Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder CDs, die aus der Masse herausragen:
SCHOTTLAND | BLAIR DOUGLAS | Stay Strong (Bithibh Laidir/Rester Fort) |
PORTUGAL | MARIZA | Terra |
KUBA | OMARA PORTUONDO | Gracias |
NORDAMERIKA | JOLIE HOLLAND | The Living And The Dead |
INTERNATIONAL | DIVERSE | Big Blue Ball |
DIE BESONDERE – SCHOTTLAND
(Ridge Records RR052/India Media Group/Rough Trade,
www.roughtrade.de)
Die Runrig-Connection schlägt heuer kräftig zu! Ex-Sänger Donnie Munro liefert sein bislang bestes Album ab (siehe Rezension in diesem Heft), aber Blair Douglas, das Gründungsmitglied der schottischen Folkrocker, das nur auf dem Debüt dabei war, legt noch einen drauf: Seine neue CD kann nur als ein Geniestreich bezeichnet werden. Blair Douglas spielt Akkordeon und komponiert Tunes und Songs, alles andere überlässt er gerne anderen – und die sind diesmal ein extrem illustrer Haufen. Nehmen wir nur mal die Stimmen: Eddie Reader, Kathleen MacInnes, Arthur Cormack, zwei Herren namens Bruce Guthro und Rory Macdonald und andere. Auch die Zusammenarbeit mit Runrig funktioniert immer noch bestens, schließlich erscheint das Album auf dem Label der Band, und wenn dann noch der etatmäßige Gitarrist Malcolm Jones dazukommt, dann entsteht ein Stück wie „Lewis Love“, das selbst im Repertoire von Runrig ein Diamant wäre. Eine wichtige Zutat von Stay Strong ist neben den gälischen Elementen sehr häufig die Cajunmusik, die laut Douglas starke musikalische und soziologische Parallelen zu seinen heimischen Klängen auf der Isle of Skye aufweist. Das muss man nicht unterschreiben, Tatsache jedoch ist, dass die Cajunsounds dafür sorgen, dass die Musik um einiges schmissiger aus den Lautsprechern kommt und die übliche Hebriden-Melancholie meist hinwegfegt. Ein erwähnenswertes Ausnahmestück auch in musikalischer Hinsicht ist das mit Pop- und Funkelementen angereicherte „Keep The Ceilidh Funky“, eine grandiose Hommage an James Brown. Möglich machen all das neben dem Komponisten Douglas Musiker mit den besten Referenzen wie Dougie Pincock (Whistle), Wendy MacIsaac (Fiddle), Gordon Gunn (Mandoline), Gary West (Pipes) und – hier kommt die direkte Verbindung zu Donnie Munro – Chaz Stewart (Gitarre). Geniestreiche sind bei Blair Douglas keine Seltenheit. Sein Zweitling Beneath The Beret war 1990 so ein Ding ebenso wie mein Liebling Summer In Skye (1996). Das Warten hat sich gelohnt, Stay Strong ist definitiv ein weiteres Meisterwerk. Mike Kamp | |
DIE BESONDERE – PORTUGAL
(EMI Portugal 50999 2 29423 2 6,
www.emimusic.de)
Alben von Mariza lösen immer wieder einen Medienhype aus wie bei kaum einer anderen europäischen Sängerin. Dafür gibt es zwei Gründe: Mariza sieht unverkennbar anders aus als ihre Kolleginnen, vor allem aber verzückt sie ihr Publikum mit ihrer Stimme. Marizas Stimme ist immer noch einmalig. Sonst aber ist einiges neu an Terra . Schon beim Eröffnungsstück fällt die für Fado etwas ungewöhnliche Begleitung auf. Ein Akustikbass und Percussion, beide jazzig und dezent eingesetzt, sorgen für einen sanft erneuerten Fado. Die Klavierbegleitung, etwa im Stück „As Guitaras“ oder bei „Morada Aberta“, verhehlt ihre Nähe zum Jazz ebenfalls nicht. Autoren dieser Stücke sind der Música-Popular-Brasileira-Star Ivan Lins, der gleich selbst in die Tasten greift, und Rui Veloso, der Vater des portugiesischen Rock. Das hat mit Fado nur so viel zu tun, dass die Stücke von der zurzeit wohl bedeutendsten Fadosängerin vorgetragen werden. Richtig exotisch wird es im Stück „Beijo De Saudade“. Das Intro tönt nach Buena Vista Social Club, was kein Wunder ist, wenn der Steuermann am Klavier Chucho Valdés heißt und Carlos Sarduy die Trompete mit einer Laszivität bläst, wie das nur Kubaner können. Bald merkt man aber, dass das Schiff Kurs Richtung Kapverden nimmt. Marizas klare, expressive Stimme intoniert zusammen mit dem rauchigen Organ von Tito Paris eine Morna, dass einem die Haare wohlig zu Berge stehen. Zu einem ebensolchen wunderbaren Effekt kommt der Kontrast mit einer anderen rauchigen Stimme im Stück „Pequeñas Verdades“, wo sich Flamenco mit Fado paart. Die Stimme kommt von Concha Buika, der Produzent Javier Limón zu Starruhm verhalf. Limón hat Terra auch produziert und spielte die feinen Einlagen auf der Flamencogitarre ein. Wie beim großstädtischen Flamenco von Concha Buika verleiht er Marizas Fado eine kosmopolitische Note. Man kann gar nicht anders, als in Begeisterungsstürme auszubrechen. Martin Steiner | |
DIE BESONDERE – KUBA
(World Village MON 010/Harmonia Mundi,
www.harmoniamundi.com)
Schon ihr letztes Album Flor De Amor verfügte über diese poetische Kraft, Gefühlsintensität, Sensibilität und irgendwie naturbelassene, ganz eigene Eleganz. Vier Jahre später wird dieser Sinneseindruck nun vom Nachfolgealbum noch getoppt. Sein so schlicht wie feierlich klingender Titel mutet testamentarisch an. Und in der Tat gilt das „Dankeschön“ der 78-jährigen Grande Dame des kubanischen Liedes nach eigener Aussage den unzähligen Musikern, die ihren künstlerischen Weg begleiteten und ebneten. Ein Geschenk an diese, ans Publikum und an sich selbst zum 60. Bühnenjubiläum. Die Aufnahme klingt nach familiärer, intimer Arbeitsatmosphäre im superben Estudio Abdala in Portuondos Heimatstadt Havanna. Erneut vertraute die Sängerin auf zwei musikalisch einfühlsame, sachkundige Brasilianer als Produzenten: den Gitarristen und Bassisten Swami Jr. – bekannt z. B. als Mitmusiker von Chico César – sowie Alê Siqueira, der sie zur Auswahl ihrer Liedfavoriten ermutigte. Die ausgesiebten 13 überwiegenden Klassiker interpretierte Omara Portuondo entweder schon vor Jahrzehnten oder sie hatte das zumindest immer vor. Etwa „O Que Será“ von Chico Buarque, der selbst mitwirkt bei dieser erstaunlich flotten, spanischsprachigen Version. Frappierend auch das Line-up: Neben illustren Landsleuten – den Pianisten Roberto Fonseca und Chucho Valdés, Buena-Vista-Bassist Cachaíto, Percussionist Andrés Coayo und dem großen Barden Pablo Milanés – sind Trilok Gurtu und Richard Bona mit von der Partie. Der Gesang des Kameruner Starbassisten versieht „Drume Negrita“, eines der anmutigsten Wiegenlieder überhaupt, mit einem zarten Schmelz. Noch einer, der singt, als hätte er Kreide geschluckt, ist Jorge Drexler aus Uruguay. Sein Liebeslied „Gracias“, das den Albumtitel inspirierte, ist das Duett zweier Turteltauben, die Mutter und Sohn sein könnten. Kurzum ein Lebenswerk, gefühlt von wesentlich mehr als fünfundvierzig Minuten, dem die Kubanerin im Grunde gar nichts mehr hinzufügen müsste ... Katrin Wilke | |
DIE BESONDERE – NORDAMERIKA
(Anti 6952-2A/SPV,
www.spv.de)
Sologitarre und sanfter Gesang, klar und direkt weitergeführt von einer groovenden Band, im Rhythmus treibender E-Saiten – so fangen einige Stücke auf Jolie Hollands viertem Album an. „Ich liebe den Rock ’n’ Roll, aber es war wohl bisher schwer für mich, seinen Motiven zu trauen“, sagt die Songschreiberin, die sich erstaunlich gekonnt in das Bandkorsett einpasst. Ihrem anziehenden, manchmal sehr nach innen gerichteten Gesangsstil tut das gut. Sie flüstert, jammert und jubelt, ohne sich irgendwann im Esoterischen zu verlieren. Die Geschichten, die sie erzählt, sind persönlich und könnten doch auch vor Jahrhunderten so passiert sein. Freiheitsdurst, Zerstörung durch Drogen, Scheitern des Verliebtheitstraums: „Wach jetzt auf in diese Zukunft mit mir!“ Shahzad Ismaily hat koproduziert und aufgenommen, Marc Ribot und M. Ward lassen die Saiten scheppern, Tom Waits stand manchmal geistig Pate – und spätestens in der uralten Ballade „Love Henry“ klingt Jolie Holland wie die ewig junge Greisin, die Lebende und Tote um sich schart. Umso reizender lacht sie im letzten Stück. Manfred Maurenbrecher | |
DIE BESONDERE – INTERNATIONAL
(Real World CDRW150/Indigo,
www.indigo.de)
Dass es Jahre dauern kann, bis Peter Gabriel ein Projekt vollendet, ist bekannt. Big Blue Ball hält mit achtzehn Jahren Produktionsdauer aber vermutlich doch den Langzeitrekord. Die Studioaufnahmen zu diesem Projekt stammen aus den Jahren 1991, ’92 und ’95, seine Geburt – was lange währt, wird endlich gut – ging schließlich im Sommer 2008 über die Bühne, parallel zur Ausstellung „Across the Borders/Big Blue Ball“ im Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen. Den Erwartungen entspricht bei einem heimlichen neuen Peter-Gabriel-Album das unglaubliche Namedropping – von Mitproduzent Karl Wallinger (Waterboys) über Natacha Atlas und Ausnahmegitarrist Vernon Reid (Living Colour) bis Sinéad O’ Connor, insgesamt waren 75 Musiker aus über zwanzig Ländern beteiligt. Dazu kommt, dass Big Blue Ball Teil eines Kunstprojekts ist, zu dem auch die erwähnte Globalisierungsvernissage „Across the Borders“ bis August in Aachen gehörte. Musikalisch erfüllt das Album die hoch gesteckten Erwartungen, auf dem Parkett der Weltmusik bewegt sich Peter Gabriel unverändert so sicher, als gäbe es keine Stilrichtungen. Bereits der Opener „Whole Thing“ bringt den Fans den lange vermissten neuen Peter-Gabriel-Hit in bester Secret-World -Tradition. Der vierminütige Ausflug „Habibe“ nach Ägypten ist ein packender Ausschnitt aus einer zwanzigminütigen Improvisation. Die vertraute Stimme von Papa Wemba verbindet sich sensationell mit Flamencogitarren. Mit „Altus Silva“ räumt Peter Gabriel das Feld für das französische Ambient-Duo Deep Forest und den Ausnahmesänger Joseph Arthur. Dessen Zusammenspiel mit dem Iren Iarla Ó Lioniard (Afro Celt Soundsystem) sorgt für minutenlange Gänsehaut. Erinnerungen an One World One Voice werden wach. Nach dem beinahe meditativen Finale mit Manu Katche bleibt dem glücklichen Hörer nur die Feststellung: Wenn auch unter anderem Etikett, so ist Big Blue Ball doch definitiv das beste Peter-Gabriel-Album seit Jahren. Oder wie der Meister es selbst beschreibt: „Ich hatte noch nie so viel Spaß, Musik zu machen.“ Chris Elstrodt |
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