backZwischen tiefer Trauer und taumelnder Euphorie -

Loyko und Colalaila

Russische Roma - und jüdische Klezmermusik

von Thomas Rothschild

Nicht erst Hitlers Konzentrations- und Vernichtungslager haben Juden mit Roma und Sinti in eine Nähe gerückt, die angesichts der offensichtlichen Verschiedenheit kaum beachtet wurde. Juden wie Roma und Sinti wurden im Laufe von Jahrhunderten mehr oder meist weniger freiwillig über die ganze Welt zerstreut. Juden wie Roma und Sinti lebten ohne eigenen Staat inmitten anderer Völker, die ihnen Assimilation, wo Colalailasie gewünscht war, weniger oder meist mehr verweigerten. Aber die Kultur hält sich nicht immer an die sozialen Grenzziehungen. Juden wie Roma und Sinti haben Elemente der Kulturen, in deren Umgebung sie lebten, in ihre eigene Kultur aufgenommen. Deshalb gibt es keine jüdische und keine "Zigeuner"-Musiken, je nachdem wo sie entstanden und zum Teil noch weiterhin entstehen. Die Musik der sephardischen Juden unterscheidet sich von der der russischen, polnischen oder rumänischen Juden nicht weniger als eine Sevillana von einer Polka. Die Musik der spanischen, ungarischen und russischen Roma hat nicht mehr gemeinsam als Albéniz, Bartók und Mussorgskij. Was jedoch die jüdischen Musiken mit jenen der Roma und Sinti verbindet, ist eine offenbar aus der historischen Erfahrung erwachsene LoykoVorliebe für ein Nebeneinander oder gar eine Synthese von tiefer Trauer und taumelnder Euphorie. Dur und Moll sind in den Musiken der Juden, Roma und Sinti stets nah beieinander, die melancholische Klage und die übermütigen Tanzrhythmen gehen bruchlos ineinander über Man muß da gar nicht das Klischee von der unzerstörbaren Fröhlichkeit im Leid bemühen, mit dem sich die Mörder gern über die Erinnerung an ihre Morde hinwegschwindeln. Juden ebensowenig wie Roma und Sinti haben getanzt, als sie ins Gas gingen. Aber zum Glück bestand ihre Geschichte nicht nur aus Progromen, nicht nur aus Diskriminierung, nicht nur aus Auschwitz. Auch Juden wie Roma und Sinti heiraten und haben Geburtstage, die sie feiern, auch sie leiden, wenn eine Liebe auseinanderbricht, auch sie beweinen ihre Toten und preisen ihren Gott.

Die Gruppe Colalaila um die aus Israel stammende, in Deutschland lebende Klarinettistin Irith Gabriely pflegt die Klezmer-Tradition, eine der Varianten der jüdischen Musik. Die Geiger Sergei Erdenko und Oleg Ponomarev und der Gitarrist Vadim Koulitskii, die sich als Trio Loyko nennen, interpretieren die russische Variante der Zigeunermusik, die das Ritardando und das Accelerando, das Sforzato und die Synkope (daher siehe Django Reinhardt und die Nähe zum Jazz) und den rührend-kitschigen Terzengesang liebt und nicht nur deutliche slawische Spuren verrät, sondern ihrer seits in Rußland so sehr heimisch geworden ist, daß einige Lieder längst als russische Lieder gelten.


Mehr über Loyko und Colalaila im Folker! 2/98