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Bluegrass in Europa

von Paolo R. Dettwiler

So oder ähnlich tönt es seit gut einem Jahr in der europäischen Bluegrass-Szene. Bis die Gräben endgüItig zugeschüttet sein werden, bis in John DuffeyEuropa alle am gleichen Strick für die Sache der Bluegrassmusik ziehen werden, dauert es wohl noch Jahre. Aber endlich gibt's Licht am Ende des Tunnels.

Bluegrass in Europa ist eine seltsame Sache. Viele tausend geographische
und kulturelle Kilometer von Rosine, Kentucky - Geburtsort des Vaters der Bluegrass-Musik, Bill Monroe - entfernt erfreut sich diese eigentümliche Musikart seit Jahren steigender Beliebtheit.

Bill Monroe & His Bluegrass Boys Stilistisch oft als Folkmusik im Overdrive bezeichnet, historisch klar eine Stilart der Country-Musik, spielt das Erbe europäischer Volksmusiken eine wichtige Rolle. Die repetitiven Klänge der Fiddletunes iro-schottischer Einwanderer, italienische Mandolinenweisen, aber auch die sehnsüchtigen Balladen englischer Immigranten sind erkennbare Bestandteile des Bluegrass. Obwohl von Beginn weg, also seit spätestens Mitte der vierziger Jahre, eine kommerzielle Musik - Monroe wollte immer ein Star sein und Geld verdienen -, hat Bluegrass seit den unhistorischen Auswüchsen der US-amerikanischen Folkbewegung Ende der fünfziger Jahre den Touch einer angeblich reinen, über Jahrhunderte hinweg in den verlassenen Bergtälern und Landstrichen der Appalachen quasi autochthon entstandenen Mwsikart. Dem ist nicht so, wie beispielsweise Neil V. Rosenberg in seinem umfassenden Werk zum Thema zeigt.

Aber dieses Bild von der Bluegrass-Musik war es, welches den europäischen Folkies später behagte und viele Jahre lang bewußt und unbewußt die Musik prägte. Dabei hatten einige schweizer und deutsche Musikfans schon vor Ende des 2. Weltkrieges die Hillbilly-Sendungen (die generische Bezeichnung Country-Musik kam erst später auf) der AFN-Sender gehört und dort auch Gefallen an den urtümlichen Klängen von Bill Monroe und seiner Imitatoren gefunden. Aber diese erste Generation von Bluegrass-Interessenten, die es in wohl jedem europäischen Land gegeben haben dürfte, nahm Bluegrass als integralen Bestandteil der Country-Musik wahr. Tatsächlich wurde Bluegrass erst in den fünziger Jahren als eigener Stil defniert.

Das European Bluegrass Network

Als 1995 das erste Treffen der International Bluegrass Music Association (IBMA außerhalb der USA in Basel stattfand, konnte niemand ahnen, wie schnell daraus eine feste Institution werden würde. Bereits beim zweiten Meeting am 17. August 1996 in Guildtown. Schottland, wurde vom IBMA-Treffen 1996European Bluegrass Network (EBN) als eigenständigem Teil des Internationalen Komitees der IBMA gesprochen. Dieses Treffen anläßlich des Guildtown Bluegrass Festivals, getragen von der British Bluegrass Music Association, versammelte Fans, Musiker, Veranstalter, Agenturen usw. zu einem regen Gedankenaustausch und zur weiteren Planung des Vorgehens. Die Vorschläge und die Strategie der leitenden Personen - Paolo Dettwiler (Chair), Eric Hoogstad (Coordinator) und John Sheldon (Coordinator) - fanden Zustimmung.

Neben der Bildung eines Bluegrass-Netzwerkes in Europa, getragen durch nationalen Vertreter, stand das erstmals 1997 zu veröffentlichende European Bluegrass Directory zur Diskussion. Die europäischen Bluegrasser des EBN trafen sich im September 1996 auch in Owensboro, Kentucky, anläßlich der dortigen World of Bluegrass der IBMA. Als Nachfolgerin von John Sheldon im leitenden Gremium wurde die Tschechin Irena Pribylová bestimmt. Folgerichtig hat sich die europäische Bluegrass-Gemeinde am 23. August 1997 in der Nähe von Brno, Tschechien getroffen. In diesem Jahr wird sich das EBN in den Niederlanden versammeln.

Bluegrass in Deutschland

Wenn man überhaupt von einer Bluegrass-"Szene" sprechen kann, dann vor allem im süddeutschen Raum, zwischen München und Stuttgart. Teilweise auch über die Grenzen Europas hinaus bekannte Bands wie Matching Ties, Foreign Affairs, Helmut & The Hillbillies und Shady Mix kommen von dort. Eine weitere kleine Bluegrassinsel ist Berlin mit der Sieker Band, Bluegrass Breakdown und dem Hot String Quintett. Politisch bedingt hat sich in der ehemaligen DDR eine eigene kleine Bluegrass-Szene entwickelt. Von den fünf führenden Bands, die es schon vor der Wende gab, spielen alle noch oder wieder: Open Ohr (Schwerin), Bluegrass Ramblers, Country Tramp (beide Dresden), Mountain Music (Berlin) und die Fox Tower Bluegrass Band aus Jena, die im vergangenen Februar auf Revivaltour war. Old Number Seven ist eine weitere Gruppe aus Thüringen, die sich vor rund vier Jahren gegründet hat. Traurig sieht es beim Nachwuchs aus. Es gibt nur wenige junge Leute, die 5string Banjo, Mandoline oder Fiddle lernen wollen. Auch die Festivalsituation stellt sich nicht gerade rosig dar. Da gibt es im Juni das Bluegrass Festival in Güglingen und eine Woche vor Pfingsten das Internationale Bluegrass & Acoustic Country Music Festival in Radebeul im Rahmen der Karl-May-Tage. Dort haben u.a. schon gespielt: Lynn Morris Band, Kate MacKenzie Band (beide USA), Euro Grass (A,I,F) sowie Modrotisk und Katalog (bei CZ). Auch in diesem Jahr sind wieder Musiker und Bands aus den USA, Tschechien, Holland, England und Deutschland zu Gast.

Andy Glandt, deutsches Mitglied im European Bluegrass Network


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