back Rezensionen Europa


ROSS AINSLIE & JARLATH HENDERSON
Partners In Crime

(Vertical Records VERTCD085/MP Media,go! www.mp-media.com)
11 Tracks, 46:23, mit wenigen engl. Infos

Zwei dudelnde Säcke – das kann doch nicht gut gehen! Kann es doch, und die beiden jungen Herren legen die Messlatte noch einen Strich höher: Wir reden hier von der Kombination Uilleann und Border Pipes. Die Sache wird etwas verständlicher, wenn wir uns das Personal anschauen: Jarlath Henderson war zum Aufnahmezeitpunkt im letzten Jahr gerade mal 19 Jahre alt, aber bereits dreimal All Ireland Champion Piper! Ross Ainslie aus dem schottischen Perth war Schüler des legendären Gordon Duncan und spielt unter anderem bei Salsa Celtica und in der Band von Dougie MacLean. Jungs also, die wissen, was sie tun, und sie tun es furios. Ob traditionell oder selbstgeschrieben, die Tunes werden mit einer Virtuosität, einer Präzision, einem Einfallsreichtum und einem Feuer interpretiert, die ungemein mitreißend rüberkommen. Wenn sie den Fuß vom Gas nehmen, dann meist wie jeder Piper von Format, um zur Whistle zu greifen. Nicht zu vergessen auch die sieben Begleitmusiker, die mit Gitarre, Bass, Percussion, Piano, Cittern und Keyboards ganz wesentlich zum Gesamtsound beitragen. Ainslie & Henderson waren nicht nur für den Rezensenten auf den diesjährigen Celtic Connections in Glasgow live die Überraschung schlechthin. Das Album zeigt, warum.

Mike Kamp

 

ROSS AINSLIE & JARLATH HENDERSON – Partners In Crime


ARVEST
Fantazi

(L’Oz/Coop Breizh L’Oz 49,go! www.breizh.de)
12 Tracks, 39:11, mit frz./bret. Songtexten

Das Album beginnt mit einem Frevel. Gleich beim ersten Track „Ma Flanedenn“ wird brüsk ausgeblendet, just als das Stück den vollendeten Flow entwickelt hat und richtig losgeht. Hat eine Laune des Studiocomputers den Rest verschluckt? Oder sind die Musiker der bretonischen Band Arvest einfach nur grausam? Zum Glück ist dies das einzige, was man an Fantazi aussetzen kann. Denn eigentlich ist das zweite Album der vierköpfigen Fest-noz-Gruppe ein Meisterwerk. Im Mittelpunkt steht der Wechselgesang von Yann Raoul und Yves Jego. Ihre hellen Stimmen prägen den Sound und passen sehr angenehm zusammen. Vor allem der Gesang von Yann Raoul beeindruckt, Raoul hat die vielleicht wärmste Stimme der Bretagne. Die beiden werden begleitet von David Er Porh an der akustischen Gitarre und Aymeric le Martelot am Keyboard. Scheinbar halten sich die Instrumentalisten im Hintergrund und doch tragen ihre perlenden und federnden Arrangements viel zum homogenen Gesamteindruck des Albums bei – dessen Stücke zudem durchweg Eigenkompositionen sind. Hier erlebt man Musik, die im Tanzsaal, im Konzert und auf Tonträger gleichermaßen begeistert. So viel Perfektion findet man selten.

Christian Rath

 

ARVEST – Fantazi


AYNUR
Kece Kurdan/Chica Kurda

(Resistencia ResCD 174/ Galileo MC,go! www.galileo-mc.de)
11 Tracks, 55:05, mit türk., kurd. u. span. Texten

Aynurs prägnante wie frische und feinsinnige Stimme bildet den gemeinsamen Nenner ihres dritten Albums Kece Kurdan (Kurdisches Mädchen), von dessen elf Titeln in kurdischer und türkischer Sprache jeder ein eigenes Gepräge aufweist, denn es gibt keinen generellen Produzenten und keine Standartbesetzung. Jedes Stück ist eigens instrumentiert wie eine Trockenbeerenauslese. Die lange Musikerliste gleicht fast einer Art Best-of der modernen Rootsszene Istanbuls – mit Musikern wie Erkan Ogur (Saiteninstrumente), Ercan Irmak (Ney), dem Kanunspieler Göksel Baktadir und Vedat Yildirim von Kardes Türküler, die schon seit vielen Jahren federführend beim Beleben der Traditionen sind. Oft arrangierte der Gitarrist, Soundtüftler und Mastermind Serdar Ateser. Einmal singt der Männerchor der Istanbuler Oper auf kurdisch, dann vermitteln Streichersätze für einige Momente eine kammermusikalische Anmutung, bevor nur drei Komponenten – Aynurs Stimme, das Yarkin Percussion Ensemble und die exzellenten, hochmusikalischen Elektronic Sounds von Sertar Ateser – sieben Minuten faszinieren. Das Album erschien bereits 2004 auf dem wichtigsten, türkischen Label, Kalan. Über den Umweg einer Lizenzausgabe auf dem spanischen Resistencia-Label erreicht es nun mit einem kurdisch-türkisch-spanischen Booklet über den Galileo-Vertrieb den deutschen Markt. Welch ein Glück!

Birger Gesthuisen

 

AYNUR – Kece Kurdan/Chica Kurda


BARBARA
Le Temps Du Lilas

(Le Chant du Monde 574 1562.65/Harmonia Mundi,go! www.harmoniamundi.com)
4 CDs, 93 Tracks, 249:02, mit franz. Infos

À l’Atelier – Bruxelles 1954

(Le Chant du Monde 274 1561/Harmonia Mundi,go! www.harmoniamundi.com)
16 Tracks, 54:16, mit franz. Infos

Weshalb sie hierzulande nicht die Popularität einer Piaf oder einer Gréco erlangte, bleibt auf den ersten Blick rätselhaft. Waren ihre Chansons oft zu melancholisch-depressiv, ihre Interpretationen zu ambitioniert, ihre Stimme zu wandlungsfähig für deutsche Ohren? Dabei hatte Barbara – bürgerlich Monique Serf – als Tochter eines Elsässers und einer Russin eine besondere Beziehung zu Deutschland. Aus ihren Erfahrungen heraus schrieb sie u. a. den Chansonklassiker „Göttingen“. In Frankreich ist Barbara, die am 24. November 1997 verstarb – sie litt an Multipler Sklerose – unvergessen, und ihr Œuvre wird weiterhin hoch geschätzt. Anlässlich ihres zehnten Todestages erschienen nunmehr eine aufwendige CD-Box mit vielen bis dato unveröffentlichten Aufnahmen sowie einer CD, die ein Konzert aus der Frühphase ihrer Karriere dokumentiert. Die einzelnen CDs der Box haben jede für sich einen thematischen Schwerpunkt: Die erste ist eine Art Best-of mit Aufnahmen aus den Jahren 1962-1996, die zweite enthält Radiomitschnitte aus den Jahren 1956-1966, die dritte eine Zusammenstellung von verschiedenen Liveaufnahmen, wobei es auch zu Überschneidungen kommt, die vierte gibt ein legendäres Konzert in Carpentras 1973 wieder. Das hervorragende, mit vielen Fotos ausgestattete Booklet beschreibt eindringlich das Auf und Ab von Barbaras Karriere, den besonderen Stellenwert, den sie in der Chansongeschichte einnimmt. Nicht nur für „Die-hard“-Fans empfehlenswert! Die 1954er „Atelier“-Aufnahme hingegen – sie hält beispielhaft die „belgischen Jahre“ fest – ist vermutlich eher für Komplettisten.

Roland Schmitt

 

BARBARA – Le Temps Du Lilas

BARBARA – À l’Atelier – Bruxelles 1954


CHUMBAWAMBA
The Boy Bands Have Won

(No Masters NMCD28/go! www.westparkmusic.de)
25 Tracks, 49:18, mit engl. Texten und Infos

„When an old man dies / Along with the shoes and the shirts and the ties / There’s a library that’s lost / When an old man dies“, so der Album-Opener in vollendetem Folkharmoniegesang zu betörender Akkordeon-/Gitarrenbegleitung – noch nicht das Perpetuum Mobile, aber fast: Chumbawamba, kürzlich zum Quintett geschrumpft, sind offenbar die sprichwörtliche eierlegende Wollmilchsau! Politisch wie menschlich edle Anliegen, intelligente Texte, ohrwurmhafte Melodien, bestechend klare Arrangements, immer und immer wieder – kann das auf Dauer wahr sein? Offenbar ja, The Boy Bands Have Won hat zwar keine unmittelbaren Kracher wie „Fade Away (I Don’t Want To)“ oder „Bankrobber“ vom Vorgänger A Singsong And A Scrap oder gar einen Smash-Hit wie „Tubthumper“ aus einem anderen Jahrtausend zu bieten, aber knapp darunter ist immer noch weit besser als die allermeisten anderen. Selbst wenn sie es mit 25 Titeln in nicht einmal fünfzig Minuten diesmal eher übertreiben: Wie soll ein Liebhaber bei dieser Frequenz und der entsprechenden Interruptusdichte jemals auch nur eine Ahnung von Befriedigung bekommen? Den skurrilen Rundumschlag durch die Welt in Zeiten der Boybands einfach noch öfter hören? Wird gemacht!

Christian Beck

 

CHUMBAWAMBA – The Boy Bands Have Won


JOHNNY COPPIN & MIKE SILVER
Breaking The Silence

(Faymus Recordings FRCD 0101, go! www.johnnycoppin.co.uk/go! www.mikesilver.co.uk)
15 Tracks plus Bonus, 67:47, mit engl. Texten

Was sind die Zutaten für ein erfolgreiches Album? Da gibt es zahlreiche Rezepte, aber dieses ist mit Sicherheit dabei: Man nehme zwei gestandene Singer/Songwriter mit eigenständigen Stimmen, die jedoch harmonieren müssen; dazu zwei Gitarren plus Keyboard sowie ein sympathisches Studio und voilà – Coppin und Silver brechen die Stille! Endlich, sollte man sagen. Bereits seit drei Jahren touren die beiden zeitweise zusammen. Coppin, der – ab und zu immer noch – Decameron-Mann mit der kräftigeren Stimme und Silver, der auch in Deutschland gern gesehen und gehört wird (s. a. seine CD auf dem Stockfisch-Label) mit dem leiseren, aber raueren Organ. Und es passt einfach mit den beiden – und das grandios: Große Liederschreiberkunst auf beiden Seiten, man hört die handwerkliche Erfahrung von Jahrzehnten sowie hin und wieder den erforderlichen Schuss besondere Inspiration. Okay, ein oder zwei Stücke sind vielleicht nicht ganz so außergewöhnlich, aber gut ist alles allemal. Songperlen in den Ohren des Rezensenten sind das Titelstück, „Postcards From Cornwall“, und natürlich Karine Polwarts „The Sun’s Coming Over The Hill“, eines der wenigen Fremdstücke. So etwas Herrliches entsteht, wenn Künstler niemandem mehr etwas beweisen müssen. Im Herbst sind auch Konzerte in Deutschland geplant. Unbedingt hingehen!

Mike Kamp

 

JOHNNY COPPIN & MIKE SILVER – Breaking The Silence


GEORGE DALARAS
Deserted Villages

(Tropical Music 68865/SONY BMG Music Entertainment,go! www.sonybmg.de)
11 Tracks, 37:51, mit Texten und Infos

George Dalaras ist bei uns als Hofsänger von Mikis Theodorakis bekannt. Die „Stimme Griechenlands“ gibt den Kompositionen von Theodorakis ihre einzigartige Farbe. Man darf Dalaras aber nicht auf die Rolle als Interpret des großen griechischen Komponisten beschränken. Er hat fast fünfzig Schallplatten veröffentlicht. Er arbeitete mit Paco de Lucia und Sting zusammen. Der Schwerpunkt seiner musikalischen Arbeit liegt in der Wiederbelebung des Rembetiko, des griechischen Liedes. Nun veröffentlicht er mit Deserted Villages sein ambitioniertestes und reifstes Werk. Auf diesem Album wagt er den Sprung nach Albanien. Die Schicksale der vertriebenen und verfolgten Menschen, ihre Trauer und Wut, aber auch ihre Hoffnungen und Träume, schreiben die Geschichten zu seinen Texten. Musikalischer Begleiter ist der albanische Komponist Dasho Kurti. Die Parallelen zwischen Griechenland und Albanien auch in ihrer geschichtlichen Entwicklung kann man musikalisch nicht deutlicher zeigen. Die auf diesem Album mitwirkenden Künstler beider Länder wirken wie Geschwister einer Familie, verschieden, aber doch vom gleichen Stamm. So selbstverständlich, wie Dalaras die unterschiedlichen Kulturen zu einem neuen homogenen Ganzen vereinigt, so selbstverständlich bedient er sich auch der verschiedenen musikalischen Epochen. Historische Liedstrukturen werden wie moderne Rockelemente als natürliche Ressourcen verwendet und zu einem einheitlichen Klangbild komponiert. Ein Geniestreich.

Chris Elstrodt

 

GEORGE DALARAS – Deserted Villages


DIVERSE
Long Way Down

(Real World CDRW149/EMI,go! www.emimusic.de)
Do-CD, 30 Tracks, 135:42, mit wenigen engl. Infos

Der schottische Schauspieler Ewan McGregor dürfte den meisten zum Beispiel durch Filme wie Trainspotting oder Star Wars bekannt sein. Wenn er mal nicht vor der Kamera steht, fährt er gerne Motorrad, am liebsten mit seinem Kumpel Charley Boormann. So weit, so normal. Wenn man McGregor heißt und nicht einfach nur so auf der M8 zwischen Edinburgh und Glasgow hin- und herdüsen will, sondern sich eine anspruchvollere Route ausdenkt, kann das aber durchaus auch die BBC interessieren. Also schwang sich das Duo in die Sättel und fuhr in 85 Tagen von John O’Groats, Schottland, aus 15.000 Meilen Richtung Süden nach Südafrika. Long Way Down ist der Soundtrack dieser zweiten Reise (die erste lief unter dem Titel Long Way Round 2004 von England nach New York), mit Ausnahme von Martyn Bennett, dem Afro Celt Sound System und den italienischen Spaccanapoli durchgehend afrikanische Künstler aus dem Katalog von Peter Gabriels Real-World-Label. Wunderbare Musik, ganz ohne Frage, aber es sei noch etwas dazu verraten: Als eingefleischter Nicht-Motorradfahrer habe ich ein paar Folgen im englischen Fernsehen gesehen, war begeistert und empfehle daher eher die DVD, denn die Kombination aus Musik und Bildern ist das eigentlich Faszinierende.

Mike Kamp

 

 


CORINNE DOUARRE
Ciel XXL

(KOOK 0020/Broken Silence,go! www.brokensilence.de)
12 Tracks, 42:38, mit franz., dt., engl. Texten u. dt. Infos

Nouvelle Vague, New Wave, Neue Welle – kümmert die Wasser des Chansons, des Songs, des Lieds ihr Sprachraum, ihre Herkunft? Diese hier fließen zusammen. Plätschern und strudeln. Und steigen. Auf einen Höchststand an künstlerischer Ausgereiftheit, Internationalität und Universalität. Ganz wie Berlin, wohin es Corinne Douarre 1997 von Paris aus zog. Unvermeidbar bei ihrem dritten Album der Eindruck der Vermischung verschiedener Kulturkreise, Genres und Stile – aber was kommt woher? Es ist nicht mehr auseinanderzuhalten. Viel zarte Melancholie, ein urbanes Lebensgefühl, modernes elektronisch-akustisches Musizieren. Und der passende Sound – Sonderlob an Marc Haussmann: sanft programmiert, leichtfüßig puckernd, schmeichelhaft geglättet, tendenziell hypnotisch geloopt. Manchmal ein melodischer Zuckerschock („Les Petits Princes“, „Si Tu Veux Me Voir“), die bewegenden kleinen Dinge des Alltags („Zusammen oder getrennt?“), ein Zweifeln und Bangen und Hoffen („L’Age Du Sarcophage“), nicht zu vergessen Humor („Si Peu De Texte“, dafür mit Bolero). Und eine helle, klare, freundliche Stimme mit der Fähigkeit, zu berühren. Und Wellen zu erzeugen – Wellen wohliger Schauer, wie das auch sein soll ...

Christian Beck

 

CORINNE DOUARRE – Ciel XXL


DR. DIDI
New Songs

(Extraplatte EX 774-2/SunnyMoon Distribution,go! www.sunny-moon.com)
22 Tracks, 53:55

New Songs von Dr. Didi ist mit Sicherheit eine der originellsten Scheiben der letzten Monate. Hinter Dr. Didi steht insbesondere „Dr. Didi Bruckmayer“, Experimentalkünstler aus Wien. Ist von Dr. Didi Bruckmayers Vocals die Rede, sollte man „Vocals“ auf keinen Fall mit „Gesang“ übersetzen, vielleicht eher mit „Stimme“. Manche Stücke haben Texte, andere kommen mit Lautmalerei oder vokal erzeugten Geräuschen aus. Begleitet wird Dr. Didi Bruckmayer vom Gitarristen Peter Androsch, der zu einigen Stücken auch noch die Melodica beisteuert. Androschs Gitarre ist nicht weniger experimentell, aber eher unprätentiös, was der Produktion eine besondere Qualität verleiht. Der Dritte im Bunde ist Kontrabassist Bernd Preinfalk, der mal dezent im Hintergrund spielt, als wenn er dreißig Jahre Barmusik hinter sich hätte, und mal das (glücklicherweise nicht vorhandene) Didgeridoo ersetzt. New Songs wird so zu einem Zauberkunststück, man staunt, lacht, bewundert und fragt sich, was als Nächstes aus dem Hut gezaubert wird. Dass die Musik auch zum Träumen und Driften einlädt, erkennt man spätestens beim zweiten Hinhören. Dieses wundervolle Album kann jedem Hörer mit offenen Ohren wärmstens empfohlen werden.

Chris Elstrodt

 

DR. DIDI – New Songs


FJARILL
Pilgrim

(RinTinTin Musik CD 906952/Indigogo! www.indigo.de)
12 Tracks, 62:05 + Hidden Track, mit allen schwed. Texten u. dt. Übersetzungen

Auch dieses zweite Album nach Stark (2006) im hübschen Digipak ist voll mit wunderschönen Liedern. Aino Löwenmark aus Schweden und Hanmarie Spiegel aus Südafrika sind wohl nicht als Pilger, sondern der Liebe wegen nach Hamburg gezogen und haben sich dort gefunden, um schwedische Musik zu spielen. Und wie sie es tun! Die Lieder sind von Aino, sie singt auf Schwedisch zu ihrem Klavier und zu Hanmaries Violine. Was für eine Stimme und was für ein harmonisches Zusammenspiel der beiden jungen Musikerinnen – bis jetzt scheinen sie noch jeden eingefangen zu haben, der sie live gehört hat. Eine stilistische Zuordnung ist schwierig, aber wenn man so will, handelt es sich hier um Popmusik mit ethnischen Elementen aus Schweden und Südafrika. Die Texte, eigentlich Gedichte, entsprechen den zarten Melodien, wie „Unendliche Zeit des Augenblicks, eine stille Stunde aus innerer Sicht ...“ oder „Die Nacht wird leise geküsst, von einer Farbe in dunkelblauem Licht. Tausend kleine Sterne glitzern in meinem Iriskranz ...“. Unterstützt haben die beiden bei den Aufnahmen einfühlsame Gäste mit Gesang, Cello, Flügelhorn, Posaune, Lap Steel Guitar, Akkordeon, Bass, Percussion. Außerdem gibt es noch ein „Geschenk“ für den Käufer ...

Bernd Künzer

 

FJARILL – Pilgrim


GERTRUDIS
Política De Verbena

(Mass Records ESP 6307/Galileo MC,go! www.galileo-mc.de)
15 Tracks, 52:57, mit span. u. katalan. Texten u. katalan. Infos

Das dritte Album lässt hören, wie dieses Trio aus Barcelona seit seiner Gründung vor zirka zehn Jahren gereift ist. Etwas irritierend: Der Bandname klingt nach einer alten, der Gesang nach einer jungen Frau, doch Leadsänger ist ein junger Katalane. Und nur scheinbar alt ist die von Gertrudis zelebrierte Rumba Catalana, ein in den Fünfzigern aus kubanischer Musik und Flamencoelementen vor allem von katalanischen Gitanos kreierter Mix. Diese quasi erste World Music made in Barcelona ist die Urmutter der dortigen aktuellen Mestizoszene. Sie war nie wirklich totzukriegen und hat derzeit ein Revival. Gertrudis zeigt mit Hilfe guter Freunde wie Járabe de Palo und den Barcelonaer Neo-Rumberos von Sabor de Gracia und Los Manolos, wohin sich die Rumba Catalana im 21. Jahrhundert entwickeln und öffnen kann: Der solide, rumbatypische Ventilatorrhythmus der Gitarre und das Latin-Piano werden zum Beispiel angereichert mit dem Balkanflair einer Geige und Reggaevibes. Der Rumbabastard ist von jeher Stil- und Sinneswandel gewöhnt, ließ sich durch Modernisierer wie Rumbakönig Peret mühelos in neue Gefilde, etwa Soul und Funk entführen. So bleibt diese unwiderstehliche Tanzmucke wohl weiterhin für Überraschungen gut.

Katrin Wilke

 

GERTRUDIS – Política De Verbena


KRISTINE HEEBØLL
10 Point

(GO’ Danish Folk Music GO 1107,go! www.gofolk.dk)
10 Tracks, 40:36, mit dän. u. engl. Kurzinfos

Die dänische Geigerin Kristine Heebøll unterrichtet am Fynske Musikkonservatorium und beteiligt sich unter anderem an der Jugendfolkbigband Wood’n’Shoe. Seit 2004 erhielt sie jedes Jahr Preise im Rahmen des Danish Music Award Folk, so auch 2007 für das neueste Album mit Trio Mio, Stories Around A Holy Goat. Ihr neuestes Projekt 10 Point enthält eigene Kompositionen, bei denen die Violinen und die Viola im Mittelpunkt stehen (Kristine H., Ditte Fromseier, Andreas Tophøj), deren traditionell nachempfundener Musik aber die anderen Instrumente – wie Klarinette/Bassklarinette (Dan Gisen Malmquist), Cello (Cecillie Hyldgaard) und Akkordeon (Peter Eget) – eine besondere Prägung geben. Kammermusikartige Klangbilder von großer Zartheit entstehen, wenn in den Stücken nur zwei Instrumente zusammenspielen, wie zum Beispiel Klarinette und Geige. Die anderen Instrumente sorgen dann für die Dynamik. Die Geschichtchen zu den Stücken dieses Albums sind nett zu lesen – 10 Punkte erhält man, wenn man auf einer Kuhweide alle Kühe liegend sieht -, geben aber nur kleine Anhaltspunkte für die vielfältigen musikalischen Einfälle und Arrangements von Heebøll. Ein Album, das man immer wieder auflegt und das man auch Kammermusikfans schenken könnte.

Bernd Künzer

 

 


JELEM ROMALE
Dromessa – Weiter Weg

(Schöne Töne LC 5247,go! www.jelem-romale.de)
12 Titel, 58:38

Gibt es sie noch, die fahrenden Zigeuner? Jelem Romale („Die Romas, die gehen“) sind zwar keine Fahrenden, doch hatten sie teils weite Wege hinter sich, bevor sie in Deutschland als Interpreten russischer Zigeunermusik zusammenkamen. Der deutschstämmige Georg Kremel (Gitarre, Gesang) kommt aus Irkutsk (Ostsibieren!), Vladimir Belau (Gitarre, Gesang) aus Alma-Ata (Kasachstan), Sabina Danilov (Geige, Gesang) aus Aserbaidschan; komplettiert durch Claudia Bernads (Gesang, Percussion) aus dem deutschen Ahrtal. Alle verbindet der Hang zu den alten Liedern, welche die Zigeuner im weiten Russland sangen. Und sie halten sich an die traditionelle Form, wie sie die Zigeuner, in Russland lange hoch geachtete und romantisierte Musiker, Jahrhunderte lang zelebriert haben. Trotz der vielfältigen musikalischen Vorkenntnisse, die alle vier von Rock bis Klassik mitbringen, entsteht hier kein Crossover, keine Mischung traditionellen Liedgutes mit neuen Stilen. Jelem Romale lassen die Lieder – bis auf eines alle überlieferte Melodien mit klassischen Gefühlstexten – wie alte Volkslieder klingen, sie hören sich vertraut an, verträumt und gefühlvoll. Vielleicht haben sie so geklungen, die Zigeuner, wenn sie sich an der Kreuzung ihrer langen Wege getroffen haben – die Studioaufnahmen lassen eine intensive Livepräsenz ahnen ...

Jürgen Brehme

 

JELEM ROMALE – Dromessa – Weiter Weg


LOU DALFIN
I Virasolelhs

(Felmay fy 8135/Just Records Babelsberg,go! www.just-records-babelsberg.de)
16 Tracks, 55:49, mit okzitanischen, ital., franz. u. engl. Texten

Man nehme eine große Portion Rock, etwas Punk, Metal, eine Prise Swing, Blechbläser und gebe diese Ingredienzien acht Hochenergiemusikern, die tief in der okzitanischen Kultur des Piemont verwurzelt sind. Heraus kommt ein abwechslungsreiches, knalliges Werk einer Band, die mit ihrem zehnten Album ihr 25-jähriges Bestehen zelebriert. I Virasolelhs ist noch abwechslungsreicher als der Vorgänger, L’Òste Del Diau. Mehr ist hier tatsächlich auch mehr. Zum Jubiläum machte eine illustre Schar Sänger, Streicher, Perkussionisten und Bläser ihre Aufwartung im Studio. Schon die Eröffnung stellt alles klar: Die Bläser pumpen, der Sänger Sergio Berardo singt sich die Seele aus dem Leib, die Saitenfraktion und der Drummer hetzen los, als gälte es, allein gegen die Erosion der okzitanischen Kultur anzukämpfen. „Okzitanien und fertig!“ heißt die Botschaft. Wer so lange seine Wurzeln auslotet wie Bandleader Berardo, weiß auch, wie ein solches Grossaufgebot an Musikern eingesetzt werden muss: wohl dosiert nämlich. Die neotraditionellen Melodien und die starke Präsenz von Drehleier, Akkordeon und weiteren traditionellen Instrumenten lassen keinen Zweifel aufkommen, wo dieses Album eingereiht werden muss: unter Folkrock aus Okzitanien. Laut hören!

Martin Steiner

 

LOU DALFIN – I Virasolelhs


PROSTI DUMI
Ajde Na Balkana – Balkan Set

(Indies Scope Records MAM417-2/NRW Records,go! www.mv-nrw.de)
11 Titel, 47:37

Tschechien ist noch nicht der Balkan. Doch der eine Mann macht es schon – Ladislav Assenov, der als Kind in die tschechische Stadt Pilsen kam, aber seine Seele in Bulgarien hat. Wo noch heute auf jeder Party bulgarisch getanzt wird, seine Großmutter beim Kochen einheimische Lieder gesungen hat, von dort hat er seine musikalische Prägung, vom Balkan. Er formte eine Gruppe, die mit diesem furiosen Debütalbum zwischen purer Balkanmusik und psychedelischen Rock verspricht, ein Renner auf jeder Bühne und im Player zu werden, den ersten Wettbewerb, die Ceská sporitelna Colours Talents haben sie schon gewonnen. Die Sängerin Gabriela Bultasová hat die richtige Balkanstimme, Trommeln und Akkordeon geben das Balkanfundament. Um sich gegen die hellen Stimmen abzusetzen, haben sie die Akustikgitarren dunkel gestimmt und tiefe Basstrommeln und einen E-Bass eingesetzt. So wird dieser Balkan hell und dunkel zugleich, geht in die Tiefe und reißt mit. Klingt authentisch und könnte auf der Rockbühne passieren. Assenov hat dies alles selbst komponiert, die Videos dazu gemacht (www.myspace.com/prostidumi), sich tief aus seiner bulgarischen Seele bedient und zugleich richtig europäische Musik geschaffen.

Jürgen Brehme

 

PROSTI DUMI – Ajde Na Balkana – Balkan Set


RUSSKAJA
Kasatchok Superstar

(Chat Chapeau CCR015-2/Soulfood Music Distribution, go! www.soulfood-music.de)
14 Tracks, 53:10

Russkaja steht für RUSsisch, SKA und JAzz. Was nicht annähernd die Extreme beschreibt, zwischen denen sich die sieben Kasatchoken aus Österreich brillant hin und her bewegen. Ein anfänglicher Bläserska endet mit Gitarrenspeed- und Heavy-Metal-Geschrei. Mal sind Russkaja echte Rock ’n’ Roller, dann wieder ganz die russischen Herzschmerzmusiker. Gesangseinlagen à la „Stayin’ Alive“ geben dem Kiffer-Ska („Dope Shit“) eine besondere Note. Der Song „Do Utra“ hat etwas von einem Dialog zwischen Salsa und Polka. Der krasse Stilmix tut nicht weh, im Gegenteil. Selbst strenge Beatles-Fans dürften den Chamäleons nicht übelnehmen, dass sie „Look-at-all-the-lonely-people“-Sprengsel in harte Gitarrenriffe und Polka einbetten. Die einzige Frau ist Antonia-Alexa Georgiew, eine 22-jährige Geigerin aus Hamburg. Früher wollte sie Ballerina oder Soldatin werden, heißt es auf ihrer Website, jetzt will sie nur noch Musik machen – „bis sie krepiert“. Zurzeit rocken die Kasatchoken die Bühnen Europas und Deutschlands. Bis Ende August sind sie noch unterwegs. Pogo, Polka, Stehblues oder Headbangen – für jeden Tanzstil etwas dabei.

Natalie Wiesmann

 

RUSSKAJA – Kasatchok Superstar


SANDOR SZABO VERONIQUE GILLET
Strings Without Borders

(Wonderland Records WR 9054/Acoustic Music/Rough Trade,go! www.roughtrade.de)
14 Tracks, 53:29, mit Infos

Bei akustischer Gitarrenmusik gilt oft: Kennt man eine, kennt man alle. Dass es auch anders geht, beweist die erste gemeinsame Produktion der Gitarrensolisten Sandor Szabo und Veronique Gillet. Die Künstler, die beide auch bei Windham Hill eine gute Figur machen würden – aber beim deutschen Gitarrenreferenzlabel Acoustic Music sind -, schaffen es gemeinsam, neue Wege in der akustischen Gitarrenmusik aufzuzeigen und dennoch traditionell zu klingen. Spielend gelingt ihnen der Spagat zwischen Balkanklängen und westeuropäischer Musik. Zum Teil klingen barocke Anleihen an, dann wieder schillert Michael Hedges durch. Man erkennt leicht den Komponisten jedes einzelnen Titels, denn Szabos Kompositionen unterscheiden sich vollkommen von denen Gillets. Dennoch klingt das Album wie aus einem Guss, die gemeinschaftlichen Kompositionen binden die Solowerke wie ein roter Faden zusammen, und so entsteht aus zwei individuellen Künstlern ein einzigartiger unverwechselbarer gemeinschaftlicher Stil. Strings Without Borders ist nicht nur ein treffender Titel in Bezug auf die musikalische Herkunft der beiden Künstler, das Album ist auch der Beweis, dass Grenzen zwischen Jazz, Klassik und Folk zumindest in Sachen akustischer Gitarrenmusik künstlich erzeugte Barrieren sind, über die sich dieses Duo mit traumhafter Leichtigkeit hinwegsetzt.

Chris Elstrodt

 

 


HEIDI TALBOT
In Love & Light

(Compass Records COM 7 4469 2/Sunny Moon Distribution, www.sunny-moon.com)
12 Tracks, 47:18, mit engl. Texten und Infos

Die Irin Heidi Talbot hat bereits als Sängerin der iroamerikanischen Band Cherish the Ladies von sich hören lassen. Ihre aufregende, charmante und exquisite Stimme haben Kritiker als „eine Mischung aus Björk und Enya“ bezeichnet. In jedem Fall zeigt die junge Sängerin auf ihrem neuen Album echte Klasse! Nicht nur die Songauswahl ist sehr gelungen: melancholische Popsongs, englisch-schottische Klassiker wie das von Dick Gaughan bekannt gemachte „Glenlogie“, eine sehr schöne dem Bluegrassgenre entnommene Ballade im Duo mit Kris Drever, das wunderbare, seinerzeit von Folkikone Sandy Denny gesungene „Whispering Grass“. Heidis neue Heimat – Edinburgh – ist wohl das geeignete Umfeld, um die Hälfte von Capercaillie als Gastmusiker zu gewinnen, außerdem wirkt ein Streichquartett mit und es gibt Backgroundgesang von Größen wie Eddie Reader. Der großartige Rhythmusgitarrist John Doyle und John McCusker an Fiddle und Mandoline sind ebenfalls mit von der Partie – zu insgesamt perfektem Sound, delikaten High-End-Arrangements. Man kommt bei dieser Platte aus dem Staunen kaum raus und der Gänsehautfaktor wächst bei jedem Hinhören. Ein Dauer-Dreher auf dem CD-Teller!

Johannes Schiefner

 

HEIDI TALBOT – In Love & Light


THE UKRAINIANS
Live In Czeremcha

(Zirka Records 037CD13/NMD New Music Distribution, go! www.new-music-distribution.de)
18 Tracks, 70:30

Um die britische Band mit den ukrainischen Roots war es längere Zeit sehr still. Das letzte Album liegt bereits fünf Jahre zurück und ein vor drei Jahren erschienenes Best-of-Album konnte die Gerüchte über die Bandauflösung nicht zerstreuen. Doch entgegen allen Gerüchten besteht die Gruppe um Len Liggins noch, wenn auch mit neuen Musikern. Die Aufnahmen zum Livealbum beweisen es und entstanden im letzten Jahr im Rahmen des Spotkanie Folkowe Festival im polnischen Czeremcha. Dort, im Schatten der internationalen Musikmetropolen, zeigte die Band live, dass sie noch immer zu bieten hat, was ihr einst zu einer treuen Fangemeinde verhalf: treibende ukrainische Folklore, gewürzt mit Punk und Rock. Ganz im Stile der alten Ukrainians, die ein Garant für so manche Party waren. Die Platte vereint ein extrem schönes, umweltfreundlich produziertes und folkloristisch angehauchtes Coverartwork mit den zeitlosen großen Hits der Band von „Anarchy In The UK“ bis „Vorony“. Für Fans schon wegen der langen Pause natürlich ein Muss.

Claudia Frenzel

 

THE UKRAINIANS – Live In Czeremcha


CHRIS WOOD
Trespasser

(R.U.F. Records RUFCD11/Reveal Records, go! www.reveal-records.com)
8 Tracks, 50:56, mit engl. Infos

Der Mann denkt sich unaufhörlich etwas, macht Musik und Texte mit Tiefgang, doch ist kein abgehobener Intellektueller. Die Irish Times nennt ihn den „renaissance man of English folk“ – was ist das für einer, dem ein solches Sonderprädikat verliehen wird? Zwei seiner Stationen dürften auch hiesigen Fans etwas sagen: fünf Jahre Bass bei der Oysterband und dann viele Jahre mehr das Geige spielende Gegenstück zum Akkordeonisten Andy Cutting. Vorliegendes Album hat er fast komplett alleine eingespielt. Die Musik ist manchmal jazzig, teils – ohne ins Esoterische abzugleiten – seltsam losgelöst, vor allem aber unverkennbar folkig. Das allerdings nicht im Sinne von Mitsingen oder -klatschen. Im Gegenteil, konzentriertes Zuhören ist angesagt, denn bei den Songs geht es um Botschaften, Geschichten oder Ansichten. Schon mal was von den „Enclosures“ gehört? Sollte man unbedingt nachlesen, denn dieser ab dem 18. Jahrhundert vom englischen Parlament abgesegnete Landraub wirkt nicht nur in Woods Empfindung bis heute nach. Und so ruft er in den meist eigenen Songs zur Übertretung („Trespass“) geografischer, aber auch kultureller oder gesetzlicher Abgrenzungen auf. Englische Geschichte von unten mit Emotionen, Radikalität und Humor. Da ist es kein Wunder, dass Billy Bragg meint: „Trespasser ist mein Album des Jahres.“ Dafür spricht einiges.

Mike Kamp

 

CHRIS WOOD – Trespasser

Valid HTML 4.01!

Home