DIE BESONDERE - KLEZMER
FRANK LONDON’S KLEZMER BRASS ALLSTARS
Carnival Conspiracy
(Piranha PIR 1902/Indigo)
12 Tracks, 59:30, mit engl. Kurzinfo
Vor etwas über einem Jahr in einer zweitägigen Session in New York
aufgenommen, ist das vorliegende Album das nunmehr dritte der Klezmer Brass
Allstars. So viele Musiker und Sänger hatten sich in das Studio „Dangerous
Music“ eingeschlichen, dass man die über 40 [!] Namen unmöglich hier alle
aufführen kann. Natürlich wäre als Erstes Frank London (Trompete) zu
erwähnen, bekannt als Mitglied der Klezmatics und Komponist zweier jüdischer
„Folkopern“ (Grüne Violine und Eine Nacht auf dem Marktplatz).
Die Klarinette (und verschiedene Saxophone) spielen Matt Darriau, Alex
Kontorovich und Merlin Shepherd; Tuba (und weiteres Blech) Jacob Garchik,
Ron Caswell und Mark Rubin. Schließlich wirkt am Schlagzeug Aaron Alexander.
Ursprünglich hatte man sich in der schon legendären New Yorker Knitting
Factory gefunden, wobei einige Gläschen Wein und dergleichen sicher
hilfreich waren, sich zu einem Projekt zusammenzuschließen. Der Legende nach
(ja, eine solche soll es tatsächlich schon geben) galt den angetrunkenen
Klezmorim die Gruppe Di Shikere Kapelye als Vorbild, die zu Beginn des 19.
Jahrhunderts wohl die lauteste Dorfblaskapelle zwischen Reval und Odessa war
und wohl wegen zahlreicher Saufgelage einen zweifelhaften Ruf erlang.
Weniger zweifelhaft, jedoch gnadenlos furios gibt sich die Formation des 21.
Jahrhunderts: Ist schon das Booklet mit einem paukenschlagenden Rabbi und
abstrusesten Texten zum Haare Ausraufen komisch, kommt die Musik - neben
fünf instrumentalen werden sieben Titel in Jiddisch, Spanisch, Ukrainisch
und Hebräisch gesungen - wie mit einem doppeltem Paukenschlag daher: So etwa
gleich mit der Sängerin Marjana Sadowska das erste Stück namens „Zwanzig
ertragreiche Fruchtbäume in deinem Garten“ (auch die Titel sind mit Kalauer
bespickt), gefolgt von „Oh Qual, Du bist so süß wie Zucker, auf dass ich
Dich auffressen muss“ (Gesang: Lorin Sklamberg) oder der „Mitternachts
Bandia Judia“, geschrieben und unter Mitwirkung von niemand anderem als
Michael Alpert. Das Chaos ist groß, die Stimmung höher. Originalton Frank
London: „Sie haben gerade das beste Album aller Zeiten erworben, eine CD, so
kräftig, dass sie Sie von sämtlichen Krankheiten, von Impotenz bis zur
Flatulenz, heilen wird“. Wohl gesprochen! Oh - und bitte nicht vergessen,
dass Klezmer ursprünglich reine Tanzmusik war: Dieses Album liefert einen
weiteren Beweis genau dafür!
Matti Goldschmidt
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DIE BESONDERE - AFRIKA
SARA TAVARES
Balancê
(World Connection 023/edel contraire)
Promo-CD, 13 Tracks, 59:34
Tolle Stimme zwar, aber zuviel Disko, zu wenig überzeugend - das war 1999
über das Album Mi Ma Bô anzumerken. Für Balancê - nomen est
omen - gilt das, von der jetzt noch tolleren Stimme abgesehen, nicht mehr -
Sara Tavares hat einen hörbaren Entwicklungssprung gemacht. Geboren und
aufgewachsen in Portugal, wurde sie früh von ihren kapverdischen Eltern im
Stich gelassen. Dass sich die ehemalige Eurovisionsgewinnerin Portugals seit
Mi Ma Bô noch mehr in die Kultur der Kapverden vertiefte, mag
tiefenpsychologisch deuten wer will. Der Musik jedenfalls hat es gut getan.
Wer Lokua Kanza als Produzenten und Arrangeur übertrumpfen will (Mi Ma
Bô ging auf sein Konto), der muss seine Lektion verdammt gut gelernt
haben, und beim Titel gebenden Opener ist man noch sicher, dass dieser
Satzgesang nur von ihm stammen kann. Doch es ist Sara Tavares selbst, die
für die Produktion verantwortlich zeichnet, und dafür muss man den Hut bis
ins Souterrain ziehen. Damit nicht genug, hat sie auch die meisten
Instrumente selbst gespielt - daraus erklärt sich wohl, warum es sechs Jahre
gedauert hat, bis Balancê zufriedenstellend austariert war. Wer sonst
an dem Album mitgewirkt hat, war leider nicht in Erfahrung zu bringen.
Selten hat es Platten gegeben, auf denen so luftig und frisch und
unbekümmert unterschiedlichste musikalische Bausteine, die nur vage eine
kapverdische Architektur erkennen lassen, zu einer perfekten Pyramide
zusammengefügt wurden - kein Stück zu viel oder zu wenig, die Statik stimmt,
die Akustik sowieso. Balancê ist auch ein Album, bei dem man jeden
weggelassenen Ton feiern kann, unnötigen Putz hat man einfach weggekloppt.
Ein kleines Zwischenhoch dann auch noch, als die junge Dame (27 Jahre) sich
ein Duett mit Boy Gé Mendes liefert. Sara Tavares’ kristallklarer Gesang hat
etwas Aufrichtiges, Kindlich-Ehrliches und ist doch ausgereift, als wäre
Jahrzehnte daran gefeilt worden. Verglichen mit dem Vorgänger hat man auf
Balancê ständig den Eindruck, als wolle Sara Tavares sagen: „Jetzt
geht’s los!“, als sei alles Bisherige nur zum Aufwärmen gewesen, als habe
sie sich schon während dieser Produktion auf die nächste CD gefreut. Wer
Balancê gehört hat, wird sagen: Ich freue mich auch schon darauf.
Luigi Lauer
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