back Rezensionen Nordamerika


BENJY FERREE
Leaving The Nest

(Domino Recording Co. WIGCD187/Rough Trade, www.roughtrade.de)
10 Tracks, 45:18, mit engl. Infos

Die positive Kehrseite der üblen Globalisierungsmedaille, nach der sich alles zu einem immer größeren Übermaß an immergleicher Masse akkumuliert ist, dass diese sich zwangsläufig wieder aufsplittern muss in jede nur erdenkliche Spielart, Spezialität und Spinnerei. Freaks wie Daniel Johnston, Björk, Rufus Wainwright schießen in der Indiemusik heute überall aus dem Boden - einer von ihnen ist nun auch dieser 32-Jährige aus Maryland: Fest verwurzelt natürlich in Folk, Blues und Popmusik-Grundfesten wie den Beatles oder Bob Dylan, wuchs er mit Twin Peaks auf - da kann man ja nur allermindestens wunderlich werden. Auf den Boden zurückgeholt hat ihn später sein Babysitterjob in Hollywood, unter anderem bei TP-Regisseur David Lynch. Zwischen beiden Komponenten hält sein Autoren-Folk/Rock die Spannung: das Fundament schön melancholisch, um nicht zu sagen mit Hang zum Depressiven; zusammengehalten vom klassischen Rockfundament aus Schlagzeug, Bass, Gitarre; darüber kindlich verspielte Melodien; abenteuerlich-überkandidelte Chöre; Streicherarrangements; seltsam, fast parochial klingende Elemente, eigenartig pastorale. Mal rockt es einfach schnurgeradeaus, dann dreht es wie ein Karussell, dann verliert es sich fast gänzlich. Gemüt, Abenteuerlust, Spinnerei - wo alles in ein einziges großes Ganzes eingesogen wird, muss auch alles drin sein: die positive Seite der Medaille ...

Christian Beck

 

BENJY FERREE - Leaving The Nest


BASIA BULAT
Oh My Darling

(Rough Trade Records RTRADCD395, www.roughtrade.de)
Promo-CD, 12 Tracks, 35:21

Wie viel Kraft in dieser jungen Dame aus London, Ontario, im Allgemeinen und in ihrer gutturalen Stimme im Besonderen steckt, kann man schon an der Heftigkeit hören, mit der sie immer wieder Luft holt zwischen ihren Textzeilen: Volldampf voraus! Ebenso schön kann man daran erkennen, dass Basia Bulat und ihre musikalischen Mitstreiter aus Bruder, Mitbewohner und dergleichen doch noch einiges zu lernen haben auf ihrem Weg an die Fleischtöpfe des Musikgeschäfts - so sie denn überhaupt dorthin wollen: Ein solches Geschnaube hat auf einem derart bezaubernden Album natürlich überhaupt nichts verloren! Soll aber nicht weiter stören, denn im Gegensatz dazu sind alle anderen Ingredienzien, die Oh My Darling zieren, von der ersten bis zur letzten seiner knappen 35:21 Minuten, ein wahrer Genuss: Folk, Rock und Pop sind die Grundlage - aber dazu gibt es Bossa und Swingendes und jede Menge Kammermusik der Streicherabteilung, die über das gesamte Album hinweg immer wieder an- und abschwillt, dass einem ganz plümerant zu werden droht. Dann aber kommt beispielsweise die Perkussionssektion an die Rampe und hilft einem mit locker dahergehoppelter Rhythmik die Wallungen der Gefühle wieder abzuschütteln, etwas leichter zu nehmen, sich unbeschwert zu erfreuen: an melodischem Überschwang, dichter Harmoniearbeit, vielen kleinen aber feinen instrumentalen Arrangementeinzelheiten - und überhaupt dem ganzen Album!

Christian Beck

 

BASIA BULAT - Oh My Darling


DAVID CELIA
This Isn’t Here

(Seedling Music 8294 76283 05/The FinestNoise/Radar Music, www.radar-music.de)
12 Tracks, 37:37, mit engl. Texten und Infos

„Sieh’s nicht als Flucht an“ singt Torontos jüngster Singer/Songwriter-Hoffnungsträger im Titelsong seines zweiten Albums: „Sondern eher als eine Rückkehr / In einem Song kannst du herausbekommen, wo du hingehörst“! Und schon macht er sich auf einem luftig flirrenden Banjo und einer hyperaktiven Maultrommel wie auf Nilssons amtlicher Version von Fred Neills „Everybody’s Talkin’“ auf seine Streunereien durch die Popgeschichte - von den frühen Beatles bis zu den späten, also durchs gesamte Spektrum: Beat und Überschwang und Power der Mop Tops wie im Gitarrenintro à la „The Night Before“ zu „She’s A Waterfall“ - Melancholie und Ermüdung und Besinnlichkeit wie in den an spätere Drogenexkursionen der Fab Four erinnernden Mellotronschlieren aus „Plain To See“. In diesem Spannungsfeld singt und musiziert, erzählt und meditiert David Celia, dass es eine wahre Pracht ist: melodisch und harmonisch variantenreich, ebenso abwechslungsreich wie opulent instrumentiert, poetisch versponnen, rätselhaft. Über Wirklichkeit und Illusion, Angst und Enttäuschung, und natürlich die Frage aller Fragen: Liebe - ja oder nein!? Und wenn ja, zu welchem Ende? Um welchen Preis? Und - nicht zuletzt - gegen wen? Man kann in einem Song womöglich sogar das herausbekommen. Und man muss den Song nicht einmal selbst geschrieben und gesungen haben - wenn er gut ist, reicht es vollkommen, ihn von einem anderen zu hören ...

Christian Beck

 

DAVID CELIA - This Isn’'t Here


CHARLIE MARIANO
Silver Blue

(Enja Records ENJ-9507-2, www.enjarecords.com)
9 Tracks, 52:48, mit engl. und franz. Infos

Für Puristen gehört die Besprechung dieser CD wohl eher in ein Magazin, das mit Jazz beginnt (und auf -podium, -thetik oder -thing endet). Doch der 83-jährige Altsaxophonist hat Zeit seines Lebens nicht nur viele stilbildende Jazz-LPs/CDs aufgenommen, sondern darüber hinaus auch noch eine ganze Reihe von Tonträgern, die den Inhalten unseres Magazins erheblich näher stehen. Weshalb er folgerichtig beim diesjährigen TFF in Rudolstadt für sein Lebenswerk geehrt werden wird. Dennoch stehen im Mittelpunkt dieser Aufnahmen keine Ethno-Kraut-Experimente mit Embryo oder Jazz-India-Fusionen mit dem Karnataka College Of Percussion und der WDR-Bigband, sondern neun eher stille, kammermusikalische Werke, eingespielt mit einem Trio, bestehend aus Jean-Christophe Cholet (p), Heiri Känzig (b) und Marcel Papaux (dr), einer Formation, die Mariano außerordentlich schätzt. Warum, das hören wir direkt zu Anfang bei Ellingtons „Prelude To A Kiss“: Mariano intoniert das Thema, das Trio füllt die Räume und federt die solistischen Höhenflüge des Meister immer wieder aufs Feinste ab. Auf diese Weise hören wir uns durch ein grandioses Balladenalbum, das je zur Hälfte aus Standards („My Funny Valentine“, „My Foolish Heart“ u. a.) und Mariano-Kompositionen sowie einem Stück von J-C. Cholet besteht und gleichsam brillantes Alterswerk wie zeitloses Dokument eines großen musikalischen Freigeistes ist.

Walter Bast

 

CHARLIE MARIANO - Silver Blue


JIMMY BUFFETT
Take The Weather With You

(Mailboat Records MBD 2118 / NEO/SONY BMG, www.sonybmg.de)
14 Tracks, 56:13, mit engl. Texten und Infos

Amerikanischer wird’s nicht! War der Titelsong von Jimmy Buffets ungefähr 42. Album in Neil Finns Crowded-House-Originalversion noch eine melancholische Meditation über die Hartnäckigkeit, mit der ein Schatten, einmal auf die Landkarte eines Lebens gefallen, dieses auf ewig verdunkeln kann, so bleibt von „Weather With You“ aus dem Munde eines hartnäckigen Gute-Laune-Monsters wie des alternden „All-American“-Segler-Hallodris nicht viel mehr als ein „cheese“-grinsendes Sommer-Sonne-Sockenschuss-Liedchen. Wie vom Rest des durchgängig erstklassigen Materials, seien es Gillian Welchs und Dave Rawlings’ „Elvis Presley Blues“, Jesse Winchesters „Nothin’ But A Breeze“ oder Mark Knopflers „Whoop De Doo“, Mary Gauthiers „Wheel Inside The Wheel“, Guy Clarks und Chuck Meads „Cinco De Mayo In Memphis“ oder Merle Haggards „Silver Wings“. In „Party At The End Of The World“ bringt das Multitalent - heute auch als Buchautor und Chef seiner Kette von Margaritaville-Clubs erfolgreich - das Dilemma von „Gottes eigenem Land“ im Spätkapitalismus unbedarft, fern jeden Problembewusstseins und sicherlich aus Versehen auf den Punkt: Alles Laune! Lachen! Lottotreffer! Nicht in der Gesellschaft selbst, natürlich, in der all die Umsätze gemacht werden - aber solange es noch irgendeinen Flecken Ende der Welt gibt, den man mit den Dollars kaufen kann!? Dumm nur, dass sie ihr Wetter am Ende auch dort hin mitnehmen werden ...

Christian Beck

 

JIMMY BUFFETT - Take The Weather With You


PÁJARO SUNRISE
Pájaro Sunrise

(Lovemonk Records lmnk18/MConnexion, www.mconnexion.de)
10 Tracks, 37:33, mit engl. Texten und Infos

„Pájaro Sunrise’s first album contains ten beautiful songs“, sagt Lovemonk, das Plattenlabel mit dem so unbescheidenen wie überzeugenden Firmen-Claim „Specialising in beautifulism since 1969“. „And that’s it“: Der Surffolk der Neuzeit, mit dem sich Jack Johnson vor einigen Jahren in Hawaii in die Fluten geworfen hat, ist an der Costa Verde an Land gegangen! Hat sich jenseits des kantabrischen Gebirges in León an Pepe López und Yuri Méndez herangemacht, ist mit ihnen nach Madrid gegangen und wartet dort nun darauf, dass die nächste Welle robust und rund rollender Midtempo-Grooves Fahrt um die Welt aufnimmt. Das Fundament, auf dem die beiden WG-Partner einst via Hin- und Herversand von Dateien ihrer musikalischen Entwürfe miteinander ins musikalische Geschäft kamen, ist der Singer/Songwriter-Pop der 60er und 70er. Das Grundfeeling sind Funk, Soul und Blues - wenn auch, gemessen an den Originalen, im Falle dieses ihres Debütalbums deutlich heruntergedimmt auf seinen emotionalen Gehalt; für die entsprechende Power ist es offenbar noch zu früh an diesem Sonnenaufgangsmorgen. Noch ein bisschen zu verschlafen, zu schluffig, zu entspannt. Also wird beim Planschen an der Dünung zur Weltkarriere erst mal ein bisschen nachgedacht über Beziehungen, wie sie entstehen, abgehen und enden. Und in aller Seelenruhe der Dinge geharrt, die da kommen mögen - es könnten durchaus relativ große sein ...

Christian Beck

 

PÁJARO SUNRISE - Pájaro Sunrise


BILL MONROE
My Last Days On Earth (1981-1994)

(Bear Family Records BCD 16637, www.bear-family.de)
4 CD-Box, 89 Tracks, 267:08, mit 84-seitigem gebundenem Buch, engl.

Im September 1996 starb Bill Monroe, gemeinhin als Vater der Bluegrassmusik bekannt, die neben dem Jazz von vielen Fachleuten als zweiter originärer Musikstil der USA gilt. 1988 hatte sich Bear Family Records vorgenommen, alle verfügbaren Studioaufnahmen des Mandolinenspielers und Sängers zu veröffentlichen - Monroes Verdienst ist es, dass er die Mandoline aus der Rolle eines reinen Begleitinstruments befreite und sie als Soloinstrument einsetzte. Knapp 20 Jahre später ist es vollbracht. Mit dem jetzt vorliegenden fünften Boxset liegen neben Monroes beiden letzten Einspielungen für das MCA-Label (Live At The Opry und Crying Holy) die Alben Master Of Bluegrass (1981), Bill Monroe & Friends (1983), Bill Monroe And Stars Of The Bluegrass Hall Of Fame (1985), Bluegrass ’87 (1987) und Southern Flavor (1988) vor. Hinzu kommt der bislang unveröffentlichte Mitschnitt eines Gospelkonzerts, das Monroe und seine Band 1982 in den Cathedral Caverns, einer Tropfsteinhöhle im Bundesstaat Alabama gaben. Auch wenn die Stimme hörbar nicht mehr die Frische früherer Aufnahmen hat, so vermitteln die hier dokumentierten Stücke dennoch eindrucksvoll, warum Bill Monroe die amerikanische Musikszene nachhaltig beeinflusst hat. Zu den Höhepunkten gehören - jeweils mit einem kurzen Dialog eingeführte - gemeinsame Titel u. a. mit Emmylou Harris, Willie Nelson, Waylon Jennings, den Oak Ridge Boys, Barbara Mandrell, John Hartford, den Osborne Brothers, Ralph Stanley, Ricky Skaggs, Del McCoury, Mac Wiseman, Carl Story, Jim & Jesse, The Seldom Scene und Johnny Cash. Wie immer bei Bear Family enthält das Begleitbuch in LP-Größe neben vielen Informationen und Photos eine lückenlose Discographie. Für den Text zeichnen Neil V. Rosenberg und der im Februar vergangenen Jahres verstorbene Charles Wolfe verantwortlich.

Michael Kleff

 

BILL MONROE - My Last Days On Earth (1981-1994)


PAUL REECE
I’m Happy Cause I Sing

(Eigenverlag Paul Reece, PaulReece44@yahoo.com)
Promo-CD, 13 Tracks, 48:05

Das nennen wir paradox: Wenn der schwächste Song eines Albums zum Abschluss trotzdem deutlicher als jeder andere zuvor noch einmal die Stärken des Werks zusammenfasst! Die Bonus-Liveversion des Titelsongs des sechsten Albums des Freizeitmusikanten, „I’m Happy Cause I Sing“, ist von der Gesangsmetrik her holprig, in derart rudimentärer Instrumentierung musikalisch ziemlich schlicht - und das ganze Geräuspere und Gehuste von der Bühne wie aus dem Publikum, das bei der Einspielung mit aufs Band kam, kommt einen mitunter auch ein bisserl sehr feucht an. Aber die Nummer zeigt, wie lebendig es bei Konzerten ihres Schöpfers zugeht - und in seinem Herzen! „Ich hab’ einen Brotjob“, sagt der Künstler, „der mich ernährt und für ein Dach über meinem Kopf sorgt, also gebe ich all mein Extrageld für meine Musikabhängigkeit aus. Drogen, Alkohol und Zigaretten kann ich mir nicht leisten - meine Sucht nach Musikmachen ist zu stark und umfassend.“ Traditioneller, ja, mitunter altbackener Singer/Songwriter-Folk, -Blues und -Country, wie ihn Musikliebhaber nicht nur in Reeces Heimatstaat Ohio seit Jahrzehnten pflegen und lieben, sondern auch im Rest der USA und - zumindest passiv - auch im Rest der Welt. Kompetent gespielt und gesungen, sauber produziert und bei aller Versiertheit bombenfest auf dem Boden der Realität. Wie fest genau? 5 Dollar pro Album bei http://cdbaby.com - so fest! Wie in den guten alten Zeiten ...

Christian Beck

 

PAUL REECE - I’m Happy Cause I Sing

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