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BILLY BRAGG
Volume 2
(Cooking Vinyl Braggbox002/Indigo, www.cookingvinyl.com)
Workers Playtime (11 Tracks, 42:24)
Bonus-CD (11 Tracks, 41:50)
Don’t Try This At Home (16 Tracks, 57:55)
Bonus-CD (14 Tracks, 51:23)
William Bloke (11 Tracks, 41:24)
Bonus-CD (11 Tracks, 38:54)
England, Half English (12 Tracks, 43:31)
Bonus-CD (14 Tracks, 47:26)
If You´ve Got A Guestlist (DVD; 114:00)
Großformatiges Booklet mit engl. Infos und Texten der Originalveröffentlichungen
Frisch geehrt für seine Werkschau Volume 1 (s. Folker!
03/2006) mit dem Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik 2006 - eine
Entscheidung, die von der taz in typischer alternativer Verkennung
des Sachverhalts als „verstaubt“ und „dumm“ abgetan wurde -, hat Billy Bragg
jetzt in einer zweiten Box Arbeiten aus den Jahren 1988 bis 2002
veröffentlicht. Neben den Songs der Alben Workers Playtime (1988),
Don’t Try This At Home (1991), William Bloke (1996) und
England, Half English (2002) finden sich auch auf Volume 2
reichlich Bonustracks mit unveröffentlichten Demos und raren Aufnahmen -
insgesamt 50 (!). Hinzu kommt eine knapp zwei Stunden lange DVD unter dem
Titel If You’ve Got A Guestlist, die die Mitschnitte von zwei
Konzerten enthält: eins aus dem Jahr 1991, als Billy Bragg & The Red
Stars im Londoner Town & Country Club auftraten, das zweite im Broadway
in Barking. Völlig unverständlich bleibt, warum - wie schon bei Volume
1 - auch dieses Mal die Texte der Bonustracks nicht im Booklet
abgedruckt sind. Dafür erfährt man, wer dort als Musiker dabei war, während
diese Information wiederum bei den Songs der Originalalben fehlt. Der
Bedeutung dieses Tondokuments eines wichtigen Künstlers in diesen von
Oberflächlichkeit und Schnelllebigkeit geprägten Zeiten tut dies jedoch
keinen Abbruch. Wie sein Vorgänger ist auch Volume 2 absolut zu
empfehlen.
Michael Kleff
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ELEANOR MCEVOY
Out There
(MOSCODISC/MOSACD303, www.eleanormcevoy.com)
15 Tracks, 49:53
Ihren Job als Violinistin beim National Symphony Orchestra hat die Irin
schon vor langer Zeit an den Nagel gehängt, um den Weg einer Songwriterin zu
beschreiten. Mit Out There legt sie nun ihr sechstes Album vor. Und
was für eins! 15 Songs, die es in sich haben. Die Frau mit der Soulstimme
schreibt nämlich keine „Love, Love, Love“-Kurzgeschichten und verpackt sie
in eingängige Melodien - bei ihr lohnt es sich, genau hinzuhören. Sie
vertritt Meinungen und versteht es, diese musikalisch auf ganz hohem Niveau
zu verarbeiten. Zwar sind ihre Songs häufig von einer gewissen Melancholie
durchzogen und auf ein Happy End wartet man meist vergebens, aber dennoch
kommt beim Zuhören keine Schwermut auf. Dafür ist ihre Musik zu schwungvoll
und zu abwechslungsreich. Bei „Non Smoking Single Female“ geht es
beispielsweise um Partnersuche per Annonce. Ein höchst amüsantes Lied,
gewürzt mit einer kräftigen Portion Ironie. In „Fields Of Dublin 4“ nimmt
McEvoy den Celtic Tiger, Irlands gigantischen wirtschaftlichen
Aufschwung ins Visier und stellt mit deutlichen Worten das ausufernde
Konsumverhalten ihrer Landsleute in Frage. Bleibt zu hoffen, dass sie
hierzulande auch bald so bekannt ist, wie der aus ihrer Feder stammende Hit
„Only A Woman’s Heart“ aus dem Jahre 1992.
Markus Dehm
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LINO CANNAVACCIUOLO
Aquadia
(Forresthill FHME 99, www.galileo-mc.de)
9 Tracks, 54:05, mit Texten
Das CD-Cover zeigt Lino Cannavacciuolo als Teufelsgeiger im Stile eines
Niccolò Paganini. Zu einer galoppierenden Tarantella setzt der Mann aus
Neapel allerdings erst im letzten Stück an. Zuvor lernen wir einen Musiker
kennen, der sich mit den Effektmöglichkeiten seiner Elektrogeige und deren
Wirkung genau auskennt. Als klassisch ausgebildeter Geiger greift er auf
seine italienischen Wurzeln, Weltmusikeinflüsse, Folk- und viel Progrock
zurück. Hört man etwa das wuchtig epische „Tu Nunn’o ’Ssaje“ ist man
geneigt, die alten Curved Air oder Caravan wieder mal aus dem Schrank zu
nehmen. Wie die Progrocker früher auch, nutzt Cannavacciuolo die
Möglichkeiten der aktuellen Elektronik und webt Samples und Rhythmuspatterns
in seine Stücke. Manchmal wird auch fast ausschließlich akustisch musiziert,
wie etwa im von der Schwedin Auli Kokko gesungenen Wiegenlied „Sång Till
Anita“. Lino Cannavacciuolo verfällt nicht dem Fehler der alten Progrocker,
mit purer Effekthascherei langweilige Stücke aufpeppen zu wollen.
Cannavacciuolo und seiner Band hört man vom ersten bis zum letzten Ton mit
Lust zu. Da ist seine Musik doch stark genug in der musikalischen Tradition
verwurzelt.
Martin Steiner
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CHRIS WHILE & JULIE MATTHEWS
Here And Now
(Fat Cat FATCD016, www.whileandmatthews.co.uk)
10 Tracks, 40:12, mit Texten
The Best Of While & Matthews
(Fat Cat FATCD017)
15 Tracks, 65:13, mit Texten
Wer die Musik der beiden englischen Damen einfach mal antesten möchte,
sollte zum repräsentativen Sampler greifen. Schließlich sind da auch zwei
Stücke der vorhergehenden CD drauf. Aber wer sind die zwei, was machen sie
eigentlich für Musik? Verdiente Kräfte der englischen Szene, ich sage nur z.
B. Albion Band, doch nur da, wo While & Matthews draufsteht, ist der
„Wow“-Effekt drin. Sie sind zwei ganz begnadete Songwriterinnen,
Spezialistinnen für einfühlsame Songs mit hohem Wiedererkennungswert. Aber
der Gesang, aber die Harmonien!!! Ich sag’s gerne noch mal, weil es mich
(live ebenso wie auf CD) völlig vom Hocker gehauen hat: dieser Gesang, diese
Harmonien!!! Hier hören wir zwei Stimmen, die füreinander geschaffen sind,
die einfach zusammen singen MÜSSEN. Live reichen Gitarren und Keyboard, im
Studio darf’s auch gerne ein wenig Begleitung mehr sein. Es klingt meist
tendenziell mehr amerikanisch als englisch (natürlich ohne gestellten
Kaugummiakzent), doch das stört überhaupt nicht. While & Matthews -
dieser Gesang, diese Harmonien! Und sollten sie dieses Jahr wieder nach
Deutschland kommen: Unbedingt buchen, hingehen, zuhören, begeistert sein.
Mike Kamp
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DIVERSE
Les Nuits Manouches
(Le Chant du Monde/harmonia mundi, www.harmoniamundi.com)
Do-CD, 36 tracks, 116 :21, mit Infos
Mit dieser Do-CD-Compilation legt das französische Label Le Chant du Monde
neben einer aktuellen Katalogauswahl eine sehr gelungene Übersicht über
einige der wichtigsten Vertreter der heutigen Manouche-Szene vor. „Django
Reinhardt ist für die Gypsys wie die Sonne“ - weithin sichtbar, unerreichbar
und alles überstrahlend. So das Bekenntnis all jener, die sich aufgemacht
haben in die Fußstapfen dieses einzigartigen musikalischen Genies zu treten.
Die 18 Titel dieser Compi sind je in zweifacher Ausführung zu hören. Eine
Art Original und eine, nennen wir es einmal, Weiterentwicklung. Denn
natürlich wird hier natürlich weder kopiert noch gefälscht.
Originalaufnahmen von Django in verschiedenen Besetzungen aus den Jahren
1932-52 stehen Interpretationen von Biréli Lagrene, Angelo Debarre oder
Raphael Fays gegenüber. Gypsy-Gassenhauer wie „Belleville“, „Django’s
Tiger“, und „Dinette“ folgen auf Standards wie „All Of Me“, „Night And Day“
oder „Sweet Georgia Brown“. Dass sich die Auswahl der Aufnahmen lediglich
auf Künstler aus dem Hause harmonia mundi beschränkt wird locker durch die
Tatsache wettgemacht, dass gerade hier schon seit vielen Jahren der Bereich
des Zigeunerjazz besondere Pflege erfährt. Und eine derartige Konzentration
hochrangiger Vertreter des Genres ist einmalig.
Rolf Beydemüller
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DAVID KNOPFLER
Songs For The Siren
(Blue Rose Records BLU DP0401/Soulfood, www.soulfood-music.de)
11 Tracks, 46:49, mit engl. Infos und Texten
Mögen sie auch noch so ungleich sein, die Brüder David und Mark Knopfler,
gleich sind und bleiben ihnen doch ihre wie aus demselben Ei gepellte
Stimme, ihr Hang zu über die Jahrzehnte charakterlich verblüffend ähnlichen
Midtempo-Balladen - und dass beide wohl bis in alle Ewigkeit denselben
Ahaeffekt beim Publikum erzielen werden: Dire Straits! David, der jüngere
der beiden Glaswegians, ist seit seinem 1983er Ausstieg wegen zu viel Erfolg
bei der 1977 gemeinsam gegründeten Band inzwischen bei Soloalbum Nummer zehn
angekommen: Elf wie immer im unverkennbaren Familiensound daherkommende
Originalkompositionen im Midtempo, eine entspannter als die andere. Im
Unterschied zum großen und weit erfolgreicheren Bruder, der stärker zu
Americana tendiert, scheint David noch fester in der Heimat geerdet: alles
einen Tick englischer, gälischer, bretonischer hier als dort. Und einen
Schuss spiritueller oder, je nach persönlichem Geschmack, vielleicht auch
verblasener - vom Opener „Steel Wheels“ bis zum Closer „Smile And Say Okay“,
in denen Narziss und Echo mit vertauschten Rollen Variationen der
griechischen Mythologie durchexerzieren. Die Bilderwelt dazwischen: viel
Bibel („Fire Down Below“, „Sophie’s Song“, „Washing Horses In Eden“,
„Accidents Don’t Just Happen“), mehr Antike („Sophie’s Song“), Liebe,
Verlust, Erlösung. Als wär’s ein Stück über David und Mark - und die feine
kleine Band, die sie einst hatten ...
Christian Beck
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BOW TRIPLETS
Fair Play To You - Irish-Celtic World Folk Music
(Stef Sigfalk 2006, www.bowtriplets.com)
16 Tracks, 59:25 mit engl. Infos, Texten und Photos
Diese vierte CD des in der Schweiz ansässigen
deutsch-schwedisch-schweizerisch-irischen Quintetts, das aus Heidi Sigfalk
(Violine, Viola, Gesang), Stef Sigfalk (Gitarre, Konzertina, Mandoline,
Gesang), Brendan Wade (Uilleann Pipes, Whistles, Flute, Gitarre, Gesang),
Andreas Aeppli (Percussion, Bodhrán, Piano, Keyboard, Gesang) und Joe
Eisenburger (akustischer Bass) besteht, bietet sehr feine und extrem
abwechslungsreiche irische, schottische, kanadische, amerikanische und
neuseeländische Folkmusik. Schnelle Reels, verträumte Airs, Balladen,
mehrstimmige Lieder, zwei Stücke von Stef, eines von Heidi Sigfalk
geschrieben. Letzteres, ein Set aus einem Slow Waltz einer Hornpipe und
einem Reel namens „Raindrops In Whiskey“ hat es mir besonders angetan, es
beginnt mit Piano, Viola und Percussion sehr zauberhaft, die Stimmung ist
eher skandinavisch, eine Low Whistle mit zweiter Stimme setzt ein, dann
springt eine Fiddle in den schnelleren 4/4-Rythmus über, die Percussion wird
deftiger, zuletzt übernehmen die Pipes die Melodieführung und setzen das Set
als Reel fort, das gerne noch länger hätte dauern dürfen. Man merkt die
vielseitige, unter anderem auch klassische und jazzige musikalische
Ausbildung der Musiker bei jedem Ton, und doch ist die CD auch für Hörer zu
empfehlen, die Wert auf jazzfreien Folk und enge (Neo-)Traditionsanbindung
legen. Der Rezensent ist begeistert!
Michael A. Schmiedel
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BJØRN BERGE
I’m The Antipop
(Skycap Records/Rough Trade, www.skycap.de)
Promo-CD, 12 Tracks, 41:58
Dies ist bereits das achte Album des norwegischen Gitarristen, der sich
von jeher an Deltablues-Größen wie Robert Johnson orientiert, aber auch an
John Hammond oder Stevie Ray Vaughn. Auf I’m The Antipop geht es zur
Sache, werden knallharter Rock und Blues gemischt, mit einem Sound, der
manchmal so dicht klingt, als wäre eine ganze Band am Werke. Und doch
handelt es sich hier lediglich um zwei Musiker: Berge spielt, außer der
Gitarre, auch alle anderen Instrumente - so sie denn inmitten der
Percussionklänge von Harald Levang zu hören sind. Die CD ist letztlich ein
„Coveralbum mit persönlicher Note“; mit eigenwilligem Gestus verbluesrockt
man hier Songs von Audioslave über Rage Against The Machine bis hin zu Black
Sabbath und Morphine. Live bezieht Berge stets die alte Bluestechnik des
„floor stomping“ ein, wodurch die Bühne selbst, auf der er steht, zum
Rhythmusinstrument mutiert. Aber auch auf CD bewirkt dieser Effekt ungeahnt
rasante Akzente. Als Gitarrist zeigt sich Berge fingerfertig, gibt den Songs
fulminanten Drive. Sein tiefer Bariton tut das Übrige, den Hörer einzuhüllen
und mitzuziehen. Ein cooles, definitiv hörenswertes Album!
Carina Prange
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ORM
Sågskära
(Drone Music AB, DROCD043)
19 Tracks, 61:32, mit schwed. Infos
Die sechste CD einer Gruppe aus dem schwedischen Småland, genauer gesagt,
aus der Region Värend, einem musikalischen Mikrokosmos, wo wir alle
Musikrichtungen Schwedens und dazu die meisten aus der übrigen Welt finden.
Sagt das Beiheft, und dem glauben wir gern, denn auf der CD ist wirklich
ungeheuer viel los. Die Einflüsse reichen vom irischen Reel (die
aufgenommenen Beispiele kennen wir alle aus Irland, und doch wurden sie um
1800 bei Spielleuten aus Värend aufgezeichnet) bis zur sorbischen Polska
(die nun allerdings wurde im Cottbuser Stadtarchiv entdeckt). Die große
Liebe der Gruppe scheint Balladen aus dem europäischen Balladenschatz zu
gehören, wir finden gleich zwei Lindwurmlieder. Im einen ist die Geschichte
vom Drachentöter St. Georg nach Stockholm verlegt, wir finden die holde
Maid, die von der bösen Stiefmutter vergiftet wird (leider kommt gerade kein
Prinz geritten). Und wir finden zwei hochinteressante Heischelieder
(Sjänklåtar) von Spielleuten aus den Ortschaften Byarum und Södra Unnaryd.
Abgesehen davon, dass diese CD der pure Ohrenschmaus ist, ist sie deshalb,
auch durch die klugen Infos im Beiheft, eine kulturgeschichtliche
Entdeckungsreise, zu der hiermit energisch aufgefordert sei!
Gabriele Haefs
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DIVERSE
The Complete Songs Of Robert Tannahill Vol. 1
(Brechin All Records CDBAR003, www.brechin-all-records.com)
19 Tracks, 51.21, mit engl. Texten und Infos
Erinnert sich noch wer an The Complete Songs Of Robert Burns (s. a.
Folker! 01/2004, S. 67)? 12 sorgfältigst produzierte CDs, eingespielt
von Schottlands Folk-Spitzenkräften. Der Motor und das Gehirn hinter diesem
Projekt war Dr. Fred Freeman. Er hat neue Inspirationen und Kraft gesammelt
und wendet sich nun dem Burns-Zeitgenossen Robert Tannahill zu, dessen Werk
zu Unrecht immer ein wenig im übergroßen Schatten des Nationaldichters
steht. Die Zutaten sind die gleichen: bester Klang, saubere Produktion und
erstklassige Künstler wie Emily Smith, Wendy Weatherby, Ross Kennedy, Aaron
Jones oder der Akkordeonist Sandy Brechin, auf dessen Label diese CD
erschien. Über die nächsten vier Jahre sind vier weitere Veröffentlichungen
zu erwarten. Selbstredend kann man die CD allen Freunden schottischer Musik
wärmstens empfehlen, und sei es nur wegen der häufigen Erkenntnis: „Ach,
dieses Lied ist auch von Tannahill!?“
Mike Kamp
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LAUTARI
Azaran
(Samograj 2006, www.lautari.art.pl)
15 Tracks, 49:10, Kurzinfos engl./poln.
Die Musik von Lautari aus dem polnischen Poznan ist moderner Ethnojazz,
verwurzelt in der Tradition von Mittel-, Ost- und Südeuropa. Die Folkmotive
werden auf dem Piano, der Violine, der Klarinette und auf Flöten gespielt,
eingebettet in zeitgemäße Arrangements und Improvisationen. In Lautaris
Kompositionen hört man die orientalischen Ornamente, man hört den Balkan -
es spielen die Zigeuner, die sich immer der Musik der Regionen annehmen, die
sie durchstreifen. Mit hörbarer Souveränität werden die Genres durchstreift.
Besonders durch Piano und Flöte entsteht ein leichter, fast
kammermusikalischer Sound; die ganz großen Töne werden von den vier Herren
vermieden. Unaufdringliche Qualität, die sich beim Hören von mal zu mal mehr
erschließt und immer neue Facetten offenbart.
Jürgen Brehme
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MOUSSU T E LEI JOVENTS
Forever Polida
(Le Chant du Monde/Manivette Records/harmonia mundi 2741441)
13 Tracks, 41:04, mit okzitan. und franz. Texten
Es ist schon frappierend, wie ein an sich sehr spartanisch veranschlagtes
musikalisches Konzept doch letztlich aufgehen und begeistern kann. Moussu T
haben nach ihrem hochgelobten Album Mademoiselle Marseille (s.
Folker! 06/2005) nun eine CD nachgelegt, die daran nahtlos
anschließt, den Charme und die Lässigkeit beibehält und keine Sekunde
langweilt. Tatou mit seiner Reibeisenstimme singt die Lieder cool und
intensiv zugleich, Blu klampft dazu mit Banjo und Gitarren, letztere
bisweilen elektrifiziert und dezent mit Wah-Wah und Verzerrer verfremdet.
Jamilson, der brasilianische Percussionist, hat Verstärkung bekommen: Als
vierter Mann bearbeitet Zerbino ähnlich locker sein Schlagzeug. Die
pfiffig-skurrilen, mal liebeswert, mal durchaus kritisch den Alltag in
Marseille (und Umgebung) beschreibenden Texte gibt es weiterhin: mit dem
Blick durchs Fenster („Par La Fenêtre ...“), beim Angeln („Les Plaisirs De La
Pêche“) oder am Meer sitzend, über das die (illegalen) Immigranten kommen
(„Sus l’Autura“). Marseille und sein Umland zwischen Rhonedelta und Côte
d’Azur, industriell-maritim geprägt, pulsierender Schmelztiegel von Menschen
verschiedenster Herkunft, bleibt zentrales Thema. Die musikalische
Bandbreite bewegt sich wie gehabt zwischen derbem Countryblues („Quand Tu
N’As Que Des Bon Amis“) und provenzalischer Volksliedtradition („Per Soleta
Companhia“), versetzt mit Elementen maghrebinischer und schwarzafrikanischer
Provenienz.
Roland Schmitt
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TÉADA
Inné Amárach
(Gael Linn CEFCD 188/Compass Records WEA-74437)
11 Tracks, 45:56, mit ausführlichen Infos und Begleit-DVD
Dieses Album hat einen programmatischen Titel, denn die Kombination der
Begriffe inné (ir.-gäl. „gestern“) und „amárach“ (ir.-gäl. „morgen“)
setzt sich in der Musik fort. Die Musiker, die alle aus der nördlichen
Hälfte Irlands kommen, vereinen traditionelle Spielweise und einen modernen
Sound. Im Jahr 2003 wurden sie vom Irish Music Magazine zum „Best
Traditional Newcomer“ gewählt und haben seitdem Bühnen auf der ganzen Welt
bespielt. Auf der neuen CD wird der neue Flöter Damien Stenson vorgestellt,
der zusammen mit Fiddle, Box, Bouzouki/Gitarre und Bodhrán einen knackigen
Bandsound schafft. Die Musiker konzentrieren sich dabei auf ihre Stärke, die
instrumentale Musik Irlands. Songs sucht man auf dieser Platte vergeblich.
Die heute allgegenwärtigen Jigs und Reels wechseln sich mit Polkas, Slides
und Marches ab. Die Auswahl der Tunes umfasst frische traditionelle Stücke
mit einem Groove, der in die Hüfte geht. Als besonders gelungen sind
sicherlich das wunderbare Fiddlespiel von Oisín Mac Diarmada sowie die
treibende Begleitung von Seán McElwain und Tristan Rosenstock zu nennen. Ein
dichter Sound, der sicherlich für Liebhaber traditioneller und moderner
Stile irischer Musik gleichsam spannend ist.
Sabrina Palm
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LITTLE VENUS
Volcano
(Pläne Records, Pläne 88931, www.plaene-records.de)
13 Tracks, 47:07, mit Texten
Wenn man der sanften Stimme von Irina Simoneta lauscht, wie sie dem
filigranen Zusammenspiel von Cello und Gitarre schmeichelt, fragt man sich,
ob Vulkan wirklich der passende Titel für die neue CD des Schweizer Trios
ist. Irgendwo zwischen Naked Raven und Lunik verzaubern die drei mit
minimalistischen Songstrukturen den Neofolkie. Little Venus spielen
lupenreine Popmusik, nur dass sie eben ausschließlich akustische Instrumente
verwenden. Unplugged nannte man das früher, Kunst ist es noch heute. Irina
singt ihre Balladen in Englisch, Italienisch, Französisch, Afrikanisch oder
auch in Schweizer Mundart, aber sie klingt dabei immer nach Little Venus.
Andreas Kühnrich spielt das Cello erdverbunden und virtuos, während Marc
Rossier mit Gitarre und Dobro beliebige Stimmungen erzeugen kann.
Volcano sitzt zwischen den Stühlen, nicht Jazz und doch jazzig,
klasse und doch nicht klassisch, auf jeden Fall Folk, aber keine Weltmusik,
gut hörbar für jedermann, aber bestimmt kein Mainstream. Volcano hat
seinen Siegeszug in der Schweiz bereits im Februar 2006 angetreten. Es wird
Zeit, dass Little Venus nun auch in Deutschland den Durchbruch schaffen.
Chris Elstrodt
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TOM MCCONVILLE
Tommy On The Bridge
(Tomcat Music TCCD06, www.tommcconville.co.uk)
15 Tracks, 52:45, mit engl. Infos
Er ist ein „Geordie“, ein Mann aus Newcastle, ein Fiddler und ein Sänger.
Ach, was sage ich, Tom McConville ist ein ganz hervorragender Fiddler und
ein sehr einfühlsamer Sänger, so stimmt es schon eher. Das Hauptaugenmerk
seiner neuen CD liegt auf den Instrumentals (10 von 15 Tracks), die er mit
Vorliebe aus den keltischen Ländern wählt, vor allem aus Schottland. Wenn
dann noch solch erfahrene Musiker wie der Schotte Aaron Jones (Guitar,
Bouzouki) oder Claire Mann (Flöte, Whistle) dabei sind, dann können diese
Aufführungen nur zu einem Genuss werden. Hinzu kommen sorgfältig ausgewählte
Songs von ausgewiesenen Könnern wie Allan Taylor oder Richard Thompson, bei
denen Tom seinen herrlich beschwingten, fast mit einem irischen „lilt“
versehenen Gesang bestens zur Geltung bringen kann.
Dieses Jahr hat ihn der Venner Folk Frühling zum dritten Mal gebucht
(zusammen mit Dave Wood, der ist auch auf der CD), das heißt doch schon was.
Mit etwas Glück gibt es danach noch eine kleine Deutschlandtour. Wer Folk
ohne Umleitungen in andere Musikarten mag, und das in höchster Qualität, der
liegt bei Tom McConville und Tommy On The Bridge goldrichtig.
Mike Kamp
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VILLAGE KOLLEKTIV
Motion Rootz Experimental 2006
(open sources OS01, www.vk.com.pl)
10 Tracks, 47:48, Texte poln./engl.
Zu Recht erinnert uns das Village Kollektiv an die Village People (s.
Folker! 03 + 04/2003), die als blutjunge Musiker polnische
Traditionen mit Overdubs und indischen Klängen verbanden. Ganz so
spektakulär kommt diese CD nicht daher, sie bleibt, bei aller eingesetzten
Elektronisierung, in der Instrumentierung und bei den Effekten etwas
traditioneller. Auch stehen die Verbindungen in große kulturelle
Entfernungen nicht so im Vordergrund. Die Musik stammt größtenteils aus
bulgarischen Regionen; die Gesangstechniken wurden dazu original studiert,
um sie dann mit denen der Tuva und dem Yoiken der Samen zu kombinieren.
Ähnlich ist das instrumentale Vorgehen: bestimmt von originalen Instrumenten
(Hurdygurdy, wie dort die Drehleier heißt, Violinen, Gadulka, Hackbrett
etc.), aber eingebettet in Sounds aus der modernen Computerkiste. Das ist
Folk, der gar nicht mehr brav wirkt und an musikalischer Dichte moderner
Popmusik in nichts nachsteht. Kein Wunder, die Musiker sind jung und
enthusiastisch - da kommt keine Langeweile auf.
Jürgen Brehme
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PAUL MILLNS
Undercover
(Acoustic Music Records 319.1371.2/Rough Trade, www.roughtrade.de)
13 Tracks, 54:32, mit engl. Infos und Texten
Paul Millns’ Referenzen kommen überwiegend aus dem Blues und Folk: Der in
Norfolk geborene Londoner Keyboarder und Sänger begleitete Alexis Korner und
Eric Burdon, war mit Louisiana Red und Bert Jansch unterwegs, griff für
David Crosby in die Tasten wie für Ralph McTell und John Martyn. Aber mehr
als an all diese erinnert er auf seinem 15. Soloalbum von Songstruktur,
Tastenspiel, Gesangston und allgemeiner Stimmung an einen Amerikaner, dem
vor allem das Etikett „Ragtime“ anhaftet: Randy Newman! Er ist zwar deutlich
weniger bissig und ätzend als dieser, aber mindestens so tief verwurzelt in
den Interpretationstraditionen des vergangenen und vorvergangenen
Jahrhunderts. Wie damals Musik noch vor allem mit Hand und Mund gemacht
wurde, Geschichten geradlinig erzählt, das entscheidende Quäntchen Gefühl
meist nicht einem Mehr an zusätzlicher Produktion abgerungen wurde, sondern
im Gegenteil eher einem Weniger an Materialschlacht und Effekten, so hält es
der Mann, der auch den Marius-Müller-Westernhagen-Film Der Mann auf der
Mauer musikalisch miterzählte, auf dem vorliegenden sauberen Dutzend
plus Eins auch noch heute. Mit schönsten Effekten: stimmig runden Songs,
einer nahezu unwiderstehlichen Gelassenheit, einem Rhythm-’n’-Blues-Album
für alle Gelegenheiten. Womöglich gar für neue Cover von Elkie Brooks,
Bonnie Tyler oder gar Nana Mouskouri, die sich schon früher bei Paul Millns
bedient haben ...
Christian Beck
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LOGBOK
Færd
(Tutl SHD 71)
11 Tracks, 44:27, mit dän. Texten
CD einer färöischen Firma, da lacht das Herz der Rezensentin und es lacht
auch noch beim ersten Stück mit seinen klaren shetlandischen Klängen,
schließlich liegen die Färöer sozusagen mittendrin und haben von überall was
abgekriegt. Aber dann singen sie kein einziges Lied auf Färöisch, alles nur
auf Dänisch, und ein Blick ins Beiheftchen verrät, dass auch kein
Gruppenmitglied von den Färöern stammt. Der Frust verfliegt aber wieder, es
klingt wirklich alles wunderbar, schmissig, mitreißend, ein überaus
trauriges Küchenlied, in dem es um das harte Schicksal einer Seemannswitwe
geht, drückt schön auf die Tränendrüsen, und die Ballade über den
schottischen Söldnerführer Sinclair (hier: Sinklar), die derzeit in
irgendeiner Form auf kaum einer nordischen Produktion fehlt, ist der pure
Ohrwurm. Anregungen zu dieser CD hat die Gruppe aus so ungefähr sämtlichen
nordeuropäischen Ländern bezogen, dazu noch aus Neuseeland - und wenn wir
das lesen, ist es doch schade, dass das Beiheft wirklich nur ein -chen ist
und arg mit Infos geizt. Immerhin erfahren wir dort, dass das färöische
Instrumental mit dem unfäröischen Titel „Le Tamborin“ aus der Sammlung des
Svabonius stammt - andererseits, woher auch sonst? Egal, schöne CD, sehr
dänisch und zugleich (oder gerade deshalb) sehr international.
Gabriele Haefs
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CÉLINA
Aucune Frontière(s)
(Anilec Productions)
11 Tracks, 44:44, mit franz. Texten
Die Schweizer Sängerin, Liederschreiberin und Akkordeonist mit dem
bodenständigen Familiennamen Ramsauer stammt aus dem (französischsprachigen)
Wallis, wuchs bei ihrem Großvater, einem Winzer, auf, der der damals
Vierjährigen ein Akkordeon anvertraute. Das taufte sie „Léon“ und hütete es
fortan wie andere junge Mädchen ihre Lieblingspuppe. Sie erlernte das
Instrument als Autodidaktin und setzt es seither in ihren Liedern gezielt,
wenn auch nicht vordergründig virtuos ein. Seit ihrem 1994er Debütalbum ist
Célina permanent in aller Welt „auf Achse“, offenbar bevorzugt in
Nordamerika. Denn ihre Musik ist zwar dem klassischen französischen Chanson
durchaus zugetan, doch sind gerade auf ihrem nicht ganz taufrischen dritten
Longplayer (in der Schweiz bereits 2003 erschienen) eben - wie der Titel
schon verrät - stilistische Grenzen aufgehoben. Da hört man oft eingängigen,
chartstauglichen Pop (z. B. in „Ça Me Va Bien“) heraus. Mit ihrer
exzellenten backing band hat sie ihre Eigenkompositionen sehr
geschmackvoll arrangiert; ihre ausdrucksstarke Stimme verleiht diesen die
nötige individuelle Note. Die Mehrzahl der Texte kreist - na, um was wohl? -
um die Liebe (z. B. „Envie De Toi“, „Parlez-Moi d’Amour“). Ein Lied ist
ihrem Großvater gewidmet („Grand-père“), ein weiteres - nun ja - verbeugt
sich vor dem Leben(swerk) Mutter Teresas („Mère De Calcutta“). Ein
gefälliges, rundes Album, das durchaus Lust auf mehr macht. Die neueste CD
Ensemble Au-delà Des Frontières ist ja schon draußen!
Roland Schmitt
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WIET VAN DE LEEST / THOMAS DEVOS / TOM THEUNS / DAJO DE CAUTER
Tatave
(Myron Lam 1021, leon.lamal@scarlett.be)
15 Tracks, 39:02, mit fläm. und franz. Infos
Schon zu seinen Zeiten als Mitglied der legendären Gruppe Rum war Wiet Van
de Leest fasziniert von Musettemusik - und was liegt da näher, als zwischen
zwei Riesenprojekten (Siegfried Sassoon und Theodor Kramer) eine von dieser
Musikrichtung inspirierte CD einzuspielen? Der Tatave des Titels ist
der legendäre belgische Akkordeonspieler Gus Viseur (1915-1974), dessen
Karriere um 1960 ihren Höhepunkt in Django Reinhardts Hot Club de France
erreichte. Womit die Musik dieser CD schon beschrieben ist, schwungvolle
Instrumentalstücke, ergreifende Lieder, gesungen auf Flämisch und
Französisch, von Thomas Devos (der unbedingt mal eine Solo-CD machen
sollte), und als Höhepunkt unter dem Titel „Groenendal Gipsy“ furiose
Variationen auf die Melodie, zu der Zarah Leander einst „Nur nicht aus Liebe
weinen“ sang. Die einzelnen Stücke stammen, natürlich, von Gus Viseur, aber
auch die mitwirkenden Herren haben kräftig mitgemischt und eigene Werke im
Stil des Meisters beigesteuert, ein Lied, „Groenendal“ (ein Ort, dessen
zugemauerter Bahnhof das Cover ziert) stammt von Flanderns überlebensgroßem
Liedermacher Wannes Van de Velde.
Gabriele Haefs
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JAREK ADAMÓW & SAMI SWOI
Expedition To The Lost World, Part I - Winter
(folken music exlibris CD 01, folken@wp.eu)
12 Tracks, 45:00, Kurzinfos engl.
Seit über zehn Jahren sammelt Jarek Adamów alte polnische Musik (2004
präsentierte er seine Lieder der mittelalterlichen polnischen Barden in
Rudolstadt). Diesmal fand er an der polnisch-ukrainischen Grenze, gleichsam
als Zeugen einer verlorenen kulturellen Welt, eine kleine Gruppe von
Musikern, die (in traditioneller Kleidung, auf dem Cover zu sehen) in den
Kirchen alte polnische Lieder singen, instrumental nur spärlich begleitet
(ein Akkordeon, etwas Percussion). Er hat diese Lieder mit sehr einfachen
technischen Mitteln aufgenommen und präsentiert eine Auswahl davon als, wie
er findet, authentische und ehrliche Musik. Auf diese puritanischen
Aufnahmen muss man sich sehr einlassen, um ein Gefühl für die Stimmungen und
Situationen zu bekommen, an die diese Lieder erinnern. Lieder über längst
vergangene Dinge oder über sehr alte Menschen und deren Erinnerungen.
Bedauerlich, dass es an Begleittext fehlt, der den Zugang erleichtern würde.
Musik jenseits von jeder Mode, für sich wertvoll.
Jürgen Brehme
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FFYNNON
Adar Gwylltion
(TRCD003, www.ffynnon.com)
14 Tracks, 48:46
Drei junge Damen und ein „Feigenblattmann“ plus Produzent Dylan Fowler,
das ist die walisische Gruppe Ffynnon, zu deutsch soviel wie „die Quelle“.
Und genauso sprudelt es auch, lebhaft, anregend und in kein festes Bett
gezwungen, mit Harfe, Akkordeon, Fiddle, Piano, Gitarre und Bass (der Herr),
wobei die Damen zusätzlich sehr attraktive Stimmen haben, besonders
Leadsängerin Lynne Denman. Musik aus keltischen Rhythmen, Traditionen und
Landschaften, so umschreiben sie ihren unkonventionellen Mix. Das klingt
manchmal nach Blues, manchmal nach einer riesigen keltischen Session, mal
a-capella-frankokanadisch mit einem ganz fettem Beat, und mal hat die Musik
einen sympathischen Jazzeinschlag. Zwischen den Stücken sind Heimaufnahmen
von Gesprächen oder Geräuschen eingestreut, und hier sei die einzige Kritik
an dieser so abwechslungsreichen und spannenden CD geäußert: Es fehlen die
Infos und Texte. Das ist umso bedauerlicher, da zumeist natürlich in
Walisisch gesungen wird. Der Verweis auf die Website reicht nicht, diese
Dinge gehören direkt zur CD ins Booklet.
Mike Kamp
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