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DODO HUG, CHRISTINE LORIOL
madâme dodo: Die Chamäleondame – Annäherungen an einen Paradiesvogel

Romanshorn: Viamala-Verlag, 2006
160 S., mit zahlr. Fotos u. Noten, plus CD., ISBN 3-9521664-4-8

Der Untertitel dieses Buches sagt schon (fast) alles über die schweizerische Sängerin und Komödiantin dodo hug. Sie ist eine Chamäleondame, eine Verwandlungskünstlerin – oder, wie sie von sich sagt: „vielsaitig, vielsittich“, eine Frau, die viele Saiten anklingen lässt und in den schönsten und verschiedensten Sprachen und Tönen tiriliert. Eine Annäherung an einen solchen Paradiesvogel gelingt am ehesten mit Bildern. Madâme dodo ist vollgepackt mit großen schwarzweißen und farbigen Fotos auf hochwertigem Papier. Wir sehen die junge Doris Hug 1969 mit ihrer Klampfe, optisch ein wenig an Sandy Denny erinnernd. Die beigelegte CD mit neun raren Archivaufnahmen bestätigt: Auch klanglich war die Schweizerin damals nicht so weit von der Engländerin entfernt. Speziell an diesen Aufnahmen ist, daß dodo hug zu einer Zeit, als erste Schweizer Rockbands sich noch mit sehr unbeholfenem Englisch vorwagten, schon damals Fremdsprachen wie selbstverständlich akzentfrei sang. Im Folgenden sehen wir die Künstlerin als Komödiantin, Schauspielerin, Sängerin, mit Berühmtheiten, stets lächelnd, präsent, zentral im Bild. Das Buch wird ergänzt durch eine vollständige Discografie, eine Auflistung ihrer Musik- und Varietéprogramme, Film- und Fernsehauftritte, Interviews und Reportagen. Ursprünglich war das Buch nur als Liederbuch gedacht. Zwanzig Lieder von dodo hug mit Noten, Texten und Gitarrengriffen bilden denn auch den Abschluss des Bildbands. Wer wissen will, warum dodo hug Federico Fellini verpasste, erfährt dies im abgedruckten Interview mit dem sinnigen Titel „Je ne suis pas unfehlbar“. Ein sorgfältig gestaltetes Buch für alle, die dodo hug als eine der schillerndsten schweizerischen Künstlerinnen lieben.

Martin Steiner

Bezug:go! www.viamala-verlag.ch, go! www.dodohug.ch

 

DODO HUG, CHRISTINE LORIOL - madâme dodo: Die Chamäleondame


JÖRGEN TORP
Alte atlantische Tangos: Rhythmische Figurationen im Wandel der Zeiten und Kulturen

Hamburg: Lit-Verlag, 2007
438 S., mit Abb. u. Noten, ISBN 978-3-8258-0700-9

Eine strikt musikwissenschaftliche Betrachtung mit Fokus auf den Vorgängern des so genannten „Tango Argentino“. Torp weist nach, dass es den Begriff des Tangos schon im 19. Jahrhundert gab und wie er mit der Kultur der schwarzafrikanischen Sklaven verknüpft war. Dabei untersucht der Autor nicht nur das wenige historische Material aus der Region des Rio de la Plata, die allgemein als die Wiege des heute bekannten Tangos gilt, sondern entspricht dem Titel seiner umgearbeiteten Dissertation, indem er auch den Tango Flamenco aus Andalusien und den Tango der Kanarischen Insel El Hierro vergleichend heranzieht. Zudem betrachtet Torp weitere Musikstile, die ebenfalls am Atlantik entstanden sind, z. B. auf Kuba, in Brasilien und New Orleans, hinsichtlich ihrer rhythmischen Verwandtschaft zum Tango. Die geohistorischen und soziokulturellen Ausführungen zum weit verstrickten Komplex Tango sind noch für jeden leicht nachvollziehbar, der Vergleich rhythmischer Ähnlichkeiten diverser Musikstile wird hingegen so spezifisch, dass er sich eher an die Fachwelt richtet. Torp geht sein Thema absolut systematisch an, führt ein, entwirft Konstrukte und reflektiert Thesen und Theorien aus der gesamten Literatur zum Tango. Viele Zitate aus dem Spanischen, Englischen und Französischen sind nicht übersetzt und Fußnoten nehmen bis zu Zweidrittel einer Seite ein, was sich störend auf den Lesefluss auswirkt. Aber das Gelesene wirkt glaubhaft, da alles zuverlässig belegt ist. Ein Werk, das aufmerksam studiert werden will, da man sonst Forschungsergebnisse, die zwischendurch in einzelnen Sätzen formuliert sind, leicht überliest. Die Masse an Informationen hinterlässt zudem Verwirrung. Keine entspannende Lektüre für die Abendstunden aber ein Buch, das definitiv neue Impulse gibt.

Antje Hollunder

Bezug:go! www.lit-verlag.de

 

JÖRGEN TORP - Alte atlantische Tangos


MARTIN KIELTY
Big Noise – The Sound of Scotland: The History of Scottish Rock’n’Roll as Told by the People who Made It

Edinburgh: Black & White Publishing Co., 2006
181 S., mit zahlr. Farbfotos. ISBN 978-1-84502-107-8

Ein Wort der Warnung vorab: In diesem Buch geht es nicht um schottischen Folk! Hier geht es in erster Linie um schottische Rockmusik von 1956 bis 2006, aber dazu zählt nach dem Verständnis nicht nur des Autors immer mal wieder die heimische Folkszene. Das beginnt mit dem Skiffle, Donovan und Bert Jansch und geht über das Gespann John Martyn und Hamish Imlach sowie Dougie MacLean rüber zu den Waterboys und natürlich Runrig.

Kielty gab in den Neunzigern ein Fanzine namens Big Noise heraus, und das Buch ist genau genommen eine gebundene Fortsetzung davon. Entsprechend flippig ist die Schreibe, und auch das böse F-Wort wird gerne benutzt. Er geht chronologisch vor, erwähnt kurz die generellen popmusikalischen und politischen Eckdaten des entsprechenden Jahres, bevor er die Protagonisten selbst ausführlich zu Wort kommen lässt. All das wird durch umfangreiches Fotomaterial ergänzt. Gegen Ende lassen sein Enthusiasmus und Witz leider stark nach und die letzten sechs Jahre wickelt er auf sieben Seiten ab.

Wie bei jeder Anthologie – denn bei genauem Hinsehen ist es das – wäre ein Register sehr hilfreich gewesen. Kielty schreibt von Dingen, die er versteht, und es ist nicht sein erstes Buch. Ein anderes war die offizielle Bio der Sensational Alex Harvey Band.

Die Mischung von Big Noise, die den Akteuren breiten Raum lässt, sorgt für Authentizität und kurzweiliges Lesen. Wer über die Geschichte der populären Musik dieses eigenwilligen Landes schmökern möchte, kann das in diesem Buch wunderbar machen. Die Folkexkursionen sind für die Leser dieser Zeitschrift willkommene Zugaben.

Mike Kamp

Bezug:go! www.blackandwhitepublishing.com

 

MARTIN KIELTY - Big Noise – The Sound of Scotland


DAVID ROBB [Hrsg.]
Protest Song in East and West Germany since the 1960s

Rochester, NY: Camden House, 2007
ISBN 978-1-57113-281-9

Aktuelle Bücher zum Thema „Politisches Lied in Deutschland“ – Ost wie West – lassen sich immer noch an wenigen Fingern abzählen. Da sind Holger Bönings Der Traum von einer Sache (2004) oder in einem weiteren Rahmen Detlef Siegfrieds Time Is On My Side (2006) zu nennen. Robb, selbst Musiker und Songwriter, lebte als Student in den Achtzigerjahren in der DDR und lehrt heute an der Queen’s Universität in Belfast Deutsch. Er hat also nicht nur einen akademischen, sondern auch einen sehr praktischen Bezug zum Thema; was er u. a. in früheren Veröffentlichungen, u. a. über das Liedtheater von Wenzel und Mensching schon unter Beweis gestellt hat. Mit seinem neuen Buch zeichnet er nicht nur die Vorgeschichte des politischen Lieds in Deutschland nach – vom Vormärz über 1848 bis hin zu den unterschiedlichen Ausgangspunkten in der Bundesrepublik und der DDR sowie der Tradition von Mühsam, Brecht und Eisler -, sondern er beschäftigt sich auch mit den Hintergründen für den Niedergang des Genres in der neuen Berliner Republik. Wobei Robb die Frage stellt, ob neue gegenkulturelle Erscheinungsformen von Techno bis zur Love Parade je zu einer auf gesellschaftliche Veränderung ausgerichteten Bewegung führen können wie ihre historischen Vorgänger. Als „Gastautoren“ liefern zusätzliche Beiträge Eckard Holler – mit einem Abriss der Geschichte der Festivals auf Burg Waldeck und der Folk- und Liedermacherszene in Westdeutschland in den Siebziger- und Achtzigerjahren -, Annette Blühdorn – mit einem Porträt Konstantin Weckers – sowie Peter Thompson, der sich Wolf Biermann widmet. Wobei er sich dabei im Unterschied zu vielen deutschen Feulletonisten nicht scheut, darauf hinzuweisen, dass sich Biermann in jüngster Vergangenheit in eine (rechte) Ecke begeben hat, in die ihm die meisten seiner früheren Unterstützer nicht mehr folgen können. Ein wichtiges Buch für die Debatte über die Rolle von Musik und Politik in unserer Gesellschaft. Es sollte schnell übersetzt werden!

Michael Kleff

Bezug:go! www.boydellandbrewer.com

 

DAVID ROBB [Hrsg.] - Protest Song in East and West Germany since the 1960s


LILLIS Ó LAOIRE
On a Rock in the Middle of the Ocean: Songs and Singers in Tory Island

Cló Iar-Chonnachta: Indreabhán, 2007
359 S., mit Abb. u. Noten, plus CD., ISBN 978-1-905560-15-8

Der irische Musikforscher Lillis Ó Laoire hat sein Buch zuerst auf Irisch geschrieben, dann noch einmal auf Englisch – wobei die englische Version keine Übersetzung ist, sondern ein neu geschriebenes Werk, das auch denen Neues bringt, die die irische Version bereits gelesen haben. Z. B. erklärt Ó Laoire sehr ausführlich, wie er auf Tory benutzte Wörter über die Lieder und ihren Vortrag ins Englische übersetzt hat bzw. warum er auf eine Übersetzung verzichtet und die irischen Wörter beibehält, wenn er im Englischen einfach keine brauchbare Übersetzung finden kann. Er schildert in diesem Buch das Leben der Leute von Tory, seine Gewährsleute sind alle um 1930 geboren, er geht jedoch weiter zurück und setzt bereits im 19. Jahrhundert mit seiner Darstellung an. Seit es überhaupt schriftliche Berichte über Tory gibt – seit etwa 1850 -, ist belegt, dass dort viel gesungen wurde und immer noch wird. Tory, vor der Küste Donegals im Atlantik gelegen, war immer isoliert und arm, das Singen war über lange Zeit hinweg so ungefähr der einzige Zeitvertreib der Menschen dort, getanzt wurde normalerweise nur viermal pro Jahr, zu kirchlichen Festtagen, wenn Inselleute, die auf dem Festland arbeiteten, nach Hause zurückkehrten. Anders als in vielen anderen Gegenden Irlands unterstützten die Inselgeistlichen auf Tory die musikalischen Aktivitäten ihrer Pfarrkinder, weshalb die berüchtigte Dance Hall Act von 1935, die anderswo den Todesstoß für lokale traditionelle Musik bedeutete, hier keine Rolle spielte.

Ehe er jedoch zur Beschreibung der musikalischen Kultur der Insel kommt, führt er uns in sein theoretisches Fundament ein, wobei Adorno, Gadamer und Hannah Ahrendt ebenso eine Rolle spielen wie der Karnevalismus-Theoretiker Michail Bachtin. Für Leser und Leserinnen ohne Verankerung in Volkskunde, Musikethnologie oder ähnlichen Fächern möglicherweise harte Kost, aber es lohnt sich, sich durchzubeißen, um Ó Laoires Untersuchungen und Überlegungen nach ihren eigenen Prämissen beurteilen zu können. Er zeigt uns dann im Folgenden wie das Liedgut auf Tory überleben konnte, in einer Zeit, in der die Regierung in Dublin die irische Sprache offiziell zur ersten Landessprache ausgerufen hatte, um sodann nichts unversucht zu lassen, diese Sprache so schnell und effektiv wie möglich auszurotten, während traditionelle Musik auch von offizieller Seite her strikt verpönt war.

In Ó Laoires Buch erleben wir Tory und seine Bevölkerung einerseits als Reliktgebiet, wo durch die isolierte Lage alte Gesangsstile und überhaupt das Verhalten bei Gesangs- und Tanzabenden über lange Zeit unverändert blieb, während sich zugleich der Vorrat an Liedern dauernd ändert. Neue Lieder wurden vom Festland oder aus Schottland mitgebracht, lokale Ereignisse inspirierten zu neuen Liedern, und bekannte Lieder wurden mit lokalen Elementen angereichert und verändert – diesen Prozess führt Ó Laoire an einem irischen Liedbeispiel vor, dem vom treulosen Liebhaber Dónal Óg. Er zeigt uns die Funktion der Lieder innerhalb der Inselgemeinschaft und schildert, wer wann wo was singen durfte, denn es galten und gelten strenge Regeln, was Geschlechter, Altersgruppen, Einheimische und Gäste angeht. Ó Laoire ist übrigens im Buch dauernd präsent, erklärt seine Methoden, seine Vorlieben und Abneigungen und den Umgang mit seinen Gewährsleuten, er erzählt sogar ganz offen, wie er sich aus Unkenntnis der lokalen Etikette mitunter auch hoffnungslos blamiert, während die Inselleute die Tatsache, dass da ein Forscher vom Festland kommt, nicht weiter aufregend finden und ihm keinerlei Vorrechte einräumen mögen. Weil er seine Karten im Buch so offen auf den Tisch legt, können wir seine Ergebnisse und Schlussfolgerungen überprüfen und nachvollziehen, und das alles macht sein Buch zu einer der wichtigsten Studien über irische traditionelle Musik seit vielen Jahren. Eine CD, auf der wir seine Gewährsleute mit den im Buch behandelten Liedern hören können, und viele Fotos von Tory gestern und heute runden dieses kluge und spannende Buch aufs Wunderbarste ab.

Gabriele Haefs

Bezug:go! www.cie.ie

 

LILLIS Ó LAOIRE - On a Rock in the Middle of the Ocean


CAT STEVENS [Yusuf Islam]
Alle Songs

Berlin: Bosworth, 2007
336 S. [Das kleine Schwarze], ISBN 978-3-86543-333-6

Gute Nachricht für alle Fans des Pop-Folk-Schmusesängers Yusuf Islam (aka Cat Stevens). Restlos alle der extrem lagerfeuertauglichen Songs sind in diesem kleinen handlichen fake book (passt in jeden Gitarrenkoffer) versammelt. Es ist sehr robust verarbeitet (flexibler Plastikeinband und Fadenheftung), enthält die Lyrics, versehen mit Akkorden über dem Text und vorweg gestellten Griffdiagrammen der verwendeten Lieder, die alphabetisch angeordnet sind. Da hat sich jemand richtig Gedanken gemacht und zu einem sehr günstigen Preis von knapp 15 Euro ein regelrechtes Schnäppchen auf den Markt gebracht. Wer auf Noten verzichten kann, sollte bei diesem anwenderfreundlichen Buch bedenkenlos zugreifen.

Ulrich Joosten

Bezug:go! www.bosworth.de

 

CAT STEVENS [Yusuf Islam] - Alle Songs


GILLIAN MITCHELL
The North American Folk Music Revival: Nation and Identity in the United States and Canada, 1945-1980

Aldershot: Ashgate Publishing Ltd., 2007
222 S. [Ashgate Popular and Folk Music Series], ISBN 978-0-7546-5756-9

Dieses Werk, das ohne jegliche Illustration daherkommt, ist eine wissenschaftliche Abhandlung zum Folkmusikrevival in den USA sowie im englischsprachigen Kanada zwischen 1945 und 1980. Es wird als erste vergleichende Studie zu diesem Thema vorgestellt, kombiniert mit Diskussionen bzw. Abhandlungen, wie die Folkmusik mit Nationalstolz und Identität verwoben ist, wie Nationalstolz und Identität diese Folkmusik geprägt haben und noch prägen. Die Studie basiert im Wesentlichen auf Forschungsmaterial zur Folkmusik der Zeit 1945-1980, das hauptsächlich in Toronto, Washington und Ottawa zu finden ist.

Fünf große Kapitel beschäftigen sich in chronologischer Abfolge mit dem Thema, beginnend mit der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die späten Siebzigerjahre – wobei der Schwerpunkt jedoch auf den Sechzigern liegt: Kapitel eins beschäftigt sich mit den Ursprüngen des Folkrevivals und der Verbindung zu nationaler und regionaler Identität bis ca. 1958; Kapitel 2 diskutiert den Hintergrund des so genannten Booms der amerikanischen Folkmusik (1958-1965); Kapitel 3 ist den wichtigsten lokalen Szenen der Sechzigerjahre gewidmet, nämlich dem Greenwich Village in New York und Yorkville in Toronto. Das vierte Kapitel ist überschrieben mit „Post-Revival Folk: kanadische Träume und amerikanische Alpträume der späten Sechziger- und der Siebzigerjahre – Wechselwirkungen der Revivalbewegung und der gesellschaftlichen Entwicklungen bis hin zur Wiederbelebung ethnischer Musik“. Und zu guter Letzt: „Folkmusik seit den Siebzigern: Verschiedenheit und Abgeschlossenheit, Konsequenzen und Bedeutung der World-Music-Entwicklung.“

Angesichts des Preises und der trockenen Aufmachung ist dieses Werk wirklich eher ein Buch für Studenten (Musik, Ethnologie, Sozialwissenschaften u. a.), gehört aber sicherlich in jede gut sortierte Bibliothek jener, die sich tiefer mit dem Thema beschäftigen.

Doris Joosten

Bezug:go! www.ashgate.com

 

GILLIAN MITCHELL - The North American Folk Music Revival


Hörbuch
CLAUS SCHREINER
Samba do Cajú: Die Geschichte einer brasilianischen Musikerfamilie in Rio de Janeiro von 1840 bis zur Gegenwart.
Erzählt von Chico da Costa; dt. Fassung mit über 150 Originalzitaten

Marburg: Tropical Music/Sony BMG, 2007
3 CDs, mit Booklet + Poster. [Weltgeschichten: Brasilien], ISBN 978-392-4777-03-6

Selten ist Musikgeschichte so abwechslungsreich erzählt worden wie in diesen packenden 194 Minuten. Samba do Cajú berichtet sehr lebendig und anschaulich über das Schicksal einer Musikerfamilie in Rio de Janeiro von 1840 bis heute. Als Erzähler tritt ein gewisser Chico da Costa auf. Sein Urahn Nego Maluco war noch Sklave in Bahia, bevor der Clan nach Rio umsiedelte. Im Laufe der Jahrzehnte haben fünf Generationen da Costas dann die Geburt unterschiedlichster Musikstile miterlebt und immer mittendrin mitgemischt. Choro, Samba, Baião, Bossa Nova, Tropicalismo, Musik aus Brasiliens Hinterland und sogar zeitgenössischer Punk und Rap der Ghettokids aus den Favelas der Stadt: Jedes Genre hat seine Wurzeln und der Erzähler verdeutlicht auch für den Laien wunderbar einfach und nachvollziehbar, warum sie sich so und nicht anders entwickelt hat. Und immer hat die Musik etwas mit Brasiliens Geschichte zu tun: mit Unabhängigkeit und Diktatur, mit Bandenkriegen und dem Wunsch der armen Bevölkerung nach Unterhaltung. Untermalt wird das Ganze von 150 ausgewählten Musikzitaten: Neben bekannten Stimmen wie der der Hollywood-Ikone Carmen Miranda, dem Bossa-Nova-König Vinicus de Moraes oder Tropicalismo-Poet Gilberto Gil sind auch seltene historische Aufnahmen zu hören, die der Erzählung noch mehr authentischen Charakter verleihen. Übrigens hat es Chico da Costa nie gegeben, ebenso wenig wie die anderen Protagonisten seiner Familie. Der Autor Claus Schreiner hat ihn stellvertretend für Millionen anderer Carioca-Familien auf die Bühne geschickt, deren Leben wohl so ähnlich verlaufen sein mag. Und der portugiesische Fadosänger Telmo Pires hat ihm mit seiner Stimme meisterlich Leben eingehaucht. Unterhaltsamer kann Geschichte kaum sein.

Suzanne Cords

Bezug:go! www.tropical-music.com

 

CLAUS SCHREINER - Samba do Cajú


Hörbuch
MIGUEL BARNET
Der Cimarrón: Die Lebensgeschichte eines entflohenen Negersklaven aus Kuba, von ihm selbst erzählt.
Musik von Francisco Zumaqué und Originalaufnahmen; gesprochen von David Gerlach

Marburg: Tropical Music/Sony BMG, 2007
3 CDs (223:00), mit Booklet. [Weltgeschichten: Kuba], ISBN 978-392-4777-04-3

Um es gleich vorwegzunehmen: Dieses Werk ist eines der bewegendsten Zeitzeugnisse, die ich je gehört habe. Geschichte ist immer dann am spannendsten, wenn jemand sie hautnah miterlebt hat und aus erster Hand berichten kann. Das Resultat ist sehr persönlich und entspricht vielleicht nicht der offiziellen Geschichtsschreibung, aber es ist umso authentischer und anrührender. Eben wie bei dieser Lebensgeschichte eines cimarrón. So nannten die Spanier entflohene Sklaven, die sich in den Wäldern und Bergen versteckt hielten. Ein cimarrón war auch Esteban Montejo auf Kuba, der im stolzen Alter von 104 Jahren seine Lebenserinnerungen auf Tonbänder gesprochen hat. Man schreibt das Jahre 1963, als der Ethnologe Miguel Barnet auf den stolzen alten Mann trifft und ihn ermuntert, von längst vergessenen Zeiten zu erzählen: von der Arbeit als Sklave auf den Plantagen, den sadistischen Strafen der Aufseher und seiner Flucht in die Wälder, wo er sich bis zur Abschaffung der Sklaverei jahrelang allein vor den Häschern versteckt. Montejo lässt den Unabhängigkeitskrieg gegen die spanischen Kolonialherren wieder auferstehen, und er entführt den Hörer immer wieder in eine fremde Welt der Zauberei und des Aberglaubens, in der Dämonen und Untote eine wichtige Rolle spielen. Die ganze Zeit hat man das Gefühl, dem alten Mann gegenüberzusitzen und gebannt seinen Worten zu lauschen. Die deutsche Stimme hat ihm der Schauspieler David Gerlach geliehen, der Esteban Montejo meisterhaft mit einer gewissen Greisenhaftigkeit und Lebenserfahrung verkörpert. Man kann Herausgeber Claus Schreiner gar nicht genug danken, dass er dieses einzigartige Juwel jetzt einem deutschen Publikum als spannendes Hörbuch zugänglich gemacht hat.

Suzanne Cords

Bezug:go! www.tropical-music.com

 

MIGUEL BARNET - Der Cimarrón

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