back Rezensionen Nordamerika


MARIA TAYLOR
Lynn Teeter Flower

(Saddle Creek Europe SCE102/Indigo, www.indigo.de)
Promo-CD, 11 Tracks, 38:32

Wer mag, kann alle Kraft, Doppelbödigkeit und Schönheit des Solo-Zweitlings der ehemaligen Azure-Ray-Sängerin schon in den sechs läppischen Buchstaben des fünften Titels erkennen: „Replay“ hat das Wissen um den Ohrwurm, den es betitelt; es hat die Ironie, ausgerechnet einen Song mit der Aufforderung zum Wiederholen zu versehen, der dies nun überhaupt nicht braucht; und es hat die Komplexität, die Popmusik auch schon mal zu Kunst machen kann - hier den Dreh, dass besagtes Replay im Kopf der Erzählerin eben gerade abgestellt werden soll. Wie es nun mal ist mit bestimmten Erinnerungen - zum Glück gibt es noch keinerlei Anzeichen, dass es zwischen der neuesten Hoffnung aus dem Hause Saddle Creek Europe und ihren Hörern auf Ähnliches hinauslaufen könnte: Vom Opener „A Good Start“ - ein weiterer dieser Titel, der geradezu einlädt, ihn beim Wort zu nehmen - schöpft die Sängerin, Gitarristin, Pianistin und Schlagzeugerin aus Birmingham, Alabama, aus dem Vollen! Wechselt von schlichteren Americana-Exemplaren zu melodisch und harmonisch deutlich anspruchsvolleren Britpop-Ausflügen, von schnell zu langsam, altmodisch zu modern, zeitlos zu hip, hypnotisch zu trocken und zurück, dass einem schwindlig werden könnte ob all der stilistischen Vielfalt. Bis sich immer deutlicher herauskristallisiert: Alles nur verschiedene Wirbel in einem einzigen ganz langen ganz ruhigen Fluss steter Wiederkehr ...

Christian Beck

 

MARIA TAYLOR - Lynn Teeter Flower


DIVERSE
The Mercury New Orleans Sessions 1950 & 1953

(Bear Family Records, www.bear-family.de)
Do-CD, 47 Tracks, 127:00, mit extrem ausführlichen englischen Infos und Texten

In New Orleans begann so manches. Prägend für die Musik war diese Stadt wie nur wenige andere - insbesondere, wenn es um den Jazz geht und erst recht um den R ’n’ B. Auf zwei Alben hat Bear Family Records nun ganze 47 Schmuckstücke des R ’n’ B aus den Jahren 1950 und ’53 gesammelt - dabei handelt es sich fast ausschließlich um CD-Premieren. Viele bedeutende Musiker jener Zeit sind in dieser Auswahl versammelt: von der New Orleans-Legende Professor Longhair (alias Roy Byrd) & His Blues Jumpers bis hin zu Alma Mondy (aka Alma Lollypop) oder George Miller & His Mid-Driffs; um nur einige zu nennen. Mit viel Herzblut werden von den Künstlern zahllose traurige Geschichten über Liebe und Leid musikalisch ausgemalt. Vier der ganz seltenen Aufnahmen von Gospeleinspielungen der Silvertone Singers krönen übrigens diese Sammlung, die sich nicht nur mit der Covergestaltung und dem liebevollen Booklet um Authentizität bemüht: Das angenehme Knacken und Knistern alter LPs fiel hier einmal nicht der digitalen Aufhübschung zum Opfer - das ist doch mal was! Kurz: ein „Must-Have“ für alle Fans dieser Musik, die auf eine komplette Sammlung in ihrem CD-Schrank wert legen. Und einfach echt gute Musik.

Carina Prange

 

DIVERSE - The Mercury New Orleans Sessions 1950 & 1953


GRANT-LEE PHILLIPS
Strangelet

(Cooking Vinyl COOKCD406 - CDR/Indigo, www.indigo.de)
Promo-CD, 12 Tracks, 47:32

Nominell ist Grant-Lee Phillips’ fünftes Soloalbum zwar wieder eine ganz andere Nummer als der Vorgänger Nineteeneighties, eine Sammlung von Covern von Stücken aus den 80ern, aber besonders weit weg davon hat es der Los Angelino in der kurzen Zeit auch nicht geschafft: Die musikalischen Vorbilder sind allgegenwärtig! Seien es die Beatles der „Magical-Mystery-Tour“-Phase in „Chain Lightning“, sei es ihr tragischer Künstler-Heiliger John Lennon in „Return to Love“. U2 klingen zu Zeiten an, namentlich The Edges fliegende Gitarren, es wird der Roots gefrönt als hätten sich R.E.M. persönlich ihrer Americana-Wurzeln besonnen, deren Gitarrist Bill Berry auch tatsächlich mit von der Partie ist. Mal meint man Ray Davies erzählen zu hören, gleich mehrfach T. Rex cool rockposieren, schließlich wird simpler und einfacher Rock ’n’ Roll exerziert, so schlicht und effektvoll wie damals, als sich all die Genannten oder ihre Eltern selbst noch von ihren eigenen Helden an die Sache heranführen ließen - nur tausend mal entspannter. Eine vergleichbare Lockerheit in der Herangehensweise mag durchaus der Grund für die stilistische Öffnung der Beobachtungen aus dem Phillipschen Alltag sein - wo die Ideen und Einflüsse auch gerade herkommen, egal, schnell notiert und ausgearbeitet, wie der Künstler erzählt, ’rin in den Topf, umgerührt, viel Spaß! Packt beim ersten Hören, und ob es Dauer hat? Man wird sehen ...

Christian Beck

 

GRANT-LEE PHILLIPS - Strangelet


DIVERSE
Sidewalk Songs & City Stories - New Urban Folk

(Trikont US-360, www.trikont.de)
20 Tracks, 69:41, mit deut./engl. Infos

Zunächst zu den Fakten: Martin Büsser - Journalist und Autor des Buchs Antifolk - von Beck bis Adam Green - hat auf dieser CD Künstler versammelt, „deren radikaler, subversiver Folk-Ansatz eine inhaltlich wie musikalische Gegenposition zum US-amerikanischen Mainstream darstellt ...“ (Pressetext). Neben Protagonisten der Szene wie Kimya Dawson (The Moldy Peaches) oder Jeffrey Lewis präsentiert der Sampler neben einigen ihrer Einflüsse wie etwa Jad Fair (Uncle Tupelo) und Daniel Johnston junge und zum Teil unbekannte Stimmen. Schon beim ersten Stück wird klar, dass die Vertreter dieses so genannten „Free Folk“, „Antifolk“ oder „Weird Folk“ nichts mit der Poesie von Singer/Songwriterikonen wie Joni Mitchell oder Bob Dylan zu tun haben. Vielmehr kommen sie „hybride und unorthodox“ daher und bedienen sich „bewusst dilettantischer Ausdrucksmittel“, wie Büsser im Booklet schreibt. Mit Letzterem habe ich mein Problem. Wenn hier verstimmte Gitarren, aus dem Takt geratene Schlagzeuge und schiefer Gesang zur künstlerischen Kreativität hochstilisiert werden, frage ich mich, ob das eigentlich bei den Vorbildern dieser neuen subversiven Folkbewegung, bei Gruppen aus den 60er Jahren wie den Fugs oder den Holy Modal Rounders, auch so war - und ich es in meiner damaligen jugendlichen Begeisterung nur nicht wahrgenommen habe. Vielleicht ist das Alter dafür verantwortlich, dass die meisten dieser Songs - trotz vieler interessanter Inhalte - für mich keinen akustischen Genuss darstellen.

Michael Kleff

 

DIVERSE - Sidewalk Songs & City Stories - New Urban Folk


COCO MONTOYA
Dirty Deal

(Alligator Records, www.cocomontoya.com)
11 Tracks, 50:52

„Real Deal“ wäre ein ebenso passender Titel gewesen, und nicht nur die Freunde des gitarrenbetonten Bluesrock kommen hier auf ihre Kosten. Das erste Album seit über vier Jahren zeigt den einstigen „Ziehsohn“ von Albert Collins und langjährigen Gitarristen der John Mayalls Bluesbreakers als gereiften, abgeklärten Musiker. So blitzt der schneidende Gitarrensound des „Iceman“ (= Albert Collins) zwar immer wieder auf, wohldosiert jedoch und der eigenen Musik stets angemessen („Put The Shoe On The Other Food“). Als Sänger ist Coco Montoyas Stimme soulig und gefühlvoll in den Balladen und Slow Blues (herausragend: „It’s My Own Tears“), mit großer Resonanz, wenn es hemdsärmelig zur Sache geht („Last Dirty Deal“). Den Rahmen steckt seine hervorragend eingespielte Tourband, und zur weiteren Unterstützung waren Musiker der Gruppe Little Feat mit im Studio: Paul Barrere (Slidegitarre) und Bill Payne (Keyboards) etwa beim Swamp-Blues „Three Sides On Every Story“ mit Second-Line-Beat. Fett und wuchtig rollen die Shuffle „It Takes Time“ und „It’s All Your Fault“, und auch mehr als einen Hauch von Stax-Soul gibt es mit „Clean Slate“. Dirty Deal ist eine jener Platten, die mit zunehmendem Hören immer mehr Details offenbaren und dabei immer besser werden.

Achim Hennes

 

COCO MONTOYA - Dirty Deal


COWBOY JUNKIES
At The End Of Paths Taken

(Cooking Vinyl COOKCD401 - CDR/Indigo, www.indigo.de)
Promo-CD, 11 Tracks, 49:17

Die Konstante ist das alte Vorbild Velvet Underground bzw. deren Chef Lou Reed: Zu Beginn ihrer Karriere waren die Geschwister Margo, Michael und Peter Timmins & Co. vom Klang her eine einzige VU-Anmutung, am Mittag ihrer bisherigen Karriere landeten sie mit ihrem „Sweet-Jane“-Cover in Oliver Stones Natural Born Killers ihren bis dahin größten Hit. Und auch beim vorliegenden 16. Album in 21 Jahren fühlt man sich mehr als einmal an die Vorbilder erinnert: wenn die Streicher hypnotisch zu rocken beginnen wie in „Street Hassle“, ein komplettes Stück mit der Stimme des Vaters der Timmins-Geschwister unterlegt wird als seien wir wieder auf der Party in „Kicks“ - und natürlich überall, wo sich die Gitarren mal etwas heftiger durch den sanften Wohlklang kratzen und dergleichen. Die Zeit aber, als die Cowboy Junkies mit der Sanftmut ihrer geradezu stehenden Klänge eine singuläre Erscheinung an den Indie-Rändern des Rock waren, sind vorbei - und das haben sie gemerkt und sich mit dem vorliegenden Album zum Thema Familie sehr erfolgreich auch zu neuen Ufern aufgemacht: mehr Druck und mehr Tempo, einem deutlichen Zugewinn an Variantenreichtum in Melodik und Arrangement, einem spürbaren Plus an Lebendig- und Leichtigkeit. Und das manisch-depressiv Zwanghafte der VU-Vorbilder und CJ-Gründerjahre scheint seine Zeit auch gehabt zu haben - wo will man damit, wenn man erst mal volljährig ist, auf Dauer auch hin?

Christian Beck

 

COWBOY JUNKIES - At The End Of Paths Taken


THE PAPERBOYS
The Road To Ellenside

(AVIVA Records/Stompy Disc SD20602/Sunny Moon)
13 Tracks (plus Hidden Track), 61:09, mit Texten

Fein machen sie das, die mexikanisch und keltisch beeinflussten Paperboys aus dem äußersten Westen Kanadas! FolkRockPop, der in der Heimat zu Auszeichnungen und hierzulande zu ordentlichen Tourneen verhilft. Bei Erscheinen dieses Heftes geht die aktuelle Tour gerade zu Ende, aber keine Sorge, im September gibt es eine Neuauflage. „Latino Celtic Emotion“ lautet das Motto, wohlklingend eingebettet in harmonische PopRock-Musik, die Chartspotenzial hat. Zwischendrin platzieren die vier Herren und die eine Dame entweder Stücke mit deutlichem Latinoklang oder die Flöte und die Fiddle führen kleine keltische Zwischenspiele an. Aber auch dezenten TexMex-Anleihen gegenüber verschließt man sich nicht, alles integriert in die Ohrwurm- und Mitsingmusik. Wetten, dass das live bestens abgeht!?

Mike Kamp

 

THE PAPERBOYS - The Road To Ellenside


ERIC BIBB
Diamond Days

(Telarc 83660, inakustik, www.ericbibb.com)
12 Tracks + Video, 49:40 + 11:15 mit engl. Texten und vielen Infos

Der New Yorker Gitarrist und Sänger Eric Bibb zeigt uns in Europa, wo es musikalisch lang gehen kann. Er befindet sich auf seinem Höhepunkt und kann auch dem amerikanischen Vorzeigeblueser Keb’ Mo’ das Wasser reichen. Bibb, der sowohl als Solist wie auch mit Band brilliert, vermag mit seiner samtweichen und warmen Stimme weltmusikalische Bluesjuwelen in der Tradition Taj Mahals zu präsentieren, dies aber eigenständig und selbstbewusst mit Folk- und Gospeleinflüssen. Gefühlvolles Fingerpicking ergänzt seine Rootstitel. „Destiny Blues“ und „Dr. Shine“ glänzen auf der CD wie geschliffene Diamanten. Neben eigenen Kompositionen interpretiert er auch ein Traditional („Worried Man Blues“) und Bob Dylans „Buckets Of Rain“. Als Fan der akustischen Gitarre outet er sich auf dem gut elfminütigen Video, auf dem er in seinem Lieblingsgitarrenladen R&F Charles „An Afternoon In Paris“ spielt und eindrucksvoll seine Souveränität beim Umgang mit den sechs Saiten dokumentiert. Wegen der tollen Instrumente um ihn herum setzt er sogar seine Brille auf. Die Gesamtproduktion ist optisch sowie technisch nicht zu überbieten. Bibb geht seinen Weg und nimmt viele mit sich. Uneingeschränkte Empfehlung des Monats.

Annie Sauerwein

 

ERIC BIBB - Diamond Days


DAVID BROMBERG
Try Me One More Time

(Appleseed Recordings 1099/FMS, www.davidbromberg.net)
16 Tracks, 47:57, mit engl. Texten und Infos

Nach 17 Jahren (!) gibt es nun wieder ein Studioalbum vom Roots und Blues Musiker David Bromberg. Das wäre natürlich an sich schon ein Grund zum Feiern. Try Me One More Time ist aber außerdem ein äußerst entspanntes gespieltes und dennoch spannendes akustisches Bluesalbum, geschmückt mit ausdrucksstarkem Fingerpicking, schönen Songs und guten Vocals. Auch die Songauswahl lässt das Herz jedes Fans dieser Musik höher schlagen: von Robert Johnson über Bob Dylan, über zahlreiche Traditionals bis hin zu zwei Klassikern von Reverend Gary Davis ist alles dabei. Von Letzterem lernte Ry Cooder das Gitarrenspiel und was es heißt, vom Leben zu singen. Auch David Bromberg hat das verinnerlicht, man spürt, dass diese Lieder ihm aus der Seele sprechen. Bromberg hatte sich 1980, als er sich total ausgebrannt fühlte, aus dem Musikgeschäft zurückgezogen und einige Jahre an der Kenneth Warren School of Violin Making studiert. Erst 1990 erschien mit Sideman Serenade wieder eine CD, der nun nach langer Pause das aktuelle Werk folgt. Auch Try Me One More Time thematisiert klassisch, bluesig und kraftvoll das Leben der armen Leute, wie es von jeher aussah. Hörenswert.

Carina Prange

 

DAVID BROMBERG - Try Me One More Time

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