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ELLIOTT SMITH
New Moon
(Domino WIGCD198/Rough Trade, www.roughtrade.de)
Do-CD, 24 Tracks, 73:34, mit ausführlichen engl. Infos
Faszinosum Tod: Kill Rock Stars heißt das US-Label, in dessen Lizenz
Domino nun New Moon veröffentlicht und auf dem der 2003
verstorbene Elliott Smith auch schon Elliott Smith (1995) und
Either/Or (1997) veröffentlicht hatte. Gleichgesinnte im
Todeswunsch? Zu hören scheinen Melancholie und Depression des
Hochbegabten jedenfalls in jedem Ton - auch wenn nie endgültig
verifiziert wurde, dass es Selbstmord war, dem Smith zum Opfer fiel.
Jammer und Trübsal überall, Zeilen wie „When you walked out on the
savannah shoulder / With your veins all full of beer / Thinking well
at least now everything is clear / But oh man / What plan / Suicide /
It’s just not that much different from my own affair“ aus „Georgia
Georgia“ sind bezüglich des Todes-/Selbstmord-Themas wohl nicht
misszuverstehen. Andererseits heißt es in „New Monkey“ mehr als einmal
„Anything is better than nothing“. Er ringt. Mit sich und den Dingen,
die mehr als einen Menschen beschäftigen. Aber wie er ringt, darin
setzt er sich doch entschieden von der Masse ab: In Harmonik und
Melodik immer wieder verblüffend nah an den Beatles, hatte Elliott
Smith einen Reichtum an ohrwurmhaft eingängigen musikalischen Phrasen
und Wendungen zur Verfügung, der selten ist. Dazu kommen exzellente
Gitarrenarbeit, eine prägnante Stimme, gekonnter Gesang und eine
Eindringlichkeit, der viele sich beim Hören nur schwer entziehen
können. Selbstmord hin oder her ...
Christian Beck
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KOKO TAYLOR
Old School
(Alligator Records ALCD4915, www.alligator.com)
12 Tracks, 63:05, mit Infos
Anfang der 1950er Jahre kam Koko Taylor nach Chicago, und schon bald
entdeckte die junge Frau dort ihr Talent als Bluessängerin. Willie
Dixon wurde ihr langjähriger Freund und Mentor, und jetzt, nach einer
50-jährigen Musikerkarriere, wollte sie mit dem Album Old
School den Chicago Blues dieser Zeit wieder aufleben lassen. Und
tatsächlich: So pur und unverfälscht, so roh und „dirty“, dabei
gleichzeitig herzlich und überschwänglich ist Old School
gelungen, wie ich es sonst nur von ganz wenigen Originalen der
großen Zeit des Blues aus der „Windy City“ her kenne. Koko Taylor
strotzt vor Kraft, Lebenslust und Selbstbewusstsein, sie knurrt,
brüllt und schreit. So besteht dann auch kein Zweifel daran, wenn sie
in „Piece Of Man“ singt „... a piece of man is better than no man at all
...“ mit welchem Stück Männlichkeit sie sich denn schon zufrieden geben
würde. Die Männer (damit meine ich die Musiker), die ihr bei Old
School zur Seite standen, machten jedenfalls alle einen ganz
hervorragenden Job, sei es Billy Branch an der Harp, die Bassisten
Kenny Hampton und Jimmy Sutton, der Schlagzeuger Willie „The Touch“
Hayes oder die Gitarristen Bob Margolin und Criss Johnson. Ein ganz
starkes Album, und von „Alterswerk“ darf man nach dieser
beeindruckenden Vorstellung der über 70-Jährigen noch lange nicht
sprechen!
Achim Hennes
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HAZMAT MODINE
Bahamut
(Jaro 4283-2, www.jaro.de)
15 Tracks, 68:00 mit engl. Infos
Was für eine Überraschung: Den Namen Hazmat Modine sollten sich alle
Freunde von akustischer Musik merken. In dem Album sind sämtliche
Stile vereint: lateinamerikanische, afrikanische und europäische
Rootsmusik mit gutem Geist und edlem Geschmack. Die kreativen Köpfe
der Band heißen Wade Schumann und Randy Weinstein. Beide sind
Mundharmonikaspieler und begeisterte Sammler historischer Instrumente
und traditioneller Musikstücke. Schumann zeichnet sich als Multitalent
aus: Er ist Produzent und Sänger und spielt verschiedene Gitarren.
Jeder Titel auf der CD kann wirklich als gelungen bezeichnet werden.
Ein Schmelztiegel aus Blues, Gospel, Country, Soul und Jazz; von den
20er Jahren bis in die 60er ist alles vertreten. Angereichert wird das
Spektrum durch R ’n’ B, rumänischen Klezmer, jamaikanischen Calypso,
mongolische Balladen und Fabeln aus dem mittleren Osten. Für einen
Höhepunkt sorgt der Stimmenakrobat Huun-Huur-Tu aus Tuva. Der Titel
des Albums, Bahamut, bezeichnet nach einer arabischen Legende
einen wundersamen Fisch. Also: Dies ist eine herausragende Scheibe,
die zwei Jahre nach ihrer Entstehung glücklicherweise den Weg nach
Deutschland gefunden hat und in Bremen bei Jaro gut aufgehoben ist -
eine Entdeckung.
Annie Sauerwein
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CHRIS WHITLEY & JEFF LANG
Dislocation Blues
(RounderEurope 11661-2191-2, www.rounder.com)
13 Tracks (inkl. Bonustrack), 62:57
Ein manchmal sperriges, eigenartiges, dann wieder eingängiges und
beruhigendes Album. Der Dobrospieler und Songschreiber Chris Whitley
traf irgendwann auf einer seiner Tourneen auf den Australier Jeff
Lang, und die Idee zu einem gemeinsamen Projekt war schnell geboren.
In Australien entstand im Frühjahr 2005 Dislocation Blues - da
hatte Chris Whitley noch ein halbes Jahr zu leben. Bei aller
Seelenverwandtschaft, bei ähnlicher Instrumentierung und
Interpretation des Phänomens „Blues“ ist es doch ein sehr
gegensätzliches Album der beiden Musiker geworden. Jeff Langs
Kompositionen sind gefälliger, melodischer, von ihm stammt dann auch
mit „The Road Leads Down“ das atmosphärisch versöhnlichste Stück der
CD. Chris Whitley hingegen ist in seinen Stücken bissiger, zugleich
melancholischer und entrückter. Und dann die Coverversionen: Eine sehr
ungewöhnliche Fassung des Traditionals „Stagger Lee“, zweimal Bob
Dylan mit „When I Paint My Masterpiece“ (bei dem man denkt, nun ist es
endlich so, wie Dylan es selbst gemeint hat) und dem wunderbaren
„Changing Of The Guard“ mit den beiden Stimmen im Wechsel. Nicht in
der Trackliste aufgeführt, als 13. Nummer, Robert Johnsons „Hellhound
On My Trail“, so intensiv und hypnothisch wie das Original, und
spätestens jetzt wird klar: Diese CD ist zeitlos und über jede Kritik
erhaben, und man sollte sie langsam und wohldosiert wirken lassen.
Achim Hennes
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ALASTAIR MOOCK
Fortune Street
(Corazong CORAZONG 255 097/Soulfood Music, www.soulfood-music.de)
10 Tracks, 50:45, mit engl. Texten und Infos
Mit John Prine verglichen zu werden - viel bleibt einem nicht mehr
zu erreichen, dem das ständig passiert! Und dass dem New Yorker
Mittdreißiger mit Wohnsitz Boston die Singer/Songwriter-Latte so hoch
gelegt wird, ist durchaus berechtigt. Nicht dass er schon einen
Jahrhundertsong wie Prines „Hello In There“ vorzuweisen hätte, aber
einige Charakteristika nur wenig darunter lassen durchaus zu Recht an
die Ikone denken: vollkommene Gelassenheit, in Schreiben wie Vortrag;
Beschränkung auf die wesentlichen Songkomponenten ohne jeden
Schnickschnack; allgemeinverständlich simple, gleichwohl alles andere
als banale kleine Geschichten aus dem Leben - Liebe, Familie, Krisen,
Entfremdung; vollkommen runde Kompositionen, ob im hymnisch swingenden
Vollband-/Breitwandgewand oder etwas sparsamer, ja durchaus auch mal
spröder solo zur Gitarre. Und Songs, die keineswegs nur im
Albumverbund, sondern sehr wohl auch einzeln das Zeug haben, zu
bleiben - auf Fortune Street, Moocks fünftem Album, etwa:
„Woody’s Lament“ über das persönliche Vorbild; „Cloudsplitter“,
inspiriert vom gleichnamigen Roman Russell Banks’, das nicht nur mit
dem John Brown, der darin vorkommt, sehr an den Dylan der frühen
Folkphase erinnert; „Yin Yang Blues“ mit sehr lustigem Text über das
übliche Hü-Hott in Liebesdingen; „Fortune Street“ und „God Saw Fit To
Make Tears“ mit ihrem Breitwand-Balladensound - und andere mehr ...
Christian Beck
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NATHAN & THE ZYDECO CHA CHAS
Hang It High, Hang It Low
(Rounder Records/in-akustik, Rounder 11661-2164-2)
14 Tracks, 57:30
Schon beim ersten Ton der Zydeco Cha Chas um Nathan Williams brennt
hier die Lunte, und mit einem Schlag steigt die Raumtemperatur auf
weit über 30 Grad. Den Musikern ist es hier meisterhaft gelungen, die
Grooves ihrer fulminanten Konzerte in ein ungeheuer dichtes und
homogenes Album zu packen, in dem die Band über die ganze Strecke der
14 Stücke originell, tight und sehr relaxed klingt. Nathans Akkordeon
ist Chef im Ring und sein rhythmisch sparsamer Gesang rockt kompakt
und schnörkellos über den staubigen Untergrund, den Bass, Drums,
Waschbrett und Gitarre präzise unter ihm auslegen. Ob in bluesig
schweren Eigenkompositionen wie „Old Man’s Darling“, dem Titelstück „
Hang It High, Hang It Low“ oder in Fremdkompositionen wie etwa der
brillianten Version von Otis Reddings „Fa Fa Fa Fa Fa“ oder Clifton
Cheniers luftig treibendem „Zydeco Cha Cha“, immer zeigt die Band
neben großem handwerklichem Können und authentischem Sound vor allem
viel, viel sicheren Geschmack in den Arrangements. Für mich ist diese
Platte das absolute Zydeco-Highlight des Jahres.
Johannes Epremian
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KELLY WILLIS
Translated From Love
(Rykodisc EAN/UPC 014431088629/Rough Trade, www.roughtrade.de)
Promo-CD, 12 Tracks, 41:19
Wenn die Überlastung durch vier Kinder (Deral 2001, die Zwillinge
Abby und Ben 2004, Joseph 2006) es nötig macht, dass ein Produzent wie
Chuck Prophet mit ins Boot geholt wird, damit es mal wieder ein
reguläres neues Album geben kann - da möchte man sofort einer ganzen
Reihe von Künstlerinnen Nachwuchs wünschen en masse! Mit seiner selbst
ebenfalls nicht unbedarften Auftraggeberin ist dem
Green-on-Red-Säulenheiligen der Americana ein Album gelungen, das
scheinbar locker aus der Lamäng das gesamte Spektrum typisch
amerikanische Musik der Vor-HipHop-Zeit auffächert: Melodien und
Druck, Sentiment und Temperament, Vergangenheit und Gegenwart - das
komplette Folk-, Country- und Rockprogramm. Dazu tragen die Songs -
Originale plus Cover à la Iggy Pops „Success“ oder Adam Greens „Teddy
Boys“ - ihren Teil ebenso bei wie die ausgezeichnete Band mit Prophet
(g), Greg Leisz (pedal steel), Michael Ramos (keys) oder The Gourds
(backing voc). Klingt, wenn’s nicht reiner Alternative Country ist,
gleich öfter mal nach The Cars („Nobody Wants To Go To The Moon
Anymore“, „Teddy Boys“), manchmal gar nach Supertramp („Don’t Know
Why“) - aber immer kraftvoll, lebendig, hier und jetzt. Was der liebe
Gatte treibt? Bruce Robinson ist ebenfalls Countrysänger und -autor.
Er singt auf Translated From Love mit seiner Gemahlin zusammen
„Too Much To Lose“. Falls sie dabei von sich singen: Das glauben wir
ihnen aufs Wort!
Christian Beck
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DIVERSE
Nashville Stars auf Europa-Tour
(Bear Family Records BCD 16821, www.bear-family.de)
4 CD-Box plus DVD, 96 Tracks, 257:21, mit 112-seitigem gebundenem Buch, dt./engl./nl.
Wir schreiben das Jahr 1964. Richard Weize hat nicht die Spur einer
Ahnung, dass er einmal Chef einer Plattenfirma sein wird, die sich u.
a. mit Dokumentationen von US-Countrymusik international einen Namen
macht. Doch ein Fan war er damals schon. Daher machte er sich auch im
April 1964 per Bahn von Bad Gandersheim auf den Weg in die 100
Kilometer entfernte niedersächsische Landeshauptstadt Hannover. Das
dort stattfindende Konzert mit Bobby Bare, Jim Reeves, Chet Atkins und
den Anita Kerr Singers wollte er sich nicht entgehen lassen. Unter dem
Titel „USA-Schlagerkönige auf Europa-Tournee. Nashville - der Sound
von morgen“ - so die Ankündigung der deutschen Veranstalter - sollte
dem europäischen Publikum präsentiert werden, was - zumindest für das
RCA-Label - der stärkste Trumpf gegen die so genannte „British
Invasion“ war: Countrymusik aus Nashville, wo Chet Atkins die
RCA-Firmenzentrale an der Music Row zu einer Goldgrube gemacht hatte.
Stationen der Tour waren u. a. Amsterdam, Brüssel, Oslo, Stockholm und
Wien. In Deutschland waren die Nashville-Stars neben Konzerten für das
US-Militär in Berlin, Essen, Hamburg, Hannover und München zu erleben.
CD 1 und CD 2 dokumentieren das Konzert in der schwedischen
Hauptstadt. Auf CD 3 findet sich ein Zusammenschnitt der „Country
& Western Show“ in der Hamburger Musikhalle und dem Berliner
Sportpalast. Sowie Aufnahmen eine TV-Show, bei der auch Gus Backus,
Bill Ramsey und Vico Torriani (!) mitwirkten. Hinzu kommt eine CD mit
deutschsprachigen Titeln, die nach der Tour u. a. von Bobby Bare und
Willie Nelson eingespielt wurde. Die DVD enthält u. a. Aufnahmen vom
Konzert in Oslo. Die Box ist ein beeindruckendes Dokument für die
US-Unterhaltungsmusik jener Zeit. Hervorgehoben sei hier nur das
geniale Fingerpicking von Chet Atkins. Das Begleitbuch enthält u. a.
unzählige Photos - darunter ein junger Richard Weize mit fast allen
Beteiligten -, Presseausschnitte sowie Briefwechsel und Abrechnungen,
die einen Blick hinter die Kulissen einer Tour erlauben, mit der RCA
Countrymusik in Europa einführen wollte.
Michael Kleff
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MIKE DOWLING
Beats Workin’
(Strictly Country Records SCR-46/in-akustik, www.in-akustik.com)
12 Tracks, 34:11, mit engl. Infos
Alleine schon wie Mike Dowling durch das grandiose von ihm selbst
und Jan Dowling geschriebene „Lonely at the Bottom“ schlendert ist die
Wiederveröffentlichung dieser Produktion von 1991 wert: „We were
buddies once upon a time, / And then you took off on your social
climb. / But fortune only brought you misery, / And now you’re cryin’
out for sympathy. / Well, it’s lonely at the top, / Yea, it’s lonely
at the top. / Well, if this workin’ girl were you, / She’d just enjoy
the view / ’Cause it’s lonely at the bottom too“. Und dergleichen
Höhepunkte mehr: Das von den Monkees popularisierte „D. W. Washburn“
aus der Feder Leiber/Stollers erhebt der Ex-Sideman des legendären
Vassar Clements - bei vier Stücken mit seiner Fiddle ebenfalls dabei -
in einer Version im Geiste des Ragtime über das Tempo der Beat-Ära,
Fats Wallers „Jitterbug Waltz“ entrückt er nostalgisch-ätherisch
gleich ganz aus Raum und Zeit. Zumeist aber wird eher handfest
geklampft, gepickt, gefiedelt und geswingt - ob es sich um
Bluesnummern von Blind Blake und Mississippi John Hurt handelt oder
Dave Bartholemews und Fats Dominos Rocker „Jump, Children“,
Dempsey/Mitchells „Ace Down In The Hole“ von 1909 oder das Traditional
„The Train That Carried My Girl From Town“. Dowlings eigene Stücke
stehen diesen nicht nach - im Songwriter- und Interpreten-Himmel der
handgemachten Musik ist es seit seiner Ankunft möglicherweise weniger
einsam als an Top und Bottom ...
Christian Beck
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