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LA BANDA DI PALERMO
K.

(Sparta Records, www.labandadipalermo.it)
15 Tracks, 54:13, teilweise mit Texten

„Nimm die Flossen weg von meiner Frau“ – starke, unmissverständliche Worte eines Sizilianers auf Deutsch. Mit „Das Jagen ist mei Freud“ zitieren sie sogar Georg Büchner und tönen ein wenig wie Wenzel auf Ecstasy. Hoffentlich bleibt der Sänger der eklektischen Blaskapelle der besungen Frau treuer als dem sizilianischen Italienisch, denn die Stimmbänder können auch von der englischen und französischen Sprache nicht lassen. Dazu vergreifen sie sich musikalisch lustvoll an den Musikkulturen aller Himmelsrichtungen. Bei aller Liebe zu fremden Rhythmen und Zungenschlägen kehrt die Banda aber immer wieder gerne in den Schoß der Heimat zurück. Dort liegen ihre Wurzeln, die sie nie verleugnen – „musica internazionale locale“, wie sie es nennen: beschwingt, fröhlich und tieftraurig nacheinander oder gleichzeitig. Neben Blasinstrumenten (Saxofon, Baritonhorn, Posaune und Trompete) sorgt die Banda mit Akkordeon, Bass, Schlagzeug und viel Gesang für instrumentale Vielfalt. Wem Ska, Polka und Blasmusik der charmanten Art gefällt, dem sei dieses Album wärmstens empfohlen. Wer Sizilien und die Welt liebt, dem genauso.

Martin Steiner

 

LA BANDA DI PALERMO – K.


BILLIE THE VISION & THE DANCERS
Where The Ocean Meets My Hands

(Love Will Pay The Bills/Meraklis Records MKLS0002, www.meraklis-records.com)
13 Tracks, 43:48, mit Texten

Es gibt sie noch, die Independentbands, die in jedem Wortsinn unabhängig sind. Oft ist „independent“ ein Synonym für „keine Plattenfirma wollte uns“, bei den Schweden Billie The Vision ist es erfolgreiches Lebenskonzept. Alle Alben sind kostenlos auf der Homepage erhältlich, trotzdem verkaufen sie in Schweden Longplayer in großer Zahl. Größere Hallen werden spielend leicht ausverkauft, die Band trifft offensichtlich den schwedischen Nerv der Zeit. Musikalisch klingt Billie nach naiver Folkpopmusik; akustische Gitarre, Geige, Akkordeon und natürlich Bass und Percussion. Die Texte aber haben es in sich. Die Waffe der Musiker ist ein bittersüßer Humor, ihre Texte sind so rasiermesserscharf und gleichzeitig absurd, dass man sich sofort wiedererkennt, selbst wenn zum Beispiel über einen Transvestiten gesungen wird, eine der beliebtesten Kunstfiguren der Band. Man muss förmlich jeden Text mitsingen, gleichzeitig lachen und heulen und weiß gar nicht, wohin mit den ganzen Gefühlen, die man doch eigentlich zwanzig Jahre unter Kontrolle hatte. Wer am Lagerfeuer immer noch Billy Braggs „New England“ singt, wird dieser Band rettungslos verfallen.

Chris Elstrodt

 

BILLIE THE VISION & THE DANCERS – Where The Ocean Meets My Hands


GEORGE BRASSENS/LÉO FERRÉ/YVES MONTAND/EDITH PIAF/CHARLES TRENET
Le Siècle D’Or

(Le Chant du Monde/harmonia mundi, www.lechantdumonde.com)
Charles Trenet (2741581/2), 55 Tracks, 77:14, 78:17
Édith Piaf (2741583/4), 51 Tracks, 78:39, 78:50
Yves Montand (2741585/6), 53 Tracks, 77:52, 78:00
Léo Ferré (2741587/8), 50 Tracks, 76:23, 76:44
Georges Brassens (2741589/90), 50 Tracks, 58:21, 73:59

Zu den in der neuen Reihe Le Siècle D’Or („Das Goldene Zeitalter“) vorgestellten Künstlern und Künstlerinnen des klassischen französischen Chansons gibt es natürlich längst akzeptable Kompilationen. Das Besondere ist die einheitliche Gestaltung der mit Booklet ausgestatteten Doppel-CD-Digipacks, die vermutlich auch eine Fortsetzung mit weiteren legendären Chanteusen und Chanteurs erfahren wird. Die ansprechenden Porträts in französischer und englischer Sprache sind gut recherchiert und au point formuliert. Die Chansonauswahl entspricht – auch wenn man so bisweilen das eine oder andere vermissen mag – erfreulicherweise jeweils eben nicht dem Greatest-Hits-Kriterium, sondern setzt auf einen repräsentativen, chronologisch angeordneten Querschnitt, dabei beschränkt auf die frühen und „goldenen“ Jahre. Alles in allem eine gelungene Reihe, ideal für Menschen, die einen Einstieg in die Welt des Chansons suchen.

Roland Schmitt

 

CHARLES TRENET - Le Siècle D’Or

EDITH PIAF - Le Siècle D’Or

YVES MONTAND - Le Siècle D’Or

LÉO FERRÉ - Le Siècle D’Or

GEORGE BRASSENS - Le Siècle D’Or


ELIZA CARTHY
Dreams Of Breathing Underwater

(Topic Records TSCD571/Proper Music/Rough Trade, www.roghtrade.de)
11 Tracks, 46:16, mit engl. Texten

Lange hat es gedauert, bis dieser Nachfolger des 2000er Albums Angels And Cigarettes fertig war. Zu viele andere Projekte! Waterson:Carthy, The Imagined Village, Eliza Carthy & The Ratcatchers, um nur einige zu nennen. Ganz zu schweigen vom neunmonatigen Privatprojekt. Hier also das zweite Soloalbum, mit fast ausschließlich eigenen Stücken und Mitstreitern aus ihren anderen Arbeiten (Jon Boden, John Spiers, Heather MacLeod etc.). Das Album kommt in einem extrem bunten musikalischen Gewand, startet mit einem Gitarrenriff, das Mark Knopfler zur Ehre gereichen würde, gefolgt von – unvollständiger beliebiger Auszug – Latin, Cajun, Eisler, Ska, satten Bläsersätzen, Kammermusik, Reggae, Swing und ein ganz klein wenig englischer Trad Folk. Kein Song gleicht dem nächsten, einzige Bindeglieder sind Elizas Stimme und die generelle Stimmung, die wie das Artwork an einen bunten Rummelplatz an der englischen Küste erinnert. Nicht an die marktschreierische, laute Seite der Kirmes, sondern an die eher nostalgisch durchsetzte mit Mandelduft, Horoskopen und Zuckerwatte. Keine Ohrwürmer auf Anhieb, aber eine unvergleichliche musikalische Entdeckungsreise, die auch nach mehrfachem Hören noch nicht beendet ist.

Mike Kamp

 

ELIZA CARTHY – Dreams Of Breathing Underwater


DOMINIQUE CRAVIC ET LES PRIMITIFS DU FUTUR
Tribal Musette

(Paris Jazz/Emarcy/Universal 530591-6, www.myspace.com/lesprimitifsdufutur)
16 Tracks, 53:29, mit franz. Infos und Texten

Ein Comic von Robert Crumb auf dem Cover? Erwartet einen da Psychedelic- oder Bluesrock? Weit gefehlt! Hier wird das bisweilen verschnarcht anmutende Musettegenre gegen den Strich gebürstet – und Crumb ist mit von Partie! Zumindest bei zwei Stücken brilliert er auf der Mandoline. Er, der seit Jahren mit der Familie in Südfrankreich lebt, rief 1986 mit seinem Freund, dem französischen Gitarristen Dominique Cravic, die „Eingeborenen der Zukunft“ ins Leben, ein Ensemble in stets wechselnder Besetzung an einigen (un-)möglichen Instrumenten rund ums Akkordeon, an dem auch Flaco Jimenez zum Zuge kommt – der Ukulele, der Farfisa-Orgel [!] oder der singenden Säge. Die meisten Kompositionen stammen aus der Feder von Cravic oder Freunden, gehen gut ins Ohr, klingen oft sympathisch schräg, orientieren sich mal an klassischem Chanson, mal an Blues, Swingjazz, oder was sonst noch so geht. Pardon wird generell nicht gegeben, auch in „Sur Le Toit“ nicht, das schließlich in eine augenzwinkernde Version von „Ramona“ mündet. Ein durch und durch witziges, entspanntes, dabei spannendes Hörvergnügen – nicht ohne Grund Mitte Juli 2008 „CD der Woche“ beim Hessischen Rundfunk.

Roland Schmitt

 

DOMINIQUE CRAVIC ET LES PRIMITIFS DU FUTUR – Tribal Musette


DAVID FERRARD
Broken Sky

(Flamingo West Records flam 010, www.flamingowest.co.uk)
11 Tracks, 44:02, mit engl. Texten

DIVERSE
Not In Our Name

(Songs For Change, www.songsforchange.com)
15 Tracks, 63:41, mit engl. Texten

Seltsam, dieser David Ferrard! Sieht aus wie ein junger, romantischer Popstar, schreibt Melodien voll runder Harmonien, hat eine Stimme zwischen James Taylor und Tom Paxton – aber die Texte sprechen neben einigen persönlichen oder allgemeinen Themen häufig politisch und gesellschaftlich Brisantes an: Irakkrieg, Asyl, Umweltzerstörung, Ausbeutung der südlichen Hemisphäre oder das Thema Aids. Der schottisch-amerikanische Singer/Songwriter, geografisch in Edinburgh, musikalisch eher jenseits des Großen Teiches angesiedelt, hat sich für sein Debüt hochkarätige Unterstützung wie Ex-Runrig-Produzent Brian Young gesichert, James Ross am Piano oder Karine Polwart als Begleitsängerin. Besonders intensiv kommt Ferrard rüber, wenn es um Ungerechtigkeiten, speziell Kriege geht. Kein Wunder, seit einiger Zeit ist er Aktivist der „Stop-the-War“-Koalition und hat als solcher jetzt auch das großartige Solialbum Not In Our Name für „Songs for Change“ zusammengestellt. Die Gästeliste spricht nicht zuletzt auch für Ferrards Status: Roy Bailey, Dick Gaughan, Jez Lowe, Jim Page, Eliza Gilkyson, Leon Rosselson oder Rory McLeod sind mit dabei – und das sind nur knapp die Hälfte der Künstler. Sicherlich ist der Gegensatz zwischen musikalischem Wohlklang und textlicher, wenn auch poetisch verpackter Kritik nicht jedermanns Sache, ich jedoch halte David Ferrard für einen der glaubwürdigsten jungen Künstler der angloamerikanischen Szene.

Mike Kamp

 

DAVID FERRARD – Broken Sky

DIVERSE – Not In Our Name


HIJAZ
Dunes

(Eigenverlag, www.hijaz.be)
9 Tracks, 54:50

In Belgien, wo sich das Quintett um 2005 gefunden hat, hat es sich inzwischen einen guten Namen für die gelungene Kombination von orientalischer Musik und Jazz erwerben können. Fünf Ausnahmemusiker bilden Hijaz – der Name lehnt sich wohl an die saudi-arabische Küstenregion am Roten Meer an, ist vielleicht aber auch ein Wortspiel („Hi Jazz“): der aus Tunesien stammende Oudspieler und Musiklehrer Moufadhel Adhoum, der im marokkanischen Fez geborene und aufgewachsene Percussionist Azzedine Jazouli, der griechischstämmige Pianist Niko Deman, seines Zeichens Jazzlehrer, sowie die belgische Rhythm Section aus Kontrabassist Chris Mentens und Drummer Chryster Aerts. Die Instrumentalstücke wirken durchweg eher entspannt, meditativ, nur ab und an kommt Tempo auf wie in „Autour De L’Alhambra“. Alles in allem: Weltmusik vom Feinsten und im ursprünglichen Sinne des an sich schwammigen Begriffes. Bemerkenswert außerdem: Das Album wird gesponsert von einer Brauerei und einer Online-Weinhandlung.

Roland Schmitt

 

HIJAZ – Dunes


JACKIE LEVEN
Lovers At The Gun Club

(Cooking Vinyl COOKCD464/Indigo, www.indigo.de)
11 Tracks, 50:29, mit engl. Texten und Infos

„I clean my gun, give it a personal touch.“ Leichtherzigkeit war Jackie Levens Sache selten, auch das 32. Album des schottischen Singer/Songwriters in etwas mehr Jahren macht da keine Ausnahme. Was muss einen aber alles jagen, um sich einen Waffennarr auszudenken, dessen persönlichster Gefährte seine beschissene Knarre ist? So weit ins Herz der Finsternis wie das von Leven-Kumpel Johnny Dowd in passend bräsigem Amerikanisch gegebene Titelstück gleich zu Beginn geht das Album dann nicht wieder, aber ohne Melancholie, um nicht zu sagen ein nah an der Hoffnungslosigkeit herumstreunerndes Brüten, geht’s praktisch nie: Kindheits-, Jugend-, Erwachsenenerinnerungen, verlorene Lieben und Familien – die Welt des vom Leben einst mächtig gebeutelten Troubadours ist von Wolken aller Art tief verhangen. Gott sei Dank hat ihn das Schicksal zum Ausgleich künstlerisch deutlich reicher begütert als andere: Was für eine Stimme! Welch ein Überfluss an kreativem Impuls und stilistischen Möglichkeiten. Wie viel Herz, für all die Mädels nach all den Jahren wie für seine Kollegen – Schlusstrack geht an David Childers, von dessen Album Hard Time Country – und für seine Fans, siehe Tour ab 9. September ...

Christian Beck

 

JACKIE LEVEN – Lovers At The Gun Club


ANNBJØRG LIEN
Waltz With Me

(Grappa Musikkforlag/Galileo MC HCD7216 www.galileo-mc.de)
10 Tracks, 46:41, mit norw./engl. Texten

Alle Stücke hat Annbjørg Lien (Hardanger-Geige) im Rahmen einer Auftragsarbeit für das Telemark-Festival 2007 komponiert und mit einem eigens hierfür zusammengestellten Streichquartett mit Bruce Molsky (Hardanger-Geige u.a.), Mikael Marin (Viola) und Christine Hanson (Cello) sowie als Gast Kirsten Bråten Berg (Gesang) aufgeführt. Der Titel des Albums soll in übertragendem Sinn die Nähe zu den Zuhörern anstreben. Das gelingt eingängig mit den drei Gesangsstücken. Sie werden strophenweise in norwegisch und englisch gesungen, womit auch ein interessanter Vergleich der unterschiedlichen Auswirkung einer Sprache auf das Hörerlebnis ermöglicht wird. Die reinen Instrumentalstücke erschließen sich nicht ganz so leicht. Die bei der Hardangerfele mitklingenden Bordunsaiten, verstärkt durch Cello und Viola, erzeugen das schwermütige typisch nordische Klangbild, wobei die starke Rhythmisierung die Melodien jedoch etwas in den Hintergrund drängt. Die richtige Musik für Liebhaber dieses einzigartigen Klangs, die aber außerdem offen sind für Neues.

Bernd Künzer

 

ANNBJØRG LIEN – Waltz With Me


LÚNASA
The Story So Far

(Compass Records Com 7 4475 2, www.compassrecords.com)
16 Tracks, 1:07:39, mit engl. Infos

Die erste Anthologie der berühmtesten zeitgenössischen Modern-Irish-Trad-Band heißt passenderweise nicht Best Of – aus den bisherigen Alben „Hits“ zu filterm ist wohl schwierig. Mit Sänger wäre das einfacher, aber man möchte sich schließlich nach Herzenslust an den Instrumenten austoben bei mal steinerweichenden, meist höchst druckvollen Darbietungen aus der gesamten irischen und keltischen Tradition sowie sehr erwähnenswerten Eigenkompositionen, von denen allerdings leider die Favoriten des Rezensenten fehlen. Zu hören sind Tunes aus allen Perioden der Bandhistorie seit den Anfängen mit zwei Ikonen der modernen Musik Irlands, John McSherry und Michael McGoldrick (Uilleann Pipes/Flute). Aus dieser Zeit fehlen auch Fotoreferenzen im reich bebilderten Booklet. Wir sehen die fröhliche aktuelle Besetzung: neben den Gründungsmitgliedern Sean Smyth (Fiddle) und Trevor Hutchinson (Bass), Kevin Crawford (Flute), Cillian Vallely (Uilleann Pipes) und Paul Meehan (Gitarre). Es sind einige charmante Remixe und Neuversionen zu hören, gerade der Einstieg „Morning Nightcap“ und „Eanáir“ – das erste Lúnasa-Stück damals – machen einfach glücklich! Als anregender Mix für Neueinsteiger empfohlen.

Johannes Schiefner

 

LÚNASA – The Story So Far


MEC YEK
Antikrisis

(Choux de Bruxelles CHOU 0802/Broken Silence, www.brokensilence.biz)
14 Tracks, 42:49, mit Texten

Was kommt heraus, wenn sich die belgischen Akkordeonakrobaten von Jaune Toujours mit den charmanten Romasängerinnen Katia und Mielka Pohlodkova und einer Band exzellenter Musiker zusammentun? Ein Gute-Laune-Debüt mit dem passenden Titel Antikrisis – authentisch und unaufgeregt. Groovende Balkansounds im Musetteflair mit orientalischen Touch und jauchzender Klarinette. Mit Spielfreude und Augenzwinkern, melancholischen Halgads und zum Tanz animierenden Cardasses als gäbe es kein Morgen – leicht, gekonnt und alles andere als angestaubt. Grundlage der Songs sind slowakische Gypsy-Kompositionen, gesungen wird Romani. Die Wurzeln des Projekts wurden bereits 1994 gelegt, als Jaune-Toujours-Sänger Piet Maris zusammen mit dem slowakischen Gypsy-Musiker Laci Polhos auf dessen musikalischen Spuren wandelte. Immer wieder zieht es Maris seitdem nach Osteuropa, er komponiert, entdeckt die traditionellen Sounds, nimmt Unterricht bei den lokalen Größen des Genres und vernetzt sich mit der dortigen Musikszene. So entstand Ende der Neunzigerjahre die Band Mec Yek, deren treibende Kraft er bis heute ist. Ein weiteres Beispiel für die scheinbar unendlichen Möglichkeiten der boomenden Gypsy-Szene.

Claudia Frenzel

 

MEC YEK – Antikrisis


SIGRID MOLDESTAD
Taus

(Grappa Musikkforlag/Galileo MC HCD7223, www.galileo-mc.de)
13 Tracks, 35:25, mit norw. Texten u. Infos

Auch wenn das Coverfoto – die Künstlerin halbnackt von hinten – etwas irritiert, ist die Norwegerin Sigrid Moldestad, bekannt von GamaltNymalt und Spindel, eine ernstzunehmende (Hardanger-)Geigerin, Sängerin, Komponistin und Arrangeurin. Ende 2007 bekam sie in ihrer Heimat einen Spielmannspreis. Mit ihrem ersten eigenen Album Taus , was sowohl „Mädchen“ als auch „Schweigen“ bedeutet, möchte sie an eine Blütezeit von Frauen gespielter Folkmusik in ihrer Heimat an der Westküste Norwegens zwischen 1730 und 1900 erinnern. Damals gab es viele weibliche Spielleute wie Samuline Seljeset und Lise Jyvall, die neben ihren häuslichen Pflichten Musikinstrumente erlernten und zum Tanz und zu Beerdigungen aufspielten. Armut und religiöse Vorschriften machten dem ein Ende und erst seit Ende des 20. Jahrhunderts gibt es wieder mehr Frauen in der norwegischen Folkmusik. Die überlieferten Stücke dieser mutigen Frauen und die fünf eigenen hat Sigrid Moldestad gemeinsam mit ihren Mitmusikern Anders Hall (Geige, Hardanger-Geige, Viola), Sigbjørn Apeland (Truhen-Orgel, Klavier) und Jørgen Sandvik (Banjo, Mandoline, Gitarre) arrangiert. Dazu kommen vier Gäste an Percussion, Flöte, Bass und Cister.

Bernd Künzer

 

SIGRID MOLDESTAD – Taus


MOZAIK
Changing Trains

(Mozaik MOZCD02, www.mozaik.ie)
10 Tracks, 51:46 mit engl. Infos u. Texten

Dass Musik aus Irland und vom Balkan innere Verbindungen haben, wusste Andy Irvine, Altmeister der irischen Bouzouki, eigentlich schon immer. Zusammen mit seinem Weggefährten Donal Lunny bewegt ihn das Projekt Mozaik seit vielen Jahren. Doch erst jetzt gelang es, eine haltbare Konstellation für das eklektische internationale Crossoverprojekt zu finden. Weitere Mitstreiter sind Irvines Jugendfreund Rens van der Zalm aus den Niederlanden, dazu Bruce Molsky, amerikanischer Old-Time-Fiddler und -Sänger und Nicola Parov, bulgarischer Multiinstrumentalist, der sich besonders durch die virtuose Beherrschung der bulgarischen Hirtenflöte Kaval und der Gadulka, eines archaischen, griffbrettlosen Streichinstruments, hervortut. Völlig entspannt gelingt den Musikern das Wechseln zwischen den Welten, filigrane mehrstimmige Bouzoukilinien, charismatischer Gesang, Einwürfe bulgarischer Tunes und gebrochener Rhythmen, ein bisschen Old-Time sowie das Auftauchen von Gästen wie Liam O’Flynn (Uilleann Pipes) lassen immer wieder erstaunt aufhören. Irvine gelingt erneut ein Geniestreich mit dem Song „The Wind Blows Over The Danube“ – spine tingling sagt man in Irland. Höchste Empfehlung!

Johannes Schiefner

 

MOZAIK – Changing Trains


JIRÍ PAVLICA
Coven – Trembling, Suite Of Dialogs

(Indies Scope Records/NRW Vertrieb, www.mv-nrw.de)
11 Tracks, 50:52, mit engl. Infos

Jirí Pavlica ist seit 1975 Haupt und erster Violinist der seit über fünfzig Jahren bestehenden tschechischen Folkloregruppe Hradišt an. Mit dem vorliegenden Album ging er, der sich mit Pastoral Masses schon einmal an ein religiös-klassisches Musikstück gewagt hat, eine ungewöhnliche Fusion ein: Hradištan spielt von ihm vertonte alte Texte gemeinsam mit dem Philharmonischen Orchester Brünn, den Jumping Drums und Altai Kai. Historische Instrumente erklingen, musikalische Quellen aus Moravien (heute ein Teil Tschechiens) fließen ein, beide werden von Klassik umspült – mancher mag es als weichgespült empfinden – und findet zur Form einer klassischen Suite. Während der Klassikanteil zumindest für das kritische Ohr eines Kenners mal zu bombastisch und mal zu klischeehaft klingt, irgendwie überladen, berühren die Teile, in denen Tradition und alte Musizierkunst brillieren, Mittelalter und Folklore in Dialog kommen, durch musikalische Spannung, Tiefe und stellenweise musikalischen Witz. Das Zusammenspiel von Chor und modernen Bläsern ist erfrischend, der Mittelalteranteil magisch. Der Dialog verschiedener Musikwelten hat gemischte Ergebnisse gebracht, ist in jedem Falle aber spannend.

Jürgen Brehme

 

EMILY SMITH
Too Long Away

(Spit & Polish SPIT035/Cadiz Music/New Music Distribution, www.new-music-distribution.de)
10 Tracks, 42:19, mit engl. Texten

Ein – nicht nur – schottisches Phänomen, das mit Karine Polwart begann. Sie verließ die Gruppe Malinky, um sich mit ihren eigenen intelligenten Songs breitenwirksamer selbstständig zu machen. Ähnliche Pläne hat Julie Fowlis, die Band Dochas mag zwar noch existieren, aber auch als Solistin bringt sie ihre gälischen Lieder mit Enthusiasmus und gefälligen Arrangements erfolgreich unter die Leute. Und nun Emily Smith. Vorbei scheinen die Abende in den Folkklubs, und dafür spricht nicht nur das meist präsente Schlagzeug. Speziell die Eigenkompositionen sind um einiges poppiger, glatter und eingängiger geworden, und das ist kein negatives Urteil per se! Die Labelschwesternschaft mit den oben genannten Kolleginnen ist sicherlich rein zufällig, wichtig vor allem: Es passt. Es kommt stimmig aus den Lautsprechern, und Emily Smith, die zusammen mit ihrem Gatten und Fiddler Jamie McClennan für die Produktion verantwortlich zeichnet, vernachlässigt auch ihre traditionelle Seite nicht. Die fünf entsprechenden Tracks – darunter der Klassiker „The Bleacher Lassie O’ Kelvinhaugh“ – kommen ebenso clever und überzeugend rüber wie die eigenen Songs. Schöne schottische Lieder, nichts für Freunde whiskygeschwängerter Rob-Roy-Romantik.

Mike Kamp

 

EMILY SMITH – Too Long Away


GABRIEL YACOUB
De La Nature des Choses

(Le Roseau ROS 110/Harmonia Mundi, www.harmoniamundi.com))
14 Tracks, 45:49, Booklet mit frz Texten)

Auf Gabriel Yacoub, den Libanesen aus Paris, kann man sich verlassen. Seine Alben sind immer ein Hörgenuss. Da ist zum einen seine Stimme, die noch immer so männlich-jung und sensibel klingt, wie zu seinen Zeiten mit Malicorne. Da ist aber auch seine Produzentenkunst, hier gemeinsam mit Yannick Hardouin, die jedem Stück eine eigene durchdachte Stimmung verleiht. Mal mit Klavier, mal mit Dobro, oft mit der Drehleier von Gilles Chabenat, gerne auch mit behutsam eingesetzten Bläsern, hat Gabriel Yacoub auf seinem vorliegenden jüngsten Album De La Nature Des Choses wieder ein Meisterwerk geschaffen. Wichtig sind bei Yacoub auch die Texte – über Kindheit, Liebe und Tod – schließlich gilt er heute nicht mehr als Folksänger, sondern als Chansonnier mit Folkatmosphäre. Nur seine Kompositionen sind oft etwas spröde. Aber wer will den Melodien ihre mangelnde Eingängigkeit vorhalten, wenn sie so die ganze Aufmerksamkeit auf Stimme, Arrangements und Texte fokussieren. Und es gibt ja auch Ausnahmen, etwa den sentimental-euphorischen Refrain von „Le Bois Mort“. Sieben Jahre hat Yacoub an diesem Album gearbeitet. Man merkt es, und das ist positiv gemeint.

Christian Rath

 

GABRIEL YACOUB – De La Nature des Choses

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