back Die besondere CD

Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder vier CDs, die aus der Masse herausragen:

England ELIZA CARTHY --> Red Rice
Liedermacher THOMAS FELDER --> Bewegnung
Weltmusik TRIO GRANDE --> Pilo Pao


Die Besondere – England

Eliza Carthy - Red RiceELIZA CARTHY

Red Rice

(Topic Records/FMS TSDCD2001)
2 CDs, 24 Tracks; 110:46

Die junge, zierliche Frau mit den berühmten Eltern (Martin Carthy und Norma Waterson) ist schlicht die Nachwuchshoffnung der englischen Folkszene. Diese Bürde trägt sie mit bewunderswerter Leichtigkeit. Wie sonst wäre ein 2-CD-Projekt zu erklären, das schon arriviertere Künstler zum kreativen Offenbarungseid gezwungen hat, der gepiercten Dame jedoch keine Probleme bereitet.

Unterstützt von weiteren jungen Menschen mit berühmten Folkeltern (Saul Rose, Barnaby Stradling, Olly Knight, Eleanor Waterson) hat sie zwei ziemlich unterschiedliche CDs produziert, die Eliza Carthys Gesang und Fiddlespiel als Konstante haben. »Red« ist die modernere Variante. Schlagzeug und besonders Bass sind sehr prominent zu hören. Satte Grooves und deutliche Dubbing-Einflüsse machen deutlich, daß Eliza Carthy von MTV bis zum kleinen Folkclub alles spielen kann (und bereits gespielt hat).Den Unterschied zwischen den vier eigenen und sechs traditionellen Stücken erkennt man nur durch einen Blick ins Beiheft. Das Spektrum reicht von »10.000 Miles« (Motto: »Das hab' ich doch schon mal irgendwo gehört«) bis zum Titelstück (Motto: Dub in Reinkultur).

»Rice« ist dann, um im Bild zu bleiben, eher in Richtung Folkclub angesiedelt, ohne allerdings weniger modern zu klingen. Schlagzeug und Bass haben Pause, Akkordeon und Gitarre stehen neben dem eigenwilligen Fiddlespiel im Vordergrund. Das Material besteht hauptsächlich aus »trad.arr.« und »E. Carthy«. Das Resultat klingt so, wie der wunderschöne Ort an der Nordostküste Englands aussieht, wo sich das Aufnahmestudio befindet, nämlich in Robin Hood's Bay. Mein Favorit unter vielen tollen Stücken ist der gesangsorientierte »Herring Song«.

Der einzige Kritikpunkt hat nichts mit Musik zu tun: Warum zwei separate Plastikboxen in einem Pappschuber, wenn es für Doppel-CDs heute ökonomisch und ökologisch viel elegantere Lösungen gibt? 22 Jahre ist Eliza alt, und neben der Solokarrie musiziert sie mit Mutter und Vater ebenso wie mit der Band »The Kings of Calicutt». Wetten, daß Langeweile für das begnadete Multitalent ein Fremdwort ist?

Mike Kamp


Die Besondere – Liedermacher

Thomas Felder - BewegnungTHOMAS FELDER

Bewegnung

(Thomas Felder Musik&Wort CD TF 1000)
14 Track, 53:09; mit Texten

Mundartpoet, Lyriker, Klavier-, Gitarren- und Drehleiervirtuose, Kehlkopfathleth, Dadaist, Jodler, Sprachmusiker, Chansonnier, Volkssänger, Protestsänger, Philosoph, Anarchist..., dies alles ist Thomas Felder seit über 20 Jahren, dies alles ist er in all den Jahren mit gleichbleibender Qualität. Man greife sich willkürlich eine der inzwischen 10 Langspielplatten, wähle ein politisches, gesellschaftskritisches oder Liebeslied – man wird nimmer ein Stück minderer Qualität finden. Und welcher deutsche Sänger singt (nicht nur) Liebeslieder so zärtlich, so intim und ehrlich, so nachfühl- und nachspürbar wie Felder?

Egal, was er macht, der Reutlinger überzeugt immer, ob als Sänger oder als Instrumentalist, – und dies in der schwersten, weil auf wenige wesentliche Instrumente beschränkten Form, immer in kleiner, fast schon exhibitionistisch entblößter Besetzung: Gitarre, Klavier, Gesang – das reicht. Dabei beeindruckt immer wieder, zu welchen Klanggemälden Felder mit einfachsten Mitteln fähig ist, nach dem unkonventionellen Einsatz der Drehleier auf früheren Alben diesmal mit einem Monochord! In seiner langen Karriere hat Felder stets ein gutes Händchen gehabt, wenn es darum ging, kongeniale Mitmusiker zu finden, auf der neuen CD beeindruckt Bassist Horst Goetz.

Hin und wieder überarbeitet und aktualisiert Felder seine Stücke, auf »Sinnflut« (aus dem Jahre 1991) z.B. findet man eine Neuauflage des Titelstücks seiner gleichnamigen 2. LP »Bis jeder vom andern die Heiterkeit kennt« aus dem Jahre 1978. Für die neue CD recycelte er »Ein Leberkäs im Fahrstuhl zur Ewigkeit«, und beweist damit ganz beiläufig, wie zeitlos seine Lieder sind.

Aber irgendwas macht er trotzdem falsch, der gute Thomas Felder. Warum sonst ist er immer noch nur einer zwar stetig wachsenden, aber immer noch viel zu kleinen Fangemeinde bekannt?

Ulrich Joosten


Die Besondere – Weltmusik

TRIO GRANDE - Pilo PaoTRIO GRANDE

Pilo Pao

(Löwenzahn / heideck HD 985)
13 Tracks, 53:11

Da schau einer an! Das Quartett mit dem irreführenden Namen mausert sich im Verlaufe von nur drei CDs von einer anfangs recht »braven« Bordungruppe mit Hang für leicht schräge Arrangements zu einer international vorzeigbaren Weltmusikgruppe allererster Güte. Dies ist sicher dem Einfluß des auf afrikanische und arabische Percussion spezialisierten neuen Bandmitgliedes Peter Löber (Djembe, Darabuka, Dundun, Sangba, Kenkeni, Maracas, Balafon, Glöckchen, Sahkers, Vibraslap) zu verdanken, aber auch den Gastmusikern, Löbers afrikanischer Ehefrau Amie Löber-Jammeh (Gesang) sowie Yussupah Kuyateh (Kora, Gesang), die für eine afrikanische Färbung der Musik sorgen.

Gemeinsam mit Silke Reichmann (Drehleier, Querflöte, Chor), Hans Albert Lang (Drehleier, Akkordeon, Chor) und Wolfram Zimmermann (Gitarre, Bouzouki, Mandolinbe, Mandocello, Chor) ensteht etwas völlig Neues: hypnotische, elektrisierend-pulsierende Musik, frei und meditativ, mitreißend und beglückend. Kompliziert und sophisticated mit vertrackten Melodieführungen arrangiert, oft leicht jazzy, doch immer erkennbar Folk- und Weltmusikstrukturen verbunden. Vielfach klingt dies überraschend für den Hörer, der, eben noch einem vermeintlich afrikanischen oder arabischen Stück lauschend, verblüfft feststellen muß, daß Titel und Melodiefluß eine in europäischen Folkmusikschemata fußende Struktur aufweist, Mazurka und Valse immer wieder durchschimmern. Schön, daß bei Trio Grande die Klangeffekte und Soundfärbungen noch »handgemacht« sind und nicht durch Effektgeräte generiert werden. Dies und auch die Tatsache, daß sich die Kompositionen von Reichmann, Lang und Zimmermann nahtlos neben Kompositionen des großen Ali Farka Toure (»N' Timbara«) oder die Bearbeitung eines Stückes aus der Mogolei (»Das weite Land«) einfügen, spricht für instrumentales Können und kompositorische Qualitäten der Musiker.

Schade, daß sich zu den afrikanischen Gesängen keine Übersetzung oder zumindest eine Inhaltsangabe im schön gestalteten Pappklappcover findet. Gern hätte man mehr über den Hintergrund/Inhalt dieser Stücke erfahren.

Ulrich Joosten



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