüchter meines Volkes brauchen große Gebiete, wohin die Herden ziehen können und allein das ist sehr schwierig. Die Natur wurde zerstört, Rohstoffe werden ausgebeutet, Kraftwerke gebaut und die Regierungen fragen die Saami niemals, wie sie es denn wollen. Alles wird im Süden entschieden. Auch die Tschernobyl-Katastrophe hat den Süden des Saamilandes stark in Mitleidenschaft gezogen.

Du hattest ja auch große Schwierigkeiten, überhaupt die Sprache Deines Volkes zu lernen?

Marie BoineMarie Boine: Als ich aufwuchs, sprach ich meine Sprache überhaupt nicht. Der Schulunterricht fand in skandinavischer Sprache statt. An einigen Orten wurden die Kinder in Internate geschickt, sie waren gerade 7 Jahre alt, und die einzige Sprache, die sie konnten, war Saami. Sie wurden aber gezwungen, norwegisch zu lernen, denn Saami war dort verboten. So lernten wir niemals, unsere eigene Sprache zu lesen und zu schreiben. Als ich dann 24 Jahre war, arbeitete ich als Lehrerin, was ich heute nicht mehr tue, aber als Lehrer durfte man um die Erlaubnis bitten, die Saami-Sprache zu erlernen. Dieses Studium wurde sogar ein Jahr lang bezahlt, aber im Gegenzug dafür mußte man sich verpflichten, mindestens fünf Jahre weiterhin als Lehrer zu arbeiten. Ich habe also dieses Jahr in Anspruch genommen, sie haben mich bezahlt, aber nachdem ich meine Sprache studiert hatte, begann ich, mehr und mehr Songs zu schreiben. Ich entschied mich, mich ganz der Musik zu widmen, und verließ die Schule. Also sollte ich dieses Studium selbst bezahlen. Ich betrachtete das als eine politische Frage, denn ich denke, die norwegische Regierung hat da eine Verpflichtung. Sie hat uns etwas genommen und jetzt sieht es ganz so aus, als hätten wir für ihre Fehler zu zahlen.


Mehr über Marie Boine im Folker! 6/98