back Rezensionen Europa


A FILETTA
Bracanà

(Deda DED 45410004/Harmonia Mundi, www.harmoniamundi.com)
14 Tracks, 51:27, mit Originaltexten u. franz./ital. Infos

A Filetta – zu Deutsch „Farn“ – zählt seit drei Jahrzehnten zu den herausragenden Ensembles der korsischen Musikszene. Im Prinzip ist das Septett um Gründer Jean-Claude Aquaviva der Gegenentwurf zu I Muvrini, der international erfolgreichsten Band der „Insel der Schönheit“. Während jene sich – ganz bewusst – immer weiter in Richtung Mainstream-Ethnopop bewegt hat, ist A Filetta noch archaischer, noch strikter in der Umsetzung und Interpretation neuer und traditioneller polyfoner Gesänge geworden. Instrumente sind gänzlich verschwunden, die Macht der unvergleichlichen Männerstimmen ist das Maß aller Dinge. Fast alle Kompositionen stammen von Aquaviva, die „schweren“, bitteren, bewegenden Texte – korsisch, lateinisch oder, neu, georgisch – haben sehr unterschiedliche Urheber: Einige wenige sind traditionell oder der christlichen Liturgie („Dies Irae“, „Benedictus“) entnommen, andere zeitgenössisch (eine Meditation Primo Levis) oder antik (Auszug aus einem Epos’ Senecas). Ergreifend und wahrlich schmerzlich das letzte Stück „Treblinka“. Diese Form höchster Vokalkunst ist nichts zum Nebenbeihören, aber ein unvergleichliches Hörerlebnis!

Roland Schmitt

 

A FILETTA – Bracanà


AMPIABA
Going Back To Aného

(Eigenverlag LJCD001/Morerecords, www.myspace.com/ampiaba)
10 Tracks, 38:18

Ampiaba sind vor allem Judith Sodji aus Togo und Lasse Javala aus Finnland. Going Back To Aného ist ihr erstes Album – ein außergewöhnliches. Der Mix aus westafrikanischer Weltmusik und finnischem Blues-Swing erstaunt nicht nur, weil Judith Sodjis Gesang unsauber und direkt ist, sondern auch weil Gitarre, Marimba, Orgel, Congas und Saxofon miteinander spielen, als sei es genau so schon immer gedacht gewesen. Kennengelernt haben sich Sodji und Javala in Benin, sie heirateten und gingen gemeinsam in Javalas Heimatland. Sie arbeiten gemeinsam an ihren Stücken, meistens ist jedoch Judith Sodji für die Texte und Lasse Javala für die Musik zuständig. Sodjis Sprache ist hauptsächlich Mina, manchmal auch Französisch. Leider wurde auf ein Booklet verzichtet, sodass die erzählten Geschichten von der gemeinen europäischen Bevölkerung nur dann verstanden werden können, wenn ausnahmsweise Javala auf Englisch singt. Zum Beispiel in „Sodabi“, bei dem es sich um ein sehr starkes alkoholisches Getränk – „as strong as a hero can be“ – handeln muss, denn es hindert den Erzähler an seinen Plänen, sich mit eigenem Land selbständig zu machen. Die Spielfreude erreicht den Hörer aber auch ohne Texte.

Sarah Habegger

 

AMPIABA – Going Back To Aného


BANDABARDÒ
Ottavio

(OTRlive OTR 30/ZYX, www.zyx.de)
14 Tracks, 47:16, mit Texten + DVD mit Infos über die CD

Bandabardò-CDs zeichnen sich durch viel Liebe zum Detail aus, sowohl was die aufwendigen Verpackungen und Booklets angeht, als auch die Musik. Dieses Mal entführt uns das Musikerkollektiv in ein magisches Theater, wo die Band die Geschichte von Ottavio aufführt – von der Geburt bis zur Widergeburt. Ottavio, der Liebende der Commedia dell’Arte, ist ein Wunschkind. Freudengesänge auf Italienisch, Neapolitanisch und Französisch dringen als erstes an seine Ohren. Im Hintergrund spielt die Band wie zu Hochzeiten des Italopops der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Doch Ottavio muss später auch schwierige Zeiten überstehen. „La Mauvaise Réputation“, ein Lied aus der Feder von Georges Brassens, zeigt, was einen erwartet, wenn man nicht den Weg der Mehrheit geht. Bandabardò wären aber nicht die fröhlichen Weltverbesserer mit Tiefgang, würden sie ihrem Ottavio nicht zum Happyend verhelfen. Bis ihr Held das große Liebesglück findet, präsentieren uns die Zeremonienmeister eine Revue nostalgisch angehauchter Musik, vom Chanson über Italopop und -rock bis zum Western Swing. All diese Beigaben hat das Sextett mit feiner Klinge und einem guten Gespür für die richtigen Zutaten angerichtet.

Martin Steiner

 

BANDABARDÒ – Ottavio


BELLOWHEAD
Matachin

(Navigator Records NAVIGATOR17X/Rough Trade, www.roughtrade.de)
13 Tracks, 52:03, mit engl. Infos u. Texten

Das ist der Zweitling der zehn Herren und einen Dame aus England mit den zwanzig Instrumenten und den ungewöhnlichen traditionellen Songs. Im Gegensatz zum Debüt findet der Rezensent bei einigen Tracks allerdings keinen richtigen Zugang. Woran kann das liegen? Vielleicht sind ein paar Stücke überarrangiert – manchmal kann es des Guten auch zu viel sein. Ein Beispiel sind die ersten beiden Songs, von denen der Shanty „Roll Her Down The Bay“ kaum mehr als solcher rüberkommt. Wenn Bellowhead jedoch in voller, stimmiger Fahrt sind – „Whiskey Is The Life Of Man“ ist ein Beispiel dafür -, dann hält sie nichts und niemand auf. Und es gilt durchgehend: Bellowhead sind vielschichtig, vielseitig und sicherlich einzigartig. Zwei der Songs stammen übrigens aus dem Schaffen des verstorbenen Peter Bellamy. Nicht von ungefähr, denn dessen exzentrischer Gesangsstil diente Sänger Jon Boden als Inspiration, wobei sich Boden auf diesem Album stimmlich deutlich zurücknimmt. Durchweg ist bei der Band auch ein unterschwelliger Humor zu verspüren, musikalisch ebenso wie textlich bei den Kommentaren. Offensichtlich nehmen Bellowhead sich und die Szene nicht allzu ernst – und das ist gut so!

Mike Kamp

 

BELLOWHEAD – Matachin


THE BOTHY BAND
The Bothy Band

(Mulligan Records/Compass Records LUN CD3002/Green Linnet, www.greenlinnet.com)
14 Tracks, 47:43, mit Liner Notes von P. J. Curtis

MATT MOLLOY/PAUL BRADY/TOMMY PEOPLES
Molloy, Brady, Peoples

(Mulligan Records/Compass Records LUN CD3017/Green Linnet, www.greenlinnet.com)
15 Tracks, 35:57, mit original Liner Notes von Tony McMahon

KEVIN BURKE
If The Cap Fits

(Mulligan Records/Compass Records LUN CD3021/Green Linnet, www.greenlinnet.com)
8 Tracks, 38:51, mit neuen ausführlichen Liner Notes von Earle Hitchner

MARTIN O’CONNOR
The Connaughtman’s Rambles

(Mulligan Records/Compass Records LUN CD3027/Green Linnet, www.greenlinnet.com)
12 Tracks, 39:13, mit spärlichen Infos

Erfreulicherweise finden sich mehrere, zum Teil neu gemasterte CD-Wiederveröffentlichungen des Mulligan-Labels aus den Siebzigerjahren ein. Ein Meilenstein in der Geschichte des Revivals traditioneller irischer Musik war die Bothy Band. Das bis heute unerreichte Lead-Instrumentalisten-Trio Paddy Keenan (Uilleann Pipes), Matt Molloy (Concert Flute) & Tommy Peoples (Fiddle) setzte sich zusammen mit dem 2007 verstorbenen Micheál O’Dhomhnaill (Gitarre, Gesang), dessen Schwester Triona (Clavinet, Gesang) und Donal Lunny (Bouzouki) mit dem Banddebüt The Bothy Band von 1975 großartig in Szene. Zwischen tiefer Melancholie und höchster Lebensfreude changierten die furiosen, groovigen Instrumentals und die spannungsreich arrangierten Balladen in gälischer Sprache. Mit dieser Mixtur kreierte die Band eine völlig neue, mitreißende Musik, die ihr weltweit historische Bedeutung und lebenslangen Ruhm einbrachte. Die Einheit von irischer Identität, emotionaler Dichte, Finesse, Virtuosität und Tempo muss angesichts des hörbaren Herzbluts und der sprühenden Musikbegeisterung der Bothy Band bis heute als unerreicht angesehen werden.

Eine zweite Perle dieser Ära ist die von Matt Molloy und Tommy Peoples eingespielte Sessionaufnahme, die zeigte, dass Flute und Fiddle zusammen mehr sind als die Summe zweier Melodieinstrumente. Gegenseitiger musikalischer Respekt, fantasievolles und variationsreiches Spiel sowie makellose Tune-Auswahl erwiesen sich ebenfalls als eine wunderbare Mischung. Als Gitarrist war Paul Brady geladen, dessen Impromptufähigkeiten in Sachen Gitarrenbegleitung damals auf mehreren Produktionen zu hören waren. Der in England aufgewachsene Geiger Kevin Burke löste Tommy Peoples bei der Bothy Band ab und spielte 1978 sein zweites Soloalbum mit Unterstützung der damals ersten Liga irischer Musiker ein. If The Cap Fits präsentiert Kevins markantes, swingendes Fiddlespiel, dessen Wurzeln in der schnellen Musik des Countys Sligo und dem schönen Ton des Countys Clare liegen, die vertretenen Tunes erlangten nachhaltige Popularität. Last not least Martin O’Connor – auch er gründet seinen legendären Ruf auf die frühe Mitwirkung in einer angesagten Band der Siebzigerjahre, in seinem Fall De Danann. Sein Solodebüt lässt seine überschäumende, hoch verzierte Stilistik hören. Interessant für Fans des irischen Button Accordeons.

Johannes Schiefner

 

THE BOTHY BAND – The Bothy Band

MATT MOLLOY/PAUL BRADY/TOMMY PEOPLES – Molloy, Brady, Peoples

KEVIN BURKE – If The Cap Fits

MARTIN O’CONNOR – The Connaughtman’s Rambles


CANKISOU
Lé La

(Indies Scope Records MAM425-2, www.indies.eu)
Promo-CD, 11 Tracks, 49:16

Auch wenn der Name nicht so klingt – Cankisou kommen aus Tschechien. Dort sind die sieben Herren wohl auch recht angesagt und als Partygaranten bekannt. Ihre wilde Mischung aus groovenden und rockenden Worldsounds, die mal etwas nach Australien klingen, mal nach dem arabischen Kulturkreis, mal nach afrikanischen und indischen Einflüssen, bedient sich aber vor allem einer großen Portion Balkanklänge und entspannt rollendem Rock. Auch leicht jazzige Töne schlagen Cankisou an. Ihre globalen Inspirationen verdankt die Band ausgedehnten Reisen, die Instrumentierung des vorliegenden vierten Originalalbums reicht von Didgeridoo und Djembe über Yabbara, Darbuka, Jinagovi, Yarin, Flöten und Percussion bis hin zu Saxofon, Mandolinen, Bass und Schlagzeug. Die Mischung, die damit angerührt wird, ist gleichzeitig gewöhnungsbedürftig und lässt einen auch wieder nicht los. Mal mischen sich Ethnoklänge und Rock schon fast zu klischeehaft, dann überraschen Soundcollagen und Grooves, die Kopf und Beine gleichermaßen fordern. Mit Lé La frönen Cankisou der Sprache und Kultur eines Fantasievolks und sie tun das mit viel Freude und etwas Augenzwinkern – ein spannender Soundcocktail.

Claudia Frenzel

 

CANKISOU – Lé La


MARY COUGHLAN
The House Of Ill Repute

(Westpark Music 87169/Indigo, www.indigo.de)
13 Tracks; 48:07; mit ausführlichen Infos und Texten

Das erste Mal lief Mary Coughlan dem Rezensenten in den späten Achtzigerjahren über den Weg, als sie mit Tired & Emotional ihren Durchbruch feierte. Mit dem ihr eigenen merkwürdig spröden Charme konnte sie sich jahrelang auf dem Level einer Insider-Kultpersönlichkeit halten. Ihr vorliegendes neues Werk ist dagegen ein deutlicher musikalischer Entwicklungsschritt. Coughlans rauchgeschwängerter Alt klingt prägnant und geht unter die Haut. Da stehen an Tom Waits erinnernde Trash-Arrangements neben schmeichelhaften Streichersätzen. Die Songauswahl enthält bemerkenswerte Remakes verschiedener Komponisten, es kommen unter anderem sogar die Herren Leiber & Stoller zu Wort, die man sonst eher aus der Rock-’n’-Roll-Ära kennt. Ihre Ballade „Tango“, der Ausklang des Albums, ist ein wahres Kleinod. Die Begleitmusikanten an Piano, Drums, Gitarre und Kontrabass liefern eine solide, wohlgerundet klingende Grundlage – hier muss vor allem Produzent Eric Visser, bekannt von der niederländischen Formation Flairck, hoch gelobt werden. Er hat es verstanden, hochwertigste Arrangements zu schreiben, einige sehr gute eigene Songs beizusteuern und alles musikalisch kongenial umzusetzen. Sehr schön!

Johannes Schiefner

 

MARY COUGHLAN – The House Of Ill Repute


KRIS DREVER/JOHN McCUSKER/RODDY WOOMBLE
Before The Ruin

(Navigator Records NAVIGATOR1/Rough Trade, www.roughtrade.de)
10 Tracks, 45:05, mit engl. Texten

JOHN McCUSKER
Yella Hoose/Goodnight Ginger

(Navigator Records NAVIGATOR7DCD/Rough Trade, www.roughtrade.de)
11 Tracks/12 Tracks, 52:03/51:17, mit engl. Infos

Für ein Supertrio startet Before The Ruin überraschend behäbig-swingend. Ja, Supertrio! Zumindest im schottischen Maßstab muss der abgenutzte Superlativ erlaubt sein, wenn ein ehemaliger Battlefield-Multiinstrumentalist (McCusker), ein aktueller Saitenchampion mit Lau (Drever) und ein Indiepopsänger (Woomble) sich zusammentun. Und der Einstieg täuscht denn auch. Hier sind drei Künstler, die auf einer Wellenlänge arbeiten und das mit durchgängiger Koautorenschaft beweisen. Das Resultat passt manchmal auf die großen Bühnen, ein, zwei mal sogar in die Charts, dann wiederum auch in die Intimität eines kleinen Klubs. Die Zutaten: Folk, vornehmlich McCuskers Domäne – nicht umsonst wurden seine zwei bisherigen, ziemlich traditionellen Soloalben von 2000 und 2003 bei der Gelegenheit auch gleich remixt und wiederaufgelegt -, dazu Pop, Indie oder Rock der Steeleye-Span-Richtung. Hinzu kommen dem Status der Musiker entsprechend illustre Gäste von Capercaillie bis Phil Cunningham. Aber der musikalische Bastard funktioniert, es klingt gut, es passt, durchgehend modern mit tiefen Wurzeln in der schottischen Tradition. Was will man mehr?

Mike Kamp

 

KRIS DREVER/JOHN McCUSKER/RODDY WOOMBLE – Before The Ruin

JOHN McCUSKER – Yella Hoose/Goodnight Ginger


KUMMERBUBEN
Liebi und anderi Verbräche

(Chop 071001, www.chop.ch)
15 Tracks, 56:57, mit Texten

Lange Zeit durfte man nicht offen dazu stehen, Schweizer Volksmusik zu hören. „Das ist Musik für Ewiggestrige, Musik aus den Sümpfen der Rechtskonservativen“, bekam man zu hören. Seit einigen Jahren versuchen Jazz- und Folkmusiker inzwischen einer städtischen Bevölkerung die Schweizer Volksmusik näher zu bringen. Bei jungen Musikhörern stößt der akademische, bewahrende Ansatz der Musiker aber selten auf offene Ohren. Mehr Glück dürfte nun den Berner Kummerbuben beschert sein. Endlich tönt eine Schweizer Volksmusikband frisch und frech. Versetzt mit Ska, rumpelnden Polkas und einem guten Schuss Punk wirken diese Lieder, als wären sie nicht von vorgestern, sondern direkt von dieser jungen Band geschrieben. Simon Jäggis Stimme mahnt nicht nur an Tom Waits, vor seinem Einstieg bei den Kummerbuben mimte er den Meister mit der heiseren Stimme auch in einer Waits-Coverband. Seine Kumpels an Akkordeon, Bläsern, Gitarren, Bass und Drums lassen die Volkslieder dampfen, überzeugen aber auch bei ruhigen Stücken. Die Kummerbuben haben die Schweizer Volksmusik endlich vollständig entstaubt. Dafür gebührt ihnen Dank.

Martin Steiner

 

KUMMERBUBEN – Liebi und anderi Verbräche


JUAN DE LERIDA
Quimeras

(Le Chant du Monde/Harmonia Mundi, www.hamoniamundi.com)
12 Tracks, 56:24, mit frz./engl./span. Infos

Der Franzose Juan de Lerida stammt aus einer Familie spanischer Emigranten, die ihre Heimat zur Zeit des Franco-Regimes verließen. Musikalisch lässt der vierzigjährige Flamencogitarrist auf seinem ersten Album keinen Zweifel daran aufkommen, wo sein Herz zu Hause ist. Aber nicht nur Aragon ist hörbar, auch die Begegnung mit der Musik eines weiten Europa ist präsent. Der Autodidakt – man mag es kaum glauben – überrascht mit einer Originalität, die einen stets wachen und lernfreudigen Geist vermuten lässt. Um Juan de Lerida schart sich – im Flamenco ja nicht selten – eine Art Familienunternehmen: Die meisten Mitmusiker sind mit ihm verwandt. „Spannend“ und „virtuos“ sind Vokabeln, die der speziellen Fusion dieses kreativen Kopfes nur annähernd gerecht werden. „Musik beschreibt mich besser als ich Musik beschreiben kann“, sagt Juan de Lerida. Nehmen wir ihn beim Wort und schenken ihm Gehör. Das ist gut verbrachte Zeit.

Rolf Beydemüller

 

JUAN DE LERIDA – Quimeras


MIKAEL MARIN & MIA GUSTAFSSON
Mot Hagsätra

(Dimma Sweden DIS003, www.dimmaswe.com)
18 Tracks, 54:54, mit schwed./engl. Infos

Da haben sich zwei gefunden, im Leben und musikalisch, die sich fantastisch ergänzen, aber auch gegenseitig herausfordern. Bei ihrem begeisternden Auftritt in Korrö 2007 wurden sie zu ihrem ersten gemeinsamen Album als Duo animiert. Mia Gustafsson (Geige) spielt unter anderem in den Gruppen n:id und Mattias Pérez Trio, Mikael Marin (fünfsaitige Viola) unter anderem bei Väsen und Timber. Das Album enthält neun Eigenkompositionen und neun traditionelle in eigenen Arrangements. Melancholische Melodien wie „Gröna Visan“ und „Lasses Fina“ (nach Lasse Sörlin, Jämtland) wechseln sich ab mit fröhlichen wie „Cajunvals“ – siehe auch Youtube – und besonders dynamischen wie „Åkerbystålet“. Auch eine Melodie aus einer deutschen Notensammlung aus dem 17. Jahrhundert ist dabei („Serra“). Zu allen Stücken gibt es – nette, wenn auch nicht essenzielle Beigaben – kurze Erklärungen auf Schwedisch und Englisch: „Mot Hagsätra“ beschreibt eine U-Bahn-Fahrt bis zur Endstation in diesem Stadtteil im Süden Stockholms. Das Zusammenspiel von Geige und Viola – meist als zweite Stimme – ist von außergewöhnlicher Schönheit und Kraft. Selten gibt es so viele so hinreißend gespielte Melodien auf einem Album.

Bernd Künzer

 

MIKAEL MARIN & MIA GUSTAFSSON – Mot Hagsätra


MALINKY
Flower & Iron

(Greentrax Recordings CDTRAX330/Fenn Music Service, www.fenn-music.de)
12 Tracks, 58:40, mit engl. Texten u. Infos

MARK DUNLOP
Islands On The Moon

(Greentrax Recordings CDTRAX307/Fenn Music Service, www.fenn-music.de)
11 Tracks, 51:40, mit engl. Infos u. Texten

Das schottisch-irisch-nordenglische Quintett Malinky geht nicht aus Gewohnheit ins Studio. Es muss schon den Drang verspüren. Das kann dauern, aber dann lohnt es sich. Diesmal besonders, denn auf dem neuen Album hören wir die wahrscheinlich besten Malinky aller Zeiten. Eine der raren Liedgruppen, gesegnet mit drei außergewöhnlichen Stimmen: Fiona Hunter, die Verführerin; Steve Byrne, mit so viel Soul in der Kehle; und Mark Dunlop, das nordirische Stimmkraftpaket. Kein Wunder, dass letzterer gerade auch ein Soloalbum veröffentlicht hat, produziert von Bandkollege Byrne: sparsam instrumentiert, natürlich Schwerpunkt nordirische Lieder – überzeugend! Das Erstaunliche bei Malinky jedoch ist, dass sie mit jedweden schottischen Instrumentalzauberern mithalten könnten, wenn sie wollten. Kein Wunder bei einem Saitenrhythmustalent wie Dave Wood und dem Fiddler James Vass, dessen Einsatz in jeder Hinsicht auf den Punkt ist. Als sei Fiona Hunters Cello alleine nicht schon außergewöhnlich genug. „Drunken Drunk“ ist ein sehr gutes Beispiel für instrumentelle Exzellenz. Malinky – lange mögen sie weiter so musizieren und besonders singen, als eine ganz spezielle Band aus Schottland.

Mike Kamp

 

MALINKY – Flower & Iron

MARK DUNLOP – Islands On The Moon


TOM MCCONVILLE
Tommy On Song

(Tomcat Music TCCD07, www.tomcatmusic.com)
13 Tracks, 54:50, mit engl. Infos

Der Meisterfiddler und Sänger McConville aus Geordieland = Newcastle hat mittlerweile dank Venne und zwei Touren auch in Deutschland einen guten Namen. Das kann durch das neue Album nur zementiert werden. Das Konzept ist bekannt: Songs, traditionell oder von Größen wie Allan Taylor oder Phil Ochs, und vor allem die Tunes aus dem englischen und keltischen Bereich, alt und neu, immer mit dem Augenmerk auf Stimmigkeit und hohe Qualität bei der Interpretation. Bereits beim Einstieg wird das eindrucksvoll dokumentiert – erst der Mark-Knopfler-Song „Why Aye Man“ mit Referenzen auf den River Tyne und das Touren durch Deutschland, daran anschließend die druckvolle irische Tune „Donegal Tinker“. Für diese Passagen hat McConville erneut die beiden richtigen Leute an Bord: den Saitenspezi Aaron Jones und die Flötenfrau Claire Mann. Und wenn der Irischstämmige mit dem für ihn typischen „Lilt“ – mit „Swing“ nur unzureichend übersetzt – im Gesang einsteigt, geht nicht nur Keltenfans das Herz auf. Sagen wir’s mal so: Vintage McConville ! Je älter, desto besser.

Mike Kamp

 

TOM MCCONVILLE – Tommy On Song


MUSICA NUDA
55/21

(Blue Note 509992137732 7/EMI, www.emi.de)
17 Tracks, 55:19, mit Texten

Die seltenen Augenblicke, in denen man sich beim ersten Hören eines Albums begeistert an den Kopf fasst, haben wir oft dem Jazzlabel Blue Note zu verdanken. Die aufregende Neuentdeckung Musica Nuda wurde von Blue Note France verpflichtet. In Italien treffen eine Sängerin und ein Kontrabassist auf seltsame Weise aufeinander: Petra Magoni plant eine Konzerttour mit einem befreundeten Gitarristen. Dieser wird einen Tag vor Beginn der Tour krank. Anstatt die Tour abzusagen, fragt sie den Bassisten der Gruppe Avion Travel, Ferruccio Spinetti, ob er einspringen kann ... Der Rest ist Legende. Mittlerweile brachte es das Duo unter dem Namen Musica Nuda zu mehreren Alben, einer DVD und nun zu einem Majordeal. Warum aus der improvisierten Notlösung eine feste Größe wurde, wird jedem nach dem ersten Durchlauf von 55/21 klar. Musica Nuda heißt in diesem Fall nicht „spärlich und spröde“, sondern „seht mal, was wir alles aus einem Bass und einer Stimme herausholen können“. Da wird es experimentell („Crocodail“), traditionell italienisch („Fronne“) oder hoffnungslos romantisch („Io So Che Ti Amero“). Das Duo kann sogar „While My Guitar Gently Weeps“ covern, ohne eine Spur peinlich zu wirken.

Chris Elstrodt

 

MUSICA NUDA – 55/21


NEGRITA
Dema Tu

(Iris Music IRIS 3001990/Harmonia Mundi, www.harmoniamundi.com)
12 Tracks, 53:37, mit franz./engl. Infos

Gleich die ersten Töne des Albums geben einen starken Eindruck von der großen, facettenreichen Stimme dieser Romasängerin. Die Songs der Französin mit spanischen Wurzeln sind von einer speziellen Gefühlsintensität. In Musik gemünzte wechselvolle Lebenserfahrungen, etwa ein Autounfall, der sie ein Bein kostete. Das erfährt man aus den Liner Notes, während im Verborgenen bleibt, auch im Internet, woher sie stammt oder wo sie heute lebt. Negrita, die schon als Youngster mit ihrem Bruder Boï Platten bei einem Majorlabel veröffentlichte, scheint zu Hause unter den Roma Starstatus zu genießen. Künstlerisch durch alle Niederungen gegangen, setzt sie ihre gesanglichen Kapazitäten mehr oder weniger stilsicher ein: von Romaweisen über Flamenco und Gypsy-Rumba bis hin zu Salsa und Kitschballaden. Letztere sind auf dem Album kaum zu finden. Die durchweg mit ihrem Gitarristen Souno verfassten, mit (Flamenco-)Gitarre und Geige gestalteten Songs tendieren zur eher getragenen Gangart, hier und da wird es balkanesk flotter. Mit erhobenem Haupt würdevoll zelebrierte Klagelieder, in denen es um Leid und Freud junger Romafrauen geht, um Mutterliebe oder um den Ehemann mit amourösem Doppelleben ...

Katrin Wilke

 

NEGRITA – Dema Tu


PHENOMDEN
Gangdalang

(One Ton ot-022-CD/One Nation/Soulfood Music Distribution, www.soulfood-music.de)
14 Tracks, 55:01, mit schweiz. Texten u. engl. Infos

Hopp Schwyz! Nach dem Zweitling als Phenom Melody ist Dennis Furrer aus Wiedikon wieder zurück bei der Persona, mit der er vor vier Jahren debütierte. Gleich geblieben ist die phänomenale Passform seines Schwyzerdütschs auf den aufgeräumten Musterbastard aus Roots und Dancehall Reggae, den seine Band auf Gangdalang mit souveräner Lockerheit vorlegt. Dass sie deutlich unterschiedlich klingen, das jamaikanische Patois der Originatoren und der Dialekt aus dem Alpenländle, kann man sehr gut in „Vill Lüüt“ hören, wo Rebellion the Recaller aus Gambia täuschend die Vorbilder imitiert und Phenomden mit seiner Variante munter gegenhält. Aber der Charakter der Veranstaltung bleibt all den krachenden „chrs“ zum Trotz der gleiche. Vielleicht ein bisschen freundlicher als bei vielen der Kollegen: zivilisiert ist der Alltag, von dem erzählt wird, unspektakulär; politische Korrektheit ergibt sich aus der wortreichen Hommage an die „Chugle“, auf der wir leben, ohne dass sie groß gefordert werden müsste, von selbst; und der Rest ist vor allem das alte Lied vom Jungen, der ein Mädchen trifft und so weiter, wie überall sonst auf der Welt – wenn man vom außergewöhnlichen Zungenschlag mal absieht ...

Christian Beck

 

PHENOMDEN – Gangdalang


TITI ROBIN
Kali Sultana

(Naïve WN145166/Indigo, www.indigo.de)
Promo-Do-CD, 31 Tracks, 87:02

Titi Robin ist die Seele des Gipsy. Ob er zur Gitarre, Oud oder Bouzouki greift, jederzeit ist er in der Lage, diese Sehnsucht zu erzeugen, die an Lagerfeuer und verlassene Heimat erinnert, aber auch innere Ruhe und eine Art glücklicher Schwermut erzeugt. Nach dreißig Jahren auf der Bühne und zahllosen Plattenproduktionen veröffentlicht Robin nun einen weiteren Höhepunkt seiner Laufbahn. Kali Sultana ist ein echtes Doppelalbum, komponiert wie ein Schauspiel. Es gibt Prolog, Epilog, Intermezzo und sieben Akte. Und wie im Theater gibt es auch eine Pause, nämlich beim Wechsel von CD eins auf CD zwei. Die zweite Hälfte öffnet mit einem neuen Bühnenbild, in dem die Hauptdarstellerin als Sängerin auftritt. Jede Hälfte steht für sich selbst, hat einen individuellen Stil, Charakter. Zusammen werden sie zu einer harmonischen Einheit, zum großen Ganzen. Für dessen Schönheit, auf die sich auch die eingangs erwähnte Sehnsucht richtet, hat Titi Robin einen Namen: Kali Sultana, die schwarze Königin. Sie ist mehr als eine Frau – sie ist der Motor, der den rastlosen Musiker antreibt auf der Suche nach dem perfekten Ideal. Die Göttin der Kunst kann grausam oder besänftigend sein, wer sich auf sie einlässt wie Robin, den verlässt sie nie. Um den kümmert sie sich persönlich. Wie weit das geht, beweist eine sagenhaft klare Frauenstimme auf dem instrumentalen Album. Maria Robin, Titis Tochter, ist ihr ebenfalls bereits verfallen.

Chris Elstrodt

 

TITI ROBIN – Kali Sultana


SOUTHERN TENANT FOLK UNION
Revivals, Rituals & Union Songs

(Ugly Nephew Records UNR011/Cargo Records, www.cargo-records.de)
11 Tracks, 39:33, mit engl. Texten

Manchmal geschieht es, dass man das Album einer unbekannten Band einlegt und gleich der erste Song so viele Sympathiepunkte gewinnt, dass der Rest es nicht mehr rausreißen muss. Bleiben bei diesem Sextett aus London auch selbst die übrigen zehn Stücke auf ansprechendem Niveau, so klingt der Opener „Never Got The Best Of Me“ doch in jedem Fall lange nach – mit seinem prägnanten Chorus, je einem Banjo- und Mandolinensolo und trotz der Instrumentierung von der Ausstrahlung her doch eher ein Folk- denn ein Bluegrasssong. Zu Herzen gehende Melodien gehören zu den Stärken der Briten. In ihren traurigen Balladen erzählen sie Geschichten vom Abschied, der Hoffnung auf bessere Zeiten und zerfallener Liebe, etwa in „Her Love’s Gone Cold“, wo es bitter-ironisch heißt: „I dance to bluegrass, she twists to soul/I am alone, her love’s gone cold“. Das passt zu dem Motto, das die Band auf ihrer Myspaceseite formuliert: „Gleefully Uplifting Bluegrass Melancholy“, also „fröhlich-erbauliche Bluegrass-Melancholie“. Dazu nutzt sie genretypisches Instrumentarium wie Fiddle und Kontrabass und ordnet sich zwischen den Polen Stanley Brothers und Gillian Welch ein. Musik zum Liebhaben.

Volker Dick

 

SOUTHERN TENANT FOLK UNION – Revivals, Rituals & Union Songs


NICK WOODLAND
Cult Factory Vol. 1 – Authentic Heads

(Blues Beacon BLU-1037 2/Enja/Soulfood Music Distribution, www.soulfood-music.de)
12 Tracks, 47:10, mit Texten

Seit vielen Jahren ist Nick Woodland als „Chefgitarrist“ im Gefolge des bayerischen Poeten und Sängers Georg Ringsgwandl unterwegs, und dieses Engagement lässt ihm die Zeit und Freiheit, in schöner Regelmäßigkeit eigene Projekte zu verwirklichen. Sein neuestes Werk ist eine ausgefeilte Studioproduktion, bei der er eine Vielzahl von Saiteninstrumenten wie Gitarre, Mandoline, elektrische Sitar und Bass spielt und dazu singt, während sein Koproduzent Manfred Mildenberger Schlagzeug, Percussion, Orgel und Piano beisteuert. Der äußerlich kauzig bis spleenig wirkende Brite glänzt als Texter mit pointiertem Witz und er versteht es, mit knappen, dürren Worten Stimmungen und Situationen zu beschreiben. Seine Musik ist im britischen Blues und Rock der Sechzigerjahre verwurzelt. Als ausgefuchster und virtuoser Gitarrist spielt er mit verschiedenen Stilen, klingt hier einmal wie die frühen Dire Straits, dort folgt ein irischer Folksong oder ein akustischer Slide Blues. Viel Mühe und Sorgfalt wurde auch beim Mischen und Mastern der Stücke aufgewendet – das Album klingt einfach toll: rund, warm und dabei an keiner Stelle künstlich oder überproduziert.

Achim Hennes

 

NICK WOODLAND – Cult Factory Vol. 1

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