DIE BESONDERE - AFRIKA
ALI FARKA TOURÉ
Savane
(World Circuit WCD 075)
13 Tracks, 58:45, mit frz./engl. Infos
Über A. F. Tourés Platz in der Musikgeschichte lässt sich trefflich
streiten, von einem der größten Künstler der Welt ist die Rede, von
hoffnungslos überschätzt auch. Touré ist tot, er ruhe in Frieden.
Beschäftigen wir uns lieber mit seinem Nachlass, und da ist zu sagen:
Schöner hätte er sich nicht verabschieden können. Über die CD Savane,
deren Veröffentlichung Touré fast noch erlebt hätte und die er bis zuletzt
beaufsichtigte, sagte er selbst, es sei sein bestes Album überhaupt, und
legt man die Kollaboration mit Ry Cooder auf Talking Timbuktu
beiseite, trifft das zu. Denn keine seiner vorherigen CDs ist musikalisch so
abwechslungsreich, vielgestaltig, ausgewachsen und ausgeschlafen, keine ist
so lebendig und tiefsinnig und so präzise abgemischt (at his best: Jerry
Boys, der lediglich Etienne Mbappés Bass verschlafen hat in „Penda Yoro“).
„Erdi Yer Bounda“, der Opener, ist regelrecht opulent geraten mit Bass (Yves
Wernert) und Bluesharp (Little George Sueref), „Beto“ wird von Ramata
Diakités Stimme und Pee Wee Ellis’ Saxophon edel unterstützt, gleich
mehrmals steuert Faín Dueñas (Radio Tarifa) seine Percussion bei, das
Titelstück „Savane“ hat ein wunderbares Reggaefeeling, „Machengoidi“ und
„Soko Yhinka“ haben Ohrwurmqualität. Dabei kommen vor allem Gitarren, Ngonis
(beeindruckend: Mama Sissoko und Bassekou Kouyaté) und Percussion nebst
Solo-, Chor- und Sprechgesang (von Mamadou Kelli) zum Einsatz, nur dann und
wann wird das Instrumentarium angereichert. Das Ganze wirkt wie ein
geschlossener Kreislauf, das Eingespeiste zirkuliert um sich selbst und
genügt sich. Dazu hat Touré so deutliche Worte gesprochen wie nie zuvor,
über Umweltzerstörung in Afrika, über korrupte Politiker oder über den
Westen, der lieber Wasserpumpen statt Bomben schicken sollte. Savane
ist ein Vermächtnis, das der seinerzeit bereits schwer kranke Ali Farka
Touré als Abschiedsgeschenk an die Menschheit aufnahm, mahnend und liebend
und mit viel Sinn fürs Detail. Savane ist ein Album, das in die
Weltkulturerbe-Liste der UNESCO gehört.
Luigi Lauer
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DIE BESONDERE DVD - FLAMENCO
MICHAEL MEERT
Der Flamenco Clan - Herencia Flamenca
(Lichtblick Film, www.Lichtblick-Film.de)
ca. 89:00 plus Bonusmaterial
Hand aufs Herz. Wer weiß schon mehr über den Flamenco, als dass es sich um
die Musik der Gitanos, der Zigeuner Andalusiens handelt. Urlaubstanzshows
und Gipsy Kings prägen das Bild des Gelegenheitshörers. Der Kölner
Filmemacher Michael Meert ist tief in unbekanntes Territorium vorgedrungen.
Zurückhaltend, geduldig und liebevoll zeichnet er für den Zuschauer das vier
Generationen umspannende Bild einer Gitanofamilie, dem weit verzweigten Clan
der Carmonas. Seltene historische Dokumente und intime Momentaufnahmen aus
dem Leben dieser Familie von Sängern, Gitarristen, Tänzern und
Percussionisten verbindet Meert zu einem Film, dem in knapp 90 Minuten etwas
ganz Einzigartiges gelingt. Er informiert, quasi von innen, und er berührt,
ohne Gefahr zu laufen, den Portraitierten zu nahe zu treten.
Zentrum des Films ist das bewegte Leben von Juan und Antonio Carmona,
sowie Cousin Josemi Habichuela. Die drei sind echte Stars der
zeitgenössischen Flamencoszene und besser bekannt unter dem Namen „Ketama“.
Der Autor begleitet sie zu Auftritten in ausverkauften Stadien, bei Reisen
im Tourbus. Er zeigt sie im Gespräch mit befreundeten Musikern, beim
Unterrichten der eigenen Kinder und bei Aufnahmen im Musikstudio. Er lässt
Raum für ganz private Reflektionen und es gelingt ihm immer wieder Momente
des Sich-unbeobachtet-Fühlens einzufangen. Vater Juan z. B., der nach
Jahrzehnten in Madrid den Entschluss fasst seine ihm verbleibenden Jahre in
Granada zu verbringen und der Abschied nimmt von der geliebten Wohnung,
stumm die Wände berührt. Sohn Juan junior, der sichtlich bewegt beichtet,
wie traurig ihn das Altwerden seines Vaters macht. Der Film kulminiert im
alljährlichen Familientreffen des Clans in Granada. Neue Enkelkinder werden
begrüßt und begutachtet, man tauscht Neuigkeiten aus, es wird gegessen und
getrunken - wie das bei Familienfesten so ist. Doch dann wird natürlich auch
gemeinsam gesungen und getanzt. Und das ist dann doch mehr als bei üblichen
Familienfesten. Hier wird gemeinsames Erbe zelebriert und lebendig erhalten,
ausgelassen und ekstatisch. Dass uns Meert hautnah daran teilhaben lässt,
dafür gebührt ihm unser besonderer Dank.
Rolf Beydemüller
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