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20 Jahre zum Wohle des Folkes

Wacholder

von Reinhard Ständer

Es gibt nicht allzuviele Folkgruppen, die es auf 20 Jahre Bühnenpräsenz bringen. Und wenn man dann noch seinen Stil, den Deutschfolk, der ja im Moment nicht gerade "in" ist, konsequent beibehält, ist das schon eine Würdigung wert. Zumal sie neben den "Folkländern" wohl DIE Band der DDR-Szene waren und auch heute noch zum Besten zählen, was hierzulande existiert.

1978 schlug in Cottbus die Geburtsstunde von Wacholder. Studenten des Bauwesens aus allen Ecken der DDR musizierten auf einer Faschingsfete und beschlossen, danach weiterzumachen. Schnell fanden sie ihren Stil: zwischen Wader und Liederjan. Und da auch andere ostdeutsche Gruppen gerade vom Irish Folk zum Deutschen überwechselten, sah man sich bestätigt. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten Matthias Kießling ("Kies"), Scarlett Seeboldt, Jörg Kokott ("Ko"), Rainer Christoph Dietrich ("Pascha"), Olaf Zimmermann, Steffen Junghans, Andrea Schlesewski. Die letzten beiden stiegen aber bereits nach Monaten wieder aus. Nachdem zunächst die gängigen Hits der Szene gespielt wurden, fand die Gruppe nach intensiven Quellenforschungen eigene Titel. Das waren insbesondere die publikumswirksamen Gesellen- und Trinklieder wie "Lustig ist's Gesellenleben". Da das aber in der Anfangsphase des DDR-Folk fast alle anderen auch taten, kam man zunehmend zu gehaltvolleren Titeln wie "Kriegsballade oder Badisches Wiegenlied". Diese brachten eine völlig neue Qualität. Eine wesentliche Rolle spielte dabei Multi-Instrumentalist Erik Kross, der 1980 von den "Folkländern" kam und zahlreiche Kompositionen und Arrangements beisteuerte. Diese Zeit des DDR-Folk-Booms war gekennzeichnet von Werkstätten, Festivals usw., wo die Szene voneinander lernte und sich dadurch weiterentwickeln konnte.

Discographie

Herr Wirt, so lösche unsre Brände (LP, Amiga 1983)
Es ist an der Zeit - Die schönsten Folk-Balladen (LP, Amiga 1989; CD, Bluesong)
Große Zeiten (CD, Stockfisch, 1993)
Hammer Rehwüh (CD, Eigenverlag, 1993)
In der Heimat ist es schön (CD, Stockfisch, 1994)
Landgang (CD, Stockfisch, 1996)
Unterwegs (CD, in Vorbereitung, 1998)

Außerdem vertreten auf mehreren Samplern

Eriks kreatives Gastspiel bei Wacholder währte nicht lange, 1981 ging er mit Pascha und gründete in Cottbus "Heureka". Übrig blieben Kies, Ko und Scarlett, die sich später mit Almuth Walther von " Landluper" und dem Potsdamer Geiger Matthias Wegner verstärkten. Die Gruppe begann die Herausgabe einer Liederheftreihe und trat als Veranstalter in der Cottbuser Stadthalle in Erscheinung. Es gab Rundfunk- und Fernsehaufnahmen, vier Titel auf dem "Kessel Rotes"/Vier Sampler, Konzerte beim Festival des politischen Liedes und für DDR-Verhältnisse relativ früh die erste eigene LP die noch heute gern gehört wird. Ein weiterer Höhepunkt: die legendäre "Hammer-Rewüh", eine Gemeinschaftsproduktion mit dem Liedtheater "Karls Enkel" und Gästen, inszeniert von Wenzel/Mensching. Dieses Programm begeisterte monatelang den deutschen Osten, schockierte aber auch die Parteifunktionäre. Konsequenz: Ein zeitweiliges Auftritts- und damit Berufsverbot für die fünf Cottbuser. Nach mysteriösem Instanzenweg wurde das Verbot aufgehoben, die Tournee konnte unter großem Beifall fortgesetzt werden.

Der Erfolgsweg führte Wacholder mit dem ersten thematischen Programm "Ting-Tang Tellerlein - Lieder zu Heine-Texten" und einem 1848er Programm "Trotz alledem" weiter. Erkennbar dabei die gesellschaftskritischen Parallelen, die das 19. Jahrhundert mit der DDR einte: Obrigkeit, Spießertum, Auswanderungsgedanken. Titel wie "Wo zweie stehn und flüstern" waren für den künftigen Weg symptomatisch, auch wenn nach und nach Traditionelles wieder Einzug hielt. Maßgebend dafür waren Tourneen bzw. Konzerte mit Eric Bogle, Dick Gaughan und der Sands Family. Vom Volkstanzboom Mitte der Achtziger hingegen hielt Wacholder gar nichts. 1986 verließen Ko und Almuth die Gruppe, um Neues auszuprobieren, u. a. als "Ko & Co.". Wacholder tourten zu dritt weiter: Scarlett, Kies und Matthias Wegner. Alle drei versuchten sich zeitweise an Soloprojekten: Scarlett mit Rockband auf "Scharlachroter Tour" , Kies mit Rühmkorff-Texten und bemerkenswerten Musikern wie Huschke, Sotos, Hering. Aber es blieben Episoden. Als "Modern Folking" bezeichneten die drei ihre Musik , nachdem sie ab 1987 das Keyboard einbezogen. In den letzten DDR-Jahren hielten sich kritische Lieder, deftig-folkloristisch und irisch-schottisch inspirierte Stücke in etwa die Waage. In Anlehnung an eine Parteilosung hieß das letzte Programm vor der Wende "Alles zum Wohle des Folkes". Die ebenfalls 1989 erschienene zweite LP "Es ist an der Zeit - Die schönsten Folkballaden" war von der Firma Amiga als eine "Best of" konzipiert, enthielt dadurch kaum aktuelle Titel und wurde zwiespältig aufgenommen: für die einen ein alter Hut, für die anderen DIE Platte zu zehn Jahren Entwicklung der Gruppe. Nach der Wende zog auch für Wacholder die Marktwirtschaft ein. Die Ost Veranstalter klagten über leere Kassen oder mußten ihre Clubs ganz dichtmachen. Dafür gab es jetzt die ersehnten Reisemöglichkeiten: Konzerte im Westen bis hin nach Irland. Für das Repertoire hatte die politische Wende kaum Bedeutung, denn es zeigte sich, daß fast alle Liedthemen, z. B. der Untertanengeist, auch in der neuen Zeit ihre Gültigkeit behalten hatten. Dazu kamen neue wie Rechtsextremismus und Mediengewalt, meist mit Texten von Kies versehen. Erst 1993 erschien mit "Große Zeiten" die neue CD, noch mit Matthias Wegner eingespielt, der im gleichen Jahr die Gruppe verließ. Dafür kam Ko zurück, und ein spürbarer Qualitätsschub setzte ein, denn Kos warmer Gesang paßte überzeugend zu dem der beiden anderen Bandmitglieder. Vielleicht ist Wacholder gerade durch die drei verschiedenartigen Stimmen bekannt geworden. 1994 und 1996 produzierte man die CDs "In der Heimat ist es schön" und "Landgang", die die bewährte Richtung fortsetzten. Aktuelle Themen nahmen jetzt breiteren Raum ein, wie etwa Bundeswehreinsätze in "Amnesie" oder Waigelsche Finanzpolitik in "Zahltag". Auch als Veranstalter trat man wieder in Erscheinung. Anläßlich der BUGA 95 in Cottbus organisierte Kies mit Wacholder und Freunden ein Folkfestival, das 1997 eine Zweitauflage erlebte. Die Unterstützung der Stadt ließ allerdings auf sich warten, eine immense Arbeit wurde kaum honoriert. Momentan steckt die Gruppe ganz in der Vorbereitung auf zwei wichtige Ereignisse: ihre sechste Platte und das 20jährige Bandjubiläum.


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