back Die besondere CD

Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder CDs, die aus der Masse herausragen:

DEUTSCHLAND 1 ACHIM REICHEL -->  Volxlieder
DEUTSCHLAND 2 BILWESZ -->  Spring
ASIEN GONG LINNA -->  Zou Shengming De Lu - Walking The Path Of Life
ENGLAND BELLOWHEAD -->  Burlesque

DIE BESONDERE - DEUTSCHLAND 1
ACHIM REICHEL
Volxlieder

(Tangram/Indigo 69532, www.achim-reichel.de)
15 Tracks, 57:56, mit Infos

Nach Dat Shanty-Alb’m (1976) und Klabautermann (1977) mit klassischen Seemannsliedern machte sich Achim Reichel schon 1978 daran, auf Regenballade deutsche Dichtung auf seine Art zu bearbeiten. Das fand vor vier Jahren seine Fortsetzung auf der CD Wassermann mit Texten u. a. von Heine, Mörike, Storm und Goethe, denen er ein modisches musikalisches Kleid verpasste - dazu trugen der englische Fiddler Peter Sage und der Multiinstrumentalist Frank Wulff aus alten Ougenweide-Tagen bei. Wulff und Sage sind auch beim jüngsten Versuch des Hamburger Musikers dabei, einen frischen Zugang zum schier unerschöpflichen Vorrat an deutschem Liedgut zu finden. Volxlieder ist eine wahrlich „besondere“ Scheibe. Der mittlerweile 62 Jahre alte Achim Reichel hat sich dabei viele Freiheiten herausgenommen: Da wird lustig (hinzu-)getextet, komponiert und arrangiert. So verwandelt der „Volxmusiker“ Reichel das Stück „Der Rosenmund“ frei nach Brahms zu einem swingenden Countrysong, bei dem Kollege Stoppok für Bluegrass-Banjotöne sorgt. Nicht viel anders ergeht es Franz Schuberts Lied vom Lindenbaum. In der Version des Ex-Rattle wird aus „Am Brunnen vor dem Tore“ ein von Fiddle und Akkordeon geprägter Cajun-Schunkler. So unbeschwert wie er „Die Gedanken sind frei“ anstimmt, meint man den darin enthaltenen „Freigeist“ förmlich zu spüren. Mit viel Groove kommt „Röslein auf der Heiden“ daher. Mit alpenländischen Klängen präsentiert Reichel „Weißt du wie viel Sternlein stehen“. Und der Reggaerhythmus von „No Woman, No Cry“ zieht sich durch „Im schönsten Wiesengrunde“. Auch Polka, Blues, Punk und natürlich ein Hamburger Shanty („Hammonia“) zum Abschluss fehlen nicht auf Volxlieder.

Achim Reichel ist frei von dem Verdacht, einem Modetrend zu folgen. Er hat sich mit seinem Thema intensiv beschäftigt, u. a. im Deutschen Volksliedarchiv recherchiert. „Die Auseinandersetzung mit diesen Liedern wurde für mich zu einer tiefen, ja fast magischen Begegnung“, heißt es im Booklet. Mit Volxlieder, bekommt ein Begriff wie „Heimat“ einen Klang, der Lust auf mehr macht. Diese CD gehört in den Musikunterricht - zumal die Texte und Noten vorliegen. Unter den aktuellen Produktionen mit deutschen Volksliedern ragt Reichels CD Volxlieder heraus. Allein weil die darauf enthaltenen Stücke nicht nach verkrampft wirkenden Neubearbeitungen klingen, sondern einfach nach Achim Reichel.

Michael Kleff

 

ACHIM REICHEL - Volxlieder


DIE BESONDERE - DEUTSCHLAND 2
BILWESZ
Spring

(Emmuty Records 571.0004.2, www.bilwesz.de)
16 Tracks, 70:42

Merit Zloch (Harfe und Gesang), Simon Wascher (Drehleier), Matthias Branschke (Sackpfeifen, Querflöte) starten ihre zweite CD mit der Melodie zu „Nun komm, der Heiden Heiland“ aus dem evangelischen Kirchengesangsbuch von 1956, in ihrer Fassung ironisch „Loser“ genannt. Das deutsch-österreichische Trio beweist (samt Gastmusiker Jörk Mikula am Schlagzeug), dass traditionelle Musik aus dem deutschsprachigen Raum alles andere als langweilig klingen kann, und dass es noch jede Menge mitreißender Musik (wieder) zu entdecken gibt. Wie schon auf dem Erstling swingt und groovt Zlochs Harfe, Wascher entlockt seiner Altoleier mit seiner ungewöhnlichen Doppelgriffspieltechnik faszinierende Klänge und der junge Dudelsackspieler Branschke entwickelt sich zunehmend zu einem der ganz großen deutschen Vertreter dieses Instruments. Neben virtuos gespielten Instrumenten begeistern die Arrangements, immer wieder überraschend, immer wieder neue Klangspektren entfaltend und immer wieder neue, elektrisierende Rhythmen entwerfend. „File under organic dancefloor/world“ steht auf dem Cover, auf ihrer Website bezeichnet die Band ihre Musik als „Agri-Pop“. Aber einsortieren lässt sich diese virtuose, phantasievolle Mixtur nicht so ohne weiteres und etikettieren ebenso schlecht. Man muss Bilwesz einfach hören. Möglichst laut. Für mich ist Spring die CD des Jahres.

Ulrich Joosten

 

BILWESZ - Spring


DIE BESONDERE - ASIEN
GONG LINNA
Zou Shengming De Lu - Walking The Path Of Life

(Kuku Music, Kuku-51)
14 Tracks, 63:10, mit chin./engl. Texten und Infos

Endlich! Musikalische Luftfracht aus China fernab konventioneller Folklorepflege und seichter Popattitüden. Das deutsch-chinesische Tonkunst-Joint-Venture von Robert Zollitsch und Gong Linna macht es möglich. Die 30-jährige chinesische Sängerin kann hier das gesamte Register ihrer stimmlichen Fähigkeiten ziehen. Und die sind so facettenreich, dass es schwer fällt, sie nur einer Sängerin zuzuschreiben. Ihre ausgebildete Stimme kann sich in ungeahnte Höhen schwingen, aber auch geradezu meditativ sanft fließen. Wer noch einen Beweis für die nicht nur etymologische Korrelation von Stimme und Stimmung sucht, findet ihn auf diesem Album. Dazu die abwechslungsreichen und wunderschönen Melodien, die beinahe ausschließlich Robert Zollitsch mit hohem Einfühlungsvermögen in die chinesische Musikkultur beisteuerte. Gong Linna begann bereits im Alter von 18 Jahren, eigene Liedtexte zu schreiben. Aber erst auf dem vorliegenden Album ist ihre Lyrik angemessen vertont worden. Und ein verstecktes Debüt leistete sich auch Robert Zollitsch: Der chinesische Text von Track drei stammt aus seiner Feder (und wird übrigens von den Chinesen sehr gut angenommen). Der lebhafte Titel eignet sich auch gut für den Einstieg in die Klangvielfalt der Platte. Da das Chinesischlernen für viele von uns das Verfallsdatum der Scheibe überschreiten würde, ist die Übertragung der Texte durch Christopher Evans von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Dieses Konzeptalbum lebt von Linnas wandlungsfähiger Stimme, einer Vielzahl chinesischer Musikinstrumente und stimmigen elektronischen Klangbeigaben. Die Höhepunkte des Albums? Je nach Stimmungslage zählen für mich dazu neben dem mit Zollitschs Obertongesang bereicherten Titelsong und dem erwähnten Track drei auch das anrührende Lied vom jungen Mädchen, das sich anschickt, ihre eigene Sonne zu finden (Track sechs), und das nur zitherbegleitete Hohelied auf das (bayerische!) Waldleben (Track acht) sowie die im Tempus sehr abwechslungsreiche Ode an die Hoffnung (Track elf. Bei Titel zehn fühlte ich mich wegen der eingängigen und volksliedhaften Melodie unwillkürlich an das in China sehr beliebte Lied von den „Drei Regeln der Disziplin und den acht Regeln der Aufmerksamkeit“, das auch im Repertoire eines Pete Seeger Platz fand, aus den Tagen des Befreiungskampfes erinnert: hier aber die Träume eines Ziegenhirten auf den Bergweiden reflektierend. Titel 14 verbreitet eine Art von Abschiedsstimmung, von der man sich wünscht, dass sie auf der nächsten CD wieder aufgegriffen wird.

Christian Henke

 

GONG LINNA - Zou Shengming De Lu - Walking The Path Of Life


DIE BESONDERE - ENGLAND
BELLOWHEAD
Burlesque

(Westpark Music 87132/Indigo, www.westparkmusic.de)
13 Tracks, 60:17, mit Texten und Infos

Folkloristen werden nicht völlig zu Unrecht gerne als musikalische Wiederkäuer bezeichnet, doch auch von ihnen werden immer mal wieder Klänge produziert, die wir auf diese Art noch nicht gehört haben, etwas wirklich Neues und Originelles. Bellowhead sind so ein Fall. Das energiegeladene Duo Spiers & Boden als Fundament, ein Saitenspezi und ein Percussionist plus drei Streicher und vier Bläser, so lautet die stark vereinfachte Beschreibung des Projektes. Insgesamt zehn Musiker und eine -in spielen meist traditionelle Lieder/Melodien, die allerdings kaum traditionell klingen, sondern ... - tja, da beginnt das Problem. Wie beschreibt man diese expressionistische Musik, die via Gesang und einiger Instrumente die Folkwurzeln nicht verleugnet, andererseits mit Rock-, Bigband- oder experimentelle Elementen in eine völlig andere Richtung abhebt, um dann schlussendlich doch wieder dem englischen Folktanz zu huldigen? Wo „London Town“ musikalisch eher am Zuckerhut als an der Themse liegt? Musiktheater vielleicht? Eigenständig und spannend auf jeden Fall, ein riesiges, unbändiges Experiment namens Bellowhead, das dieses Jahr (nicht nur) in Rudolstadt das Publikum mitgerissen hat. Gut nur, dass diese Rubrik „Die Besondere“ heißt, denn besonders ist Burlesque auf jeden Fall. Hieße die Rubrik „Die Perfekte“ (was immer das sein mag), dann gäbe es ein Problem. Perfekt ist die CD nicht, ganz selten sind die Arrangements auch mal besoffen-seltsam („Flash Company“) oder nicht sonderlich originell nah an der Cooper-Family-Vorlage („One May Morning“). Aber das lässt sich verkraften. Jon Bodens Stimme klingt oft wie eine zeitgemäße Reinkarnation von Peter Bellamy, und die Power der Band reicht für etliche Tanzsäle. Und das alles auf einem deutschen Label! Bloody well done!

Mike Kamp

 

BELLOWHEAD - Burlesque


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