Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder sechs CDs, die aus der Masse herausragen:
Sien Kurs
(Laika/Rough Trade 35l00892)
11 Tracks; 44:50, mit Texten
Endlich gibt es Nachschub von dem Sextett aus Emden, das nunmehr seit 15 Jahren besteht, aber erst 1993 die erste CD aufnahm und damit eine deutliche Meßlatte für andere Deutschfolkgruppen legte. Zum Jubiläum nun also "Sien Kurs", und bereits das Titelstück signalisiert, daß die ostfriesische Gruppe ihren Kurs unbeirrt weiterverfolgt: Diese Vertonung eines Mundart-textes des Mundartlyrikers Berend de Vries ist bereits die vierte; von ihm und anderen Autoren sind auf der CD noch weitere plattdeutsche Texte zu hören, die von Seefahrt und Seefahrern wie dem Arktisforscher "Lord Franklin" erzählen oder einfach nur instrumental die Stimmung bspw. Der USA-Auswanderer nachempfinden. Musikalisch führt ihr Kurs die Gruppe weiter zu neuen Horizonten moderner und traditioneller Elemente aus allen möglichen Ecken der Welt, von anglo-amerikanischer bis hin zur südosteuropäischer Folklore. Der kompakte Sound - zumindest der osteuropäisch inspirierten Stücke "Dospatsko Horo/Snarrendanz" oder "Brava Brava Bratislava" - erinnert manchmal gar entfernt an die späten Blowzabella (minus Leier).
Prägend sind wieder einmal Volker Leiß' unverkennbares, virtuoses Blockflötenspiel (dazu kommen Whistle, Ethnoflöte, Tenorhorn und Gesang) und das Saitenspiel seines alten Partners in Crime, Wolfgang Meyering an Mandoline, Mandola, der außerdem wieder einmal einige erstklassige Kompsitionen beisteuert und außerdem noch Whistles und Maui-Xaphoon spielt. (Müssen sich diese Mucker in den Credits eigentlich immer mit solch exotischen Instrumentennamen schmücken, die keine Sau, geschweige denn mein Instrumentenlexikon kennt???). Unterstützt werden sie durch die beiden Klangteppichverleger Edzard Wagenaar (Keyboards, Akkordeon, Gesang) und Ernst Poets (Concertina, Keyboards, Gesang) und durch die "additional Strings" von Piet Meyer, der eine solide Backup- und Soloarbeit mit Bouzouki, Oktavmandola und Tenorbanjo liefert. Die Musiker sorgen für eine kompakten, atmosphärisch dichten und abwechslungreichen Sound, der schon alleine ein Sondersternchen für die Tatsache verdient, daß sich Spillwark als einzige deutsche Folkgruppe ein eigenes Urmel (Meyering-Gitarre, Gesang) hält.
Ulrich Joosten
Southern Journey - Ozark Frontier
Ballads and old-timey music from Arkansas
(Rounder CD 1707)
25 Tracks; 64:00, mit Texten und Infos
Southern Journey - Velvet Voices, Eastern Shores
Choirs, Quartets, and Colonial Era Music
(Rounder CD 1708)
20 Tracks, mit Texten und Infos
Mit den Folgen 7 und 8 in der Reihe "Southern
Journey" wird die von Rounder Records in Cambridge/Massachusetts auf insgesamt
100 CDs angelegte Wiederveröffentlichung der "Alan Lomax Collection"
fortgesetzt. Im Herbst 1959 brachten seine Recherchen im Süden der USA
den Volksliedsammler und -forscher Alan Lomax nach Arkansas, in eine Region,
die Rebellen und Abenteurer wie Jesse James angeregt hatte. Sechs Namen
führte Lomax mit sich, auf die ihn Folklorist John Quincy Wolf und der
Folksänger Jimmy Driftwood aufmerksam gemacht hatten.
Die zwischen dem 2. und dem 9. Oktober aufgenommenen Songs und
Instrumentalstücke dokumentieren einen noch heute repräsentativen
Einblick in die anglo-amerikanische Musiktradition dieser Gegend. Keiner
der sechs Interpretinnenund Interpreten lebt mehr: Neil Morris (1886-1967)
z. B., der Vater von Jimmy Driftwood, war ein großartiger
Geschichtenerzähler und Sänger traditioneller Balladen. Die Gilberts
waren Nachbarn der Driftwoods. Almeda Riddle (1898-1986) war bekannt für
ihre Interpretationen von Kinderliedern und aktuellen Songs ihrer Zeit. Bis
zu ihrem Tod liebte sie es, ihre Balladen vorzutragen, allerdings immer nur
vor einem ausschließlich weiblichen Publikum. Auf dieser CD ist sie
unter anderem mit einem Lied über den Untergang der Titanic vertreten,
das in 4:35 mehr Authentizität besitzt als der Millionen-Dollar-Film,
der derzeit die Besucher in die Kinos strömen läßt. Und Charlie
Everidge schließlich (1894-1969) zeigte, wie man in den Ozark-Bergen
mit der Maultrommel zum Square Dance aufspielte. Wie schon bei den ersten
CDs in der Reihe "Southern Journey", für die Lomax über Plantagen,
in karge Wohnstuben und selbst in Gefängnisse zog, herrscht bei allen
Aufnahmen "eine Intimität, die fast an Liebe heranreicht. Man braucht
Übung, und es bedarf eines starken Bedürfnisses auf Seiten des
Sammlers, das der Künstler erspüren und befriedigen will", wie
Alan Lomax seine Arbeit einmal beschrieb.
Ein Lied über den Untergang der Titanic findet sich auch auf der CD "Velvet Voices", auf der Lomax-Aufnahmen aus Virginia und Georgia zusammengestellt sind. Im April und im Mai 1960 entstanden die Feldaufnahmen, die die Vielfalt afro-amerikanischer Musik an der Ostküste dokumentieren und beweisen, daß "der Folksong im Herzen der Negermusik (in this heartland of Negro music) keineswegs tot war", wie Alan Lomax feststellte. Das Repertoire auf dieser CD reicht von Gospels über Seemannslieder bis hin zu ungewöhnlichen Karibik/Virginia/Mississippi Fusion-Klängen eines Perkussionisten und Instrumentenbauers von den Bahamas im Zusammenspiel mit Banjo und Rohrflöte. Beide CDs werden von einem umfangreichen Booklet begleitet, das nicht nur Informationen über die jeweilige Aufnahmereise von Alan Lomax gibt, sondern auch Angaben über die Interpreten bietet sowie die Texte der einzelnen Songs mit entsprechenden Erläuterungen dazu enthält.
Michael Kleff
Kan ha Diskan
(Arfolk / Coop Breizh CD 445)
21 Tracks, 61:13, Beiheft mit Kurz-lnfos
Mit dieser CD kehrt der hierzulande mehr als Gwerz-Sänger bekannte Bretone Yann-Fañch Kemener zu seinen Anfängen zurück. Pünktlich zum 25jährigen Jubiläum seiner Karriere als traditioneller Sänger hat er mit sieben seiner prominentesten Weggefährten dieser letzten 25 Jahre eine neue CD aufgenommen, deren Titel Programm ist. Die im Pay Plinn (Zentral-Bretagne), der Herkunftsregion von Yann-Faych, gebräuchlichsten Tänze werden hier schwungvoll und auf gesanglich höchstem Niveau dargeboten, a capella, inkl. Fußgetrappel der SängerInnen. Zu hören sind: eine Suite Fisel mit dem langjährigen Sänger- und Liedersammlerkollegen Erik Marchand (Gwerz); je eine Suite Gavotte mit der 80jährigen Valentine Colleter bzw. mit Patrick Marie, gerade mal 20 Jahre alt und bereits eine beachtliche Stimme, sowie mit Ifig Troadeg, Sänger aus dem Trégor und häufig Kan ha Diskan-Partner von Yann-Fañch auf Fest Noz, zwei Suite Plinn, eine mit Annie Ebrel, eine mit Marcel Guillou & Claudine Floc'hig. Nicht gerade ein Rundumschlag für Tänzer, doch das ist auch nicht die Absicht dieser Einspielung. Hervorzuheben ist, daß die meisten Duo-Formationen hiermit erstmalig auf Tonkonserve gebannt sind. Einige verstreute Aufnahmen existieren bisher lediglich mit E. Marchand und M. Guillou, mit denen Yann-Fañch zwischen den Tänzen eingestreut Miniinterviews zum Phänomen des Kan ha Diskan und des Tanzes führt (teils auf bretonisch). Viele der von Yann-Fañch ausgewählten Lieder sind Fest Noz-bekannt und demonstrieren eindrucksvoll die charakteristische Dynamik, die den bretonischen Tänzen innewohnt.
Diese fabelhafte CD ist eine Huldigung an die Gesangsart des Kan ha Diskan und zeigt, daß diese durchaus als eine Kunstform angesehen werden kann. Einzig das Beiheft ist etwas dürftig, es scheint in Hektik gemacht und ist leider nicht ganz fehlerfrei.
Brigitte Henselleck
The Blues: The Queen Of The Blues 1929-1941
(Frémeaux & Associes/FMS 2 CD Box
FA 259)
1. CD 18 Tracks, 54:26; 2. CD 18 Tracks, 52:06; mit 24seitigem Booklet; Infos
engl./frz.
Über die grüne Grenze aus Frankreich gelangt eine umfangreiche Doppel-CD mit dem verallgemeinernden Titel "The Blues" zu uns. Für den Inhalt der 36 Songs zeichnet keine Geringere als Lizzie Douglas, besser bekannt als Memphis Minnie, verantwortlich. 1897 in Louisiana geboren ging sie mit wechselnden Musik- und Lebenspartnern ein knappes halbes Jahrhundert musikalisch zur Sache. Sie erlebte das Elektrifizieren der Gitarren und den Wechsel der Stilrichtungen - den sie mühelos ebenfalls vollzog. Bei der vorliegenden Box haben wir es mit Aufnahmen zu tun, welche die Sängerin und Gitarristin der Ausnahmeklasse mit "Kansas" Joe McCoy und ab 1938 mit dem neuen Gefährten Little Son Joe an den zweiten Gitarren zum Besten gab. Dabei spielte Mrs. Douglas immer die dominierende Rolle. Da war zu Zeiten der Depression und der Machos in den Blues-Ghettos keineswegs selbstverständlich. Seit ihrem Hit "Bumble Bee" Ende der 20er, waren die Platten von Memphis Minnie begehrte Ware. Dabei sang sie nicht nur über Blues-Klischees, wie Sex und Beziehungskonflikte, sondern nahm sich auch marginale Themen, etwa Hirnhautentzündung (Memphis Minnie-jitis), den Esel ihres Vaters und einen Gitarristen namens Mr. Tango vor. Mit Joe McCoy ging sie Anfang der 30er nach Chicago, wo die Eifersucht des Partners und die Krise der Schallplattenindustrie einem der kongenialsten Gesangs- und Gitarrenduos des Blues den Garaus machte. Bis sie mit Son Joe an die alten Zeiten Anschluß fand, paßte sie sich dem städtischen Geschmack und der Nachfrage nach Kombos mit Baß und Klavier - manchmal auch Blasinstrumenten - an.
Zusammengestellt von der französischen Kompetenz in Sachen Blues, Gerard Herzhaft, finden sich auf den beiden Scheiben die herausragendsten Werke ihres Schaffens in den 30ern: "Frankie Jean", "What The Matter With The Mill?", "Doctor Doctor Blues", "To Late", "Sqat It", "It's Hard To Be Mistreated" und anderen nicht minderer Song- und Soundqualität. Besonders bemerkenswert die Hommage an ihre Sangeskollegin Ma Rainey. Angesichts Konkurrenz, harten existentiellen Bedingungen und der allgemeinen flauen wirtschaftlichen Lage ebenfalls nicht selbstverständlich - damals wie heute.
Annie Sauerwein
Serenata
(Acoustic Music Records 319.1136.2)
17 Tracks 44:25, mit ausführlichen Infos
"Serenata" ist das Ergebnis einer intensiven Feldforschung. Jagd nach Material, Zeitzeugen Überlieferungen mit dem Blick nahezu ein Jahrhundert zurück in ein sehr bewegtes Kapitel Musikgeschichte, nach Norditalien. Herausgekommen ist dabei ein lebendiges Album als Tribut an ligurische und Genueser Meister der Gitarre, Mandoline und anderer Saiteninstrumente, an eine Musik sterhafte Neuorientierung traditioneller Musikformen hinsichtlich musikalischer Inhalte und Funktionen verkörperte, wie etwa der Gitarrist Pasquale Taraffo und der Mandolinist Nino Catania, deren Platten jedoch inzwischen nahezu vergessen sind. Mit viel Herz und Seele, vom Können ganz zu schweigen, wird eine sehr lebendige und doch ausgesprochen sensible Zeitreise in die Geschichte der norditalienischen "Stringbands" mit Polkas, Walzern, Mazurkas, Boleros, romantischen Liedern unternommen, in der Studio- und Liveaufnahmen auf, zum Teil originalgetreu nachkonstruierten Instrumenten, wie der Harfengitarre, gespielt sowie kleine "Zwischenszenen" aus dem Leben wie selbstverständlich zusammenwachsen. Dabei interpretieren Gambetta (Gitarre, Harfengitarre, Gesang) und Aonzo (Mandoline, Gitarre) das Material mit Plektrum. Dem Können und Einfühlungsvermögen der beiden Musiker sowie der offensichtlich intensiven Arbeit an dem Projekt ist es geschuldet, daß ihr Anliegen keine sterile akademische Reproduktion zu präsentieren, sondern den Geist Taraffos, Catanias und anderer wiederzubeleben, verbunden mit dem möglichst originalgetreuen kompositorischen Element, so gelingen konnte.
So faszinieren neben Kompositionen Taraffos, in denen teilweise auch Aonzo als Gitarrist glänzt, auch Kompositionen anderer Meister, wie z. B. Verdis Chorus "La Vergine degli Angeli" und der Geist populärer und anspruchsvoller italienischer Gitarren- und Mandolinen-Musik ist am Ende des Jahrhundert wieder lebendig.
Steffen Basho-Junghans
TRIANGEL
Live at ON AIR Recording Studio Vol. I
(Ordnung & Hartmann Records o. Nr.)
13 Tracks; 64:36
(Bezug: Ordnung & Hartmann Records, Fidicinstr. 27, 10965 Berlin)
Seit gut einem Vierteljahrhunddert beschäftige ich mich schreibenderweise mit dem was man hierzulande gemeinhin als U-Musik bezeichnet (gelegentliche Fremdgänge ins E-Musikalische eingeschlossen), und noch immer stehe ich bisweilen voller Unverständnis vor den Megaerfolgen musikalischer Dumpfnüsse vom Schlage der Spice Girls, Andre Rieu, Tic Tac Toe, Mariah Carey oder Wolfgang Petry. Und selbst in der in Ehren vergreisten Gilde der Songwriter & Altrocker - die Namen entnehmen Sie bitte dem '97er-Leserpoll des "Rolling Stone" oder den CD-Seiten im Bertelsmann-Katalog - gibt es immer noch einige, die für ihre immer öder werdenden Produkte regelmäßig Gold & Platin ins Pflegeheim geschickt bekommen.
Gewiß, auch mir sind die Pop-Markt-Mechanismen aus Produktion, Präsentation, Distribution und Prostitution bekannt, und deshalb freut es mich ungemein, von Zeit zu Zeit mal wieder entdecken zu dürfen, daß es sehr wohl ein U-musikalisches Leben jenseits von besinnungslosem 'I-wanna-make-it'-Gejaule, Massenkompati(de-)bilität, Biersponsoring und Formatradionanie gibt.
Auslöser meiner Euphorie sind die drei Herren Ron Randolph (voc. g.), Joe Kucera (fl. bs. ss. voc.) und Hans Hartmann (Chap-man-Stick, voc.) alias Triangel. Ihre Musik ist natürlich nichts Neues im trendigen Sinne, dafür aber eine brillante Auslotung bestehender Rock- und Jazzparameter. So klopfen Mr. Randolphs Songs ziemlich laut an die Türe des Songwriter-Olymps (wo sie ohne Probleme neben den Perlen der Herren Cockburn, Costello, deVille oder Waits aufzureihen wären), sind Herrn Kuceras Flöten- und Saxophonbeiträge aller erste Sahne, und zaubert Herr Hartmann auf dem Chapman-Stick (diesem 'Baßtard' aus Saiten- und Tasteninstrument) ein ums andere Mal superbe Soli und Begleitfguren.
Warum also spielt dieses magische Dreieck immer noch in der dritten Liga statt in der ersten? Jaja, ich weiß, die Gesetze des Marktes... - Ach, scheiß' drauf, dann mache ich jetzt halt mal Werbung: "Hallo, Peter Rüchel! Hier ist der Opener fürs nächste Rockpalast-Festival auf der Loreley!! Buchen Sie jetzt , bevor es ein anderer tut!!!"
Walter Bast
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