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ILSE WEBER
Wann wohl das Leid ein Ende hat
Briefe und Gedichte aus Theresienstadt
Hrsg. von Ulrike Migdal

München: Hanser, 2008347 S., mit s/w-Abb.
ISBN 978-3-446-23050-7

„Also werden wir nicht duschen“, antwortete sie, als man ihr riet: „Setz dich mit den Kindern auf den Boden und fangt an zu singen. Sing was du immer mit ihnen gesungen hast. So atmet ihr das Gas schneller ein.“ Dieses letzte Gespräch hat ein Überlebender des Sonderkommandos bezeugt. Als Ilse Weber und ihr Jüngster 1944 in Auschwitz ermordet wurden, lagen ihre Manuskripte in Theresienstadt vergraben, wo sie im Kinderkrankenhaus gearbeitet hatte. Mit einer verbotenen Gitarre sang sie Lieder der Bitterkeit, des Trostes und des Widerstands, die heimlich verbreitet und in viele Sprachen übersetzt wurden. Unter ihrem Mädchennamen Herlinger war sie vor 1933 Kinderbuchautorin und Mitarbeiterin des böhmisch-deutschen Rundfunks gewesen. Kurz vor der NS-Okkupation nahm ihre Brieffreundin Liliane von Löwenadler den älteren Sohn Hanus in Schweden auf. Ulrike Migdal, die 1986 Chansons und Satiren aus Theresienstadt herausgab, fand mit dem damals ohne Verfasserangabe gedruckten „Brief an mein Kind“ Kontakt zu dem Sohn, der ihr diese Dokumente zugänglich machte. Ilse Weber lernte Englisch, Hebräisch, dichtete auch auf Tschechisch, doch ihre besondere Liebe galt dem Deutschen, das sie vollendet meisterte. In der Poesie aus den Lagern findet sich keine überflüssige Silbe, jeder Laut wiegt zentnerschwer: „Ich wandre durch Theresienstadt, / das Herz so schwer wie Blei, / bis jäh mein Weg ein Ende hat, / dort knapp an der Bastei. // Dort bleib ich auf der Brücke stehn / und schau ins Tal hinaus: / Ich möcht so gerne weitergehn, / ich möcht so gern – nach Haus!“ Diese Zeilen lassen niemanden unberührt, der von den Bergwanderungen der Dichterin, von ihrem zähen Überlebenskampf und ihrer Herzensgröße weiß.

Nikolaus Gatter

 

ILSE WEBER – Wann wohl das Leid ein Ende hat


NANA MOUSKOURI
Stimme der Sehnsucht – Meine Erinnerungen
Mit Lionel Duroy. Aus d. Franz. von Ulrike Lelickens

Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2008
469 S., mit farbigen u. s/w-Abb.
ISBN: 978-3-89602-848-8
Einheitssacht.: La fille de la Chauvre souris <dt.>

Nana Mouskouri ist mit über 250 Millionen verkauften Tonträgern nach Madonna die erfolgreichste Sängerin der Welt. In Deutschland wurde sie Anfang der Sechzigerjahre mit dem Schlager „Weiße Rosen aus Athen“ über Nacht zum Star. Dieses Lied und ihre auf der ganzen Welt zum Markenzeichen gewordene schwarze Brille prägten das Image der 1934 auf Kreta geborenen und in Athen aufgewachsenen Künstlerin in Deutschland bis heute. Die vorliegende Autobiografie – mit einem leider das Klischee bedienenden deutschen Titel (im Original: La fille de la Chauve-souris , etwa „Die Tochter der Fledermaus“) – bietet Gelegenheit, das einseitige Bild von einer auf leichte Kost abonnierten Künstlerin zu revidieren. Wer weiß schon, dass Nana Mouskouri am Athener Konservatorium studierte, danach erste Auftritte in Jazzklubs hatte und den ersten Preis beim Féstival de la Chanson Héllenique gewann? In Frankreich wurde Mouskouri zum Chansonstar. Sie sang die Lieder von Joan Baez und Bob Dylan auf Französisch. In Griechenland gehörte sie zu den erfolgreichsten Interpretinnen der Volksmusik ihrer Heimat. Und auch als Jazzsängerin hat sie sich einen Namen gemacht, wovon unter anderem das 1962 aufgenommene Album Nana Mouskouri in New York – A Girl From Greece Sings Zeugnis ablegt. Nicht ohne Grund zählten bzw. zählen Menschen wie Maria Callas, Leonard Cohen, Bob Dylan, Miles Davis oder Harry Belafonte zu ihren Freunden. Durch Letzteren wurde Mouskouri Zeugin der Rassentrennung in den USA. Das hinterließ ebenso seine Spuren wie ein Ereignis, bei dem sie als achtjähriges Mädchen in Athen mit ansehen musste, wie deutsche Soldaten auf offener Straße einen Zivilisten erschossen. Diese Ereignisse trugen zum sozialen Engagement der Künstlerin bei. Seit 1993 setzt sie als Unicef-Sonderbotschafterin weltweit für bessere Lebensbedingungen für Kinder ein. Von 1994 bis 1999 war Mouskouri für die griechischen Christdemokraten Europa-Abgeordnete in Brüssel. Darüber erfährt der Leser in diesem Buch ebenso etwas wie über ihre bettelarme und zerrüttete Familie mit einem spielsüchtigen Vater, über das Drama ihrer ersten Ehe oder über ihren zweiten Mann, den Produzent André Chapelle, den sie nach fast dreißigjähriger Beziehung 2003 heiratete und der ihr nach eigenen Worten die Freiheit gab, eine Sängerin zu sein.

Michael Kleff

 

NANA MOUSKOURI – Stimme der Sehnsucht


HISS [Hrsg.]
Lieder und Legenden

Detmold: Wintrup Musikverlage, 2008
76 S., überw. Noten, mit Abb. [Edition DUX; 782]
ISBN 978-3-86849-006-0

Ein weiterer Schritt der Kapelle Hiss in die Unsterblichkeit. „Legenden“ versprechen die fünf Herren aus Stuttgart und dem Schwäbischen Wald gleich im Titel ihres ersten Liederbuchs. Doch steht einer Kapelle, die deutsche Volksmusik so umwerfend neu definiert, Verewigung in Form vervielfältigter Notenblätter nicht auch zu? 14 Jahre existiert die Band, mit 14 transkribierten Nummern wollen sie nun bescheiden wie stets „Musikfreunden in aller Welt“ Freude bereiten. Nachzuspielen und nachzulesen gibt es Ohrwürmer aus allen Phasen der Karriere, dazu launige Informationen als Einstimmung auf jeden Song. Da wird fettes Fanfutter verabreicht, klar.

So erfährt der Hiss-Abhängige, dass mit „Tanz“ in einem Proberaum „am Hang eines Ausläufers des Schurwaldes“ im Januar ’95 die Erfolgsgeschichte der Band begann, dass es sich bei „Tequila“, der Dauerzugabe bei Hiss-Konzerten, um eine Rumba handelt, die einst unter Tränen im Morgengrauen in einem kleinen mexikanischen Kaff bei Aguascalientes entstand, dass „Polka für die Welt“ und das gleichlautende Konzeptalbum sogar von der Brigitte empfohlen wird, wie die Todessehnsucht des Sängers zur wahrlich schönen Fernwehnummer „Raus“ führte, dass der Entstehung des Songs „Nirgendwo daheim“ die erschreckende Berechnung der kollektiv im Bandbus verdaddelten Zeit von insgesamt 1.325 Jahren vorausging, und von der großen inspirierenden Kraft eines jeden Kochbuchs für Volksmusikanten mit „writer’s block“. „Suppe für den Dichter“ liefert dieses Notenbuch also auch. Dazu gibt’s Fotos aus dem Bandalbum, Melodienotierung, Akkorde, Tempo- und Rhythmusangaben, Bio- sowie Diskografie. Eins aber sollte der Leser dieser akribisch notierten Kompositionen trotzdem bedenken: eine Hiss-Nummer nachzuspielen muss enden wie Kochen mit falschen Zutaten – unergiebig, fad und schlapp.

Michael Borrasch

Bezug: go! www.dux-verlag.de, go! www.hiss.net

 

HISS [Hrsg.] – Lieder und Legenden


TINY ROBINSON [Hrsg.]
Lead Belly: A Life in Pictures
Ed. by Tiny Robinson and John Reynolds with introd. by Tom Waits
Poems by Tyehimba Jess and foreword by Glenn O’Brien

Götttingen: Steidl, 2008
256 S., mit farbigen u. s/w-Abb.
ISBN: 978-3-86521-459-1

Der als Huddie Ledbetter 1888 auf einer Farm in Louisiana geborene Lead Belly wurde weltweit als Interpret afroamerikanischer Folksongs und Bluesmusik bekannt. „The Midnight Special“, „Rock Island Line“ oder „Good Night, Irene“ gehören zu den wichtigsten Songs aus seiner Feder. Letzterer wurde 1950, acht Monate nach Lead Bellys Tod, mit den Weavers zu einem nationalen Hit. „Ohne Lead Belly keine Beatles“ wird George Harrison zitiert. Der Titel des großformatig und aufwendig gestalteten Buchs ist etwas irreführend. Auch wenn es voll ist mit unzähligen Fotos und Dokumenten, handelt es sich doch keineswegs nur um ein „Bilderbuch“. Alle Abbildungen werden von Texten – Zeitzeugenaussagen, Erinnerungen, Gedichten – begleitet, die Familienmitglieder, Freunde oder Fans beigesteuert haben. Darunter unter anderem Tom Waits, Pete Seeger, Woody Guthrie, Janis Joplin und Eric Clapton. Gezeigt wird Lead Belly als Musiker vor Studenten und Kindern ebenso wie vor Gewerkschaftern oder für das Folkways-Label. Wobei er meist in seinem Maßanzug mit weißem Hemd, Krawatte und einem feinen Einstecktuch zu sehen ist. Bilder, die ihn in Sträflingskleidung zeigen, sind die Ausnahme. Dennoch sind natürlich auch die Jahre, die er wegen Mordes im berüchtigten Louisiana-Staatsgefängnis Angola verbrachte, dokumentiert. Ebenso wie jener berüchtigte Vertrag mit seinem „Entdecker“ John Lomax, der sich wie die Legalisierung von Sklaverei und Ausbeutung liest. Zu den weiteren im Buch abgebildeten Dokumenten gehören die Begnadigungspapiere von Gouverneur Pat Neff und Auszüge aus Lead Bellys FBI-Akte sowie Fotos der beiden großen „Lieben“ in seinem Leben: seiner Frau Martha und seiner zwölfsaitigen Gitarre Stella: „My wife is half my life; my guitar is the other half.“ Lead Belly – A Life in Pictures ist eine bibliophile Schatztruhe. Wobei jedes Kapitel für sich einen kleinen Schatz darstellt.

Michael Kleff

 

TINY ROBINSON [Hrsg.] – Lead Belly: A Life in Pictures


BERND KILTZ
33 Guitarsolos: Red Edition –
Styles: Rock, Fusion, Jazz, Pop, Bossa, Blues, Bluesrock, Ballad etc.

O. O.: Bosworth, 2008
48 S., nur Noten, plus DVD. [BOE: 7077]
ISBN 978-3-86543-407-4

33 Guitarsolos: Silver Edition –
Styles: Metal, Funk, Ballad, Reggae, Fusion, Classical, Rock, Jazz, etc

O. O.: Bosworth, 2008
55 S., nur Noten, plus DVD. [BOE; 7078]
ISBN 978-3-86543-408-1

Jeder E-Gitarrist kennt das. Ganz besonders, wenn er noch am Anfang seiner Laufbahn steht. Akkorde, erste Tonleitern und Riffs sind gemeistert und jetzt heißt es: „Spiel doch mal ein Solo.“ Und was jetzt? Meist klingt das Rumgedudel auf Dauer nicht sehr befriedigend. Bernd Kiltz setzt mit seiner 33-Guitar-Solos- Reihe genau da an. Quer durch alle Stilarten geht es in beiden Bänden: Rock, Bluesrock, Classic Rock, mal Ballade, mal schnell, softe und härtere Gangarten. Aber auch Jazz, Bossa Nova, Gypsy Swing, Fusion, Reggae und Spanisches stehen auf dem Speiseplan. Die „Red Edition“ kann man dem Anfänger nur bedingt ans Herz legen, in der „silbernen Ausgabe“ wird es vermutlich auch dem fortgeschrittenen Gitarristen zeitweise mulmig werden. Auf der DVD kann man die in Noten und Tabulatur notierten Soli via geteilten Bildschirm verfolgen – freier Blick auf rechte und linke Hand. Erklärt wird hier nichts. Da muss man sich ans Buch halten. Das, und hier ist vielleicht ein Manko, gibt über den reinen Notentext hinaus nicht viel an die Hand. Ein kleiner, spartanischer Technikanhang kann da gerade mal hinweisend wirken. Als Ergänzung zum Unterricht sehr gut einsetzbar, denn musikalisch ist das alles erste Sahne. Für den Autodidakten wohl kaum nachvollziehbar, denn ein gewisses harmonisches Know-how muss man schon mitbringen.

Rolf Beydemüller

Bezug: go! www.bosworth.de

 

BERND KILTZ – 33 Guitarsolos: Red Edition

BERND KILTZ – 33 Guitarsolos: Silver Edition


JANIS IAN
Society’s Child – My Autobiography

New York: Tarcher, 2008
384 S., mit s/w-Fotos
ISBN 978-1-58542675-1

Der Song, nach dem Janis Ian ihre Autobiografie benannt hat, machte sie 1965 bekannt. In „Society’s Child“ geht es um eine Liebe zwischen einem weißen und einem schwarzen Teenager. Ein Tabuthema in den USA der Sechzigerjahre. Ians Lied wurde für einen Grammy nominiert. Gleichzeitig erhielt sie Morddrohungen und wurde als „nigger lover“ beschimpft. Es war der Auftakt eines bewegten Lebens, an dem die Künstlerin ihre Leser teilhaben lässt. Man erfährt, wie Ian mit Jimi Hendrix Drogen nahm, wie sie mit Janis Joplin „shoppen“ ging oder wie ihr Ex-Mann sie umzubringen drohte. Die Autobiografie ist aber auch ein Lehrbuch in Sachen Musikgeschäft. Trotz aller Erfolge stand Janis Ian Mitte der Achtzigerjahre auf einmal mittellos dar: Fehlverhalten ihres Buchhalters hatten dazu geführt, dass sie den Finanzbehörden ein Vermögen schuldete. Sie zog von der teuren Westküste nach Nashville, Tennessee. Ausführlich beschreibt sie diesen „Kulturschock“, den sie schnell überwand, nicht nur weil sie die dortige Musikszene mit offenen Armen aufnahm. Sondern auch, weil sie dort ihre Lebenspartnerin Patricia Snyder kennenlernte, die sie 2003 in Toronto heiratete. Die neue Lebensumgebung und ihr „Coming-out“ brachten die Musikerin dazu, wieder aufzutreten und neue Platten zu produzieren. Und nach den schlechten Erfahrungen mit der Musikindustrie gründete sie 1992 ihr eigenes Label. Auch wenn in Society’s Child negative Erlebnisse überwiegen, ist es eine beeindruckende Geschichte vom Überleben, die Janis Ian präsentiert.

Michael Kleff

Bezug: go! www.janisian.com/readingroom.php

 

JANIS IAN – Society’s Child – My Autobiography


ANDREAS GEBESMAIR [Hrsg]
Global Repertoires: Popular Music Within and Beyond the Transnational Music Industry

Aldershot, Hampshire: Ashgate, 2002
188 S. [Ashgate Popular and Folk Music Series]
ISBN: 978-0-7546-0526-3

Vorsicht: Dieses Buch ist nicht leicht verdaulich. Leider. Denn seine Lektüre kann zu einem besseren Verständnis von Musik als Produkt in einer globalisierten Welt beitragen. Es handelt sich um Texte, die auf einer internationalen Konferenz im November 1999 in Wien vorgetragen wurden. Thematisiert werden unter anderem: Strukturen und Strategien der internationalen Musikindustrie, die Rolle von neuen Massenkommunikationsmitteln zur Verbreitung populärer Musik oder die Frage, inwieweit ein globaler Musikmarkt Möglichkeiten zur Verbreitung lokaler Musik nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der gängigen Vermarktungsmechanismen ermöglicht. Im Einzelnen werden vor diesem Hintergrund unter anderem behandelt der Erfolg der schwedischen Musikexportpolitik, die Rolle von MTV im Globalisierungsprozess oder die Rolle von Musik in einem in Auflösung befindlichen Staatengebilde wie Jugoslawien. Die einzelnen Essays werfen letztendlich mehr Fragen auf, als dass sie Antworten auf die gestellten Fragen geben. Allein damit wird jedoch auf 188 Seiten mehr „Aufklärung“ zum Thema geleistet als in allen im deutschen Rolling Stone seit seiner ersten Ausgabe 1994 erschienenen Artikeln zusammen.

Michael Kleff

Bezug: go! www.ashgate.com

 

ANDREAS GEBESMAIR [Hrsg] – Global Repertoires

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