backAM 22.04.1997 STARB DER SCHOTTISCHE SÄNGER UND AUTOR

ERINNERUNGEN AN JACK MITCHELL

von Steffi Delaney

J

ack Mitchell wurde 1932 in Glasgow geboren, als Sohn einer irischen Mutter und eines schottischen Vaters. Er verbrachte nur die letzten Jahre seines Lebens in Galway an der Westküste Irlands, aber sein Schreiben, Singen und Charisma brachte ihn in Kontakt mit vielen Menschen aus allen Ecken der Stadt. Jack war dort wahrscheinlich am besten bekannt für seine Beiträge zu den Folksessions im "Crane", einem stadtbekannten Musikpub. Er half Sängern, Jack Mitchellihre Hemmungen zu überwinden und ihr Lied mit den Anwesenden zu teilen. Seine Liebe zum "Crane" inspirierte ihn zu einem Gedicht. Eine Kopie davon hängt hinter der Bar. Jack war gleichfalls ein wichtiger Teil des "Galway Singer's Club", der Montags abends im "Sev'nth Heav'n" Restaurant stattfindet, und in dem die irische Tradition des unbegleiteten Singens gepflegt wird. In seinem Andenken hat sich der Club seinen Namen gegeben. Samstags arbeitete er mit dem Poetenseminar von Galway im Bridge Milis Art Centre. Seine Liebe für Sprachen führte ihn oft in den Irisch-Club, wo er in Deutsch, Russisch oder Lowland Scots sang, aber nicht in Irisch. Er liebte die Sprache sehr, konnte sie jedoch wegen eines schweren Augenleidens nicht mehr erlernen. Jack war zunächst nur ein gelegentlicher Besucher der Stadt, in der auch seine Tochter mit ihrer Familie lebt. Vor sechs Jahren entschloß er sich, endgültig überzusiedeln. Davor war er seit 1956 in der DDR, mit einer dreijährigen Unterbrechung zwischen 1969 und 1971, wo er in Tanzania arbeitete. Jack war definitiv ein überzeugter Sozialist, der seine Ansichten stets offen und kritisch äußerte. Er war Dozent an der Sektion Anglistik/Amerikanistik der Humboldt-Universität zu Berlin. Sein Interesse für das politische Lied brachte ihn zunächst zum Oktoberklub, später gründete er seine eigene Gruppe "Jack und Genossen", die in den 70er Jahren recht populär war und die die Entwicklung der Folkszene in der DDR mit beeinflußte. Jack war nie ein Purist - er hieß Einflüsse von außerhalb stets willkommen und versuchte - oft mit Erfolg - das musikalisch doch etwas starre deutsche Volksliedgut mit dem Temperament und der Leidenschaftlichkeit seiner eigenen Kultur aufzulockern. Zu Jacks großen Vorbildern gehörte z.B. Ernst Busch, dessen Fähigkeit, Lieder inhaltlich exzellent zu interpretieren, ihn sehr beeindruckte. In seinem Gesangsstil berief sich Jack interessanterweise nicht auf Folksänger. Er liebte die Oper über alles und studierte an Opernsängern wie Jussi Björling, Benjamino Gigli oder Tschaljapin, was er für seine Zwecke benutzen konnte. Ich möchte Jacks Namen insofern mit dem ehemaligen Festival des Politischen Liedes erwähnen, als daß er derjenige war, der versuchte, Gruppen aus Irland, Schottland und England herüberzubringen. Unter ihnen waren Größen wie Dolores Keane, Billy Bragg, Dick Gaughan, Ewan McColl und Peggy Seeger und natürlich die mehr in Nordirland und Deutschland denn in der Republik Irland bekannte Sands Family. Jack betreute auch über lange Jahre die wohl dienstälteste Gruppe Berlins, wenn nicht Ostdeutschlands, "Larkin", die nach einem bekannten Dubliner Gewerkschaftsführer vom Anfang dieses Jahrhunderts bekannt ist. "Larkin" existiert seit 1972. Die Gruppe wurde an der Humboldt-Universität als Studentengruppe gegründet, machte sich aber später selbständig. Mit einer Unterbrechung nach der Wende existiert sie bis auf den heutigen Tag. Jack Mitchell war ebenfalls ein Schriftsteller und Ubersetzer von beeindruckender Disziplin. Er übersetzte Erwin Strittmatter und Anna Seghers ins Englische und schrieb wissenschaftliche Abhandlungen wie z.B. "The Essential O'Casey", eine Studie über die Stücke von Sean O'Casey. Notwendigerweise besaß er Kenntnis und Interesse am Theatergeschehen und half bei manchen Inszenierungen irischer Autoren in der DDR als Berater. In Galway schrieb er dann in Koproduktion mit Nollaig Tate sein erstes (und leider letztes) Stück: "Die große Kartoffelverhandlung" ("The Great Potato Trial"), das sich in tragikomischer Weise auf die furchtbare Hungersnot in Irland Ende letzten Jahrhunderts bezieht. Das Stück wird von dem dortigen Schauspieler und Theaterregisseur Brendan Murphy produziert, der anläßlich von Jacks Tod, an dem Hunderte Einwohner von Galway Anteil nahmen, ein anrührendes Gedicht schrieb.


Mehr über Jack Mitchell im Folker! 2/98