von Gudrun Holl
Seit einigen Jahren ist ein Name aus der Reihe der Großen in der akustischen Gitarrenszene nicht mehr wegzudenken: Beppe Gambetta. Wobei der großgewachsene Genueser zwar auch das bei uns weitaus populärere Fingerpicking (wie zum Beispiel Peter Finger, Jacques Stotzem oder Peppino d'Agostino), aber in erster Linie das aus den USA stammende Flatpicking praktiziert. Gudrun Holl zeigt int ihrem Porträt des italienischen Musikers noch eine andere "Kunst" auf, die Beppe Gambetta beherrscht.
Mitte der fünfziger Jahre hörte ein 10jähriger während eines schönen Sommers bei einer Zugfahrt - er befand sich zusammen mit seiner Familie auf der Fahrt ans Meer - einen Mitreisenden, der Lieder sang und sich selbst auf der Gitarre begleitete. Der Knabe, der auf den Namen Beppe hörte, war begeistert. Er bettelte solange, bis ihm die Eltern eine Gitarre kauften. Er trat einem Kinderorchester bei, einem Zupforchester mit Mandolinen und Gitarren, wie sie in Italien sehr populär waren (und es mancherorts auch heute noch sind). Dort bekam Beppe Gambetta knapp vier Jahre lang eine klassische Ausbildung. Nach kurzen Startschwierigkeiten mauserte sich Beppe schnell zum besten Spieler des Orchesters. "Beppe hat sofort und sehr rasch Noten lesen gelernt. Ebenso die Stücke des Orchesters. Seine Schwester und er waren die einzigen, die ihr Instrument nicht vom Lehrer stimmen liessen, sondern sie selbst stimmten", erinnert sich seine Mutter. Einmal haben seine Mitmusiker Beppe einen Streich spielen wollen und seine Noten vor einem Auftritt "verlegt". Was ihn allerdings nicht in Verlegenheit brachte, denn er hat das Konzert einfach auswendig gespielt.
Nach dem altersbedingten Ausstieg aus dem Zupforchester spielte Gambetta weiterhin Gitarre. Von der Folkbewegung angetan, intonierte er Simon & Garfunkel, Donovan, usw. in einer Schulband mit der Besetzung akustische Gitarre, E-Gitarre, Baß und Schlagzeug. Beppe Gambetta spielte? Die E-Gitarre! Ausschließlich im klassischen Stil, da er bis dato keine andere Technik beherrschte.
Die große Wende setzte ein, als er Silvio Ferretti kennenlernte. Silvio war Beppe meilenweit voraus: er konnte Fingerpicking spielen, sprach Englisch und er kannte sich bei den in Italien erhältlichen Platten aus. "Da gibt es eine neue Musikrichtung!", verkündigte Silvio Ferretti eines Tages. Er hatte eine LP vom Newport Folk Festival unterm Arm, und das Neue waren die Aufnahmen von Flatt & Scruggs und Doc Watson.
Bluegrass und Flatpicking! Seine Fertigkeiten und neue Ideen holte sich Beppe Gambetta ausschließlich von Platten. Wobei es schon recht schwierig war, überhaupt welche zu bekommen. Alles, was an Bluegrass oder American Folk erreichbar war, hörte er sich an. Wenn es die seltene Möglichkeit gab, einen Gitarristen bzw. eine Band dieser Stilrichtung live zu erleben, nutzte er sie, wobei er gierig an den Fingern der Musiker hing, um abzuschauen und zu lernen. Er begann, sich die Gitarrensoli von den Platten mitzuschreiben. "Wahrscheinlich habe ich eine der umfangreichsten Tabulaturensammlungen zu Hause" glaubt Beppe. Einige davon hat er in seinem zweiten Buch "24 Solos for Flatpicking Guitar" veröffentlicht.
1975 gründete Gambetta unter anderem mit Silvio seine erste Bluegrassband, 1978 zusammen mit Martino Coppo (Mandoline, Fiddle, Gesang), Marco Curreri (Bass, Gesang) und Silvio Ferretti (Banjo, Gesang) die Gruppe Red Wine: Mit dieser Bluegrassformation kamen Erfolg und Einladungen zu verschiedenen bedeutenden europäischen Festivals. Das Bluegrassfestival 1984 im französinhen Toulouse, wo auch Spitzenbands wie New Grass Revival und Hot Rize auftraten, brachte den internationalen Durchbruch. Red Wine wurde - und ist immer noch - eine der anspruchvollsten europaischen Bluegrassbands. Und den Musikern, speziell Beppe Gambetta brachte diese Zeit bis heute anhaltende Freundschaften mit US-amerikanischen Musiker und somit wichtige Kontakte nach Übersee.
Gambetta lernte unter anderem John Jorgenson kennen, der dann auf der 1988 erschienenen ersten Gambetta-Platte "Dialogs" zu hören ist. Wie auch den Windham Hill-Multiinstrumentalisten Mike Marshall, der Gambettas CD "Good News From Home" produzierte. Oder den Banjovirtuosen Tony Trischka, mit dem er etliche gemeinsame Tourneen bestritt und während einer gemeinsamen US-Tour die Live-CD "Alone & Together" einspielte. Nicht zu vergessen Rob Griffin, der sich mittlerweile zu einem sehr gefragten Soundengineer für akustische Musik gemausert hat (Paco Lucia, Wayne Shorter, Michael Hedges, Bobby McFerrin, Mark O'Connor, usw.), und der bei allen bisherigen Platten von Beppe Gambetta "mitgemischt" hat.
1988 ging Gambetta zum ersten Mal als Solist in die USA, vor allem, um das Album "Dialogs" aufzunehmen. Mit einem geliehenen digitalen Aufnahmegerät, Gitarrenkoffer und Gepäck "schleppte" er sich quer durch die USA von Gitarrist zu Gitarrist, um mit zwölf seiner persönlichen Vorbilder jeweils ein Duett einzuspielen. Die Platte kam an, erhielt durchweg gute bis hervorragende Kritiken, und verkaufte sich - für dieses Genre - mit rund 11.000 CDs, LPs und MCs ausgesprochen gut. Mit "Dialogs" ging es gemächlich, aber stetig aufwärts.
Um sich vollends auf seine Solokarriere konzentrieren zu können, stieg der Gitarrist 1992 bei "Red Wine" in aller Freundschaft aus. "Zwar ausgesprochen ungern, aber ich mußte mich entscheiden." Orientierte sich Gambettas Soloprogramm zunächst sehr stark an Bluegrass, Country und American Folk, so stieß er mit dem Fabrizio de André/M. Pagani-Titel "Creuza de Mä" dann auf ein Stück, das ihn erstmals dazu bewegte, sich auf seine Wurzeln zu besinnen und eine eigene musikalische Identität zu finden. Heute bietet der Italiener ein weites Spektrum von seine "alten Lieben" bis hin zu Swing, Ragtime, europäischem Folk, New Acoustic und Klassik, wobei er Instrumentals und Gesungenes mischt. Gambetta versteht sich jedoch nicht als Liedermacher. Bislang hat er nur an einem Text ("Little message") als Co-Autor mitgewirkt. Er selbst betrachtet sich auch kaum als Sänger - obwohl er mit seinem angenehmen Bariton wirklich schön singt - , sondern in allererster Linie als Gitarrist. Lieder sind nicht wegen des Textes oder ihrer Botschaft im Repertoire, "sondern weil das Stück etwas für mein Gitarrenspiel hergibt", sagt Gambetta.
Mehr über Beppe Gambetta im Folker! 01/98