ANI DIFRANCO |
von Michael Kleff
Der Andrang war riesengroß. Im Kölner Club "Schmuckkästchen" hatte sich eine Sängerin angesagt, die gewissermaßen Kultstatus besitzt: Ani DiFranco. (sprich A-ni). Ein amerikanisches Musikmagazin schrieb jüngst, wenn die Folkmusik eine Zukunft hat, dann heißt sie Ani DiFranco.
"Ich mache Musik und liebe nichts mehr als diesen unglaublichen, emotionalen Rush, wenn man in einem seiner Songs versinkt. Für diese Momente lebe ich", erklärte Ani DiFranco einmal ihre packende Live-Präsenz.
Die 26jährige Liedermacherin aus Buffalo, New York ist ein einziges Energiebündel. Mit neun Jahren begann sie, sich auf der Gitarre durch das Repertoire der Beatles zu klimpern, mit 15 schrieb sie ihre ersten Songs. Das "aufregende" Leben der örtlichen Musikclubs lernte sie in jenen Jahren durch einen Freund kennen. "Ich war mit einem Folk singenden, Kaffee trinkenden und kettenrauchenden Burschen befreundet, der Konzerte veranstaltete." Erste eigene Auftritte folgten. Und dabei lernte sie "Überlebenstechniken" auf der Bühne, die sich entscheidend auf ihr heute so ganz eigenes Gitarrenspiel auswirkten: "Es waren Jahre, wo du dir überlegen mußtest, wie du die Leute dazu kriegst, sich dir zuzuwenden, dir zuzuhören, wenn sie eigentlich nur einen trinken und jemanden aufreißen wollen. So hat sich mein Gitarrenspiel entwickelt." Und das ist hart und perkussiv, ohne dabei auf Filigranität zu verzichten.
Bisher sind in Deutschland erschienen:
Ani DiFranco (Cooking Vinyl 1512-2) |
Ani DiFrancos Einflüsse kommen von Folk und vom Punk: "Ich bezeichne mich normalerweise als `Folksinger' - obwohl ich die einzige Folksängerin bin, die stage-diving macht und bodysurfs. Was ich an der Folkmusik mag, ist ihre Unkommerzialität. Du hörst sie nicht im Radio. Man muß zu den Leuten gehen, sie einbeziehen. Folk ist bedeutungsvoll, nicht marktgerecht. Das Problem mit dem Folk ist, daß er so 'folky' ist. Jeder ist so laid back, so unpretentiös. Ich will Power investieren. Die Idee, nur ein Stück Holz bei sich zu haben, mit ein paar Saiten dran, das ist Punkrock.
Man kann aus jedem Instrument eine Waffe machen, wenn man es richtig hält. Ich habe keinen Verstärker, den ich auf Stufe 11 drehen kann. Das ist eine Art von Lautstärke. Aber es gibt auch eine andere Art, die mich viel mehr betrifft." Ani DiFranco kann sehr laut und aggressiv sein, bissig, zynisch und witzig zugleich. Kein Wunder, daß sie von manchen Kritikern als "zornige Frau" bezeichnet wird. Doch das sei ausschließlich deren Problem: "Leute, die mich so bezeichnen, tun das, weil sie sich bedroht fühlen. Es kommt auf die Grundeinstellung an. Ich verbinde völlig andere Gefühle mit meiner Arbeit. Das bestehende Vorurteil ist das Ergebnis einer Gesellschaft, die keine laut und selbstbewußt auftretenden Frauen mag; die sich bedroht fühlt von Frauen, die wie Katzen heulen und schreien und ihre Lebenserfahrungen offen und in allen Details zum Ausdruck bringen. Und dann noch die Frechheit besitzen, über sich selber zu lachen." Und das ist wichtig, sagt Ani DiFranco. "Wenn du lachst, machst du deinen Mund weit auf. Und dann kannst du einiges ertragen, was du sonst nicht runterschlucken würdest." Mit diesem Ansatz singt die US-Amerikanerin über jedes Tabuthema: von der Todesstrafe über Bisexualität bis hin zur Abtreibung. Dabei gibt sie oft auch ihr Innenleben preis. "Blood In The Boardroom" ("Blut im Konferenzzimmer") behandelt die Nöte einer Frau, bei der sich während einer Sitzung plötzlich die Periode ankündigt. "Ich überlege, ob diese Jungs riechen können, daß ich unter der Wäsche blute", fragt sich die Sängerin und schließt den Song mit der Feststellung: "Ich hatte eigentlich die ganze Zeit nicht viel zu sagen. Also habe ich bloß eine große braune Blutspur auf ihrem weißen Stuhl hinterlassen." Über Sex redet sie in einem "Letter To A John , wobei sie sich an ihren ersten Trip nach Deutschland erinnert, an TV-Programme, in denen es "meist nur Titten zu sehen gab". Und in der ersten Nummer ihres letzten Studioalbums "Dilate" schleudert Ani DiFranco ihrem Lover ein herzhaftes "Fuck You" ins Gesicht. Was in den USA sogleich einen warnenden Aufkleber auf der CD zur Folge hatte - mit dem Ergebnis, daß man diesen Titel, und nicht nur diesen, aus dem Äther der amerikanischen Radiosender verbannt hat. "Manche Menschen gehen mit einem grundsätzlichen Mißverständnis an einige Wörter heran. Dabei sind es nicht die Wörter, die weh tun. Es gibt beispielsweise im Radio manche Sachen, die ich als viel beleidigender empfinde. Dazu sind überhaupt keine sogenannten schmutzigen Wörter notwendig. Da reichen die abwertenden Inhalte. Wenn du einen meiner Songs mit einem F-Wort als Beispiel nimmst, dann ist das ganz und gar nicht als aggressive, gewalttätige Attacke zu verstehen. Und überhaupt - ich schreibe so, wie ich spreche. Basta. Ich bin auch nicht bereit, davon abzurücken, nur um im Radio gespielt zu werden. Insofern ist es schon lustig, daß in den beiden beim Publikum beliebtesten Stücken meines letzten Albums das Wort "Fuck" auftaucht. Jeder liebt "Untouchable Face" und "Napoleon" - nur im Radio wirst du das niemals hören. Aber, was willst du machen." Vor allem ihre Offenheit erklärt Ani DiFrancos Kultstatus besonders bei jungen Frauen, die sie bei Konzerten frenetisch feiern. "Wo immer sie mich in der Öffentlichkeit entdecken, sprechen sie mich an und überstürmen mich mit Fragen. Was hältst du hiervon, was denkst du darüber. Sie wollen eine Antwort. Ich versuche, einfach nur ehrlich zu sein. Ich will auch in meiner Musik immer deutlich machen, daß es nicht darum geht, mich nachzuahmen. Das ist nicht mein Verständnis von Vorbild. Ich fordere dazu auf, nachzudenken und das zu tun, was jeder selbst für richtig hält. Stell dich und was du machst in Frage und entdecke dein eigenes Ich. Das ist die Botschaft vieler meiner Songs. Und so verstanden, bin ich froh, eine Inspiration zu sein."
"... Ich wollte die Freiheit und Kontrolle über meine künstlerische Arbeit behalten und auch kein verhätscheltes, entmündigtes Baby werden, das Lieder schreibt, während sich andere um Dinge des wirklichen Lebens kümmern ..." |
Ani DiFranco, mal kurzgeschoren, mal punkig frisiert, entzieht sich jeder Kategorisierung. Mit ihrem 1996 veröffentlichten Projekt "The Past Didn't Go Anywhere", das sie mit dem 62jährigen politischen Aktivisten, Storyteller und Songwriter Utah Phillips einspielte, brachte sie selbst ihren britischen Vertrieb in Definitionszwänge: "Ihre Zusammenarbeit hat ein Album zustandegebracht, das unmöglich zu kategorisieren ist: post-industrielle Lagerfeuergeschichten? Jazz-hop? Hip-Sprache?". Basierend auf Liveaufnahmen von Utah Phillips aus drei Jahrzehnten stellte Ani DiFranco die CD zusammen. Phillips brauchte nur einige Bänder mit seinem Material zu schicken. Ani DiFranco ging damit ins Studio und hat es auf ihre Art bearbeitet und so einen Brückenschlag zwischen den Generationen ermöglicht. Ganz nach ihrem Motto. "Ich nehme das, was ich von den 'Alten' bekomme und gebe es an die 'Jungen' weiter. Als wir noch Kinder waren, brauchten wir Geschichten, um einschlafen zu können. Doch wenn wir älter werden, brauchen wir Geschichten, die uns die Augen öffnen. Ich spiele für Kids. Die meisten meiner Zuhörer sind junge Leute, wenn ich meine Solo-Konzerte gebe. Und es ist wirklich eine Schande, daß praktisch keiner von ihnen Utah Phillips kennt. Ich wollte daher ein Album für meine Fans machen, um ihnen Utah vorzustellen."
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