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LA BANDA DI PALERMO
K.
(Sparta Records, www.labandadipalermo.it)
15 Tracks, 54:13, teilweise mit Texten
„Nimm die Flossen weg von meiner Frau“ – starke, unmissverständliche Worte
eines Sizilianers auf Deutsch. Mit „Das Jagen ist mei Freud“ zitieren sie sogar
Georg Büchner und tönen ein wenig wie Wenzel auf Ecstasy. Hoffentlich bleibt der
Sänger der eklektischen Blaskapelle der besungen Frau treuer als dem
sizilianischen Italienisch, denn die Stimmbänder können auch von der englischen
und französischen Sprache nicht lassen. Dazu vergreifen sie sich musikalisch
lustvoll an den Musikkulturen aller Himmelsrichtungen. Bei aller Liebe zu
fremden Rhythmen und Zungenschlägen kehrt die Banda aber immer wieder gerne in
den Schoß der Heimat zurück. Dort liegen ihre Wurzeln, die sie nie verleugnen
– „musica internazionale locale“, wie sie es nennen: beschwingt, fröhlich
und tieftraurig nacheinander oder gleichzeitig. Neben Blasinstrumenten (Saxofon,
Baritonhorn, Posaune und Trompete) sorgt die Banda mit Akkordeon, Bass,
Schlagzeug und viel Gesang für instrumentale Vielfalt. Wem Ska, Polka und
Blasmusik der charmanten Art gefällt, dem sei dieses Album wärmstens empfohlen.
Wer Sizilien und die Welt liebt, dem genauso.
Martin Steiner
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BILLIE THE VISION & THE DANCERS
Where The Ocean Meets My Hands
(Love Will Pay The Bills/Meraklis Records MKLS0002, www.meraklis-records.com)
13 Tracks, 43:48, mit Texten
Es gibt sie noch, die Independentbands, die in jedem Wortsinn unabhängig sind.
Oft ist „independent“ ein Synonym für „keine Plattenfirma wollte uns“, bei den
Schweden Billie The Vision ist es erfolgreiches Lebenskonzept. Alle Alben sind
kostenlos auf der Homepage erhältlich, trotzdem verkaufen sie in Schweden
Longplayer in großer Zahl. Größere Hallen werden spielend leicht ausverkauft,
die Band trifft offensichtlich den schwedischen Nerv der Zeit. Musikalisch
klingt Billie nach naiver Folkpopmusik; akustische Gitarre, Geige, Akkordeon und
natürlich Bass und Percussion. Die Texte aber haben es in sich. Die Waffe der
Musiker ist ein bittersüßer Humor, ihre Texte sind so rasiermesserscharf und
gleichzeitig absurd, dass man sich sofort wiedererkennt, selbst wenn zum
Beispiel über einen Transvestiten gesungen wird, eine der beliebtesten
Kunstfiguren der Band. Man muss förmlich jeden Text mitsingen, gleichzeitig
lachen und heulen und weiß gar nicht, wohin mit den ganzen Gefühlen, die man
doch eigentlich zwanzig Jahre unter Kontrolle hatte. Wer am Lagerfeuer immer
noch Billy Braggs „New England“ singt, wird dieser Band rettungslos verfallen.
Chris Elstrodt
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GEORGE BRASSENS/LÉO FERRÉ/YVES MONTAND/EDITH PIAF/CHARLES TRENET
Le Siècle D’Or
(Le Chant du Monde/harmonia mundi, www.lechantdumonde.com)
Charles Trenet (2741581/2), 55 Tracks, 77:14, 78:17
Édith Piaf (2741583/4), 51 Tracks, 78:39, 78:50
Yves Montand (2741585/6), 53 Tracks, 77:52, 78:00
Léo Ferré (2741587/8), 50 Tracks, 76:23, 76:44
Georges Brassens (2741589/90), 50 Tracks, 58:21, 73:59
Zu den in der neuen Reihe
Le Siècle D’Or
(„Das Goldene Zeitalter“) vorgestellten Künstlern und Künstlerinnen des
klassischen französischen Chansons gibt es natürlich längst akzeptable
Kompilationen. Das Besondere ist die einheitliche Gestaltung der mit Booklet
ausgestatteten Doppel-CD-Digipacks, die vermutlich auch eine Fortsetzung mit
weiteren legendären Chanteusen und Chanteurs erfahren wird. Die ansprechenden
Porträts in französischer und englischer Sprache sind gut recherchiert und
au point
formuliert. Die Chansonauswahl entspricht – auch wenn man so bisweilen
das eine oder andere vermissen mag – erfreulicherweise jeweils eben nicht
dem Greatest-Hits-Kriterium, sondern setzt auf einen repräsentativen,
chronologisch angeordneten Querschnitt, dabei beschränkt auf die frühen und
„goldenen“ Jahre. Alles in allem eine gelungene Reihe, ideal für Menschen, die
einen Einstieg in die Welt des Chansons suchen.
Roland Schmitt
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ELIZA CARTHY
Dreams Of Breathing Underwater
(Topic Records TSCD571/Proper Music/Rough Trade, www.roghtrade.de)
11 Tracks, 46:16, mit engl. Texten
Lange hat es gedauert, bis dieser Nachfolger des 2000er Albums
Angels And Cigarettes
fertig war. Zu viele andere Projekte! Waterson:Carthy, The Imagined Village,
Eliza Carthy & The Ratcatchers, um nur einige zu nennen. Ganz zu schweigen
vom neunmonatigen Privatprojekt. Hier also das zweite Soloalbum, mit fast
ausschließlich eigenen Stücken und Mitstreitern aus ihren anderen Arbeiten (Jon
Boden, John Spiers, Heather MacLeod etc.). Das Album kommt in einem extrem
bunten musikalischen Gewand, startet mit einem Gitarrenriff, das Mark Knopfler
zur Ehre gereichen würde, gefolgt von – unvollständiger beliebiger Auszug
– Latin, Cajun, Eisler, Ska, satten Bläsersätzen, Kammermusik, Reggae,
Swing und ein ganz klein wenig englischer Trad Folk. Kein Song gleicht dem
nächsten, einzige Bindeglieder sind Elizas Stimme und die generelle Stimmung,
die wie das Artwork an einen bunten Rummelplatz an der englischen Küste
erinnert. Nicht an die marktschreierische, laute Seite der Kirmes, sondern an
die eher nostalgisch durchsetzte mit Mandelduft, Horoskopen und Zuckerwatte.
Keine Ohrwürmer auf Anhieb, aber eine unvergleichliche musikalische
Entdeckungsreise, die auch nach mehrfachem Hören noch nicht beendet ist.
Mike Kamp
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DOMINIQUE CRAVIC ET LES PRIMITIFS DU FUTUR
Tribal Musette
(Paris Jazz/Emarcy/Universal 530591-6, www.myspace.com/lesprimitifsdufutur)
16 Tracks, 53:29, mit franz. Infos und Texten
Ein Comic von Robert Crumb auf dem Cover? Erwartet einen da Psychedelic- oder
Bluesrock? Weit gefehlt! Hier wird das bisweilen verschnarcht anmutende
Musettegenre gegen den Strich gebürstet – und Crumb ist mit von Partie!
Zumindest bei zwei Stücken brilliert er auf der Mandoline. Er, der seit Jahren
mit der Familie in Südfrankreich lebt, rief 1986 mit seinem Freund, dem
französischen Gitarristen Dominique Cravic, die „Eingeborenen der Zukunft“ ins
Leben, ein Ensemble in stets wechselnder Besetzung an einigen (un-)möglichen
Instrumenten rund ums Akkordeon, an dem auch Flaco Jimenez zum Zuge kommt
– der Ukulele, der Farfisa-Orgel [!] oder der singenden Säge. Die meisten
Kompositionen stammen aus der Feder von Cravic oder Freunden, gehen gut ins Ohr,
klingen oft sympathisch schräg, orientieren sich mal an klassischem Chanson, mal
an Blues, Swingjazz, oder was sonst noch so geht. Pardon wird generell nicht
gegeben, auch in „Sur Le Toit“ nicht, das schließlich in eine augenzwinkernde
Version von „Ramona“ mündet. Ein durch und durch witziges, entspanntes, dabei
spannendes Hörvergnügen – nicht ohne Grund Mitte Juli 2008 „CD der Woche“
beim Hessischen Rundfunk.
Roland Schmitt
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DAVID FERRARD
Broken Sky
(Flamingo West Records flam 010, www.flamingowest.co.uk)
11 Tracks, 44:02, mit engl. Texten
DIVERSE
Not In Our Name
(Songs For Change, www.songsforchange.com)
15 Tracks, 63:41, mit engl. Texten
Seltsam, dieser David Ferrard! Sieht aus wie ein junger, romantischer Popstar,
schreibt Melodien voll runder Harmonien, hat eine Stimme zwischen James Taylor
und Tom Paxton – aber die Texte sprechen neben einigen persönlichen oder
allgemeinen Themen häufig politisch und gesellschaftlich Brisantes an:
Irakkrieg, Asyl, Umweltzerstörung, Ausbeutung der südlichen Hemisphäre oder das
Thema Aids. Der schottisch-amerikanische Singer/Songwriter, geografisch in
Edinburgh, musikalisch eher jenseits des Großen Teiches angesiedelt, hat sich
für sein Debüt hochkarätige Unterstützung wie Ex-Runrig-Produzent Brian Young
gesichert, James Ross am Piano oder Karine Polwart als Begleitsängerin.
Besonders intensiv kommt Ferrard rüber, wenn es um Ungerechtigkeiten, speziell
Kriege geht. Kein Wunder, seit einiger Zeit ist er Aktivist der
„Stop-the-War“-Koalition und hat als solcher jetzt auch das großartige
Solialbum
Not In Our Name
für „Songs for Change“ zusammengestellt. Die Gästeliste spricht nicht zuletzt
auch für Ferrards Status: Roy Bailey, Dick Gaughan, Jez Lowe, Jim Page, Eliza
Gilkyson, Leon Rosselson oder Rory McLeod sind mit dabei – und das sind
nur knapp die Hälfte der Künstler. Sicherlich ist der Gegensatz zwischen
musikalischem Wohlklang und textlicher, wenn auch poetisch verpackter Kritik
nicht jedermanns Sache, ich jedoch halte David Ferrard für einen der
glaubwürdigsten jungen Künstler der angloamerikanischen Szene.
Mike Kamp
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HIJAZ
Dunes
(Eigenverlag, www.hijaz.be)
9 Tracks, 54:50
In Belgien, wo sich das Quintett um 2005 gefunden hat, hat es sich inzwischen
einen guten Namen für die gelungene Kombination von orientalischer Musik und
Jazz erwerben können. Fünf Ausnahmemusiker bilden Hijaz – der Name lehnt
sich wohl an die saudi-arabische Küstenregion am Roten Meer an, ist vielleicht
aber auch ein Wortspiel („Hi Jazz“): der aus Tunesien stammende Oudspieler und
Musiklehrer Moufadhel Adhoum, der im marokkanischen Fez geborene und
aufgewachsene Percussionist Azzedine Jazouli, der griechischstämmige Pianist
Niko Deman, seines Zeichens Jazzlehrer, sowie die belgische Rhythm Section aus
Kontrabassist Chris Mentens und Drummer Chryster Aerts. Die Instrumentalstücke
wirken durchweg eher entspannt, meditativ, nur ab und an kommt Tempo auf wie in
„Autour De L’Alhambra“. Alles in allem: Weltmusik vom Feinsten und im
ursprünglichen Sinne des an sich schwammigen Begriffes. Bemerkenswert außerdem:
Das Album wird gesponsert von einer Brauerei und einer Online-Weinhandlung.
Roland Schmitt
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JACKIE LEVEN
Lovers At The Gun Club
(Cooking Vinyl COOKCD464/Indigo, www.indigo.de)
11 Tracks, 50:29, mit engl. Texten und Infos
„I clean my gun, give it a personal touch.“ Leichtherzigkeit war Jackie Levens
Sache selten, auch das 32. Album des schottischen Singer/Songwriters in etwas
mehr Jahren macht da keine Ausnahme. Was muss einen aber alles jagen, um sich
einen Waffennarr auszudenken, dessen persönlichster Gefährte seine beschissene
Knarre ist? So weit ins Herz der Finsternis wie das von Leven-Kumpel Johnny Dowd
in passend bräsigem Amerikanisch gegebene Titelstück gleich zu Beginn geht das
Album dann nicht wieder, aber ohne Melancholie, um nicht zu sagen ein nah an der
Hoffnungslosigkeit herumstreunerndes Brüten, geht’s praktisch nie: Kindheits-,
Jugend-, Erwachsenenerinnerungen, verlorene Lieben und Familien – die Welt
des vom Leben einst mächtig gebeutelten Troubadours ist von Wolken aller Art
tief verhangen. Gott sei Dank hat ihn das Schicksal zum Ausgleich künstlerisch
deutlich reicher begütert als andere: Was für eine Stimme! Welch ein Überfluss
an kreativem Impuls und stilistischen Möglichkeiten. Wie viel Herz, für all die
Mädels nach all den Jahren wie für seine Kollegen – Schlusstrack geht an
David Childers, von dessen Album
Hard Time Country
– und für seine Fans, siehe Tour ab 9. September ...
Christian Beck
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ANNBJØRG LIEN
Waltz With Me
(Grappa Musikkforlag/Galileo MC HCD7216 www.galileo-mc.de)
10 Tracks, 46:41, mit norw./engl. Texten
Alle Stücke hat Annbjørg Lien (Hardanger-Geige) im Rahmen einer
Auftragsarbeit für das Telemark-Festival 2007 komponiert und mit einem eigens
hierfür zusammengestellten Streichquartett mit Bruce Molsky (Hardanger-Geige
u.a.), Mikael Marin (Viola) und Christine Hanson (Cello) sowie als Gast Kirsten
Bråten Berg (Gesang) aufgeführt. Der Titel des Albums soll in übertragendem Sinn
die Nähe zu den Zuhörern anstreben. Das gelingt eingängig mit den drei
Gesangsstücken. Sie werden strophenweise in norwegisch und englisch gesungen,
womit auch ein interessanter Vergleich der unterschiedlichen Auswirkung einer
Sprache auf das Hörerlebnis ermöglicht wird. Die reinen Instrumentalstücke
erschließen sich nicht ganz so leicht. Die bei der Hardangerfele mitklingenden
Bordunsaiten, verstärkt durch Cello und Viola, erzeugen das schwermütige typisch
nordische Klangbild, wobei die starke Rhythmisierung die Melodien jedoch etwas
in den Hintergrund drängt. Die richtige Musik für Liebhaber dieses einzigartigen
Klangs, die aber außerdem offen sind für Neues.
Bernd Künzer
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LÚNASA
The Story So Far
(Compass Records Com 7 4475 2, www.compassrecords.com)
16 Tracks, 1:07:39, mit engl. Infos
Die erste Anthologie der berühmtesten zeitgenössischen Modern-Irish-Trad-Band
heißt passenderweise nicht
Best Of
– aus den bisherigen Alben „Hits“ zu filterm ist wohl schwierig. Mit
Sänger wäre das einfacher, aber man möchte sich schließlich nach Herzenslust an
den Instrumenten austoben bei mal steinerweichenden, meist höchst druckvollen
Darbietungen aus der gesamten irischen und keltischen Tradition sowie sehr
erwähnenswerten Eigenkompositionen, von denen allerdings leider die Favoriten
des Rezensenten fehlen. Zu hören sind Tunes aus allen Perioden der Bandhistorie
seit den Anfängen mit zwei Ikonen der modernen Musik Irlands, John McSherry und
Michael McGoldrick (Uilleann Pipes/Flute). Aus dieser Zeit fehlen auch
Fotoreferenzen im reich bebilderten Booklet. Wir sehen die fröhliche aktuelle
Besetzung: neben den Gründungsmitgliedern Sean Smyth (Fiddle) und Trevor
Hutchinson (Bass), Kevin Crawford (Flute), Cillian Vallely (Uilleann Pipes) und
Paul Meehan (Gitarre). Es sind einige charmante Remixe und Neuversionen zu
hören, gerade der Einstieg „Morning Nightcap“ und „Eanáir“ – das
erste Lúnasa-Stück damals – machen einfach glücklich! Als
anregender Mix für Neueinsteiger empfohlen.
Johannes Schiefner
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MEC YEK
Antikrisis
(Choux de Bruxelles CHOU 0802/Broken Silence, www.brokensilence.biz)
14 Tracks, 42:49, mit Texten
Was kommt heraus, wenn sich die belgischen Akkordeonakrobaten von Jaune Toujours
mit den charmanten Romasängerinnen Katia und Mielka Pohlodkova und einer Band
exzellenter Musiker zusammentun? Ein Gute-Laune-Debüt mit dem passenden Titel
Antikrisis
– authentisch und unaufgeregt. Groovende Balkansounds im Musetteflair mit
orientalischen Touch und jauchzender Klarinette. Mit Spielfreude und
Augenzwinkern, melancholischen Halgads und zum Tanz animierenden Cardasses als
gäbe es kein Morgen – leicht, gekonnt und alles andere als angestaubt.
Grundlage der Songs sind slowakische Gypsy-Kompositionen, gesungen wird Romani.
Die Wurzeln des Projekts wurden bereits 1994 gelegt, als Jaune-Toujours-Sänger
Piet Maris zusammen mit dem slowakischen Gypsy-Musiker Laci Polhos auf dessen
musikalischen Spuren wandelte. Immer wieder zieht es Maris seitdem nach
Osteuropa, er komponiert, entdeckt die traditionellen Sounds, nimmt Unterricht
bei den lokalen Größen des Genres und vernetzt sich mit der dortigen
Musikszene. So entstand Ende der Neunzigerjahre die Band Mec Yek, deren
treibende Kraft er bis heute ist. Ein weiteres Beispiel für die scheinbar
unendlichen Möglichkeiten der boomenden Gypsy-Szene.
Claudia Frenzel
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SIGRID MOLDESTAD
Taus
(Grappa Musikkforlag/Galileo MC HCD7223, www.galileo-mc.de)
13 Tracks, 35:25, mit norw. Texten u. Infos
Auch wenn das Coverfoto – die Künstlerin halbnackt von hinten –
etwas irritiert, ist die Norwegerin Sigrid Moldestad, bekannt von GamaltNymalt
und Spindel, eine ernstzunehmende (Hardanger-)Geigerin, Sängerin, Komponistin
und Arrangeurin. Ende 2007 bekam sie in ihrer Heimat einen Spielmannspreis. Mit
ihrem ersten eigenen Album
Taus
, was sowohl „Mädchen“ als auch „Schweigen“ bedeutet, möchte sie an eine
Blütezeit von Frauen gespielter Folkmusik in ihrer Heimat an der Westküste
Norwegens zwischen 1730 und 1900 erinnern. Damals gab es viele weibliche
Spielleute wie Samuline Seljeset und Lise Jyvall, die neben ihren häuslichen
Pflichten Musikinstrumente erlernten und zum Tanz und zu Beerdigungen
aufspielten. Armut und religiöse Vorschriften machten dem ein Ende und erst seit
Ende des 20. Jahrhunderts gibt es wieder mehr Frauen in der norwegischen
Folkmusik. Die überlieferten Stücke dieser mutigen Frauen und die fünf eigenen
hat Sigrid Moldestad gemeinsam mit ihren Mitmusikern Anders Hall (Geige,
Hardanger-Geige, Viola), Sigbjørn Apeland (Truhen-Orgel, Klavier) und
Jørgen Sandvik (Banjo, Mandoline, Gitarre) arrangiert. Dazu kommen vier
Gäste an Percussion, Flöte, Bass und Cister.
Bernd Künzer
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MOZAIK
Changing Trains
(Mozaik MOZCD02, www.mozaik.ie)
10 Tracks, 51:46 mit engl. Infos u. Texten
Dass Musik aus Irland und vom Balkan innere Verbindungen haben, wusste Andy
Irvine, Altmeister der irischen Bouzouki, eigentlich schon immer. Zusammen mit
seinem Weggefährten Donal Lunny bewegt ihn das Projekt Mozaik seit vielen
Jahren. Doch erst jetzt gelang es, eine haltbare Konstellation für das
eklektische internationale Crossoverprojekt zu finden. Weitere Mitstreiter sind
Irvines Jugendfreund Rens van der Zalm aus den Niederlanden, dazu Bruce Molsky,
amerikanischer Old-Time-Fiddler und -Sänger und Nicola Parov, bulgarischer
Multiinstrumentalist, der sich besonders durch die virtuose Beherrschung der
bulgarischen Hirtenflöte Kaval und der Gadulka, eines archaischen,
griffbrettlosen Streichinstruments, hervortut. Völlig entspannt gelingt den
Musikern das Wechseln zwischen den Welten, filigrane mehrstimmige
Bouzoukilinien, charismatischer Gesang, Einwürfe bulgarischer Tunes und
gebrochener Rhythmen, ein bisschen Old-Time sowie das Auftauchen von Gästen wie
Liam O’Flynn (Uilleann Pipes) lassen immer wieder erstaunt aufhören. Irvine
gelingt erneut ein Geniestreich mit dem Song „The Wind Blows Over The Danube“
–
spine tingling
sagt man in Irland. Höchste Empfehlung!
Johannes Schiefner
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JIRÍ PAVLICA
Coven – Trembling, Suite Of Dialogs
(Indies Scope Records/NRW Vertrieb, www.mv-nrw.de)
11 Tracks, 50:52, mit engl. Infos
Jirí Pavlica ist seit 1975 Haupt und erster Violinist der seit über
fünfzig Jahren bestehenden tschechischen Folkloregruppe Hradišt
an. Mit dem vorliegenden Album ging er, der sich mit
Pastoral Masses
schon einmal an ein religiös-klassisches Musikstück gewagt hat, eine
ungewöhnliche Fusion ein: Hradištan spielt von ihm vertonte alte Texte
gemeinsam mit dem Philharmonischen Orchester Brünn, den Jumping Drums und Altai
Kai. Historische Instrumente erklingen, musikalische Quellen aus Moravien
(heute ein Teil Tschechiens) fließen ein, beide werden von Klassik umspült
– mancher mag es als weichgespült empfinden – und findet zur Form
einer klassischen Suite. Während der Klassikanteil zumindest für das kritische
Ohr eines Kenners mal zu bombastisch und mal zu klischeehaft klingt, irgendwie
überladen, berühren die Teile, in denen Tradition und alte Musizierkunst
brillieren, Mittelalter und Folklore in Dialog kommen, durch musikalische
Spannung, Tiefe und stellenweise musikalischen Witz. Das Zusammenspiel von Chor
und modernen Bläsern ist erfrischend, der Mittelalteranteil magisch. Der Dialog
verschiedener Musikwelten hat gemischte Ergebnisse gebracht, ist in jedem Falle
aber spannend.
Jürgen Brehme
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EMILY SMITH
Too Long Away
(Spit & Polish SPIT035/Cadiz Music/New Music Distribution, www.new-music-distribution.de)
10 Tracks, 42:19, mit engl. Texten
Ein – nicht nur – schottisches Phänomen, das mit Karine Polwart
begann. Sie verließ die Gruppe Malinky, um sich mit ihren eigenen intelligenten
Songs breitenwirksamer selbstständig zu machen. Ähnliche Pläne hat Julie Fowlis,
die Band Dochas mag zwar noch existieren, aber auch als Solistin bringt sie ihre
gälischen Lieder mit Enthusiasmus und gefälligen Arrangements erfolgreich unter
die Leute. Und nun Emily Smith. Vorbei scheinen die Abende in den Folkklubs, und
dafür spricht nicht nur das meist präsente Schlagzeug. Speziell die
Eigenkompositionen sind um einiges poppiger, glatter und eingängiger geworden,
und das ist kein negatives Urteil per se! Die Labelschwesternschaft mit den oben
genannten Kolleginnen ist sicherlich rein zufällig, wichtig vor allem: Es passt.
Es kommt stimmig aus den Lautsprechern, und Emily Smith, die zusammen mit ihrem
Gatten und Fiddler Jamie McClennan für die Produktion verantwortlich zeichnet,
vernachlässigt auch ihre traditionelle Seite nicht. Die fünf entsprechenden
Tracks – darunter der Klassiker „The Bleacher Lassie O’ Kelvinhaugh“
– kommen ebenso clever und überzeugend rüber wie die eigenen Songs. Schöne
schottische Lieder, nichts für Freunde whiskygeschwängerter Rob-Roy-Romantik.
Mike Kamp
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GABRIEL YACOUB
De La Nature des Choses
(Le Roseau ROS 110/Harmonia Mundi, www.harmoniamundi.com))
14 Tracks, 45:49, Booklet mit frz Texten)
Auf Gabriel Yacoub, den Libanesen aus Paris, kann man sich verlassen. Seine
Alben sind immer ein Hörgenuss. Da ist zum einen seine Stimme, die noch immer so
männlich-jung und sensibel klingt, wie zu seinen Zeiten mit Malicorne. Da ist
aber auch seine Produzentenkunst, hier gemeinsam mit Yannick Hardouin, die jedem
Stück eine eigene durchdachte Stimmung verleiht. Mal mit Klavier, mal mit Dobro,
oft mit der Drehleier von Gilles Chabenat, gerne auch mit behutsam eingesetzten
Bläsern, hat Gabriel Yacoub auf seinem vorliegenden jüngsten Album
De La Nature Des Choses
wieder ein Meisterwerk geschaffen. Wichtig sind bei Yacoub auch die Texte
– über Kindheit, Liebe und Tod – schließlich gilt er heute nicht
mehr als Folksänger, sondern als Chansonnier mit Folkatmosphäre. Nur seine
Kompositionen sind oft etwas spröde. Aber wer will den Melodien ihre mangelnde
Eingängigkeit vorhalten, wenn sie so die ganze Aufmerksamkeit auf Stimme,
Arrangements und Texte fokussieren. Und es gibt ja auch Ausnahmen, etwa den
sentimental-euphorischen Refrain von „Le Bois Mort“. Sieben Jahre hat Yacoub an
diesem Album gearbeitet. Man merkt es, und das ist positiv gemeint.
Christian Rath
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