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DIVERSE
Classic African American Gospel From Smithsonian Folkways
(Smithsonian Folkways Recordings SFW CD 40194/MP Media, www.mp-media.com)
24 Tracks, 77:10, mit ausführlichen engl. Infos
So logisch es auch eigentlich ist – es ist doch immer wieder frappierend
zu erleben, wie wenig Gewinn mit dem technischem Fortschritt in Aufzeichnung und
Produktion bezüglich der Gefühlstiefe moderner Populärmusik erzielt wurde. Und
kaum irgendwo kann man dies besser überprüfen als bei den Veröffentlichungen des
Smithsonian Institutes – hier am Beispiel der afroamerikanischen
Gospeltradition, ohnehin eines der emotional aufgeladensten musikalischen Genres
aller Zeiten: ob archaisch a capella („Low Down Death Right Easy“, Dock Reed,
1950) oder trocken folkig („Halleluja, It Is Done“, Elizabeth Cotten, 1965), ob
im munteren Dixie der Nachkriegszeit („Where Could I Go“, Sister Ernestine
Washington, 1946) oder im effekthascherischen Gewand des aufziehenden
Popzeitalters („He’s My Rock“, Brother John Sellers, 1959) – was zählt,
ist die Hingabe mit der die Interpreten sich ins Zeug legen. Wie diese in den
Kirchen und Gemeindesälen der afroamerikanischen Bevölkerung sich nicht mit
Halbheiten zufrieden gaben, so auch ihre Archivare um Moses Asch, der
Smithsonian Folkways 1948 gründete und bis zu seinem Tod 1986 2.168 Alben
veröffentlichte. Ein Großteil davon Stoff für die Ewigkeit – wie die
vorliegenden Gospelklassiker. Lob und Preis sei allen Beteiligten im Himmel wie
auf Erden ...
Christian Beck
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FERNWOOD
Almeria
(Eigenverlag, www.virb.com/fernwood)
12 Tracks, 47:41, mit knappen engl. Infos
Majestätisch in ihrer Ruhe und Demut, kraftvoll in ihrer Sanftmut, inspirierend
in ihrer Bescheidenheit und Einfachheit. Dass Instrumentalmusik, die unter
gleichsam esoterischen Aspekten wie „handgemacht“ und „Instrumente
ausschließlich aus Holz“ produziert und vermarktet wird, nicht nach Frömmelei
riecht – wer hätte das gedacht? Dafür stehen Gayle Ellett und Todd
Montgomery offenbar einfach zu fest auf dem Boden der Tatsachen ihres
heimatlichen Malibu: Wenn sie nicht alle Arten von Gebrauchsmusik für Filme oder
Computerspiele produzieren oder sich Progressive Rock, Folk oder Jazz spielen,
gehen sie gern surfen oder Drachenfliegen. Vielleicht kommt der ausgeprägte Sinn
für Organik und Harmonie, der das Debütalbum ihres Fernwood-Projektes durchzieht
ja aus dieser Art Erdung in der wirklichen Welt? Sanft bauen sich die vor allem
auf Bouzoukis, Sitars, Mandolinen, Gitarren, Bässen und dergleichen gespielten
Stücke meist auf, schwellen gelegentlich wie Philip Glass’ „Koyaanisqatsi“ oder
„Powaqqatsi“ ein Stück an und vergehen wieder. Dabei haben sie einen Sinn für
Rhythmik, der sie über Geflirre erhebt, einen Sinn für Dynamik, Struktur und
Proportion. Und natürlich sind auch Instrumente wie ein Rhodes Piano mit am
Start – aus Holz? Kleine Lüge gelegentlich gehört dazu ...
Christian Beck
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VEDA HILLE
This Riot Life
(Ape House APECD019/Al!ive, www.alive-ag.de)
13 Tracks, 40:52, mit engl. Texten
Seltsam! Frau Hille auf dem Cover ließ unweigerlich an eine leicht vergeistigte
Organistin in einer Dorfkirche denken. Und worum geht es auf dem Album? Unter
anderem um eine „ekstatische Interpretation religiöser Musik“, so der Beizettel,
also keineswegs um speziell Christliches, sondern um Themen, Harmonien, Hymnen
oder Textzeilen mit religiösem Hintergrund, kreativ neu zusammengewoben von Veda
Hille. Hinzu kommen eine deutliche Vorliebe für das Kunstlied des letzen
Jahrhunderts sowie unzählige Gäste. So entstand ein Werk, das tatsächlich ein
wenig vergeistigt wirkt, aber definitiv einzigartig rüberkommt. Eine Mischung
aus „Folk, Kunstlied und esoterischem Rock“, um noch einmal den wohltuend
präzisen Pressezettel zu zitieren, die neben Hilles Tasten- vornehmlich von
Blasinstrumenten wie Trompete, Klarinette oder Posaune lebt.
Mike Kamp
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OCOTE SOUL SOUNDS
The Alchemist Manifesto
(ESL Music ESL 130/Soulfood Music, www.soulfood-music.de)
11 Tracks, 37:55
New York und Austin dürften nicht allzu viel gemein haben. Aber auch innerhalb
der USA funktioniert Musik offenbar staatenübergreifend. Martin Perna alias
Ocote Soul Sounds lebt an der Ostküste, Adrian Quesada in Texas, doch beide
scheinen die gleichen Soundlandschaften im Kopf zu tragen. Für das gemeinsame
Projekt „The Alchemist Manifesto“ gingen sie zwei Wochen in Klausur und
produzierten ihre Ideen anschließend zwei Jahre lang, bis sie reif für dieses
Album waren. Eine Menge Musik kommt da zusammen und wird verschmolzen zu einem
hypnotischen und psychedelischen Sound, gespeist aus Keyboards, Synthesizern,
Computern, aber auch Bambusflöten, Kassettendecks und Schalen aus dem
Küchenschrank. Dieses hochmusikalische Amalgam mit verzerrten Gitarren,
Querflötensounds und Dschungeltrommeln entfaltet sich mit der Zeit zum
Soundtrack einer heißen Sommernacht. Manchmal meint man, die Begleitmusik zu
einem alten US-Fernsehkrimi zu hören, dann wieder gehen die Assoziationen eher
in Richtung Jethro Tull. Oder unten drunter liegt ein Funkgroove der
Siebzigerjahre, während drüber an Bo Hansson erinnernde Orgeln schwirren. Das
ist sie wohl, die moderne vielschichtige Drogenmusik heutiger Tage.
Volker Dick
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RUPA & THE APRIL FISHES
Extraordinary Rendition
(Cumbancha/Exil Musik 91233-2/Indigo, www.indigo.de)
Promo-CD, 13 Tracks, 52:33
Es ist auch heute noch möglich, Musik zu komponieren, die es in der Form noch
nie gegeben hat. Im vorliegenden Fall schafften Rupa & The April Fishes das
Wunder, eine US-Inderin aus der kalifornischen Bay Area, und ihre Band,
veröffentlicht auf dem Heimatlabel für innovative Weltmusik, Exil. Man könnte
die Beschreibung des Albums kurz fassen in: „Muss man selbst gehört haben“, denn
es entzieht sich jeder Kategorie. Es bedient sich indischer Instrumente, klingt
aber westeuropäisch. Es verwendet Chillout-Elemente, ist aber nicht geeignet, um
als Hintergrundmusik zu wirken. Es verarbeitet Balkanrhythmen, aber man möchte
nicht dazu tanzen. Das Album ist voller Zirkusmusik ohne Akrobaten. Man muss
Extraordinary Rendition
erforschen. Vielleicht wie ein Chemiker, dem die Grundsubstanzen bestens
bekannt sind und der dennoch fassungslos vor dem Endergebnis steht. Wie die
Musik, so die Texte. Man kann Rupa oberflächlich auf den Leim gehen, wenn sie
beispielsweise ein Chanson über eine Amerikanerin in Paris singt. Hört man
genau hin, erhält man auch hier das Ergebnis „So noch nie da gewesen“.
Zwangsläufig drängen sich bei der Künstlerin auch noch Straßentheater und
andere Kunstformen als Ergänzung auf. Wer schon längst von der
Veröffentlichungsflut an Weltmusik gelangweilt ist, sollte für Rupa & The
April Fishes wieder erwachen: Rupa muss man selbst gehört haben! Wirklich.
Chris Elstrodt
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MARK SELBY
Nine Pound Hammer
(Pepper Cake PEC 2033-2/ZYX Music, www.zyx.de)
12 Tracks, 55:57, mit Texten
Bluesrock gehört ins Trio – Mark „Otis“ Selby (Gitarre und Gesang), Daryl
„D. B.“ Burgess (Schlagzeug) und Charles „Chopper“ Anderson (Bass) treten den
Beweis dafür gerne an. In den USA ist Mark Selby in erster Linie als Songwriter
und als Studio- bzw. Gastgitarrist ein begehrter Partner, der für Kenny Wayne
Shepherd oder die Dixie Chicks sehr erfolgreiche Stücke geschrieben hat, und
sowohl Lynyrd Skynyrd als auch B. B. King, Robert Cray oder Jeff Beck greifen
immer wieder gern auf seine Unterstützung zurück.
Nine Pound Hammer
ist in seiner Gattung Musik ein perfektes Album, welches von den ersten
knurrigen Riffs des Titelstücks an begeistert. Selby und Band zeigen sich als
„ehrliche Handwerker“, die auf jedwede Mätzchen verzichten können. Das
Songwriting ist, auch dank der Hilfe von Selbys Frau Tia Sillers, exzellent,
die Texte in einer bildreichen Sprache, und musikalisch spannt sich der Bogen
von entspanntem Blues über Balladen bis zu Funk und Southern Rock. Prachtstück
des Albums ist „Buck-Fifty And A Flat-Head Ford“, in dem das alte
Robert-Johnson-Klischee des nächtlichen Verkaufs der Seele an den Teufel
erzählt wird. Ein atmosphärischer, an- und abschwellender Swamp-Blues, der in
den Strophen mit schleppendem Takt und toller Slide- und Dobrogitarre gespielt
ist und im Refrain Fahrt aufnimmt.
Achim Hennes
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CASSANDRA WILSON
Loverly
(Blue Note 50999 5 21788 2 5/Capitol Music/EMI, www.emimusic.de)
Promo-CD, 12 Tracks, 60:43
Wie sonst als mit Liebe? In den besten Momenten befreit die Nachfolgerin der
großen Jazzdiven auf ihrem neuen Album mit Coverversionen großer Standards die
Songs aus dem Gefängnis der Versionen, mit denen sie in die Geschichte
eingegangen sind. Holt sie in die Gegenwart, erweckt sie zu neuem Leben. So
etwa, wenn sie Meredith Willsons vor allem von den Beatles bekanntes „’Til There
Was You“ oder Elmore James’ „Dust My Broom“ zu regelrecht postmodern groovenden
Meditationen macht: Im Tempo deutlich heruntergefahren, swingen beide
gleichermaßen mal wie alte Jazzballaden, tänzeln wie ein Bossa Nova, und immer,
wenn Klavier und Gitarre zucken und sich mit tausend kleinen Nadelstichen ins
Geschehen werfen, zerrupft es sie fast in ihre Bestandteile. Irving Mills’ „St.
James Infirmary“ dagegen bekommt Tempo, schafft sich in einen heftig
mitreißenden Groove, wird, wenn Jason Moran in die Tasten haut, nahezu zum Salsa
– so muss das sein mit Neuinterpretationen. Und sei es, dass man unter all
dem polyrhythmischen Ensembleklöppeln Duke Ellingtons „Caravan“ überhaupt erst
erkennen kann, wenn Lyrics und Gesangsmelodie alles klar machen: Man erinnert
sich an eine große Liebe – und verliebt sich erneut!
Christian Beck
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