DIE BESONDERE - DEUTSCHLAND
PLANXTIES & AIRS
Portrait
(Eigenverlag 2007, www.planxties-airs.de)
11 Tracks, 62:52 mit Fotos und dt./engl. Infos
Orgel und Bombarde ist eine in der Bretagne traditionelle Kombination,
Orgel und Flöte aber erinnert den einen oder anderen vielleicht an die Szene
in der Fernsehserie Silas, in der der kleine Silas, der mit
Flötenspielen auf dem Pferderücken seinen Lebensunterhalt verdient,
ehrfürchtig vor der großen Orgel in der großen Stadtkirche steht und den
Organisten wegen seiner vielen Flöten bewundert. Wer sich bei dieser Szene
gefragt hat, wie sich wohl ein Zusammenspiel dieser beiden ungleichen
Blasinstrumente anhören könnte, der wird mit der vorliegenden CD seine
Neugier befriedigen können. Ulrike und Claus von Weiß aus Düsseldorf,
ansonsten bekannt durch ihre English Folk Band Morris Open, bringen sie
zusammen, die vielen Pfeifen der Weimbs-Orgel in der Christuskirche in Brühl
und diverse, aber eben nicht gleichzeitig zu spielende Tin und Low Whistles
von Chris Abell, Colin Goldie, Pat O’Riordan und Ian Simpson. Ja, der
Eindruck der Namen täuscht nicht, es handelt sich um irische Musik, und zwar
um traditionelle Tanztunes und Airs, und dabei denkt man ja eigentlich nicht
an Orgelmusik, auch nicht bei Stücken von Turlough O’Carolan, dem großen
Barockmeister Irlands, dessen Instrument die Harfe war. Es ist ungewöhnlich,
aber es passt, und wie! Sei es, dass eine Whistle die Melodie spielt und die
Orgel selbige mit Bassakkorden unterlegt, oder sei es, dass die Orgel
zugleich Melodie und Begleitung übernimmt und dabei auch vor Slip Jigs,
Hornpipes und gar Reels nicht Halt macht. Dass sie dann nicht immer beim
tradierten Thema bleibt, sondern es hier und da geradezu jazzig variiert,
mag Puristen abschrecken, aber wer offen ist, erlebt ein musikalisches
Crescendo, das seinesgleichen in der mir bekannten Folkszene vergeblich
sucht. Zum Beispiel bei „I Have A Wife Of My Own“: Die Orgel fängt mit
sachten Akkorden an, spielt dann den ersten Part der eigentlichen Melodie,
die Whistle den zweiten Part, dann übernimmt letztere beide Teile, die Orgel
akkordisch dahinter, die dann ein jazzig bis kirchenmusikähnlich klingendes
Intermezzo einschiebt, das anschließend wieder in die eigentliche Melodie
übergeht, die aber immer wieder verfremdet wird, bis zuletzt die Whistle
wieder in bei der traditionelle Melodieversion landet. Es ist kurz gesagt
eine sehr originelle Idee, die genial umgesetzt wurde, eine wirklich
besondere Scheibe!
Michael A. Schmiedel
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DIE BESONDERE - AFRIKA
ORCHESTRA BAOBAB
Made In Dakar
(World Circuit WCD 078/Indigo, www.worldcircuit.co.uk)
11 Tracks, 56:18, mit engl. Textinfos
Selten fiel die Wahl zur „Besonderen“ so leicht, denn diese CD dürfte zum
Besten gehören, was es vom Orchestra Baobab gibt. Das liegt nicht zuletzt an
Jerry Boys, der in Youssou N’Dours Studio Xippi an den Reglern saß. Boys hat
einfach ein geniales Ohr dafür, den Klang vergangener Jahrzehnte
authentisch, aber auf deutlich höherem Niveau zu reproduzieren, ohne dass es
kitschig oder anbiedernd klingt, und das gelingt ihm in Havannas
EGREM-Studios ebenso wie in Bamako oder eben Dakar. Labelchef Nick Gold weiß
schon, warum er seit über einem Jahrzehnt fast ausschließlich mit ihm
arbeitet - und dass die Musiker zur Höchstform auflaufen, wenn sie so einen
Sound in den Kopfhörern haben, ist kaum verwunderlich. Mit einem fulminanten
Paukenschlag geht es los, und von da an gibt es nur eine Richtung: bergauf.
Was von der ursprünglichen Besetzung noch laufen kann, ist hier auch zu
hören - eine hervorragend eingespielte Band, keck solierend und die pure
Spielfreude demonstrierend nach anderthalb Jahrzehnten Auszeit, die erst
2002 endete. Resistent gegen modische Strömungen, macht das Orchestra
Baobab, was es am besten kann, nämlich die in den Sechzigern angestrandete
Welle lateinamerikanischer Musik auf ihre westafrikanische Weise zu
interpretieren, konkurrenzlos gut und mit einigen überraschenden Gimmicks,
die einfach Spaß machen. Es groovt und swingt ohne Unterlass, sauber
gesetzte Bläser und Chorgesänge, exzellenter Sologesang - es stimmt einfach
alles. Youssou N’Dour hat es sich trotz der Arbeit am eigenen neuen Album
nicht nehmen lassen, wenigstens einem Track seine betörende Stimme
zuzuliefern. Leider fand Platz 1 des Albums in den World Music Charts Europe
im Dezember (siehe „Szene“ dieser Ausgabe) und eine zu erwartende hohe
Platzierung im Januar keinen Einzug mehr in die Jahreswertung 2007, sonst
wäre Made In Dakar deutlich weiter oben gelandet als auf Platz 8.
Ewig schade und ein Grund, den Veröffentlichungstermin zu verlegen - oder
die aktuelle Praxis der WMCE zu überdenken.
Luigi Lauer
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DIE BESONDERE - NORDAMERIKA
WOODY GUTHRIE
The Live Wire
(Woody Guthrie Foundation/Conträr Musik, www.contraermusik.de)
18 Tracks, 74:54, 72-seitiges Booklet im Buchformat mit engl. Texten und Infos
sowie PDF-Datei mit kompletter Abschrift der Ansagen von Marjorie Mazia und Woody Guthrie
Diese Veröffentlichung stellt eine bedeutende Entdeckung für die
Geschichte der Folkmusik dar. Ein Urteil, das nichts mit meiner persönlichen
Verbindung zum Thema zu tun hat. The Live Wire ist die einzige
existierende Liveaufnahme von Woody Guthrie. Erstmalig wird hörbar, wie er
seine Songs vor Publikum präsentierte. Eine derart klare, direkte und
einfache Sprache beherrscht kaum jemand so wie er. Der Konzertmitschnitt vom
Dezember 1949 wurde zu Guthries 40. Todestag im vergangenen Oktober
veröffentlicht. Natürlich entsprechen die mit einem Drahtspulenrecorder
gemachten Aufnahmen - eine nur kurz bis zum Aufkommen von Bandmaschinen
eingesetzte Technik - nicht den heutigen Soundansprüchen. Dass sie überhaupt
vorliegen, ist einem jungen Studenten zu verdanken, der das Konzert mit
einem [!] Mikrofon festhielt. Nachdem die Spulen über 50 Jahre lang
vergessen in seinem Haus gelegen hatten, schickte er sie 2001 an das
Woody-Guthrie-Archiv. An den aufwändigen Restaurierungs- und
Digitalisierungsarbeiten war u. a. der mehrfach mit einem Grammy
ausgezeichnete Produzent Steve Rosenthal beteiligt, der zuletzt den
kompletten Katalog der Rolling Stones remasterte. Eine besondere
Herausforderung, ist der verwendete Draht doch so dünn wie ein Haar. Wenn er
bricht, kann man ihn nicht wie Bandmaterial kleben. Man muss einen Knoten
machen und verliert so immer ein „Stück“ Ton. Von „1913 Massacre“ und „Tom
Joad“ bis zu „Pastures Of Plenty“ enthält The Live Wire einige der
bekanntesten Titel von Woody Guthrie. Aber auch Songs, die heute geschrieben
worden sein könnten, wie „Goodbye Centralia“. Der Text zu diesem Stück über
ein tragisches Minenunglück basiert auf den Notizen, die die sterbenden
Bergleute auf die Schieferwände der Mine gekritzelt hatten oder auf
Papierfetzen, die in ihren Hosentaschen steckten. Neben der Musik sind auch
die teilweise ausgesprochen humorvollen Dialoge zwischen Guthrie und seiner
Frau Marjorie
Mazia zu hören, die das Konzert moderierte. Als Bonustrack gibt es deren
Abschrift als PDF-Datei. Das 72-seitige Hardcoverbegleitbuch bietet neben
einem Vorwort von Nora Guthrie Texte zur historischen Einordnung des
Konzerts, historische und technische Anmerkungen über die Drahtspulaufnahme
und den Restaurierungs- und Digitalisierungsprozess sowie zahlreiche bislang
unveröffentlichte Fotos von Woody Guthrie. The Live Wire ist zudem
für die am 10. Februar in Los Angeles stattfindende 50. Grammy-Verleihung in
der Kategorie „Bestes historisches Album“ nominiert worden.
Michael Kleff
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