back Rezensionen Nordamerika


THE HANDSOME FAMILY
Last Days Of Wonder

(Loose Records VJCD166 / Rough Trade)
Promo-CD 12 Tracks, 43:31

„Brett and Rennie Sparks sind die beiden Hälften eines ebenso kranken wie schönen Gehirns“, sagt Wilco-Mastermind Jeff Tweedy, der sich auskennt mit dem Kranken im Schönen und dem Schönen im Kranken, über das Ehepaar aus Albuquerque/New Mexico. Und Jeff White, der im preisgekrönten Film Searching for the Wrong-Eyed Jesus kürzlich mit den beiden gemeinsam einen reichlich ungeschminkten Blick auf die haarsträubenden Ränder der Gesellschaft im amerikanischen Süden warf (siehe Folker! 04/2006), präzisiert: „Obwohl ihre Songs von Verzweiflung, Sorge und Verderbtheit beherrscht scheinen, liegt unter diesem grausigen Furnier eine überraschende Zärtlichkeit. Es ist das Vermögen der Handsomes, diese beiden gegensätzlichen Qualitäten zu verbinden, die das was sie tun so unwiderstehlich macht.“ Ein stetes Americana-Schweben zwischen den Schmeicheleien der lieblichsten Melodien, Harmonien und Country-/Folkinstrumentierungen seit Pop in Altamont seine Woodstock-Unschuld verlor, und dem sublimen Unheil, mit dem im hysterischen Gute-Laune-Diktat der westlichen Welt letztlich noch jegliche Oberflächenharmonie bedrohlich schwanger geht. Nicht umsonst erinnern Brett und Rennie so viele an das berühmte Paar aus Grant Woods American Gothic: Wer könnte der Idylle widerstehen, die sie repräsentieren? Wen würde nicht schaudern beim Gedanken daran, wie der versierte „American Psycho“ ihren Dreizack missbrauchen kann?

Christian Beck

 

THE HANDSOME FAMILY - Last Days Of Wonder


R. J. MISCHO
He Came To Play

(Crosscut Records CCD11087, www.crosscut.de)
14 Tracks; 49:14; zum Teil mit Texten

Als Außerirdischer zeigt sich R. J. Mischo auf dem spacig gestalteten Cover seiner CD, und überirdische Momente gibt es so einige auf diesem feinen Stück Harmonica-Blues. Einen eigenen Sound hat er in den letzten Jahren geprägt, der in einem Gemisch aus 50er Jahre Chicago-Harp und dem Jump-Blues der US-Westküste besteht. Dazu passt ganz hervorragend die Vintage-Aufnahmetechnik des Albums. Die Musiker wurden nicht auf getrennten Spuren aufgenommen und später zusammengemischt, sondern spielten live im Studio zusammen. Das Ergebnis klingt dann auch eher wie ein Konzertmitschnitt, Spielfreude und spontane Interaktion sind garantiert. Der geneigte Hörer dankt’s und wird mit „20 % Alcohol“ in einen der „Juke Joints“ am Wochenende entführt. In der alkohol- und rauchgeschwängerten Atmosphäre bringt dort der Jump-Blues „Please Help“ den Saal zum kochen und schleppt sich mit dem „Bluebird Blues“ durch die vorgerückte Stunde. Tradition ist also der eine prägende Teil in R. J. Mischos Musik. Der andere ist ein ungeheurer Spielwitz und ein Gespür für „passende Stilbrüche“. Daraus entstehen dann so abgedrehte Stücke wie „Jokerhead“ oder das nur zweiminütige „R. J. Come And Get It“, in dem R. J. Mischo die (eigene?) häusliche Arbeitsteilung mit der einen Textzeile „You do the cookin’ and I’ll do the eatin’, baby ...“ beschreibt.

Achim Hennes

 

R. J. MISCHO - He Came To Play


ANI DiFRANCO
Reprieve

(Righteous Babe RBR052-DE, www.righteousbabe.co.uk)
13 Tracks, 46:43, mit engl. Texten

Obwohl Reprieve bereits mindestens ihr 20. Album ist, klingt Ani DiFranco erneut so als ob sie sich neu erfunden hätte. Dieses Mal hat sie ihre fein gesponnene Lyrik in ein geradezu kammermusikalisches Gewand gepackt. Wieder begleitet sich die Sängerin und Songschreiberin selber an der Gitarre. Mit dem Kontrabassisten Todd Sickafoose gibt es jedoch nur einen weiteren Mitwirkenden, der hier und da u. a. auch Piano und Harmonium spielt. Alle 13 Titel hat Ani Difranco komponiert und arrangiert. Dabei hat sie in ihre ruhigen, zugleich aber impressionistisch wirkenden Saitenklänge überraschende Soundspielereien eingebaut wie Verkehrslärm, Vögel, Frösche, Regen und Donner. Ihrer Stimme verleiht sie hier und da einen leicht verzerrten Klang. Wie bei „Millenium Theater“ - einer Abrechnung mit der republikanischen Regierung. Statt platter Reime wie ihn so vielen Anti-Bush-Songs setzt Ani DiFranco geschliffenen Textzeilen ein, mit denen sie die Missstände aufdeckt. Ähnlich politisch gibt sie sich beim Titelsong: „Reprieve“ ist ein Spoken-Word-Stück über ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch das Werk der US-Amerikanerin zieht - die Auseinandersetzung mit dem Patriarchat. Es ist neben ihren Liebesliedern ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie sie das Private und das Politische miteinander zu verbinden versteht. Mit Reprieve hat Ani DiFranco ein weiteres Meisterwerk vorgelegt!

Michael Kleff

 

ANI DiFRANCO - Reprieve


PINE LEAF BOYS
La Musique

(Arhoolie/FMS CD 520)
14 Tracks, 43:59

Die Pine Leaf Boys sind zwar eine neue Cajunband und die Musiker sind alle erst Anfang 20, doch hört man sofort, dass hier richtig alte Hasen ihre Instrumente bedienen. Akkordeonist Wilson Savoy ist der jüngste Sohn von Anne und Marc Savoy, die schon seit mehreren Dekaden zu den Fixsternen des Cajun-Universums gehören. An der Geige ist Fiddle-Wunderkind Cedric Watson aus Houston/Texas mit von der Partie, dessen kreolische Interpretation des Klassikers „Les Barres De La Prison“ einen imponierenden Höhepunkt dieser CD markiert. Den Youngsters ist mit vorwiegend traditionellem Material ein ebenso leichtfüßiges wie profundes Werk gelungen, das sie abgeklärt, stilsicher und doch voller Leidenschaft vortragen. Technisch ist jeder der fünf Musiker eine Klasse für sich, aber keiner lässt sich auf vordergründige Gimmicks ein. Das Repertoire klingt und groovt äußerst homogen und der Respekt vor dem musikalischen Erbe der Cajuns steht deutlich im Vordergrund, was der Produktion angesichts der Jugend der Musiker eine bewundernswerte Reife vermittelt.

Johannes Epremian

 

PINE LEAF BOYS - La Musique


DIVERSE
Gospel Music

(Hyena Records HYN 9346/Rough Trade)
18 Tracks, 50:08, mit ganz knappen engl. Infos

Diesseitige Lust und jenseitige Entrücktheit - kein Wunder, dass der weltweite Siegeszug der Black American Music gerade in dem Moment begann, in dem eine Generation selten kraftstrotzender und hingebungsvoller Künstler Feuer an die Lunten an beiden entgegengesetzten Enden des menschlichen Jammertals gleichzeitig legten. Und es war beileibe nicht Brother Ray Charles, der da zündelte wie ein Wilder, wie Generationen hollywoodinfiltrierter Nachgeborener heute glauben könnten - man leihe nur der vorliegenden, selten homogenen Zusammenstellung von Produzent Joel Dorn und Photograph Lee Friedlander ein Ohr. Zu Recht in die Ruhmeshallen eingezogene Ewige der schwarzen Musik sind ebenso vertreten wie zu Unrecht in der Versenkung verschwundene Eintagsfliegen: Mahalia Jackson wie The Violinaires, Sam Cooke wie The Swan Silvertones, The Staple Singers wie The Angelic Gospel Singers, die Original Five Blind Boys of Alabama wie the Trumpeteers. Gemeinsam ist ihnen allen nicht nur die Inbrunst, mit der sie zur Sache gehen, sondern auch eine erstaunliche Zeitgemäßheit in Sound und Produktion. Knackig, energisch, mitreißend - und ebenso breitbeinig im Hier und Jetzt wie abgehoben in deutlich anderen Sphären. Die beiden „This-May-Be-The-Last-Time“-Versionen der Original Five Blind Boys und der Staple Singers Rücken an Rücken in der Mitte des Albums brauchen kein fünf Minuten, um das ganze Spektrum zu entfalten.

Christian Beck

 

DIVERSE - Gospel Music


JOE BONAMASSA
You & Me

(Provogue Records PRD71852 www.mascot-provogue.de)
Promo-CD; 11 Tracks; 50:17

Im Alter von vier Jahren begann er Gitarre zu spielen, mit elf trat er bereits im Vorprogramm einer B.-B.-King-Tournee auf, und mittlerweile ist der 29-Jährige dem Status des Geheimtipps längst entwachsen. Joe Bonamassa singt und spielt auf der energischen und rockigen Seite des Blues, und mit diesem Album wollte er sich stärker auf seine Wurzeln besinnen. Den Anfang macht dabei das ehrwürdige „High Water Everywhere“ von Charlie Patton. Das Original mit seinem stampfenden, schleppenden Rhythmus bleibt unverkennbar, erhält durch die spärlichen, schneidenden Gitarrenlicks Bonamassas aber doch einen eigenen Charakter. Im eher verhaltenen Midtempo geht es mit „Bridge To Better Days“, einer Eigenkomposition, weiter, dessen treibendes Riff sich im Mittelteil in einer heftigen Gitarreneruption entlädt - laut, schnell und äußerst geschmackvoll gespielt. Versöhnlich folgt das orchestrale „Asking Around For You“ in bester B.-B.-King-Manier, und auch zwei auf der akustischen Gitarre gespielten Stücke sind dabei: Ry Cooders „Tamp Em Up Solid“ in einer Fingerpickingversion und das rasante, rein instrumentale „Palm Trees Helicopters And Gasoline“. Und dann „Tea For One“, ein Song meiner Helden der 1970er, bei dem es Joe Bonamassa gelingt, die Stimmung zu malen, die im Kopf nach einem durchfeierten Wochenende mit der Musik von Led Zeppelin nachhallte. Zusätzliche Magie entsteht dadurch, dass Jason Bonham, Sohn des legendären Led-Zeppelin-Drummers John Bonham, hier am Schlagzeug sitzt.

Achim Hennes

 

JOE BONAMASSA - You & Me


ILENE BARNES
Yesterday Comes

(Nektar/Tropical Music 68.855/Sony BMG, www.tropical-music.com, www.ilenebarnes.com)
12 Tracks, 50:32, mit engl. Songtexten und dt. Infotext

Als die Sängerin, Songschreiberin und Gitarristin Ilene Barnes 2004 als Opener von Eric Burdon ihr Album Time im Gepäck hatte, kannte sie hierzulande kaum jemand. Wider Erwarten gelang es ihr, allein mit Gitarre und Stimme bewaffnet, dem Publikum aus Altrockern und Burdon-Fans tatsächlich ein wenig Aufmerksamkeit abzuringen. Schon Time stellte, als ihr zweites Album, einen Neuanfang dar - nach dem vorangegangenen Versuch eines Majorlabels, sie als unfreiwillige „zweite Grace Jones“ zu vermarkten. Nun konsolidiert Ilene Barnes mit Yesterday Comes ihre zweite Karriere: Die in Detroit geborene, in Surinam, Barbados und Jamaika aufgewachsene Sängerin mit indianisch-afroamerikanischen Wurzeln legt ordentlich nach. Ihre ausdrucksstarken Lieder changieren zwischen Blues, Rock und klassischem Songwritertum, aus ihren Texten sprechen Erfahrung und Nachdenklichkeit. Ilene Barnes ist eine faszinierende Frau, eine Künstlerin, die mit tiefer, wandlungsfähiger Stimme den Hörer in einen Sog aus Leidenschaft, Energie und Überzeugungskraft zieht. Sie hat eine Botschaft und weiß es, Geschichten zu erzählen. Wer wollte ihr nicht zuhören, wer könnte sich dieser charismatischen Stimme entziehen?

Carina Prange

 

ILENE BARNES - Yesterday Comes


DIVERSE
In Prison - Afroamerican Prison Music From Blues To HipHop

(Trikont US-0356, www.trikont.de)
19 Tracks, 73:49, mit engl. und dt. Infos

Nach den beiden CDs Black & Proud über die Musik in der Ära der Black-Panther-Bewegung haben die Trikont-Macher jetzt wieder eine Produktion vorgelegt, die sich als ein klingendes Geschichtsbuch erweist - und daher in jeden Musikunterricht gehören sollte. „Wenn eine Nation darüber definiert wird, was sie produziert, dann sind die Vereinigten Staaten eine Gefängnisnation geworden.“ Dieses Zitat von Alan Elsner steht am Anfang des Booklettextes von In Prison. Was Jonathan Fischer und Ian Ensslen dann auf acht Seiten an Fakten über die Geschichte von schwarzen Häftlingen in den USA zusammentragen, findet sein klingendes Spiegelbild in den 19 von beiden Autoren als Hörbeispiele auf der CD zusammengestellten Songs. Sie reichen von „klassischen“ Aufnahmen wie dem 1959 in der ehemaligen Plantage Angola, Louisiana, - einst eines der blutrünstigsten Gefängnisse Amerikas - entstandenen Worksong „Berta“ mit Big Louisiana, Rev. Rogers und Roosevelt Charles über „Short Eyes“, der 1977 von Curtis Mayfied zu seinem gleichnamigen Gefängnisfilm geschriebenen Musik bis zu „16 On Death Row“ vom 1996 ermordeten Rapper Tupac. Diese Songs erzählen ebenso wie alle übrigen Titel u. a. von den Escorts, Robert Pete Williams, Nina Simone und den Last Poets Geschichten sowohl über die Unterdrückung der Afroamerikaner im US- Justiz- und Gefängnissystem als auch von ihrem Widerstand dagegen.

Michael Kleff

 

DIVERSE - In Prison - Afroamerican Prison Music From Blues To HipHop


BIG YELLOW TAXI
Unknown And Famous Songs Of Joni Mitchell

(HOMusik HOCD8/www.bigyellowtaxi.dk)
13 Tracks, 45:40, mit engl. Infos

DAVID ROTH
More Pearls

(Stockfisch Records SFR 357.6041.2/in-akustik)
14 Tracks, 65:53, mit ausführlichen engl. Infos

GRANT-LEE PHILLIPS
Nineteeneighties

(Cooking Vinyl COOKCD380/Indigo)
Promo-CD 11 Tracks, 44:00

Lieber die großen Meisterwerke der Popgeschichte zu covern, als ihnen Epigonen hinzuzugesellen, die es ohnehin nie auf Augenhöhe mit den Vorbildern schaffen können, ist grundsätzlich ein vernünftiger Gedanke. Wenn dabei wie im Falle von Big Yellow Taxi aus Dänemark auch noch gänzlich unveröffentlichte Tunes einer veritablen Legende präsentiert werden, sowieso. Gleich drei von der Autorin autorisierte Erstveröffentlichungen kann BYT-Mastermind Henning Olson mit „Come To The Sunshine“, „The Way It Is“ und „Carnival In Kenora“ auf seinem zweiten Joni-Mitchell-Album präsentieren: Dem Vorbild auch im Gesang Christina Friis’ etwas sehr anverwandt, wenn auch nicht von der Rätselhaftigkeit des Originals, so dafür zugänglicher.

Deutlich weniger Mimikry legt David Roth in seinem zweiten Coveralbum an den Tag, was schon aufgrund des breiteren Spektrums der Vorlagen logisch ist: Von Pete Seeger über Bob Dylan, Peter, Paul & Mary, Gordon Lightfoot, Ralph McTell und zahlreiche andere Unantastbare bis zu Carol King haben es dem amerikanischen Gitarristen und Sänger vor allem die großen Singer/Songwriter seiner Kindheit und Jugend angetan - mit einer Ausnahme: den Beatles. Auch ihr „I Will“ verleibt er seiner ebenso makellos musizierten wie gesungenen, opulent instrumentierten Folkvariante aber reibungslos ein - bei der übermäßig respektvollen Ernsthaftigkeit, mit der er zu Werke geht, auch kein wirkliches Wunder.

Grant-Lee Phillips geht da mit seinen Vorlagen von The Pixies, New Order, Joy Division, Robyn Hitchcock, Echo and the Bunnymen, Psychedelic Fus, The Church, Nick Cave, R.E.M. oder The Smiths als Kind der 90er-Indie-/Alternativ-Generation naturgemäß schon deutlich unbefangener um. Wie er sie alle regelrecht einebnet in ein doch ziemlich stumpes Americana-Gewand scheint zwar nicht der Weisheit letzter Schluss zu sein, „Boys Don’t Cry“ von The Cure aber kommt verglichen mit dem schwerblütigen Original regelrecht federleicht daher, mit Banjo als Folktune, ein ganz entzückender, regelrecht aufregender Verfremdungseffekt. Nicht die schlechteste Qualität, über die eine Coverversion verfügen kann.

Christian Beck

 

BIG YELLOW TAXI - Unknown And Famous Songs Of Joni Mitchell

DAVID ROTH - More Pearls

GRANT-LEE PHILLIPS - Nineteeneighties

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