back Die besondere CD

Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder vier CDs, die aus der Masse herausragen:

Deutschfolk DIVERSE --> Leipziger FolkSessions Vol. I – 18 aus 48:
Das Beste von der Barrikade
Frauenpower DIVERSE --> Holding up Half the Sky –
Women's Voices from around the World
Weltmusik DIVERSE --> Hommage à Nusrat Fateh Ali Khan
Australien RICHARD WALLEY --> Aboriginal Didgeridoo Music


Die Besondere – Deutschfolk

DIVERSE

Leipziger FolkSessions Vol. I – 18 aus 48: Das Beste von der Barrikade

(Loewenzahn HeiDeck HD 98-3)
18 Tracks, 57:24; mit Infos

Man wollte einfach mal wieder ein paar Volkslieder singen und in einer lockeren Runde Leipziger Musiker in einer Art Session zusammen eine CD einspielen. »Keine überzogene Rafinesse – Spontaneität war angesagt«, heißt es im Infotext.

CD-CoverEin Understatement, das durch die Musik Lügen gestraft wird. Wie oft haben wir uns gewünscht, die Gruppe Folkländer noch einmal in der Originalbesetzung jener legendären Langrille »...wenn man fragt, wer hat´s getan« (die inzwischen dankenswerterweise wieder auf CD wiederveröffentlicht wurde) zu hören. Allein, Sänger Jürgen B. Wolff war bisher mit dem Duo Sonnenschirm ausgelastet und der Rest der Truppe firmiert inzwischen nach personellen Wechseln unter dem Namen Bierfiedler überwiegend als Folkstanzband.

Nun spielen auf der vorliegenden CD zwar auch nur drei ehemalige Mitlieder der Originalbesetzung mit, aber neben Ulrich Doberenz (Kontrabaß) und Manne Wagenbreth (Mandoline, Bouzouki, Mundharmonika, Gesang) eben auch Jürgen B. Wolff (Gitarre, Sologesang), dessen unverwechselbare, leicht brüchige Stimme und unnachahmliche Art der Interpretation den Volksliedern das Gütesiegel der »Ostfolk«-Prägung verleihen und die CD »18 aus 48« beinahe wie eine »original«-Folkländer-Platte klingen läßt. Natürlich machte seine Stimme allein nicht jenen Zauber aus, natürlich haben auch die swingend-leichtfüßigen und schräg-skurrilen Arrangements einen großen Teil dazu beigetragen, die voller Spielfreude in teils abenteuerlichen Kombinationen eingesetzen Instrumente nicht minder. Diese Qualitäten findet man hier wieder, nachdem sich den genannten »Alt«meistern eine junge Generation von Musikern zugesellt, die natürlich noch mehr Einflüsse aus moderner europäischer Folkmusik und aus der Welt- und Popmusik einbringen und die Arrangements klingen lassen, wie Folkländer nach einer Frischzellenkur. Allen voran die Uhlmann-Brothers Andreas (Posaunen, Flöten, Schalmei, Maultrommel) und Johannes (Knopfakkordeon, Geige) samt Cousin Till (Drehleier, Geige), zusätzlich vermerkt das Cover so klingende Namen wie Conny Plänitz (Geige), Anne-Kathrin Siegel (Gesang), Uwe Sterzik (Gesang), Dirk Wasmund (Saxofon, Klarinette), Jörg Wolf (Violoncello), Jens-Paul Wollenberg (Gesang) und Eduard Funkner (Balalaika).

Wen wundert´s, daß selbst so vielfach eingespielte Lieder wie »Das Bürgerlied«, »Die freie Republik«, »Das Blutgericht«, das »Badische Wiegenlied« oder »Trotz alledem« frischer und unverbrauchter klingen als die meisten anderen Interpretationen, die man kennt. Moderne deutsche Folkmusik eben, man möchte fast hinzusetzen: Endlich wieder.

Und der dezente Hinweis auf dem Cover, daß es sich um »Vol. I.« handelt, läßt die Hoffnung zu, daß die Rufe jener erhört werden könnten, die nach »meeehr, meeehr, meeehr« lechzen werden.

Ulrich Joosten


Die Besondere – Frauenpower

DIVERSE

Holding up Half the Sky – Women's Voices from around the World

(Shanachie / Koch International 6100)
4 CDs; 58 Tracks, 262:55; mit Infos

CD-CoverSängerinnen, ausschließlich Sängerinnen (und ihre Bands) in einer Geschenkbox mit vier CDs, die auch einzeln erschienen und zu erwerben sind, aber als Box zum Sonderpreis angeboten werden. Jede CD ist thematisch in sich abgeschlossen. Zu kritisieren gibt es herzlich wenig. Der einzige entsprechende Punkt, der mir sofort auffiel, nämlich das Fehlen der Frauenstimmen aus wichtigen Kontinenten (z.B. Südamerika) oder Regionen (z.B. Balkan), kann durch den Untertitel des Projektes entkräftet werden. Der Anspruch auf weltweite Vollständigkeit wird erst gar nicht erhoben.

Die erfreulichen Aspekte sind zahlreich. So liegt selbst in der beschränkten geographischen Auswahl eine enorme Vielfalt. Das kommt nicht zuletzt daher, daß besonders die Damen aus Asien und Afrika neben der heimischen Musik explizit modernen Elementen gegenüber sehr aufgeschlossen sind. Und es liegt daran, daß die Plattenfirma sich nicht auf ihren eigenen, umfangreichen Katalog beschränkt (selbst im keltischen Bereich, wo Shanachie besonders aktiv ist, stammen acht von 15 Titel von der ‘Konkurrenz’), sondern die Künstlerinnen an ihren Meriten und ihrem Stellenwert mißt. Viele Namen dürften zumindest den Interessierten bekannt sein. Als Beispiele der einzelnen CDs können gelten: Asien (Yungchen Lhamo/Tibet, Nasida Ria/Indonesien), Afrika (Angelique Kidjo/Benin, Stella Chiswese/Zimbabwe), Jamaica bzw. Reggae (Rita Marley oder Marcia Griffiths oder Judy Mowatt oder ihre Band I Threes) sowie Celtic (Dolores Keane/Irland, Karen Matheson/Schottland). Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Alle Songs sind bereits anderweitig veröffentlicht worden. Die Stärke der vier CDs liegt in der zusammenfassenden Übersicht über oder Referenz für ein mehr oder weniger eng definiertes Gebiet. Die ältesten Aufnahmen stammen von den Reggae-Frauen (Jamaica der 70er Jahre), meistens handelt es sich um Veröffentlichungen aus den letzten 10 Jahren.

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß Stimmen (und zwar ganz speziell Frauenstimmen) die faszinierendste Musik erzeugen, diese CD-Box tritt ihn überzeugend an!

Mike Kamp


Die Besondere – Weltmusik

DIVERSE

Hommage à Nusrat Fateh Ali Khan

(Network 29.921)
2 CD, 15 Tracks, 137:11; Hochformat, 32-S.-Booklet, mit Textübersetzungen, Infos und Fotos

CD-CoverAch, es war schon niedlich, mitanhören zu müssen, wieviele prominente U- und E-Schleimerchen den Tod des großen Qawwali-Sängers als persönlichen Verlust betrauerten, ohne daß man deren Musik in der Vergangenheit auch nur das Geringste davon hätte anhören können.

Umso schöner, daß die Netzwerker Schulze & Trouillet jetzt einen Sampler vorlegen können, auf dem fast vier Dutzend KünstlerInnen, deren Trauer wohl kaum medienkompatibel zu verwursten gewesen wäre, eine 14-teilige Hommage an den ‘König der Könige’ des Qawwali eingespielt haben. Mit dabei waren (in order of appearance): Sheikh Hamza Shakkûr (Syrien), Alim Qasimov (Aserbeidschan), Munadjat Yulchieva (Usbekistan), Sharam Nazeri & Ensemble Dastan (Iran), Cheikh Lô (Senegal), Abida Parveen, Shafqat Ali Khan, Mehr & Sher Ali (Pakistan), The Mallik Family (Indien), Ferganah Qasimova (Aserbeidschan), Kamkar Ensemble (Iran), Salamat Ali Khan, Asif Ali Khan (Pakistan). Alle beteiligten KünstlerInnen bedienten sich aus dem großen Fundus traditioneller und zeitgenössischer Sufi-Lyrik, fügten eigene Textzeilen hinzu, in denen sie Trauer und Schmerz, aber auch ihre Liebe und tiefe Verehrung für Nusrat Fateh Ali Khan bekundeten, und kleideten die neugewonnenen Texte in ihren persönlichen regionalen Musik-Kontext ein. So entstand ein faszinierendes Panorama verschiedener Interpretationsansätze des Qawwali: von den ‘originalen’ der KünstlerInnen des Subkontinents, über die eher kargen der Anrainerstaaten im Norden und Westen, bis hin zu den perkussiv dominierten des afrikanischen Kontinents.

Fazit: Wäre der Anlaß für diese Kompilation nicht ein trauriger gewesen, so hätte diese DoCD auch als Vol.2 der brillanten Network-Anthologie »Sufi Soul« durchgehen können. So ist die »Hommage à Nusrat Fateh Ali Khan« stattdessen eine musikalische Trauerarbeit geworden. Jedoch entstand hier kein vorschnell und halbherzig auf den Markt gepresstes ‘Tribute’-Album, sondern eine liebevoll und sorgfältig edierte Huldigung an einen großen Sänger. So möchte ich abschließend auch nur auf zwei der fünfzehn Musikperlen besonders hinweisen: Da ist zum einen das bewegende »Taraana«, gesungen von Nusrats großem Vorbild Salamat Ali Khan. Und auch der Betrauerte ist mit einem wundervollen Stück zu hören: »Na ruk te hai aansoo (Love has no destination)«, ein viertelstündiger musikalischer Flug zu den Sternen.

Walter Bast

(P.S.: Den Nebensatz zum Ende des ersten Absatzes hin verdanke ich dem famosen Kollegen Wiglaf Droste und seinem Text »Deutsche Dogge«. – Man will ja nix klauen...)


Die Besondere – Australien

RICHARD WALLEY

Aboriginal Didgeridoo Music

CD-CoverBilya; 11 Tracks, 42:00
Kooyar; 10 Tracks, 40:14
Yoowintj; 12 Tracks, 42:01
Waitch; 7 Tracks, 42:29
Carda; 12 Tracks, 50:43
Boolong; 13 Tracks, 54:24

(Mariposa/Trubach, MPCD 3013-3017)
mit Info-Booklets in Englisch

Wer sich dem Klischee hingibt und Australien musikalisch mit dem Didgeridoo gleichsetzt, bekommt mit dieser Serie gut 4 1/2 Stunden lang Argumente, sein Vorurteil zu belegen.

Richard Walley, ein Aborigine aus dem Südwesten, der die Kultur seines Nyoongar-Volkes mit Theaterprojekten (Middar Aboriginal Theatre) mehr als 10 Millionen Menschen näherbrachte und dafür mehrfach ausgezeichnet wurde, hat mit dieser Serie einen akustischen Didgeridoo-Brockhaus geschaffen. Für ein Projekt aus hohlem Bauch – pardon, Baum – keine schlechte Sache. Denn das Didg, wie Insider ihr Lieblingsinstrument streichelnd abkürzen, ist nichts anderes als ein von Termiten ausgehöhlter Bambus- oder Baumstamm, gut einen Meter lang. Ganz neu ist die Soundröhre auch nicht, wie 9.000 Jahre alte Höhlenmalereien belegen. Die Spannweite der Ausdrucksmöglichkeiten ist indes beachtlich: Vom Lispeln der Lämmer bis zum Reißen der Rottweiler ist alles möglich. Wozu aber mußte Richard Walley gleich eine so überlange Didg-Strecke abliefern? Hätten es nicht 60 Minuten auch getan? Die Antwort findet nur derjenige, der sich tatsächlich viereinhalb Stunden Zeit nimmt – und dann möglicherweise als Fan aus dem Marathon hervorgeht. Der Grund dafür ist sicher in der erwähnten Wandlungsfähigkeit des Didgeridoo gegeben – bezeichnenderweise heißt es in der Sprache der Nyoongar »Sprechender Stab«. Doch auch der Aufbau der 6 CDs ist sehr geschickt gewählt. Wie in einem Kursus wird man in die Grundrechenarten des Dauergebläses eingeführt, bevor es in die infinitesimalen Ebenen geht. Röhrenhören pur, bis einem die Luft oder Lust ausgeht. Nebenbei spiegelt die Diversität der Musik auch die unterschiedlichen Kulturen der Aborigines wider, eine Vielfalt, die durch die massiven Verfolgungen nahezu verschwunden war. Walley, der Aborigine-Kultur und Literatur an der Edith-Vowan-Universität lehrt und neben dem Didg auch für Gesang, Sticks und Bumerang (!) verantwortlich zeichnet, hat dem Didgeridoo mit dieser Serie ein Denkmal gesetzt.

Luigi Lauer


Mehr CD-Rezensionen im Folker! 5/98