back Die Besondere

Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder CDs, die aus der Masse herausragen:

DEUTSCHLAND FRANK VIEHWEG -->  Fremdes Land – Nach Gedichten von Henry-Martin Klemt
EUROPA 2DUOS -->  Until The Cows Come Home
EUROPA RENAUD GARCÍA-FONS -->  La Línea Del Sur
NORDAMERIKA ANTJE DUVEKOT -->  The Near Demise Of The High Wire Dancer
NORDAMERIKA RAMBLIN’JACK ELLIOTT -->  A Stranger Here

DIE BESONDERE – DEUTSCHLAND
FRANK VIEHWEG
Fremdes Land – Nach Gedichten von Henry-Martin Klemt

(Raumer Records RR 17508, go! www.raumer-records.de)
24 Tracks, 61:01, mit allen deutschen Texten

Eigentlich ist diese Produktion der Extraklasse ein vertonter Lyrikband. Die Gedichte aus der Feder von Henry-Martin Klemt, von denen der Berliner Liedermacher Viehweg sagt, sie seien „Texte, von denen ich träumte, ich hätte sie selber schreiben wollen“, zeichnen sich durch eine literarische Qualität aus, wie sie so außerordentlich bei vergleichbaren Liedermacher/Chanson-Veröffentlichungen nur selten ist. Inhaltliche Tiefe, bedenkenswerte Gedankengänge und aussagekräftige Metaphern („Behutsam teilen wir uns am Ufer die Worte ein für die Nacht“), gepaart mit handwerklichem Können – alles andere, als eine Selbstverständlichkeit im Dschungel heutiger, liedtechnischer Geschwätzigkeit. Stellenweise weise. Kommt dann noch ein Musikant wie Frank Viehweg hinzu, der mit sicherem Gespür für jeden Text die angemessene Melodie findet, dann muss etwas Besonderes dabei herauskommen. Eine zusätzliche Bereicherung erfährt das Gesamtwerk durch die Rezitationskunst der Schauspielerin und Sängerin Gina Pietsch. Die Brecht-Interpretin spricht zwischen den Liedern sieben Gedichte von Henry-Martin Klemt auf derart gekonnte Weise, dass dem Hörer schon mal der eine oder andere wohlige Schauer über den Rücken laufen kann. Neben Frank Viehwegs klarem Gesang (und Gitarrenspiel), Dirk Müller (Kl, Akkordeon) und Matthias Nitsche (Perk, Ges, Charango) ist das ehemalige Pankow-Mitglied Jürgen Ehle an Gitarre, Bass und Mundharmonika zu hören. Das Booklet enthält zwar sämtliche gesungenen Liedtexte, nicht jedoch die gesprochenen Gedichte. Vergeblich sucht der interessierte Hörer auch nach ein paar Informationen zu Henry-Martin Klemt, Frank Viehweg und den übrigen Mitwirkenden. Doch gibt es ja das Internet, über das man beispielsweise erfahren kann, dass Viehweg und sein Freund Klemt im selben Jahr geboren wurden, 1960, und dass Letzterer am Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig studierte, dem DDR-Schriftstellerverband nachtrauert, seinen Westkollegen misstraut und in Frankfurt/Oder lebt.

Kai Engelke

 

FRANK VIEHWEG – Fremdes Land – Nach Gedichten von Henry-Martin Klemt


DIE BESONDERE – EUROPA
2DUOS
Until The Cows Come Home

(Artes Records ARCD3943/Skycap/Rough Trade, go! www.roughtrade.de)
13 Tracks, 63:19, mit dt./engl. Infos und Texten

Gudrun Walther und Jürgen Treyz sind als Nukleus der Gruppe Deitsch zumindest mitverantwortlich für das Deutsch-Folk-Revivalchen der letzten Jahre. Sie sind auch fast die eine Hälfte von Cara, die nicht nur den Amerikanern erfolgreich zeigen, wie gut die hiesigen Jungs und Mädels ihre keltischen Lektionen gelernt haben. Da sie außerdem nicht gerne lange auf Lorbeeren verweilen, machte es sich gut, dass sie auf ein ähnlich gestricktes Paar von nördlich des Hadrianwalls trafen: Claire Mann und Aaron Jones, die etwa auch der aktuelle „BBC Musician of the Year“ Tom McConville als Begleitung bevorzugt. Keltische Klänge, gerne auch mit skandinavischen oder balkanesischen Einflüssen, sind für die beiden Paare – also 2Duos – kein Problem. Und da das gesangliche wie instrumentelle Niveau (Geige, Akkordeon, Flöte, Whistle, Gitarre, Dobro, Bouzouki) vorbildlich ist, kann die Zusammenarbeit eigentlich nur in einem guten Album resultieren. Was aber macht es besonders? Neben traditionellen und zeitgenössischen englischsprachigen Songs und drei Instrumental-Sets haben Walther und Treyz fünf traditionelle deutsche Lieder in die Kooperation eingebracht. Die sind ein Problem für die Fraktion, die von der musikalischen Minderwertigkeit der deutschen Tradition gegenüber der angelsächsischen spricht. Sagen wir es so: Wenn auf Sandy Dennys „Solo“ das schweizer-deutsche „Stets in Trauer“ folgt, danach Richard Thompsons „Beeswing“ angestimmt wird und keinerlei Qualitätsunterschiede zu hören sind, das gesamte Album auf gleich hohem musikalischen und interpretatorischen Level ist, dann kann das nur heißen: Gib den richtigen Musikern deutsches traditionelles Material und sie werden etwas Spannendes daraus machen. 2Duos haben es zum Teil eines genialen Debütalbums gemacht.

PS: Der unvermeidlichen Kritik, diese deutschen Lieder klängen doch ziemlich keltisch, sei entgegnet: Jawohl, das tun sie, lasst sie keltisch, rockig, jazzig, bluesig oder punkig klingen, aber – verdammt noch mal – lasst sie klingen!

Mike Kamp

 

2DUOS – Until The Cows Come Home


DIE BESONDERE – EUROPA
RENAUD GARCÍA-FONS
La Línea Del Sur

(Enja ENJ-9257 2/Edel, go! www.edel.de)
11 Tracks, 51:39, mit span. Texten und engl., franz. und span. Infos

Der nahe Paris geborene Franko-Katalane verkörpert wie kaum ein anderer die Allianz diverser mediterraner Musiktraditionen. Der „Paganini des Kontrabasses“ entriss diesen mit Hilfe einer zusätzlichen hohen Saite seinem Schicksal als bloß hintergründiges Begleitinstrument. Die teils schwindelerregende Finger- und Streicharbeit des vortrefflichen Technikers und Improvisators kann man auf neun seit 1992 unter eigenem Namen veröffentlichten Alben bestaunen. Die enthalten fast nie Fremdkompositionen, mehrheitlich kreiert der Bassist seine in Flamenco, Jazz, Tango, im Orientalischem bzw. Afrikanischem sowie diversen französischen Traditionen wie der Musette getauchten Stücke selbst. Von Album zu Album klingt alles stets frisch und doch vertraut. Der Meister muss das Rad nicht mehr neu erfinden, hat längst sein eigenes Worldjazz-Reich erschaffen, in dem sich immer wieder viele großartige Musiker verlieren. Und in dem der Hörer so reich beschenkt wird, dass er gar nicht zwanghaft nach Neuem oder Originellem zu suchen braucht. Bei der idealen Umsetzung der verträumt-poetischen Kompositionen stehen dem Feingeist drei superbe Seelenverwandte bei, die wie García-Fons selber musikalische Weltenbummler sind und sein müssen: der im Jazz wie im Chanson bewanderte Akkordeonist David Ventucci, der frankospanische Flamencogitarrist Kiko Ruiz und der Perkussionist Pascal Rollando. Dessen Cajón-Spiel legt die optimale Basis in „Caballera De Mi Amor“, das nicht zuletzt durch die Mitwirkung der Flamencosängerin Esperanza Fernández einer der vielen Lichtblicke des Albums ist. Deren betörender, wunderbar zwischen Flamenco und Jazz aufgehobener Gesang bestach schon auf dem 2000 ebenfalls bei Enja erschienenen Album Jazzpaña II . Und der optische Reiz von La Línea Del Sur sei auch erwähnt. Das Booklet entpuppt sich nämlich als kleine Fotogalerie, deren Schwarzweißaufnahmen eines jungen Spaniers den Musiker nach eigener Aussage beim Schreiben und Aufnehmen der neuen Tracks begleiteten.

Katrin Wilke

 

RENAUD GARCÍA-FONS – La Línea Del Sur


DIE BESONDERE – NORDAMERIKA
ANTJE DUVEKOT
The Near Demise Of The High Wire Dancer

(Black Wolf Records BW008, go! www.antjeduvekot.com)
11 Tracks, 47:59

Black Wolf Records kann nicht unterstellt werden, man orientiere sich an den Regeln des modernen Marketing. Sonst hätte das Unternehmen wohl nicht nur eine Website, sondern gewiss auch keinen Albumtitel zugelassen, der eigentlich besser als Überschrift eines Feuilletonartikels geeignet wäre: The Near Demise Of The Highwire Dancer . Wem der Titel schon zu kompliziert ist, den wird das Albumcover vollends verwirren. Die Künstlerin ist auf der Vorderseite als Drahtseilartistin zu sehen, dreht man das Album um, sieht man sie nicht etwa schwerelos in Richtung Wolken abdriften, sondern leblos auf der Straße liegen – abgestürzt. Das zeugt, wo doch, gerade in der Unterhaltungsbranche, zunehmend einfache Strickmuster und leichte Kost gefragt sind, von Mut. Aber Cover und Titel passen genau zu Duvekots Liedern. Die Texte aus ihrer Feder regen zum Nachdenken an, zuweilen gar zum Grübeln. Aber sie sind nicht düster oder gar pessimistisch, sie sind einfach das Spiegelbild einer Seele, die beide Seiten gesehen hat: die Höhen und die Tiefen, die Niederlagen und die Erfolge. Das Ganze bewegt sich in einem musikalischen Umfeld, das im Kern folkig ist, aber auch nicht davor zurückschreckt, sich gelegentlich beim Pop zu bedienen. Transportiert werden die Stücke von der reifen Stimme einer jungen Frau in der jede Menge Soul und eine gehörige Portion Blues liegt. Die Songs auf dem Album hat die Deutsch-Amerikanerin, die bis zu ihrem 13. Lebensjahr in Heidelberg lebte, alle selbst geschrieben – bis auf einen, ein deutsches Lied: „Augen, Ohren und Herz“ von Gerhard Schöne. Der Name Antje Duvekot wird für ihre amerkanischen Landsleute auf ihrer Website phonetisch dargestellt, damit diese ihn auch aussprechen können: „Pronounced: Aunt-yuh Doo-va-kot“, steht dort zu lesen. Den Namen wird man sich merken müssen, auch wenn das auf den ersten Blick nicht ganz einfach scheint.

Markus Dehm

 

ANTJE DUVEKOT – The Near Demise Of The High Wire Dancer


DIE BESONDERE – NORDAMERIKA
RAMBLIN’JACK ELLIOTT
A Stranger Here

(Anti 27005-2a/SPV, go! www.spv.de)
Promo-CD, 10 Tracks, 44:58

Auch ein großer Produzent kann irren. Selbst was seine eigene Arbeit betrifft: „Dinge werden größer wenn man sie herunterkocht“, sagt John Henry in den Liner Notes des Albums, das er der 77-jährigen Folklegende Ramblin’ Jack Elliott gerade auf den Leib geschneidert hat, „lauter wenn man sie flüstert.“ Quatsch mit Soße, jedenfalls in diesem Fall, zumindest was die Hälfte des Diktums betrifft. Was die Frage der Konzentration aufs Wesentliche betrifft, wird genau anders herum ein Schuh aus A Stranger Here : Für Countryblues ungewöhnlich opulent hat Madonnas Schwager, der erfolgreiche Jobs für Elvis Costello & Allen Toussaint, Solomon Burke oder Teddy Thompson auf der Habenseite hat, zehn Klassiker auf die Höhe der Zeit produziert – mit einer Allstar-Kapelle, deren Namen allein Kenner zittern lassen vor Vorfreude! Zu Recht – was David Hidalgo (Git, Akkordeon), Van Dyke Parks (Tast, Vibes), Greg Leisz (Saiten), Jay Bellerose (Schlz) mit „Death Don’t Have No Mercy“, „Falling Down Blues“, „Soul Of A Man“ oder „Richland Woman Blues“ anstellen, ist großes, gelassenes Americana-Kino: Vom Hörspiel mit allen Arten von Effekten („Death ...“) bis zum Conjunto („How Long Blues“) ist an Stimmungen alles dabei, was man achtzig Jahre nach der „Great Depression“ von den Songs, die damals den Finger direkt auf die Wunde legten, an Transzendenz und Abgeklärtheit erwünscht. Die Geschichten verlieren keinen Deut ihres Schreckens – aber die sagenhaft meditative Musik versöhnt dann doch. Der einzige Schwachpunkt könnte am Ende fast der Künstler sein, um den herum das Team zu Höchstleistung aufläuft: Senior Elliotts Organ hinterlässt öfter mal den Eindruck, als ob es eigentlich gar nicht mehr recht die Kraft, Fülle, Präsenz hat, um das Album zu tragen. Aber der Schein trügt – am Ende ist das Gesamtergebnis eine so selten runde Sache, dass der Mann, der noch mit Woody Guthrie unterwegs war, wohl auch seinen Teil dazu beigetragen haben muss. Er hat. Dieses Album wird noch lange davon zeugen.

Christian Beck

 

RAMBLIN’JACK ELLIOTT – A Stranger Here


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