back Die besondere CD

Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder fünf CDs, die aus der Masse herausragen:

Deutschland ADARO --> Stella Splendens
Skandinavien HANS W. BRIMI --> Hyljarliv
Klezmer JOEL RUBIN MUSIC ENSEMBLE --> Beregovski's Khasene
Schottland THE MICK WEST BAND --> right side o'the people
Irisch-Deutsch WHACKING SHlLLELAGHS --> Sending The Loons To Hades


Die Besondere – Deutschland

AdaroADARO

Stella Splendens

(Music Contact / FMS)
15 Tracks, 62:00; mit Infos

Der Erstling der Tübinger ist schon einige Monate auf dem Markt - und steht in der Verkaufsbestenliste von Old Songs New Songs auf Platz 2 des letzten Vierteljahres. Auch auf dem PROFOLK-Sampler 1997 ist Adaro zu hören. Ich selbst fand es spannend, die CD zu besprechen, zumal meine Erwartungen nach dem Vorab-Demo recht hoch waren.

Sieben Titel stammen aus den spanischen "Cantigas de Santa Maria" (13. Jh.), dazu vier Eigenkompositionen des Gitarristen Jürgen Troyz (in dessen Tonstudio auch produziert wurde), und die restlichen vier sind aus dem "Libre Vermell" (14. Jh.). Die CD ist variabel instrumentiert, jeder kommt zu seinen Soli. Das Grundrezept: interessante historische Melodien oder Eigenkompositionen mehrstimmig gesungen oder gespielt (Drehleier, Bombarde, Hümmelchen, Gaita, Flöten u.a.). Darunter moderne Grooves (Rock, Rap, Hiphop) und Keyboardflächen. Der Booklettext - ausschließlich in Englisch - Iäßt Ambitionen auf
den internationalen Markt ahnen. Schließlich ist die ganze Scheibe sehr glatt und perfekt - charttauglich ohne Probleme (Runrig hat es vorgemacht). Man bedient den Massengeschmack und Modetrends. Und so bin ich
bei dieser CD immer im Wechselbad der Gefühle. Drei Viertel finde ich ganz große Klasse, vor allem die Titel aus den "Cantigas" gefallen mir ausgezeichnet. Und dann kommen Stücke daiwischen, wo ich ganz schnell die Vorlauftaste des CD-Players suche. Oft sogar mitten in einem Stück. Das ist sicherlich eine Geschmacksfrage, anderen Hörern werden vielleicht gerade diese Kritikpunkte besonders zusagen. Die Hiphop- und Rap-Teile, ebenso wie der überzogene, nervende Gesang in Titel 4,6,9 und 10 gefallen mir nicht. Manchmal wird nur losgemetert wie eine stinkgewöhnliche Rockband. An einigen Stellen wird zu viel mit Effekten rumgespielt bzw. die E-Gitarren oder der Gesang sind zu vordergründig abgemischt. Sobald aber Christoph Pelgens historisches Instrumentarium zum Einsatz kommt und mit rockigen Grooves untersetzt wird, kommt Spannung und Tanzlaune auf - first class crossover. Meine Favoriten sind der Titelsong, vier der "Cantigas"-Tunes und "Tibetan Dharma Part II". In vielen Stücken gibt es Abschnitte, die man in einer Bandschleife aufgrund ihres Arrangements oder des tollen Klangs immer wieder anhören könnte. Mein Fazit: Es ist ein hochinteressanter Erstling von Adaro. Ich denke, sie sind auf dem Weg zu einem eigenen Stil, wobei sich die musikalische Spreu noch vom Weizen trennen wird. Und eine CD, die unterschiedliche Meinungen zuläßt bzw. Diskussionen herausfordert, ist allemal besser als ein Langweiler, der in der hintersten Schrankecke verstaubt.

Piet Pollack


Die Besondere – Skandinavien

Hans W. BrimiHANS W. BRIMI

Hyljarliv

(Grappa MCD 7125)
24 Tracks, 63:21; Beiheft mit Infos norweg./engl.

Ein feines Geburtstagsgeschenk ist diese CD - und zwar für Hans W. Brimi, der im Dezember '97 achtzig wurde, weshalb aus seinen fünfzehn früheren Tonträgern diese Kollektion zusammengestellt wurde. Die Aufnahmen stammen aus den Jahren 1957-89; doch auch die Einbeziehung von noch früheren Einspielungen wäre möglich gewesen, denn seinen ersten Radioauftritt hatte der junge Geiger bereits 1935 (zu einer Zeit, in der der Norwegische Rundfunk von Protestbriefen überschüttet wurde, wenn pro Woche mehr als eine halbe Stunde traditionelle Musik gesendet wurde.)

Hans W. Brimi, der aus Lom im Gudbrandsdal stammt (offenbar ein Geburtsort von Genies, Knut Hamsun z.B.) sah sich sein leben lang vor allem als Bauer, er wohnt noch heute auf dem elterlichen Hof, den inzwischen aber sein Sohn bewirtschaftet. Als Spielmann tätig war er nur dann, wenn er auf dem Hof abkömmlich war - und insofern sind die 15 LPs eine gewaltige Leistung. Ganz nebenbei hat er zeitweise an der Ole Bull-Akademie in der westnorwegischen Wurstmetropole Voss unterrichtet, er sprang dort für den zwischendurch verhindenen Sigbjørn Bernhoft Osa ein.

Auf der für diese CD getroffenen Auswahl Iäß er sich von profilierten Musikerlnnen begleiten: Der Liedermacher Geirr Lystrup spielt Gitarre, Jon Faukstad Akkordeon, Pernille Anker ist für Mundorgel und Begleitgesang zuständig, um nur einige zu nennen. Vertreten sind eigene Kompositionen des Jubilars, Stücke, die von älteren Spielleuten aus seiner Heimatregion stammen und wirkliche Fundstücke, wie ein "Norwegischer Rheinländer aus Amerika", die er auf einer Reise zu den Nachkommen norwegischer Auswanderer in Wisconsin gesammelt hat. Vertreten ist überdies so ungefähr alles: Springleik, Mazurka,
Marsch, Walzer, Polska und sogar ein Choral. Vieles eignet sich wunderbar zum Tanzen, alles zum Hören, und die CD gehört zweifellos zum Besten, was in letzter Zeit aus Skandinavien bei uns angelangt ist.

Gabriele Haefs


Die Besondere – Klezmer

JOEL RUBIN MUSIC ENSEMBLEJOEL RUBIN MUSIC ENSEMBLE

Beregovski's Khasene

(Schott Wergo SM 1614-2)
12 Titel, 74:07; Einführung u. ausführliche Titelbeschreibungen

"Deutschland ist das einzige Land, indem man von jüdischer Musik leben kann." Dies sagte einst der Musikethnologe und Klarinettist Rubin. Der Amerikaner lebt seit 1989 in Deutschland. Hier publizierte er schon eine Reihe von CD, vorwiegend mit osteuropäischer Musik, von hier aus beschäftigt er sich wissenschaftlich (Promotion über osteuropäische Instrumentalmusik) und in der Feldforschung. Wenn Joel Rubin Klarinette spielt, dann weiß er ganz genau, welche Techniken er warum einsetzt, wie dies zu welcher Zeit und wo gespielt wurde. Für seine Projekte sucht er regelmäßig Mitspieler mit authentischem Hintergrund, was ihre kulturelle Herkunft und ihren Musikstil betrifft. Diese CD nun spielte er mit ungarischen Musikern ein (und einem klassisch ausgebildeten Italiener), von denen sich der Zimbalspieler Kálmán Balogh spätestens beim Folkfest Rudolstadt auch einen eigenen Namen in Deutschland gemacht hat.

Der ukrainische Musiksammler Moyshe Beregovski hat in den 20er bis 40er Jahren Tausende Melodien in den damals auch in der Sowjetunion noch bestehenden jüdischen `shtetln' gesammelt. Beregovski war immerhin anerkannter Leiter hochrangiger Forschungszentren zur (sowjetisch-)jüdischen Kultur. Zur Zeit des Judenhassers Stalin verschollen diese Sammlungen, Beregovski verbrachte sogar einige Jahre im Gefängnis, wegen antisowjetischer Tätigkeit (womit seine Forschungen über die traditionelle jüdische Musik gemeint waren). Erst 1994 entdeckte man die Sammlung dort, wo Beregorski einst das größte Archiv jüdischer Musik verwaltet hat: in Kiew.

Beregovski hat wohl selber kaum noch aktive ukrainische Klezmer erlebt, weswegen seine Aufzeichnungen meist nur die reine Melodieführung enthalten, wenig über Verzierungen und Begleitung. Diese hat Rubin nach seinen Erkenntnissen und Erfahrungen wieder erschaffen.

Bei aller Virtuosität und Perfektion hat es mir bei Joel Rubin zumeist an der Ausstrahlung, am Charisma gefehlt (vielleicht ist der sich aufdrängende Vergleich zu Giora Feidman auch ein zu hoher Maßstab). Auf dieser CD hat Rubins Ensemble gezeigt, daß musikwissenschaftliche Arbeit Eleganz und musikalische Ausstrahlung nicht ausschließt.

Jürgen Brehme


Die Besondere – Schottland

THE MICK WEST BAND

right side o'the people

(KRL/Lochshore Records; CDLDL 1262)
13 Tracks, 56:07; mit Texten und Infos

Schon alleine die Version von Hamish Hendersons Lied "freedom come all ye", das bei den meisten Schotten als 'geheime Nationalhymne' gilt, ist es wert, mit diesem herausragenden Album seine CD-Sammlung um ein kleines Juwel zu bereichern. Mick West trägt die Schottlandhymne genauso gekonnt und ausdrucksstark vor wie die restlichen Lieder auf seinem neuen AIbum. "right side o'the people..." von der Mick West Band schließt sehr gut an Mick's Solo-Debutalbum "Fine Flowers and foolish Glances" an. Aufgrund des Erfolges der ersten Scheibe hat sich Mick, der schon seit vielen Jahren als Sänger in der schottischen Szene bekannt ist, nun eine eigene Band zusammengesucht, die voller musikalischer Frische und (Stil-)Vielfalt steckt.

Die Musik der Mick West Band ist aber trotz z.T. starken Einflüssen aus Jazz, Blues und Klassik tief in der schottischen Kultur verwurzelt. In der Band sind neben Mick (Gesang, Percussion) noch Brian Byrne (Piano, Keyboard), der neue fünfte "Old Blind Dog" Fraser Fifield (Whistle, Sax, Small Pipes) und Neil Cameron (Double Bass); als Gäste sind auf dem Album zusätzlich u.a. Deaf Shepherds Malcolm Stitt an der Gitarre und der exzellente Mundharmonikaspieler Brendan Power zu finden. Die Produktionsqualität ist ausgezeichnet - wie man es auch nicht anders vom Produzenten Donald Shaw (Capercaillie) erwarten kann.

Insgesamt ein Album mit vielen ausgefallenen Interpretationen von traditionellen Liedern und Folksongs der
britischen Inseln - und als süßes Bonbon und weiteren Höhepunkt gibt es auch noch zwei Pipe Tunes gespielt von Fraser Fifield; eins auf dem Dudelsack und eins auf dem Saxophon - einfach hervorragend!

Christian Moll


Die Besondere – Irisch-Deutsch

WHACKING SHlLLELAGHSWHACKING SHlLLELAGHS

Sending The Loons To Hades

(Liekedeler Musikproduktionen; LIECD 97004)
16 Tracks, 60:04; mit dt./engl. Kurzinfos

Können ein Ex-Hardcore Bassist und ein Ex-Indie Drummer sich dem Folk verschreiben? Scheinbar schon, denn sonst gäbe es "Sending The Loons To Hades" nicht.

Und wie kommt man auf einen Bandnamen, bei dem mein Chicagoer Mitbewohner erst einmal lauthals loslachen muß? Egal, das Debutalbum von Owen Jones, ehemals Drummer bei "Jazzbutcher" und Sessionmusiker bei "David J.", und Goetz Steeger, Musikredakteur sowie Sänger und Bassist der Hamburger "Die Goetzen" ist es wert, in dieser Rubrik zu landen.

Eigentlich läßt sich das Werk insgesamt nur schwer einordnen und gleich gar nicht in eine Ecke stellen. Auf dem Silberscheibchen wimmelt es nur so von Jigs und Reels aus den irischen Landen, die bis hin zu einer sehr kraftvollen Version von "Follow Me Up To Carow" führen. Wenngleich eben jene Jigs und Reels einen Großteil der CD ausmachen, finden schwere, melancholische Balladen ebenso Platz wie leichte Countryanleihen und gar ein kleiner Exkurs ins Punklager, wie bei "Go Down You Murderers". Eine musikalisch sehr spaßige Angelegenheit!

Bei "The Little Drama", das auf dem Reel "Fairwell To Ireland" basiert, toben sich Baß und Drums richtig aus. Überlagert von Whistles und Pipes erinnert es etwas an Shooglenifty gemixt mit einem Hauch Wolfstone. Daß die Whacking Shillelaghs auch vor einer Coverversion von "Ghost Of Your Father" aus der Feder der New Model Army nicht Halt machen, dürfte vielleicht auch den einen oder anderen Indiefan zum Kauf dieser Folk-CD animieren und liegt wohl im erwähnten musikalischen Werdegang der Musiker. Die
textliche Auswahl der Titel ist ebenso wenig beliebig wie die musikalische Verarbeitung. Es scheint, als treten Whacking Shillelaghs eine Reise durch Jahrhunderte durchzogen von Gewalt an, wie "The Garden Of Love" oder Elvis Costellos "Tramp The Dirt Down" zeigen.

Auch der Abschluß des Prachtexemplars, "Te Recuerdo Amanda", eine chilenische Ballade mit Pianobegleitung, steht ganz unter diesem Zeichen und beweist einmal mehr die stilistische Breite des musikalischen Könnens. Für dieses gelungene Scheibchen wurden u.a. einige fidelnde und flötende Gastmusiker gewonnen, die dem Ganzen noch das I-Tüpfelchen aufsetzen. GRATULATION !!

Claudia Frenzel


Mehr CD-Rezensionen im Folker! 3/98