back Rezensionen Nordamerika


BOB BROZMAN ORCHESTRA
Lumière

(Riverboat TUGCD 1046/edel)
12 Tracks, 44:43, mit engl. Infos

Ein Orchester bestehend aus Hunderten von Saiten, Dutzenden von Instrumenten und letztlich aus mehr oder minder einem Mann: Bob Brozman, dem rastlos reisenden Musikethnologen, der sich immer wieder für ungewöhnlichste Begegnungen und Fusionen rund um den Erdball verantwortlich zeichnet. Mit Daniel Thomas, Freund und Koproduzent, entstand Lumière, ein persönliches musikalisches Reisetagebuch, das die gesamte weltmusikalische Palette des Multiinstrumentalisten Brozman offenbart. Von Hawaii, über Indien nach Südamerika geht die Klangreise. Die finnische Kantele kommt zum Einsatz, die Baglama (ein Bouzouki-Abkömmling), die Chaturangui (eine 22-saitige Slidegitarre aus Indien), die Charango und natürlich und viel nahe liegender die National Steel Guitar, die natürlich auf keiner Aufnahme fehlen darf. Wie gewohnt ist er Brozman’sche Klangkosmos reich an ungewöhnlich schönen, verführerischen Klangkörpern, virtuos und voll überschäumender Spielfreude. Mal abgesehen von Daniel Thomas perkussiven Einlagen ist ein multiplizierter Bob Brozman ein vollgültiges Orchester. Wer bei soviel Overdub ein Zuviel an Konstruktion befürchtet, sei beruhigt. So lebendig klingt manche Liveband nicht.

Rolf Beydemüller

 

BOB BROZMAN ORCHESTRA - Lumière


LEON CHAVIS & THE ZYDECO FLAMES
The Heat Is On

(www.zydecoonline.com)
12 Tracks, 42:34

Mit ihrem Debütalbum machen Leon Chavis und seine Mannen einen Riesensprung in die illustre Riege einer neuen, jungen, wilden Zydecogeneration. In Lawtell, Louisiana, hat die Band um den ausgezeichneten Akkordeonisten ihre Residenz und die Musiker waten auf diesem extrem partytauglichen Longplayer knietief durch die Groove-Sümpfe ihrer musikalisch so reichen Heimat.

Funky Basslinien werden da mit synkopischen Schlagzeugriffs verzahnt und legen einen dichten Teppich für die zerhackten Akkordeonmelodien. Waschbrett und Gitarren bilden einen luftigen Kontrapunkt, und über allem fliegen die Gesangspassagen von Leon Chavis. „Country Woman“, ein flotter Two-Step, ist ein Paradebeispiel für diesen authentischen Sound, bei dem jedes Bandmitglied sparsam agiert und wenige dynamische Noten in ausgezeichnetem Timing zum Gesamtklang beiträgt, was im Resultat einen enorm kompakten Eindruck hinterlässt. Wie bei jeder guten Band ist auch hier das Endergebnis viel reicher, als die Summe der einzelnen Zutaten. Kleine, überall eingestreute rhythmische Finessen sorgen dafür, dass weder Ohr noch Tanzbein ermüden und dass diese hörenswerte Zydeco-Maschine über die ganze Distanz unter Dampf steht.

Johannes Epremian

 

LEON CHAVIS & THE ZYDECO FLAMES - The Heat Is On


ARLO GUTHRIE (WITH THE UNIVERSITY OF KENTUCKY SYMPHONY ORCHESTRA)
In Times Like These

(Rising Son Records RSR 1126/Conträr Musik/Indigo, www.indigo.de)
12 Tracks, 50:45, mit ausführlichen engl. Infos und Texten

Woody Guthries Junior, bekannt aus Alice’s Restaurant, Woodstock und allerlei Hitparaden, ist ein anschauliches Beispiel des interessanten Phänomens, dass die 68er zu weiten Teilen keineswegs so umstürzlerisch waren wie sie immer taten und sich womöglich auch selbst einbildeten, sondern ganz im Gegenteil sogar außerordentlich konservativ bewahrend, um nicht zu sagen rückschrittlich sein konnten. Mit der symphonischen Umsetzung ihrer Rock- und Popklassiker kommt die Bewegung da seit Jahrzehnten bei sich an - hier nun auch mit dergleichen in Sachen Old Time Jazz und Singer/Songwriter Folk: Gefühlsausbrüche, Spontaneität, Grenzverletzung und Umsturz - darum geht’s bei den vorliegenden Samt- und Seideversionen von „St. James Infirmary“, „Goodnight Irene“, „City Of New Orleans“, „Darkest Hour“ oder „Epilogue“ jedenfalls offensichtlich nicht! Zwischen pastoral und pathetisch, gemütlich und gemächlich changieren die Orchesterarrangements stattdessen, gleichmäßig mittel in jeder Hinsicht trägt Ex-Provo Arlo Gesang und Instrumente bei. Das Ergebnis verströmt weit eher eine Atmosphäre von Luxus, Harmonieseeligkeit, Introspektion, ja, Sedation als von Empörung, Aufbegehren, Engagement im Sinne revolutionären Fortschritts über, gegen und für was auch immer. Aber darum ging es Guthries Generation der alt gewordenen Ewig-Jungen so richtig ja möglicherweise ohnehin nie ...

Christian Beck

 

ARLO GUTHRIE (WITH THE UNIVERSITY OF KENTUCKY SYMPHONY ORCHESTRA) - In Times Like These


BRUCE GUTHRO
Beautiful Life

(Big Lake 471037-2/Rough Trade)
13 Tracks, 48:09, mit Texten

Ein Wort der Warnung vorweg. Bruce Guthro ist der Leadsänger der schottischen Gruppe Runrig. Davon hört man auf dieser Solo-CD nichts, aber auch gar nichts. Der Kanadier Guthro hatte nämlich im Gegensatz zu seinem Vorgänger in der Band ein Leben vor Runrig, und er scheint nicht zu beabsichtigen, dieses Leben aufzugeben. Wenn man sich ein wenig eingehört hat, dann klingt seine Stimme durchaus vertraut. Die Musik - ebenso wie die Texte alles Eigenwerke - ist sanfter Singer/Songwriter-Pop, James Taylor fällt mir als Orientierung ein. Gerne auch mal ein wenig Swing, den mag Mr. Guthro ebenso wie guten Rotwein, doch manches swingt trotz richtig guter Texte leider auch mal am Ohr vorbei. In seiner Heimat ist Bruce Guthro solo ein Star. Ob er den Erfolg hier wiederholen kann, wage ich zu bezweifeln. Das liegt nicht etwa daran, dass die Musik schlecht wäre. Kann ein Mann miese Musik produzieren, der Montréal öffentlich als „one of the sexiest cities in the world“ bezeichnet? Ich meine, nein. Und dennoch, Guthros Klänge dürften einfach zu nordamerikanisch sein, um hierzulande anzukommen. Und Runrig-Fans werden eh Identifikationsprobleme haben.

Mike Kamp

 

BRUCE GUTHRO - Beautiful Life


DEVON SPROULE
Keep Your Silver Shined

(Tin Angel TAR001/Shellshock/Indigo CD 90482-2, www.indigo.de)
10 Tracks, 34:06, mit engl. Texten und Infos

Was ist zwischen diesen Generationen schief gelaufen? Ein Landkommunenzögling wie die 25-jährige Gitarristin und Sängerin Devon Sproule sollte sich vor lauter Aufbegehren gegen die Eltern an zickigen Großstadtrock verlieren - wenn nicht gar an Techno oder noch Schlimmeres. Nichts dergleichen: Schön brav bis zum Anschlag bei der Appalachian Folk Music ist die gebürtige Kanadierin aus Virginia in ihren Omakleidchen den Trampelpfad der alten Herrschaften zurück zu den Wurzeln gegangen und sorgt dort nun für eine willkommene Belebung dieses reichen Quells amerikanischer Musiktraditionen. Ein gerüttelt Maß Old Timey Swing und gelegentliche Freiheiten, wie sie sich die großen Singer/Songwriter der vergangenen Jahrzehnte beim Komponieren nahmen, halten die ganz entlang uralter Volksmusikstrukturen entwickelten Nummern auf Kurs im Hier und Jetzt, der Interpretin klare bewegliche Stimme und ein inspiriertes Ensemble, an den üblichen verdächtigen Instrumenten plus Rhodes, Finger Piano und Trash Kit, hauchen ihnen so viel Leben ein, dass ganze Jahrhunderte handgemachter Musik mitschwingen. Sollte es den Hippies tatsächlich gelungen sein, den guten alten Generationenkonflikt ganz allgemein in derart postjuveniles Wohlgefallen aufzulösen? Und muss einen das - zumal als Musikliebhaber, der ohne Reibung schnell vom Nachschub abgeschnitten sein könnte - nicht zutiefst beunruhigen?

Christian Beck

 

DEVON SPROULE - Keep Your Silver Shined


RICHARD SWIFT
Dressed Up For The Letdown

(Secretely Canadian/Polydor/Saddle Creek Europe SCE113/Indigo, www.indigo.de)
10 Tracks, 36:03, mit engl. Infos

Das Hohe Lied der Ambition! „Zuvor hatte ich einen Punkt erreicht, an dem ich kaum noch Erwartungen hatte“, erzählt der 30-jährige Los Angelino über die Krise, die ihn mangels finanzieller Grundlage nach seinem Doppeldebüt mit The Novelist und Walking Without Effort ereilt hatte: „Das ist richtig gefährlich!“ Also zog er sich an seinen eigenen kühnsten Träumen aus dem Sumpf, griff nach allen Sternen gleichzeitig und holte ein Hemdchen voll davon vom Himmel wie nur wenige. Ein Melodienreichtum wie in der Vaudeville-Ära und den 60ern zusammen, eine instrumentale und produktionstechnische Opulenz als seien die Beatles, die Beach Boys, Harry Nilsson und Van Dyke Parks zusammen im Studio gewesen, und massenweise Pep und Witz bis hin zur brüllenden Ironisierung der Falle, in der der Künstler bei seiner Plattenfirma mitunter sitzt in „Artist & Repertoire“, münden in einer ereignisreichen Americana-Revue von lediglich zehn Stücken in zwölfmal so vielen Minuten, aber von abendfüllendem Unterhaltungspotenzial. Dass er dabei über weite Strecken klingt wie Rufus Wainwright heißt nicht, dass er auch nur in Ansätzen dessen blasierte Larmoyanz teilen würde - nicht einmal, wenn ihm in „The Songs of National Freedom“ ein kleines „I made my way into the starlight / Just to realize it’s not what I want“ herausrutscht. Er neigt halt offenbar einfach zum Verzagen, aber: Gefahr erkannt - Gefahr gebannt ...

Christian Beck

 

RICHARD SWIFT - Dressed Up For The Letdown

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