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CALEXICO
Carried To Dust
(Quarterstick Records/City Slang SLANG1051252P/Universal, www.universal-music.de)
Promo-CD, 15 Tracks, 45:16
Die Geschmäcker sind verschieden, und sicherlich wird nicht jeder die Meinung
dieses Rezensenten teilen, dass die Tex-Mex-Stücke des neuen Calexico-Albums den
staubtrockenen Wüstenmeditationen weit überlegen sind – aber wie auch
immer: Zwei, wenn nicht sogar mehr Angebote auf einem Album zu bekommen, ist
aller künstlerischen Ambitionen würdig und weit mehr als man erwarten kann.
Zumal wenn Calexico-Köpfe Joey Burns wie John Convertino mit Marianne Dissard
(siehe Rezension „Kurzschluss“) noch einen draufsetzen. Das Spektrum, das
Calexico auf
Carried To Dust
auffächern, reicht von astreinem majestätischem Midtempo-Mariachi
(„Inspiracion“) über mit Surf- und Hollywood-Western-Elementen versetzte
Kreuzungen der unwiderstehlichen mexikanischen Bläsergrandezza („El Gatillo
[Trigger Revisited]“) bis zu besagten Erforschungen des Gemüts in der
flirrenden Hitze unter texanischer Sonne oder dergleichen („Contention City“),
vom bewusstseinstrübenden Einfluss gewisser Substanzen, flüssig wie fest oder
gasförmig, ganz zu schweigen. Nicht alle Varianten sind gleichermaßen
überzeugend, schon gar nicht im Gesamtzusammenhang des dadurch mitunter
reichlich disparaten Albums, aber das umfassende Angebot verdient Respekt und
Dank. Es hält für einige vieles bereit ...
Christian Beck
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CLARE & THE REASONS
The Movie
(Fargo FR 21151/Rough Trade, www.roughtrade.de)
Promo-CD, 12 Tracks, 50:27
„Das große böse New York City wie einen Ort sanfter, bittersüßer Romanzen wirken
zu lassen, ist eine ziemliche Leistung“, schwärmte der
Independent
zu Recht – ein Hoch auf Kultiviertheit und Leidenschaft! Es sind ganz
offensichtlich dieselbe Expertise, Hingabe und Konsequenz, die schon ihren
Vater Geoff und seinen Kumpel Van Dyke Parks, hier auch mit seinen
Arrangementkünsten zugange, zu den großen Koryphäen und singulären Interpreten
der Popmusik abseits ihrer ausgewalzten Hitparadenautobahnen machten, die auch
Clare Muldaur Manchon treiben. Ihr Debütalbum
The Movie
birst vor all den anderen Qualitäten, die verführerische Unterhaltungsmusik
auch haben kann, wenn die schiere zu erreichende Masse nicht das einzige
Argument ist: von Muldaur Manchons versierter Gesangsstimme geführte exaltierte
Melodik, reiche Harmonik und abgedrehte Akkordfolgen, opulente Arrangements mit
allen Arten von großer wie kleiner Besetzung – viel klassische Operette,
Musical, Hollywoodsoundtrack; nicht umsonst wohl der Albumtitel. Alles
entwickelt in seiner dezenten Zurückhaltung und Melancholie ein deutlich
nostalgisches Flair – nicht ganz unerwartet angesichts der Ernüchterung,
die wirkliche Musikfreunde angesichts der lückenlosen Durchformatierung der
Hitparaden längst ergriffen hat. Und ebenso willkommen.
Christian Beck
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ANI DIFRANCO
Red Letter Year
(Righteous Babe Records RBR063-D/Rough Trade, www.roughtrade.de)
12 Tracks, 47:06, mit engl. Texten
Ganz nach Ani DiFrancos neuem Lebensmotto „Vergiss nicht, Spaß zu haben“ feiern
die zwölf Stücke dieses Albums das Leben und die Liebe. Beim letzten Track,
einer Instrumentalversion des Titelstücks, kann man sich die junge Mutter
bildhaft vorstellen, wie sie sich lächelnd mit ihrer knapp zwei Jahre alten
Tochter im Arm in New Orleans zu den Rhythmen der Rebirth Brass Band wiegt. Ohne
auf die Schärfe ihrer Worte zu verzichten, äußert sich DiFranco selbst in Sachen
Politik spürbar gelassen. Ihre Texte bestehen aus einem nicht enden wollenden
Strom an Wortspielen und Metaphern. Mehr gesprochen als gesungen, ist der
Titelsong eine Mischung aus Erinnerungen, Momentaufnahmen und politischen
Betrachtungen. „Alla This“ ist das Bekenntnis, nie einen männlichen Gott
anzubeten. „Mit dem Atom herumzuspielen, das ist die höchste Form der
Blasphemie“, stellt DiFranco in „The Atom“ fest, einem Song über Wissenschaft,
Religion und Ethik. Kindheit und Mutterschaft sind die Themen von „Landing
Gear“. Gemeinsam mit langjährigen Partnern wie Mike Napolitano als Koproduzent
und dem Bassisten Todd Sickafoose sorgt Ani DiFranco zudem für einen Sound, der
erneut ihre außergewöhnliche Kreativität unter Beweis stellt.
Red Letter Year
– eine absolute Empfehlung!
Michael Kleff
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AL GREEN
Lay It Down
(Blue Note 50999 2 12600 2 5/EMI, www.emimusic.de)
11 Tracks, 44:40, mit engl. Texten und Infos
Mit
I Can’t Stop
(2003) und
Everything’s OK
(2005) knüpfte Al Green erfolgreich an seine große Zeit bei Hi in den
Siebzigern an – damals wie beim Comeback unter der Regie von
Produzentenlegende Willie Mitchell, der einst das Potenzial der greenschen
Stimme erkannt hatte und die wunderbar trocken zurückgenommene, grundsolide
Begleitung erfunden hatte, vor deren Hintergrund die Ausnahmestimme aufs
schönste säuseln, shouten und kieksen konnte. Diesmal ging Green statt mit
Mitchell mit den HipHop-Produzenten Guestlove (The Roots) und James Poyser
sowie diversen Neo-Soul-Sängern ins Studio. Man konnte also mit dem Schlimmsten
rechnen, doch was für eine Überraschung: Die Achtung vor dem Monument, das
Green und Mitchell geschaffen haben, ist offenbar so groß, dass selbst wenn
technisch und personell ganz neue Wege beschritten werden, musikalisch
Kontinuität herrscht. Die im Team entstandenen Songs, traditionell knapp und
präzise instrumentiert, reihen sich in Greens Interpretation direkt bei den
schönsten Liebesliedern für Erwachsene ein, die es gibt. Gäste und kleine
Spielereien im Arrangement sorgen für Abwechslung und Frische, sodass das
Ergebnis zugleich zeitlos elegant und doch eindeutig ganz von heute ist –
ein Glücksfall.
Gunnar Geller
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BILL MCCOMISKEY
Outside The Box
(Compass Records 7 4488 2/Sunny Moon Music Distribution, www.sunny-moon.com)
13 Tracks, 49:48, mit ausführlichen Infos
Einer der ganz großen Vertreter des irischen Knopfakkordeons in Amerika ist Bill
McComiskey, der hier mit einem Debütalbum der besonderen Art aufwartet. Der 1951
geborene Musiker ist zeitlebens eine der festen Größen in amerikanischen
Irish-Music-Zirkeln gewesen. Einige von uns haben ihn zusammen mit Liz Carroll
– die hier ebenfalls gastiert – mit der Formation Trian gehört und
früher zusammen mit Mick Moloney bei Irish Tradition. So sind nun auch viele
„big names“ der amerikanisch-irischen Musikszene hier vertreten. Neben Carroll
kommt Athena Tergis (Fiddle) zu Gehör, sowie unter anderem Joannie Madden
(Flute), Bills Sohn Seán (natürlich auch Akkordeon) und nicht zuletzt John Doyle
(Gitarre und Mandola), der als Produzent maßgeblichen Anteil am erstklassigen
Sound dieses Albums hat. Obwohl McComiskey oft eine mehrchörige Grundeinstellung
benutzt – was bei vielen Akkordeonspielern ein An-die-Wand-Spielen der
Mitmusiker zur Folge hat – klingt sein Spiel ausgesprochen filigran,
liebevoll nuanciert, gleichzeitig mit einem steten, unaufdringlichen Drive
versehen. In den Arrangements hört man durchweg die Liebe zum Detail und die
Reife des Meisters. Eine der besten irischen Platten dieses Jahres!
Johannes Schiefner
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CONOR OBERST
Conor Oberst
(Wichita WEBB175CD/Cooperative Music/Universal Music Distribution, www.universal-music-vertrieb.de)
12 Tracks, 42:10, mit engl. Texten und Infos
Der Bright-Eyes-Vorsänger ist vor allem anderen ein Klang – die scheinbare
Zerbrechlichkeit seiner Stimme, ihr Beben, Zittern. Er ist ein Anblick –
jung, blass, verhuscht. Und er ist ein Rätsel – wie die zahllosen
Singer/Songwriter seit Bob Dylans amtlicher Enigma-Blaupause vor ihm: Auf Bühnen
klettern, um dort zu wirken, als wolle man sich allem entziehen? Steter Wechsel
zwischen herkömmlich akustisch und polternd elektrisch, klar und verblasen,
sanft und krachend, direkt und von hinten durch die Brust ins Auge? Singt Conor
Oberst Stücke wie „Lenders In The Temple“, die dem Übervater nicht nur in den
Bibelbildern nacheifern, sondern auch in ihrem Freiflug durch Bilder jenseits
aller unmittelbar nachvollziehbaren Zusammenhänge, ist die Gefahr groß,
gegenüber dem Vorbild zu verblassen. Wird er halbwegs konkret wie in „Danny
Callahan“ – Krankheit, Tod – werden die Ergebnisse handfester.
Dazwischen fächert sich ein ordentliches Spektrum an
Americana-Aggregatszuständen auf: Großstadtlärm und Landflucht, Nabelschau und
Party, Rock und Folk. Jüngeren scheinen sie sich beim Hören eher zu einem
attraktiven Gesamtbild zu formieren, Älteren eher disparate Einzelteile eines
Puzzles zu bleiben. Aber die SeniorInnen lernen, wie man von der Tour hört,
offenbar dazu ...
Christian Beck
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JONATHAN RICHMAN
Because Her Beauty Is Raw And Wild
(Vapor Records 2-453180/Rough Trade, www.roughtrade.de)
Promo-CD, 14 Tracks, 45:07
Dass der ewig traurige Sunnyboy – inzwischen auch schon 57 – einen
mit Songs anrühren würde, die den Abschied von seiner Mutter thematisieren, muss
nicht wundern: Würden doch viele erfahrungsgemäß auch schon vergehen, wenn er
nur das sprichwörtliche Telefonbuch sänge. „As My Mother Lay Lying“ ist nur der
atemberaubende Schlusspunkt eines Albums, das nur so überfließt vor Momenten
nahezu unfassbarerer Einfachheit, Nähe und Effektivität. Überwiegend mit
lediglich einer akustischen Gitarre und dem Begleitgetrommel seines alten
Weggefährten Tom Larkins eingespielt, überzeugt
Because Her Beauty ...
durch Songmaterial wie Interpretationen: Ob Richman ganz konkret Gemütszustände
besingt, die einen zu Psychopharmaka wie Prozac greifen lassen („When We Refuse
To Suffer“, „Our Drab Ways“), oder total allgemein die Tatsache, dass nun mal
die Zeit vergeht („Time Has Been Going So Fast“) – die Plausibilität der
Songs ist nicht zu toppen! Der Zauber, mit dem er in letzterer Nummer Drummer
Larkin zu einem Solo auffordert, und der Humor und Stil, mit der dieser das
Spotlight nutzt, schon gar nicht. Hier nehmen zwei Naturereignisse ihr Metier
so ernst wie ihr Publikum, nur sich selbst nicht so hundertprozentig –
eine unschlagbare Mischung ...
Christian Beck
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MICHAEL FRANTI & SPEARHEAD
All Rebel Rockers
(Boo Boo Wax/ANTI 6989-2/SPV, www.spv.de)
CD 13 Tracks, 54:45, mit engl. Texten und Infos, plus DVD: 5 Tracks, 20:42
Mit immer erstaunlicherer Zähigkeit behauptet sich Michael Franti als politische
Stimme in der Popmusik – nicht der schlechteste Beweis für die
Wirkungsmacht seines Ansatzes, dass das eine das andere nicht ausschließen muss.
Schon seit seinen Zeiten mit den Beatnigs und den Disposable Heroes of
HipHoprisy ein wortreicher Verfechter linker Positionen, wird der Kalifornier
seit der Gründung von Spearhead 1994 vor allem musikalisch immer
unwiderstehlicher. Reicherte den HipHop seiner Jugend zunächst mit Funk und Soul
an und führt ihn seitdem immer weiter Richtung Reggae und Ragga.
All Rebel Rockers
ist nun, wie der Titel sehr richtig vermeldet, über weite Strecken ein fast
lupenreines Dancehallalbum aktuellster Prägung – mit der entsprechenden
Konzentration auf Liebe und Party. Der Kampf um die Rechte tritt dagegen zwar
in den Hintergrund, bleibt aber in Nebensätzen und Randbemerkungen präsent. Und
wird dem Publikum von der vor allem in den Uptempo-/Dance-Nummern
unwiderstehlich mitreißend groovenden Band plus Unterstützung von Sly &
Robbie, Zap Mama Marie Daulne sowie anderen legendären Reggaeinstrumentalisten
und Dancehallhoffnungen auf diese Weise gleichsam unbemerkt, aber dafür umso
nachhaltiger untergejubelt. Vier Videotracks und ein Making-of von 3:17 als
Zugabe ...
Christian Beck
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BEN WEAVER
The Axe In The Oak
(Glitterhouse Records GRCD 685/Indigo, www.indigo.de)
12 Tracks, 45:30, mit engl. Texten und Infos, Booklet vom Künstler gestaltet
Texte, auf dem Berliner Prenzlberg im Sommer 2007 geschrieben, später in
Kompositionen gefasst und aufgenommen in Chicago – Ben Weavers Lieder
verbinden nach guter alter Schule verwirrende Bilder mit einfachen Melodien.
Produzent Brian Deck füllte sie mit Grooves, Sounds und Überraschungen auf.
Markantes und Filigranes ergänzen sich – Textzitat: „Die Geschichte des
Wetters lässt sich ablesen an der Felsform.“ Weavers ruhige, manchmal nervöse
Stimme vermeidet nicht immer die Verführung, wie der junge Leonard Cohen zu
klingen. Am Überzeugendsten ist sie, wenn sie sich wie ein Fremdkörper in der
Fülle der Einfälle fortbewegt. Der 29-jährige Dichter tanzt anmutig sperrig.
Manfred Maurenbrecher
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