Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder CDs, die aus der Masse herausragen:
DEUTSCHLAND | LAWAY | Seils ut Sülver |
DEUTSCHLAND | TOM LIWA UND DIE BLAUEN FLECKEN | Komm Jupiter |
IRLAND | ELEANOR MCEVOY | Love Must Be Tough |
ISRAEL | BOOM PAM | Puerto Rican Nights |
NORDAMERIKA | RY COODER | I, Flathead – The Songs Of Kash Buk And The Klowns |
DIE BESONDERE – DEUTSCHLAND
(Artychoke Artist Productions AP-1008-CD,
www.artychoke.de)
Nicht zum ersten Mal gestaltete die Folkrockgruppe Laway, die sich längst auch weit über Norddeutschlands Grenzen hinaus einen gut klingenden Namen erspielt hat, auch in diesem Jahr den musikalischen Hintergrund für die viel beachteten Störtebeker-Freilichtspiele im ostfriesischen Marienhafe. Das soeben erschienene Album Seils ut Sülver („silberne Segel“) ist gewissermaßen der Soundtrack für das Theaterstück mit dem Titel De See gifft, de See nimmt . Die Texte - alle in plattdeutscher Sprache - sind zum Teil Neubearbeitungen bereits bestehender Lieder, größtenteils stammen sie jedoch aus der Feder des Laway-Frontmannes Gerd „Ballou“ Brandt und seines Kollegen Jan Cornelius, Liederpoet aus Jemgum, Ostfriesland. Jede Menge Seefahrerromantik, Abenteuerlust, Fernweh und Lebensfreude transportieren diese Lieder, thematisieren gleichermaßen aber auch Abschied, Tod und schmerzlichen Verlust. So zieht sich die Trauer des Laway-Chefs über den frühen Tod seiner Frau Geli Brandt wie ein silberner Faden durch dieses beachtenswerte Werk. Dennoch hat Seils ut Sülver nichts Düsteres, nichts Resignatives, auch nichts Trauriges - im Gegenteil: Die Grundstimmung der meisten Songs vermittelt Hoffnung, Stärke, Standhalten, den Blick nach vorn. Gefühlvolle, immer glaubhafte Balladen enthält das Album, reizvoll kontrastiert durch die gleichermaßen kräftige wie zarte Stimme von Petra Fuchs und das kratzbürstige Organ von Ballou Brandt. Die Multiinstrumentalisten Jörg Fröse (Handharmonika, Konzertina, Gitarren, Cister, Mandoline, Bluesharp, Percussion, Gesang) und Tilo Helfensteller (Geige, Flöten, Saxofon, Piano, Gesang) vervollständigen das Quartett. Dessen Liebe zu irisch-schottischen Klängen ist nicht zu überhören, klingt aber trotzdem immer typisch nach Laway. Erwähnenswert auch die liebevolle Gestaltung des Digipacks, der sehr ausführliche Erklärungen und Hintergrundinformationen zu allen Liedern und Tänzen enthält, vervollständigt durch ein paar wunderschöne Fotografien. Kai Engelke | |
DIE BESONDERE – DEUTSCHLAND
(Ludwig LUDWIG 003/Indigo,
www.indigo.de)
Es geht schon damit los, wie offensichtlich dieses Album aus dem Bauch kommt: sinnlich, erdig, ganz altmodisch folk-, blues- und rockgrundiert, wie es bei einem Endvierziger wie Tom Liwa auch sein muss. Kraftvoll, aber gelassen, meditativ, entrückt. Mit stupender Sicherheit immer ganz hart am Wesentlichen, keinerlei Interesse an irgendwelchen Schickimicki-Modemätzchen produktionstechnischer Art, wie sie schon von jeher und immer und immer mehr gang und gäbe sind in der Popmusik. Es geht mit den Monolithen des Genres weiter, die mal stärker, mal schwächer durchklingen und -scheinen: „Here Comes The Sun“, also die Beatles in „Wintersonne“, „Million Dollar Bash“, also Bob Dylan in „Klicker der Fuchs“ – was als die beiden größten Acts aller Popzeiten will man da mehr? Dazu ein Feuerwerk weiterer Zitate aus den Plattenschränken der Generation: Springsteen-Anklang in „Jule Jusch und der Geist von Tom Glanz“, Paul-Simon-Touch des „50-Ways-To-Leave-Your-Lover“-Grooves in „Crazy Tom“, gar Kevin-Ayers-Bläser in „Henriette Gugel-Öhers, geborene Gugel“. Schließlich diese Geschichten! Fabeln, ganz klassisch mit Tieren, wenn auch deutlich kryptischer angelegt („Klicker ... “, „Muschimietz Mietvertrag“, Der weiße Rabe“, „Oh Elefant“). Jede Menge schön offene Liebeslieder („Wintersonne“, „Bleib bis zum Morgen“, „Eh egal“). Blödsinnige Witze („Ich bin ein Maler und sie ’ne Dichterin / Obwohl viele glauben, dass ich der Dichtere von uns bin“) und wiederum an Dylan geschulte, wenn nicht direkt bei ihm geborgte impressionistisch-expressionistische Bilderstürme quer durchs gesamte Album. Virtuose Funken aus ganz konkretem Zeitbezug in „Britney“ („Sie hat ein Date mit Elvis“! Aufpassen, Mädel ...). Und für den Rezensenten wird das alles noch getoppt von „Wo Ludwig Adobar den Engel traf“, einer hypnotischen Ballade, die glatt aus den Tiefen der Harry-Smith-Archive kommen könnte – wenn sie nicht so poetisch mit so leichten Schwingen der Erdung im rein Weltlichen entschweben würde. Guten Flug ... Christian Beck | |
DIE BESONDERE – IRLAND
(Mosco Disc MOSCD404,
www.eleanormcevoy.com)
So im Zwei-, Dreijahresrhythmus beglückt uns Eleanor McEvoy seit 1993 mit ihren Alben. Love Must Be Tough heißt nun ihr siebtes – und ist wieder eine Wucht: wortgewaltig, sinnlich, musikalisch ausgereift. Die Musik der Irin ist eine Mischung aus Folk, Blues und Pop, gerne gewürzt mit Elementen aus anderen Stilrichtungen. Dabei kommt McEvoy eigentlich aus der Klassik und hat ihr Geld anfangs nicht mit Gitarre und Gesang, sondern mit der Violine verdient – in Irlands National Symphony Orchestra. Dann entsprang ihrer Feder einer der in Irland meistverkauften Songs aller Zeiten, „A Woman’s Heart“, und markierte fortan ihren Weg als Songschreiberin. Trotzdem wurde Eleanor McEvoy in der Musikwelt noch nicht der Platz zuteil, der ihr eigentlich gebühren würde. Vielleicht liegt das an der Eigenwilligkeit ihrer Songs beziehungsweise der Eigenwilligkeit, mit der sie die Lieder anderer interpretiert. So klingt denn auch der Stones-Titel „Mother’s Little Helper“ auf Love Must Be Tough viel mehr nach Kurt Weill als nach Mick Jagger. Außergewöhnlich ist auch die Auswahl anderer Stücke des Albums: Der Butch-Hancock-Klassiker „He Never Spoke Spanish To Me“ ist zu hören, Terry Allens „Lubbock Woman“ und Rodney Crowells „Shame On The Moon“. Bei fünf Songs hat McEvoy wieder selbst zu Papier und Stift gegriffen, bei einem davon, der dem Album seinen Namen gab, in Zusammenarbeit mit der US-Musikerlegende Johnny Rivers. Interessant, dass die Lieder, die nicht aus McEvoys eigener Feder stammen, in der Mehrzahl durch Männer bekannt geworden sind, ausgenommen der Priscilla-Bowman-Hit „Hands Off Him“. Vielleicht hören sie sich gerade deshalb nicht wie Coversongs an, sondern wie McEvoy-Originale. Love Must Be Tough kann man durchaus als Themenalbum bezeichnen – ein Album über die Mutter aller Themen. Jedoch nicht aus einem romantischen, verträumten oder gar sentimentalen Blickwinkel. Das Fundament ist nicht Unschuld – sondern Reife und Erfahrung. Markus Dehm | |
DIE BESONDERE – ISRAEL
(AY CD 18/Essay Recordings/Indigo,
www.indigo.de)
Erst vor rund fünf Jahren formierte sich das Quartett Boom Pam und galt in der Tel Aviver Szene schon knapp nach Bandgründung als Geheimtipp. Bereits kurze Zeit später erklommen sie die israelischen Charts mit einer gemeinsamen Aufnahme mit dem lokalen Rockstar Berry Sakharof. Ihren Namen leiteten sie von einem gleichnamigen Titel des Griechen Aris San ab, der einer der ersten gewesen sein soll, der zu griechischer Musik eine E-Gitarre verwendete. Bedauerlicherweise ist dieser Titel, von Boom Pam eingespielt, auf keinem der bisherigen beiden Alben enthalten, sondern wird regelmäßig ausschließlich nur live gespielt. Das vorliegende zweite Album der Band – das „a“ in „Pam“ wird übrigens nicht anglisiert und tatsächlich wie ein deutsches „a“ ausgesprochen – beginnt nun fulminant mit „Ushest“ – man fühlt sich eher auf den Balkan versetzt als nach Tel Aviv oder gar Puerto Rico, wie der Albumtitel verspricht. Musikalisch eine klare Aufforderung, sich vom Wohnzimmersessel zu erheben und den Körper im Rhythmus zu bewegen. Es folgen zwei vokalisierte Stücke in hebräischer Sprache, darunter „Shayereth Ha-Rochvim“ im Stil des israelischen Folkduos Haparvarim (Text: die kürzlich verstorbene Naomi Shemer). Der Tubaspieler Yuval „Tubi“ Zolotov, der mit seinem Blechinstrument nicht nur die Bassgitarre zu ersetzen, sondern dieses auch als Soloinstrument einzusetzen weiß, Dudu Kochav (Schlagzeug) sowie die Gitarristen Uri Brauner Kinrot (mitunter auch mit der Balkan Beat Box unterwegs) und Uzi Feinman (von den Ramirez Brothers) kreieren eine Art Melange, die niemals langweilig wird und als ziemlich einzigartiger Stilmix aus Mittelmeer und Jüdischem, Orient und Balkan bezeichnet werden kann. Da bleibt kein Fuß ruhig stehen! Matti Goldschmidt | |
DIE BESONDERE – NORDAMERIKA
(Nonesuch 7559-79900-5/Warner Music,
www.warnermusic.de)
Als wollte er iTunes und Napster ein Schnäppchen schlagen: Altmeister Ry Cooder zeigt auch dieses Mal eindrucksvoll, dass man ein Album – ob Vinyl oder CD – so produzieren kann, dass man es vom ersten bis zum letzten Titel durchhört. Die fiktive Hauptfigur im dritten Teil seiner Kalifornien-Trilogie ist der Rennfahrer Kash Buk, der sich aus alten Kriegsmaterialien einen Höllenschlitten bastelt, der aber auch ein verliebter, wenn auch erfolgloser, Countrymusiker ist. Nachdem es in Chavez Ravine um das gleichnamige mexikanische Viertel in Los Angeles ging, das einem Footballstadion weichen musste, schickte Cooder in My Name Is Buddy drei fiktive Polit-Hobos auf die Wanderschaft, auf der sie Armut, Zerschlagung der Gewerkschaften und die Kommunistenverfolgung erleben mussten. I, Flathead widmet sich nun der Aufbruchstimmung in den USA der Nachkriegszeit. Aus der Perspektive seines Protagonisten singt Cooder über die Träume und Enttäuschungen jener Jahre. Musikalisch kommen wie schon bei den Vorgängern – meist nur mit Gitarre, Bass und Schlagzeug gespielt – die Genres der Zeit zum Einsatz: von Country und Folk bis zu Mariachiklängen, Rock ’n’ Roll und Blues. Dabei baut der Musiker auf die Unterstützung alter Bekannter, darunter Jim Keltner (Schlagzeug) und Flaco Jimenez (Akkordeon), und auch Sohn Joachim durfte wieder trommeln. I, Flathead basiert auf einer gleichnamigen Erzählung Ry Cooders, in einer limitierten Auflage ist sie als Buch mit CD erhältlich. Cooder ist einer der wenigen Musiker, die noch in der Lage sind, die Idee eines „Gesamtkunstwerks“ mit Leben zu füllen. Respekt! Michael Kleff |
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